2. Die Wendung zur Dialektik 399
drängt, weil diese selbst das eigentliche Ganze und jeder Punkt nur
eine Wandlungsform des Ganzen ist“ (S. 248).
Immer wieder macht sich die außerordentlich hohe Wertschätzung
bemerkbar, die Troeltsch der Dialektik als der wichtigsten, ange¬
messensten und fruchtbarsten Forschungsmethode und alshermeneu-
tisches Verfahren für die historische und geschichtsphilosophische
Forschung entgegenbringt. Er weist darauf hin, daß auch Hegels
Gegner, wie der katholische Theologe Kiefl, oft unbewußt nach dem
dialektischen Schema konstruieren und polemisieren. Die Natur
wissenschaftlichen Denkens zwinge sie dazu. Nach Troeltsch ist auch
Comtes Lehre von den drei Stadien nicht ohne dialektischen Einfluß
zustande gekommen. Dasselbe gelte in bezug auf ,,Spencers Evo¬
lutionstheorie von der beständig gesteigerten Desintegration und
Integration innerhalb der agnostischen Substanzeinheit; nicht einmal
der historisierende Darwinismus mit seinen Gegensätzen von An¬
passung und Ausmerzung kann sie ganz entbehren ... Auch die an
Schopenhauer anknüpfende Lebensphilosophie fällt schon bei ihrem
Urheber immer wieder auf dialektische Vortragsweise zurück. Bei
Nietzsche spielt sie eine entscheidende Rolle“ (S. 241 Anm.). Und
so ließen sich noch zahlreiche Fälle des Hinweises auf den Wert
der Dialektik und der Empfehlung dieses Wertes anführen.
Aus dieser Einstellung heraus wird es nun ganz verständlich,
daß Troeltsch die dialektische Denkweise gegen Mißverständnisse
und Vorwürfe verteidigte und in Schutz nahm. Er lehnt den Ein¬
wand als unzutreffend ab, sie sei nichts als eine vorschnell verall¬
gemeinernde und den Sachverhalt vergewaltigende künstliche, aber
leere Systematisiererei. Gewiß sei sie konstruktiv und verwende
„zum Zweck ihrer Konstruktion das Apriori der Dialektik“. Ihre
Apriorität bedeute ihre grundsätzliche Notwendigkeit als Ordnungs¬
und Durchdringungsmittel für das empirische Material. Es handle
sich nicht um eine die Erfahrung vernachlässigende überspekulative
Deduktion aus irgendwelchen autonom aufgestellten Vorausset¬
zungen, sondern sie sei nur der mit dem wagenden ,,Mut des Denkens“
erfaßte tatsächliche Hintergrund und Gehalt alles erfahrungsmäßigen
Denkens (S. 253). ,,Das dialektische Geschichtsbild ist Rekonstruk-
tion gegebener, anschaulicher und konkreter Materialien zu einem
Ganzen, nicht apriorische Deduktion des inhaltlichen Geschehens
und seiner Folgereihen aus der Idee ... Es kommt für Hegel nur
auf das gesunde und richtige Verhältnis der empirischen und kri¬
tischen Forschung zur konstruierenden Darstellung an. Das aber