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Einleitung
erkauft diese Einheit und Harmonie nicht auf Kosten der Idee des
Problems bzw. derjenigen der Lösung; er beeinträchtigt nicht die
unwiderlegbare dialektische Autonomie, die jeder dieser beiden
Ideen unabstreifbar zukommt. Er entwickelt nicht, wie das Hegel
tut, die Harmonie aus dem Ausgleich der Gegensätze und läßt nicht
die Gegensätze über jede endliche Lösung hinaus in eine endgültige
Erlösung einmünden. Der auch für ihn maßgeblich leitende
Harmoniegedanke ist selber in jedem Atemzuge Problem und Lösung
zugleich. Er bleibt demnach von der Fruchtbarkeit schöpferischer
Spannungen ununterbrochen erfüllt und bewegt. Es handelt sich
hier, wenn das Wort erlaubt ist, um einen sozusagen tragischen
Harmoniegedanken, um eine Harmonie ohne die Aussicht auf
lösende und erlösende Bewältigung aller Aufgaben, es handelt
sich um eine Harmonie, die in der Aussicht auf ewige Weiter¬
führung des dialektischen Prozesses nach innen und nach außen sich
auswirkt.-
Überschauen wir nun in einem zusammenfassenden Überblick
den hier vertretenen „Geist der Dialektik“, so gelangen wir zu
folgendem Ergebnis: Der auf den vorliegenden Blättern entwickelte
Standpunkt soll keine Sonderrichtung innerhalb einer allgemeinen
dialektischen Philosophie zum Ausdruck bringen und deshalb auch
in keinen Gegensatz zu einer bestimmten Einzelausprägung einer
solchen Philosophie treten. Grundlegend und maßgebend für die
Fundierung und für die systematische Durchführung unserer Ge¬
danken ist vielmehr die Idee der Dialektik als solche. Wir
verstehen diese Idee in derjenigen Universalität ihres
metaphysischen Sinnes, die ihr zuerst durch Plato er¬
rungen worden ist.
Demgemäß ist in unserem ganzen Zusammenhang die Dialektik
erstens aufgefaßt als theoretisches Regulativ für die Bildung der
Begriffe, die aus dem Quellgrund der Dialektik emporsteigen und
in ihrer Struktur wie in ihrer objektiven Geltung an das Prinzip
dialektischer Entfaltung gebunden bleiben. Doch darüber hinaus
wohnt der Dialektik zweitens eine praktisch-normative Bedeutung
inne. Das heißt: Die Dialektik besitzt die Kraft einer schöpferischen
und leitenden Norm für die Realität des Lebens. Alle Farben und
Figuren dieses Lebens, sein ganzes Werden und sein ganzer Wert
tragen die unaufhebbaren Züge schicksalshafter Dialektik und dialek¬
tikerfüllten Schicksals. Wir können sagen: Die Dialektik gilt uns