Full text: Grundlegung der Dialektik

374 VI. Die Dialektik der Metaphysik 
aber auch höchst merkwürdige Lage. Diese Lage wird von den 
mannigfachsten Voraussetzungen getragen, sie wird durch die ver¬ 
schiedenartigsten und verwickeltsten Antriebe bewegt, sie wird durch 
die mannigfachsten Aussichten und Erwartungen belebt und zu¬ 
gleich durch die verschiedenartigsten Behinderungen eingeengt. 
Eigenartige und einzigartige heroische Bemühungen intellektueller 
Art und damit eng verbundene, bis zur Gewißheit auf endgültige 
Bezwingung aller metaphysischen Probleme gesteigerte Hoffnungen 
wechseln mit einem nicht minder heroischen Verzicht. Seltsam und 
doch begreiflich: Sowohl die Bestrebungen, die auf die Erkenntnis 
des Absoluten und des einheitlichen Weltgrundes gerichtet sind, als 
auch die Abkehr von jenen Bestrebungen, ja ihre absichtliche Außer¬ 
achtlassung, Geringschätzung und Ablehnung — beide Verhaltungs¬ 
weisen werden als die Forderung und als das Zeichen der „Weisheit“ 
angesehen. Ist es weise, ein Anhänger und Förderer der Metaphysik 
zu sein oder ihr Gegner? Ist es weise, an ihrer Wiederbelebung mit¬ 
zuwirken und ihre Unentbehrlichkeit zu verteidigen oder den kriti¬ 
schen Einwänden gegen sie Gehör zu geben und besonders die Mei¬ 
nung zu vertreten, daß die Entwicklung des modernen Lebens, hier 
in erster Linie der außerordentliche Fortgang der exakten Wissen¬ 
schaften und die damit verbundene allgemeine Intellektualisierung, 
die Überwindung und Beseitigung der Metaphysik zur unausbleib¬ 
lichen Folge haben werde? Ist es weise, sich dem Eindruck der 
Aussichtslosigkeit aller philosophischen Bemühungen hinzugeben 
und unter diesem Eindruck von der Metaphysik endgültig Abstand 
zu nehmen? Oder dürfen wir das Verlangen nach ihr nicht preis¬ 
geben und die Versuche nicht aufstecken, die dahin gehen, alles 
theoretische Forschen und alle gedankliche Grübelei der Menschen 
in einer metaphysisch verankerten Erkenntnis und Weltanschauung 
gipfeln zu lassen? Dürfen wir von der Überzeugung nicht abgehen, 
daß die Metaphysik ebensowohl die Grundlage als auch die Krönung 
der Erkenntnis darstellt? Oder trägt diese Überzeugung den Makel 
der Überlebtheit? Steigen nicht die Beanstandungen, die der Me¬ 
taphysik widerfahren, selber aus einem metaphysischen Grunde 
auf? 
Was machen wir ferner mit jenen Nachweisen, die darin bestehen, 
daß es der tiefer erfaßte Sinn der wissenschaftlichen Arbeit selber 
sei, aus dem die Motive für einen metaphysischen Abschluß unseres 
Erkenntnisstrebens stammen? Es ist unmöglich, sich der Stich¬ 
haltigkeit jener Darlegungen zu verschließen, nach denen das
	        
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