3. Der tragische Begriff der Dialektik
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Es ist nicht von ausschlaggebender Wichtigkeit, wie wir diesen
Zug zur Transzendenz erklären und deuten: wichtig ist nur vor
allen Dingen, daß wir seine Bedeutung als solche gewahren und ver¬
stehen. Nennen wir ihn mit einem allgemeinen Ausdruck den Zug
zur absoluten Norm. Erst die Aufstellung und Anerkennung einer
solchen Norm, wobei es zunächst gleichgültig ist, aus welchen Mo¬
tiven wir diese Aufstellung ableiten und welche Begründung wir
dieser Norm geben, verleiht unserem geschichtlichen Dasein seinen
Halt und seine Rechtfertigung. Die geschichtliche Welt ist ohne
die Idee der Transzendenz schon dem Begriff nach nicht zu denken;
ihrem Wesen und Gehalt nach ist sie ohne diese Idee ein sinnloses,
also ein nichthistorisches Gebilde. Das ist die urwüchsige dialektische
Paradoxie alles Historischen, daß sein Sinn zu seiner Erscheinung
in dem Verhältnis der Transzendenz steht. Der Sinn des Historischen
erfüllt sich in keiner seiner Schöpfungen. Aber eben die Relativität
dieser Schöpfungen ist es, die der normativen Absolutheit des Sinnes
bedürfen, damit sie in ihrer empirisch-geschichtlichen Existenz ver¬
standen und beglaubigt werden, ja, damit sie auch nur da sind und
eine Stelle im historischen Gefüge einnehmen und behaupten können.