1. Allgemeine Grundlegung der Dialektik der Metaphysik
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nomien der Wirklichkeit, die Dialektik von der Geschichte her auf¬
griff und verstand, weil er sie zunächst in der Wirklichkeit des ge¬
schichtlichen Lebens vorfand. Aber indem er sie nun mit Recht als
systembildende Methode verwendete, gestaltete er sie unter dem Ein¬
fluß auch einer formalen Logik, deren von ihm durchschaute und geta¬
delte Unzulänglichkeiten und Härten doch gerade er zu durchbrechen
und zu überwinden suchte. Sein ungeheuer freier und offener Blick für
die tragische Problematik des Daseins verengte sich in merkwürdiger
Weise unter dem Einfluß von Tendenzen, die aus seiner Neigung zu
formalistischer Konstruktion im Sinne einer logischen Schemati¬
sierung der Geschichte und aus seiner wurzelhaften Verbundenheit
mit christlich-religiösen und humanistisch-harmonistischen Lebens¬
auffassungen und Lebensbewertungen seltsam gemischt sind.
Christentum und Humanismus sind im Verein auch bei ihm ma߬
gebende Bedingungen und Formungen für seine geistige Existenz
und für seine philosophische Arbeit. Darauf beruht die Eigenart
seiner so machtvollen Stellung; darin sprechen sich aber auch die
Grenzen seiner Leistung und seines Einflusses aus. Darf nicht die
Behauptung gewagt werden, daß in dem Grade, in dem die Geltung
jener geistesgeschichtlichen Bedingungen sich minderte, gleichfalls
eine Minderung des Einflusses Hegels eintreten mußte? Man spricht
so oft von dem Zusammenbruch, der das Hegelsche System alsbald
nach dem Tode seines Schöpfers betroffen habe. Und für die Ent¬
stehung dieser Katastrophe werden die verschiedenartigsten Um¬
stände namhaft gemacht. Zwar ist es viel zuviel, weil sachlich un¬
zutreffend, von einem solchen Zusammenbruch als einer objektiv
feststellbaren Tatsache zu sprechen. Doch wie immer sich die
weitere Geschichte der Hegelschen Philosophie gestaltet haben mag,
so waren für sie das Ansehen, in dem jene oben genannten Tendenzen
in dem Bewußtsein der Menschen standen, von einschneidender
Tragweite. Jedenfalls ist das eine sicher, daß unter der Einwirkung
dieser Tendenzen die Hegelsche Dialektik eine vorzeitige Ab¬
schwächung erfuhr, eine Abschwächung, die sich nicht selten der
Grenze einer Preisgabe der Dialektik gefährlich nähert.
Hegel, der von vielen so oft und so nachdrücklich als der größte
Dialektiker der Philosophie gepriesen wird, verdient diese An¬
erkennung, jedoch nicht in restlos erschöpfendem Sinne. Wir werden
wiederholt sehen, daß und in welcher Weise er hinter den von Kant
erreichten Begriff der Dialektik zurückgetreten ist. Er überdeckte
und milderte auf Grund eines in seiner Gemütsverfassung angelegten,