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III. Der dialektische Idealismus
Bei der Behandlung dieser Typen und Gestalten der Dialektik
werden wir so Vorgehen, daß wir die seelisch unmittelbarste Gestalt
der Dialektik, die Dialektik des Erlebens, an den Anfang steilen
werden. Ein solcher Ausgangspunkt lag nahe, weil sich alsdann
sofort zeigen läßt, wie allgemein die Dialektik ist, wie eng sie mit
uns als Menschen zusammenhängt, wie sie, lange vor ihrer Objek-
tivation in Gebilden, die von uns persönlich unabhängig sind,
gleichsam zu unserer Naturausstattung gehört und unseres Schicksals
Zeichen bildet. Nun sind wir als Menschen zugleich aber in die
Objektivation des geschichtlichen Lebens verflochten; wir sind bis
in die feinsten und persönlichsten Verzweigungen unseres Wesens
hinein sowohl Schöpfer und Träger als auch Geschöpfe und Schnitt¬
linien der Geschichte. Daraus ergibt sich die erste, aber schick¬
salshafte Objektivation der Dialektik, nämlich diejenige
Gestalt der Dialektik, die als „Geschichte“ ein selbständiges Dasein
führt, die, mit anderen Worten, sich in dem verkörpert, was wir
das geschichtliche Leben zu nennen gewohnt sind. Oder in logischer
Fassung desselben Gedankens: Auf die Erörterung der Dialektik
als Erlebnis folgt die Erörterung der Dialektik als Kategorie,
als konstitutive Erkenntnis- und Deutungsform des geschichtlichen
Lebens. Die betreffenden Überlegungen haben von selbst den
Charakter eines Beitrages zur Hermeneutik der Geschichte
angenommen. Denn der Begriff einer „historischen Dialektik“ hat
die ihm eigentümliche logisch-sachliche Bedeutung darin, daß er
eine bestimmte Art und Weise der „Auslegung“ darstellt. Und durch
diesen Grundbegriff der „historischen Dialektik“ kommt es nun,
daß auch alle einzelnen Begriffe, die für das historische Erkennen
eine kategoriale Geltung besitzen, sowohl dialektischer Natur sind
als auch die Objektivität von „Auslegungen“ haben. Dadurch
unterscheidet sich die Objektivität der historischen Erkenntnis und
ihrer Kategorien auf das deutlichste und bündigste von derjenigen
der naturwissenschaftlichen Erkenntnis.
Durch die Erfassung und Darstellung jener beiden Gestalten der
Dialektik, der seelisch-subjektiven des Erlebens und der logisch¬
objektiven des Erkennens, haben wir uns die Voraussetzung ge¬
schaffen, um in einen zusammenfassenden Vergleich der in dem vor¬
liegenden Buche vertretenen Auffassung vom Wesen der Dialektik
mit den Haupttypen jener Auffassung und jenes Gebrauches der
Dialektik einzutreten, die ich einmal als „klassische Dialektik“ be¬
zeichnen möchte. Ich fasse mit dieser Bezeichnung die Mannig¬