14. Das Numenose der Dialektik
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ihre Aufrechterhaltung nicht vielleicht gerade darum so eifrig be¬
dacht, mit einem Eifer, dem eine etwas nervöse Sorge anzumerken
ist, weil wir im Hintergründe fessellose Gewalten argwöhnen, gegen
die eine Abwehr und Sicherung geboten ist? Es ist ein zu kleiner,
ein zu empirischer Begriff, wenn wir jenes Gefühl als Angst be¬
zeichnen, das uns im Hinblick auf jene transzendenten Gewalten
überschleicht. Denn es handelt sich um ein seelisch-sittliches Ur-
phänomen in unserer Einstellung zum Leben, es handelt sich um
ein seelisch-sittliches, darum durchaus positives und aktives Ur-
phänomen des Lebens selber. Es würde niemals zum Ausbruch und
Durchbruch gelangen, wenn das Leben in klassizistische Harmonie
eingebettet wäre oder die Harmonie zu seinem einzigen Ziele hätte.
Es ist die Dialektik des Lebens, die dieses Urphänomen zu immer
neuer Bekundung veranlaßt. Und es gehört nun wieder zu jener
Dialektik, in die auch dieses Urphänomen verflochten ist, daß es
alles, was an Bedrohlichkeiten in ihm steckt, wie Furcht, Grauen,
Besorgnis, mit paradoxer Tatkraft abstößt, und daß es als tragisch¬
heroische Gesinnung und als tragisch-heroische Handlung zu posi¬
tiver Entfaltung kommt.
Erst indem wir die Idee der Dialektik in diesem Sinne verstehen,
also nicht bloß im Sinne einer formal logischen, am Satz des Wider¬
spruches verlaufenden Denkbewegung und Erkenntnistätigkeit
nehmen, erst wenn wir diese Idee nicht einschränken auf die Dia¬
lektik des Begriffs, enthüllt sich uns die umfassende Metaphysik
ihres Sinnes, enthüllt sich uns die Metaphysik der Dialektik,
die über den logischen und rationalen Wesenszug der
Dialektik hinwegreicht bis in ihren ethisch-tragischen
und ihren numenos-heroischen Sinn.
Aber diese, der Metaphysik der Dialektik gewidmeten Dar¬
legungen wären unvollständig, wenn sie nicht durch die Berück¬
sichtigung der Hauptformen der Dialektik ihre notwendige
Weiterführung und Ergänzung erfahren würden. Das heißt: Es ist
erforderlich, auch die am meisten charakteristischen, also typisch¬
sten, und die maßgebendsten und entscheidungsvollsten subjektiv¬
seelischen und die hervorstechendsten und wirkungskräftigsten
objektiv-formenden Erscheinungsweisen der Dialektik in den
Kreis der Untersuchung einzubeziehen. Mit anderen Worten: Es
gilt, eine Gestalt-, eine Typenlehre, also eine Charaktero¬
logie der Dialektik zu bieten oder wenigstens anzustreben.
Vgl. Kapitel V.