Full text: Grundlegung der Dialektik

13. Die kritische Geisteshaltung 
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wegzudenken ist, da um ihretwillen, um der Befreiung von ihr, zum 
mindesten um ihrer Beschwichtigung willen eine Reihe maßgebender 
und eindrucksvoller Veranstaltungen überhaupt getroffen, eine Reihe 
wichtigster Leistungen nicht allein geschaffen, sondern zu einem 
gewissen Teil erst aus ihrer Tiefe heraus verständlich und sinnhaft 
notwendig werden. Davon wird noch zu sprechen sein. 
Die Fähigkeit zur Erfassung der Lebensangst, der Lebensdämonie, 
ist geradezu ein Prüfstein für den erkenntnismäßigen und welt¬ 
anschaulichen Wert eines philosophischen Gesichtspunktes. Wir 
deuteten an, daß und weshalb die rationalistische Spielart des Idealis¬ 
mus diese Prüfung nicht besteht. Was ihr eben in dieser Hinsicht 
fehlt, das besitzt die dialektische Form des Idealismus in hervor¬ 
stechendem Maße. Wir sahen, daß sie die Methode der Dialektik 
auf den Freiheitsgrund zurückführt, aus ihm erklärt und in allen 
Schritten und Stufen der Dialektik die Freiheit als wirkendes und 
leitendes Prinzip dauernd mitarbeäten läßt. Diese beständige und 
grundlegende Tätigkeit schließt aber unverkennbar ein Moment 
höchsten Risikos und intelligibler Zufälligkeit in sich. Gewiß, in 
empirischer und konkreter Beziehung, etwa bei der Bildung und 
dem Ablauf einer bestimmten Gedankenarbeit, erübrigt sich in bezug 
auf das Gelingen und die Sicherheit jede unmittelbare ,,meta¬ 
physische“ Sorge. Ergeben sich hier Ablenkungen, Brüche, Irrtümer, 
so ist dafür nicht die metaphysische Freiheitsquelle verantwortlich 
zu machen, als verschulde sie diese Fehler. Denn bei ihnen handelt 
es sich hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und hinsichtlich ihrer 
Wirkungsweise um empirische Vorkommnisse, die grundsätzlich ab¬ 
stellbar sind. Es ist z. B. nur nötig, die Aufmerksamkeit zu erhöhen, 
die Störung durch subjektive Momente, etwa der Stimmung, aus¬ 
zuschalten, die logischen Grundsätze in möglichst weitem Umfange 
zu beachten u. dgl. mehr. 
Richten wir jedoch den Blick auf das Ganze aller systematischen 
Erkenntnis, und fragen wir nun, wodurch diese Einheit selber ge¬ 
sichert wird, so wird außer dem Dogmatiker kein Denker den Mut 
bzw. die Naivität aufbringen können, die Möglichkeit einer höchsten 
Problematik und die Zulässigkeit der Idee einer letzten Fragwürdig¬ 
keit zu leugnen. Das soll nicht heißen, es würde damit behauptet 
oder als wahrscheinlich eingeräumt, daß alle unsere Erkenntnisse 
„falsch“ wären. Eine solche Behauptung ist ganz hinfällig, ja ge¬ 
radezu sinnlos. Denn erstens würde sie selber auf der theoretischen
	        
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