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III. Der dialektische Idealismus
das All und für Alles das allbeherrschende ,,Gesetz“. Denn auch
das Gesetz trägt seine Macht nur zu Lehen von der Macht der Syn¬
these.
Deshalb ist auch die Absicht aller Wissenschaft, in erster Linie
diejenige der Philosophie, auf die Erkenntnis und Herausarbeitung
der großen konstruktiven Synthesen gerichtet. Ist doch die Erkennt¬
nis des Seins im Grunde nichts anderes als die Erkenntnis der ent¬
scheidenden Ordnungen und Einheiten — in der Philosophie der
Gegenwart pflegt man dafür gern ,,Gestalten“ oder „Strukturen“
zu sagen —, derjenigen Ordnungen und Einheiten, die das Sein
gründen und tragen. Haben wir diese Synthesen, so besitzen wir
auch das Sein. Das gilt sowohl für die Theorie wie für die Praxis,
für die reine Erkenntnis und uninteressierte Forschung wie für unser
Streben nach Macht und nach Herrschaft über die Dinge und die
Menschen. Wir verstehen den Menschen und seine erkenntnismäßi¬
gen Anstrengungen bzw. Erfolge, wenn wir die ordnenden Synthesen
erfassen, in denen sein Wollen und sein Tun zum Ausdruck gelangen.
Philosophie der Wirklichkeit ist Erkenntnis der wirklichkeits¬
begründenden Ordnungen, ist Einsicht in die grundlegenden Kate¬
gorien und Ideen, die selber nichts anderes als Formen der Synthesen
darstellen und die, eben weil sie das sind und nichts als das, die
Sicherheit der Realität begründen. Ohne Synthesen also auch keine
Realität. Da aber diese grundlegenden Synthesen Funktionen des
Geistes sind, demnach ihrer „Natur“, ihrem „Wesen“ nach das
Wesen von „Ideen“ haben, so können, nein, so müssen wir auch
sagen: Ohne die Idee der Synthese und ohne die Synthese der Idee
keine Realität. Das Studium der Wirklichkeit bedeutet, philoso¬
phisch, d. h. erkenntniskritisch und metaphysisch verstanden, das
Studium der ideellen Synthesen bzw. der synthetischen Ideen, ohne
die wir von irgendeiner Art von Sein, von Wirklichkeit nicht reden,
nichts wissen können. Diese ideellen Synthesen bilden den Haupt¬
gegenstand der Philosophie. Darum ist jede wahre Philosophie,
schon ihrem Gegenstand nach, Idealismus, Ideenlehre, Platonismus,
Kritizismus. Darum beginnt die philosophische Erkenntnis der
Wirklichkeit mit der Erkenntnis der ideellen Synthesen, die das
Apriori für alle Erkenntnis der Wirklichkeit und für alle Wirklich¬
keit sind. In den Synthesen der Ideen und in den Ideen der Syn¬
thesen gründet sich die Realität. Aus dieser Erkenntnis heraus
ergibt sich die Einsicht in die unauflösbare Wechselbeziehung von
Idealismus und Realismus, die so wenig „Gegensätze“ darstellen,