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II. Von der Pflicht zur Metaphysik
vornherein verhindert. So sind es in der Hauptsache zwei Schwierig¬
keiten, die von der Religionsphilosophie vermieden werden müssen.
Eine Schwierigkeit besteht in der nicht selten auftauchenden Gefahr
einer so starken Rationalisierung, daß innerhalb der Religions¬
philosophie kein Hauch des religiösen Lebens mehr spürbar ist. Es
wäre vielleicht die größte Leistung einer, ihrem Gegenstände
adäquaten philosophischen Erkenntnis, wenn es ihr gelänge, ohne
den Pflichten gegenüber der Wissenschaft untreu zu werden, doch
in der Logik ihrer Struktur etwas von der Überrationalität ihres
Objektes anklingen zu lassen. Die andere Schwierigkeit bekundet
sich in der nicht minder großen Gefahr, die Religionsphilosophie in
das Fahrwasser der Erbaulichkeit überzuleiten und zu einer Predigt
zu machen, vergleichbar jenen Systemen der Ethik, die ihre Auf¬
gabe oder eine ihrer Aufgaben darin erblicken, sogar noch über eine
Moralkasuistik hinaus ganz konkrete Anweisungen und Vorschriften
für eine Gestaltung des Lebenswandels, der den Forderungen der
Sittlichkeit genügt, zu erteilen.
Wenn aber auch die Unterschiede zwischen beiden Gebieten
strenge Beachtung verdienen, so dürfen trotzdem die Züge der
Gemeinsamkeit nicht übersehen werden. In zwei Punkten und nach
zwei Richtungen prägt diese Zusammengehörigkeit sich aus. Ge¬
meinsam ist beiden erstens die Idee des Absoluten, zweitens das
Problem des Verhältnisses des Relativen und Endlichen zu diesem
Absoluten, die Frage der Beziehung zwischen der Erscheinungswelt
mit ihrer vergänglichen Erfahrungsfülle und der intelligiblen Welt
mit ihrer Einheit und Ewigkeit. Doch gerade indem wir auf diese
unbestreitbare und unzerstörbare Zusammengehörigkeit von Meta¬
physik und Religion aufmerksam machen, haben wir die Aufgabe,
ihre ebenso unbestreitbare und unaufhebbare Verschiedenheit, die
Dialektik ihres Verhältnisses zueinander, zu berühren. Denn die
Erwähnung dieser Dialektik ist für unseren Zweck von besonderer
Wichtigkeit.
Diese Verschiedenheit gelangt nun in der Abweichung der Er¬
lösungsidee, wie-die Metaphysik diese Idee versteht und verwendet,
von der religiösen Auffassung und dem religiösen Wert derselben
Idee zu überzeugendem Ausdruck. Und es gehört zu den Grund¬
pflichten der Metaphysik, diese Gegensätzlichkeit zu wahren und
die Eigenart der von ihr vertretenen Idee der Erlösung nicht zu
verwischen, wenn anders die Metaphysik vor der Religion nicht ein¬
fach die Waffen strecken und in ihr Lager übergehen will. Aber eine