5. Das religiöse Motiv
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der christlichen Offenbarung anerkannt. Außerdem liegt der Hin¬
weis auf die Ethik Spinozas auf der Hand, die besonders in frei¬
maurerischen Kreisen die Kraft einer religiösen Dogmatik bekundet
und von vielen Menschen nicht bloß als ein Religionsersatz, sondern
als diejenige Form der Religion gewertet wird, die dem modernen,
durch die Naturwissenschaften gebildeten Bewußtsein allein an¬
gemessen sei. Und wie leicht wäre es, die Beispiele zu häufen, die
da belegen, daß mehr als ein metaphysisches System und Werk in
den Kreisen seiner Anhänger nicht bloß als eine intellektuelle
Leistung angesehen wurde, sondern oft geradezu als eine religiöse
Offenbarung und als Bibel galt. Kant und Fichte, Schelling und
Hegel genossen das Ansehen einer Art von Religionsstiftern und
wirkten als solche in vielen Beziehungen. —
Gemäß dem Grundplan dieses ganzen Buches, das nur der
„Grundlegung“ unserer dialektischen Metaphysik gewidmet ist, mit¬
hin fast überall von allzu eingehenden Ausführungen absieht, wollen
wir es auch in dem vorliegenden Zusammenhänge bei der An¬
deutung dieser Erlösungsmission und Erlösungsfunktion der Meta¬
physik bewenden lassen. Doch sei trotzdem angemerkt, daß die
Frage der Zugehörigkeit des religiösen Motivs zu den Voraus¬
setzungen der Metaphysik, sowie die Klarstellung seines Anteils
an dem Aufbau ihrer Struktur, endlich die Erörterung der Eigenart,
die die Metaphysik aus jenem Anteil gewinnt, zu einer ungleich
umfangreicheren Untersuchung mehr als eine Veranlassung bieten
würden. Was wir jetzt noch mit einigen Worten streifen wollen,
ist die Überlegung, ob nicht aus der gar zu eindringlichen Befür¬
wortung der Unentbehrlichkeit und der systematischen Berechtigung
des religiösen Motivs schließlich die Empfehlung der gänzlichen
Überleitung der Metaphysik in die Religion und somit die grund¬
sätzliche gedankliche Grenzverwischung zwischen diesen beiden Ge¬
bieten hervorgehen müssen.
d. Die Erlösung als metaphysisches Problem.
Die Klarstellung des Verhältnisses zwischen Metaphysik und
Religion gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die der Philosophie
gestellt sind. Ist es doch geboten, weder die Unterschiede zwischen
beiden Gebieten außer acht zu lassen oder gar auszugleichen, noch
aber einen philosophischen Standpunkt einzunehmen, dessen formal¬
rationaler Charakter eine angemessene Erfassung der Religion von