5. Das religiöse Motiv
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c. Die Erlösungsfunktion der Metaphysik.
In unserem Falle äußert sich jene praktische Tragweite
als die Vorbereitung zu der seelischen Befreiung und
Erlösung von dem haftenden Drucke des Erfahrungs¬
bereiches, von der gesetzlichen Schwere, in der unser
Selbst befangen und gefangen erscheint. Seine Gegenständ¬
lichkeit verliert in jener metaphysischen Einstellung seine Selbst¬
genügsamkeit; denn es selber wird ja als Vorbereitung, als Vor¬
stufe, als Übergang zu dem wahrhaft Absoluten der göttlichen Über¬
welt gedeutet und gewertet. Auf Grund der Wirksamkeit des
religiösen Motivs fragt die Metaphysik nicht sowohl nach dem, was
sich in unserem Innenleben tatsächlich begibt, und was dieses seiner
objektiven phänomenologischen Beschaffenheit nach ist, und worauf
die Psychologie in jeder ihrer Spielarten eingestellt ist. Sie fragt
vielmehr über diesen Beschaffenheitszustand hinaus nach seiner
Bedeutung für den absoluten Sinn des Lebens, nach seiner Stellung
in demjenigen und für denjenigen Entwicklungsprozeß, der zur
Erfüllung unserer höchsten Daseinsbestimmung führt. Verdient
nun diese Betrachtungsweise nicht den Vorwurf des Mangels an
wissenschaftlicher Unvoreingenommenheit und Objektivität? Doch
nicht. Denn wer ihn erhebt, begeht den Mißgriff, daß er auf jene
Betrachtungsweise wieder diejenigen Maßstäbe, die für die Methode
des wissenschaftlichen Positivismus gelten, zur Anwendung bringt.
Wir haben von der Unzulässigkeit einer solchen Beurteilung der
Metaphysik bereits gesprochen. Die positive Wissenschaft hat eine
Erscheinung oder eine Erscheinungsgruppe dann erkannt, wenn es
ihr gelungen ist, sie der Einheit derjenigen Gesetzlichkeit einzu¬
reihen, die für sie als Wissenschaft kennzeichnend ist. Die Meta¬
physik hingegen blickt bei der Betrachtung einer Erscheinung über
die gesetzliche Bindung derselben hinaus auf die höchste Idee und
das höchste, abschließende Prinzip, durch die die Erscheinung nicht
sowohl ihrer tatsächlichen empirischen Beschaffenheit nach, als
vielmehr in ihrem Wesen bedingt ist, und durch die das Schicksal
der Erscheinung gebildet wird.
Metaphysische Fragen sind immer Schicksalsfragen; sie fragen
nach dem Schicksal einer Erscheinung und übergreifen bereits in
ihrer Intention den Umkreis und die Geltung einer positivistischen
Antwort. So fragt die Metaphysik nach dem Schicksal unseres
Innenlebens und sucht die Antwort von der Aufstellung einer