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II. Von der Pflicht zur Metaphysik
urteile zu untersuchen, in denen sich unser Wissen von der Religion,
von ihrem Wesen und ihrer Geschichte logisch ausdrückt. Eine
solche Untersuchung wäre mit anderen Worten ein Teil der all¬
gemeinen Erkenntnistheorie. Seine Absicht läßt sich am besten in
die Frage kleiden „Wie ist Religionswissenschaft als solche, nämlich
als Wissenschaft, überhaupt möglich?“ Der Ausbau der allgemeinen
Erkenntnistheorie über die Grundlegung der Mathematik und der
mathematischen Naturwissenschaften und die Biologie hinaus in
der Richtung auf die „Kritik der Geisteswissenschaften“ hat nun
auch eindringende Arbeiten gebracht, die der Behandlung jener
Frage gelten1). In einem umfassendenSystem der Religionsphilosophie
würde die Erkenntnistheorie der Religionswissenschaft eines der
wichtigsten, weil grundlegenden Kapitel darstellen.
Doch in dem Zusammenhang, der uns gegenwärtig beschäftigt,
haben wir ein anderes Verhältnis als dasjenige der angedeuteten
erkenntnistheoretischen Natur im Auge. Und dieses Verhältnis, das
Metaphysik und Religion in einen viel innigeren und wesenhafteren
Zusammenhang miteinander setzt als das erkenntnistheoretische,
gründet sich nun auf der überaus starken und immer wieder durch¬
brechenden Wirksamkeit des religiösen Motivs in der Meta¬
physik und auf der nicht schwächeren Wirksamkeit des
rationalen Motivs in der Religion. Hier begegnen wir nun
wieder einer dialektischen Wechselverflechtung zwischen diesen
beiden Gebieten.
Was zunächst das rationale Motiv in der Religion betrifft, so ist
seine Funktion sehr leicht durch den Hinweis darauf zu verdeut¬
lichen, daß die Religion doch gleichfalls eine Art von Erkenntnis
bedeutet. Es ist zweifellos eine Einschränkung ihres Begriffes und
ihres Wesens, sie ganz und gar der Mystik gleichzusetzen. Sie ist
auch Wissenschaft vom Absoluten und zugleich wissenschaftliche Er¬
kundung der Beziehung der Erscheinungswelt zu diesem Absoluten.
Auch ihre Erkenntnisart unterscheidet sich, gleich derjenigen der
Metaphysik, von der naturwissenschaftlichen und geisteswissen¬
schaftlichen Form der Erkenntnis dadurch, daß sie die Erschei¬
nungen ebenfalls ihrer Endgültigkeit und Positivität entkleidet und
nicht aus der Tatsächlichkeit der empirischen Zusammenhänge, in
*) Vgl. die förderlichen Untersuchungen von Georg Wobbermin, z. B.
„Religionsphilosophie als theologische Aufgabe“, Kant-Studien Band XXXI11,
1928, Heft 1—2, S. 200 ff., auch die einschlägigen Kapitel in Wobbermins
„Wesen und Wahrheit des Christentums“ 1925.