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II. Von der Pflicht zur Metaphysik
an dem Hervorgehen des einen Begriffes aus dem anderen mitbe¬
teiligt ist, eine mitentscheidende Rolle. Die Rationalität und auch
die Logik des dialektischen Zusammenhanges überschreiten im
großen und ganzen nicht wesentlich die Geltung von Formprinzipien.
Diese Formprinzipien selber werden jedoch erst möglich und hervor¬
getrieben durch die Wirksamkeit einer geheimnisvollen Spontaneität,
die, wie sie überhaupt zum Wesen des Geistes gehört, auch in der
dialektischen Methode zum Austrag kommt.
Der Aufbau eines metaphysischen Systems weist eine ganze Reihe
von Ähnlichkeiten mit dem Aufbau eines Romans oder eines Dramas
auf, ohne daß damit auch nur im entferntesten eine Gleichheit zwischen
beiden Gestalten des Geistes behauptet werden soll. Doch in den Zügen,
in denen ein solches System sich entwickelt, zeigt sich eine eigen¬
tümliche dialektische Konsequenz, die rational nicht zu berechnen
und bloß mit den Mitteln der Logik nicht zu erreichen ist. Der Rhyth¬
mus ist eines der ästhetischen Prinzipien der metaphysischen Kon¬
struktion, sodaß wir mit Eduard Norden sagen können: „Rhythmisch
schwingt der Logos“1). Aber neben jenem ästhetischen Prinzip wirken
in der Struktur der Metaphysik noch zahlreiche andere Kunstformen
und Stile, nicht bloß im Sinne äußerer Gestaltung, sondern mit der
Kraft innerer, schöpferischer Bedingungen.
Über diesen Punkt wollen wir hier jedoch um so weniger sprechen,
als er im Fortgang unserer Arbeit sowieso mehrfach zur Erörterung
gelangen wird. Jetzt mag genügen, darauf hingewiesen zu haben,
daß in der berühmtesten philosophischen Methode, und das ist die
Dialektik, ein starker ästhetischer Zug wirksam ist, wobei nur an
die Aufnahme und Verwendung des ästhetischen Symbols der Drei¬
heit und Dreieinigkeit, das ja auch noch sonst, z. B. in der Geschichte
der Religion, mannigfache Anwendungen erfahren hat, erinnert sei2).
*) Eduard Norden, Logos und Rhythmus; Berliner Rektoratsrede 1927, S.25.
2) Vgl. zum Ganzen die inhaltsreiche und vielseitig aufklärende Universitäts¬
rede von Max Dessoir, Die Kunstformen der Philosophie, 1927. Dessoir geht darauf
aus ,,zu ermitteln, welche bleibende Notwendigkeit den philosophierenden Geist
zu den Gestalten der Dichtkunst führt und welche innere Verwandtschaft be¬
stimmte philosophische Aufgaben an bestimmte poetische Formen bindet“ (S. 4).
Aber der Nachweis dieser Beziehung veranlaßt Dessoir keineswegs zu einer über¬
starken Angleichung der Philosophie an die Kunst. Die entscheidenden Punkte
der Ähnlichkeit sind nach ihm die Geschlossenheit eines philosophischen Denk-
ganzen und die Rundung eines Kunstwerkes, die Wichtigkeit des Persönlichen
in beiden Gebieten und der gemeinsame Ursprung aus der letzten Tiefe. Der
wesentliche Gegensatz liegt in dem Verhältnis zur Sprache.