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II. Von der Pflicht zur Metaphysik
kantischem Boden steht, und ob seine ästhetische Metaphysik eine
folgerichtige Weiterführung und Zuendeführung oder aber eine Um¬
biegung und Abbiegung des kantischen Kritizismus im Sinne der
Gewinnung eines Harmonismus bedeutet. Eines Harmonismus, der
Kant fremd war, und dem Kant auch bewußtermaßen nicht zu¬
stimmte, wie seine Entgegnung an Schiller in der berühmten
Anmerkung in der „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver¬
nunft“ deutlich erkennen läßt.
Die Grundlage der Metaphysik Schillers ist die typische huma¬
nistische Tendenz zum Harmonismus. Mag dieser Harmonismus von
Schiller selber als eine eigenwüchsige philosophische Theorie erdacht
und er bei ihrer Durchführung nur von Shaftesbury unterstützt oder
mag sie ihm durch den letzteren überhaupt erst übermittelt worden
sein, das bleibe hier dahingestellt. Die Hauptsache ist, daß durch
Schillers ästhetischen Idealismus der ästhetische Zug in der platoni¬
schen Philosophie und im Zusammenhang damit auch der Platoniker
Shaftesbury einen außerordentlich tiefen Einfluß auf das deutsche
Geistesleben erhielten. Sein Verdienst in philosophischer Beziehung
ist es, daß dieser wichtige Typus der allgemeinen Metaphysik zu
einer ungemein einleuchtenden Darstellung, ferner zu einer un-
gemeinen Einwirkung sowohl auf die Ausbildung der verschiedenen
ästhetischen Theorien, als auch auf die allgemeine Kunstauffassung
und nicht zuletzt auf die Schätzung derjenigen Bedeutung, die die
Kunst in der Allgemeinheit des Lebens und der geschichtlichen
Kultur besitzt, gelangte.
Was wir in unserem Zusammenhang als das ästhetische Motiv
bezeichnen, das nennt Schiller den „Spieltrieb“, der ganz autonom
den „Staat des schönen Scheins“ errichtet. Während der Dichter-
Philosoph dieses Reich des Scheins aber als eine selbständige und
eigene Welt sowohl vom „Theoretischen“ als auch vom „Prakti¬
schen“ absondert und ihm eine überlegen-verbindende Stellung zu¬
billigt, erblicken wir in der Auswirkung des ästhetischen Motivs
nur die eine Bezugsrichtung und Bezugsschicht innerhalb der
reichverschlungenen Gesamtverfassung der metaphysischen Wirk¬
lichkeit. Deshalb müssen wir fragen, welchen Anteil im besonderen
die Kraft der ästhetischen Funktion für den Aufbau dieser Wirk¬
lichkeit beisteuert. Diese Leistung besteht im wesentlichen in der
Erzeugung derjenigen eigentümlichen Existenz, die wir, zunächst
im Unterschied zu der gewöhnlichen empirischen Daseinsweise, als
die im spezifischen Sinne ästhetische auffassen. Das heißt: Es