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II. Von der Pflicht zur Metaphysik
Rationale aus einer anderen, jenseits seiner selbst liegenden Quelle
abzuleiten, um ihm dadurch die endgültige Sanktion zu erteilen.
Nun herrscht unter den Metaphysikern Unstimmigkeit darüber,
welches dieses grundlegende Motiv und Prinzip sei. Eine klassische
und in sich verhältnismäßig einheitliche Antwortreihe, die sich durch
die ganze Geschichte der Metaphysik hindurchzieht, bestimmt dieses
Motiv und Prinzip als das Gute, als das Sittliche. Auf diese Weise
wird der Intellektualismus und Rationalismus durch einen Moralis¬
mus gestützt, und man pflegt diejenige metaphysische Richtung,
die das Gute als das Weltprinzip schlechthin wertet, als ethischen
und normativen Idealismus zu bezeichnen. Zu ihm bekennen sich,
um nur einige seiner Hauptvertreter anzugeben, Platon und Kant,
Fichte und Lotze. Der ganze Unterschied zwischen ihnen besteht
lediglich in der verschiedenen Bestimmung des Grades der Korre¬
lation, die nach ihnen zwischen dem Rationalen oder, um sogleich jene
Hauptausprägung zu nennen, in der sich sein Begriff eigentlich
verkörpert, zwischen der Wahrheit auf der einen Seite und dem
Guten auf der anderen obwaltet. Bei Platon scheint diese Korre¬
lation gesteigert oder, was sich mit dem gleichen Rechte sagen läßt,
gemildert bis zur Gleichsetzung des Wahren mit dem Guten. Eine
eindeutige Klarstellung und Entscheidung der von ihm gehegten
Auffassung wird sich meines Erachtens nicht treffen lassen. Ist nach
ihm die Wahrheit als Wahrheit auch das Gute und das Gute als das
Gute auch die Wahrheit? Oder sind beide so unaufhebbar auf¬
einander bezogen, daß die eine Idee mit der anderen dialektisch mit¬
gesetzt ist? Ist bei ihm und nach ihm diese dialektische Wechsel¬
beziehung eine rein logische Tat und nichts als der Ausdruck einer
logisch-mathematischen Setzung? Etwa so, wie der Begriff der
geraden Linie den Begriff der krummen mitbedingt? Platon be¬
dient sich, um das Verhältnis zwischen dem Wahren und dem Guten
zu kennzeichnen, nicht selten mathematischer Analogien. Sind die¬
selben mehr als bloße Vergleiche, um die Schwierigkeit und Dunkel¬
heit einer Beziehung, die an sich der logischen Verdeutlichung
widerstrebt, durch die dem Philosophen immer willkommene mathe¬
matische Klärung zu erhellen? Oder bleibt in jener Beziehung eben
darum ein letztes Dunkel, weil sie auf Grund der stets geheimnis¬
vollen Dialektik geschaffen ist? Der Gleichwertung und der Gleich¬
setzung des Guten mit der Wahrheit, die bisweilen unumwunden
ausgesprochen werden, stehen Entscheidungen gegenüber, nach
denen das Gute mit der Sonne verglichen wird: Wie die Sonne durch