Full text: Grundlegung der Dialektik

2. Das intellektuelle Motiv 
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pflegt. Woran uns hier gelegen ist, das ist der Hinweis auf die meta¬ 
physische Natur dieser Disziplin, d. h. darauf, daß sie einen Zweig 
der allgemeinen Metaphysik abgibt. Inwiefern ist das der Fall? 
Metaphysisch ist sie in bezug auf ihren Gegenstand, da diesen Gegen¬ 
stand jene metempirischen oder transzendentalen Prinzipien dar¬ 
stellen, die die apriorischen Bedingungen aller Gegenstands-, aller 
Erfahrungserkenntnis ausmachen. Metaphysisch ist sie aber auch 
in bezug auf ihre Methode, da diese transzendentalen Bedingungen 
nicht induktiv-empirisch gesammelt, nicht durch ein unbestimmtes 
Umhersuchen innerhalb des Erfahrungsbestandes zusammengelesen 
werden. Vielmehr gehört es zu den unabweisbaren Grundaufgaben 
dieser Disziplin, daß sie in methodischer Hinsicht diese Prinzipien 
aus der Einheit der Vernunft systematisch ableitet, aus der Ver¬ 
nunfteinheit dialektisch deduziert. 
Als Vorbilder für eine solche Ableitung könnten z. B. die Ver- 
fahrungsweisen gelten, die Fichte etwa in seiner Wissenschaftslehre 
und Hegel in der sogenannten Jenenser Logik beobachtet haben. Be¬ 
kanntlich ist auch in Kant, der in gewissem Sinne der Begründer einer 
solchen Metaphysik der Vernunftprinzipien ist, die Idee einer der¬ 
artigen Deduktion aller einzelnen Anschauungsformen, Verstandes¬ 
kategorien, synthetischen Grundsätze und regulativen Ideen lebendig 
gewesen. Zwar hat er in wiederholten brieflichen Äußerungen das 
Recht und die Möglichkeit eines solchen Ableitungsversuches be¬ 
stritten, weil dieser sich in die windigen Höhen unprüfbarer Spekula¬ 
tionen zu verlieren schien. Mehr als einmal hat Kant von jener 
verborgenen Einheit der Vernunft und von dem gemeinsamen 
Stamme aller ihrer Formen und Funktionen gesprochen. Aber 
während der Zeit seiner philosophischen Hauptwirksamkeit glaubte 
er es dem Geiste eines strengen Kritizismus schuldig zu sein, von 
der Inangriffnahme einer solchen Deduktion und von der Blo߬ 
legung der wurzelhaften Gemeinschaft der Vernunftprinzipien Ab¬ 
stand nehmen zu müssen. Und als ihm in den Anfängen der spekula¬ 
tiven Ära ein solches Unternehmen entgegentrat, da hat er aus 
seiner Ablehnung kein Hehl gemacht, sondern ihr sogar mit starken 
Worten Ausdruck verliehen, gleichsam als wenn er in dieser Wen¬ 
dung einen Rückfall in das verbotene Gebiet metaphysischer Speku¬ 
lationen befürchtete. Doch diese Wendung, die zur Aufdeckung des 
Wesens und der Einheit der Vernunft führte, war mit jener Ent¬ 
wicklung gleichbedeutend, die von der „Kritik“ der Vernunft zu 
dem „System“ der Vernunft weiterleitet. Und der Zwangläufigkeit
	        
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