Full text: Grundlegung der Dialektik

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II. Von der Pflicht zur Metaphysik 
Wenn Leibniz als das maßgebende Weltgesetz das Prinzip des zu¬ 
reichenden Grundes ansah, so hat er diese Erkenntnis nicht aus einer 
vagen, willkürlichen, etwa aus einem subjektiven Erlebnis stammen¬ 
den Einsicht gewonnen, sondern aus der Analyse der mathematischen 
Logik und der mathematischen Physik. Das heißt: Aus dem Be¬ 
stände der effektiven Wissenschaft löste er im Akt der erkenntnis¬ 
theoretischen Selbstbesinnung das System derjenigen Bedingungen 
heraus, das die Grundlage und die logische Rechtfertigung jenes 
Bestandes darstellt. 
Natürlich muß dieser Akt der Selbstbesinnung nun in der Theorie 
der Grundlegung der Wissenschaft seine logisch durchgeführte Ent¬ 
faltung erfahren, durch die er selber zugleich seine ihm notwendige 
logische Begründung bekommt. Beide, der Akt der Selbstbesinnung 
und die durchgeführte Theorie der Grundlegung, haben dieselbe 
Wurzel und den gleichen Ausgangspunkt: die Spontaneität der Ver¬ 
nunft. Sie haben dasselbe Prinzip, auf das sie sich gründen, und nach 
dem sie sich entwickeln: die Dialektik der Vernunft. Sie haben den¬ 
selben Gegenstand, der sich in ihrer Entwicklung selber entwickelt: 
die dialektische Spontaneität der Vernunft. Im Akt der Selbst¬ 
besinnung wird dieser Gegenstand unter psychologischem, in der 
Theorie der Grundlegung unter logischem Gesichtspunkt betrachtet. 
Jener Gesichtspunkt, der psychologische, ist jedoch nicht der sub¬ 
jektive der üblichen Psychologie; dieser Gesichtspunkt, der logische, 
ist nicht der formalistische der üblichen Logik. Die hier gemeinte 
Psychologie hat es nicht mit variablen Bewußtseinserscheinungen 
zu tun, und ihre Methode ist keine empirische; die hier gemeinte 
Logik hat es nicht mit den leeren Formen der Wissenschaft, sondern 
mit dem ideellen Sinn der Wissenschaft zu tun. Beide stellen in 
ihrer Methode mit anderen Worten transzendentale Untersuchungs- 
weisen dar. Transzendentalpsychologie und Transzendentallogik 
sind wechselseitig und dialektisch aufeinander bezogen, und in dieser 
dialektischen Wechselgemeinschaft bilden sie zusammen die Meta¬ 
physik der Vernunftprinzipien. In beiden im Verein entfaltet 
sich das intellektuelle Motiv, das den Entstehungsgrund und die 
Leitidee für den Aufbau des metaphysischen Rationalismus be¬ 
deutet. — 
Diese Metaphysik der Vernunftprinzipien ist ersichtlicherweise 
nichts anderes als jene philosophische Disziplin, die sonst auch 
Erkenntnistheorie oder Wissenschaftslehre genannt zu werden
	        
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