2. Das intellektuelle Motiv
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2. Das intellektuelle Motiv.
a. Der metaphysische Rationalismus als Theorie und Macht.
Nach zweifacher Richtung betätigt sich in der Metaphysik und
für dieselbe die Bedeutung des intellektuellen Motivs. Ich möchte
diese Bedeutung als eine apriorische und als eine aposteriorische
bezeichnen, die sich in dem Doppelsinn der oben gewählten Charakte¬
ristik ausdrückt, daß die Metaphysik in einer ihrer Sinnschichten
Welterkenntnis ist.
Es soll damit nicht behauptet werden, die Metaphysik beab¬
sichtige, von ihrem geschichtlichen oder ihrem systematischen Ur¬
sprung aus vor allen Dingen nur Welterkenntnis zu sein, ln dem
reichverwobenen Akt des metaphysischen Denkens besitzt die rein
erkenntnismäßige Tendenz nicht die Vorherrschaft. Der Mensch
treibt und liebt die Metaphysik nicht zunächst um der Befriedigung
eines ausgesprochenen intellektuellen Bedürfnisses willen, so stark
auch dieses Bedürfnis bei ihrer historischen und systematischen
Ausbildung mitbeteiligt ist. Jede Analyse des genannten Aktes
belehrt uns über das unauflösliche Wechselspiel sämtlicher Geistes¬
funktionen in der Metaphysik und über die Bewegtheit ihres Wett¬
bewerbes untereinander; sie zeigt aber zugleich, daß dieser Wett¬
bewerb nicht zur unbeanstandeten Überlegenheit oder zu einem
dauernden Siege des einen oder des anderen Prinzips führt. Manche
Typen der Metaphysik neigen zwar mit Entschiedenheit zur Bevor¬
zugung der moralischen, andere zur Herausstellung der ästhetischen
oder der religiösen Geisteshaltung und unterbauen die ihnen eigen¬
tümliche Weltauffassung durch die Hypostasierung eines moralischen
bzw. eines künstlerischen oder eines religiösen Prinzips. Aber ihnen
allen ist von Anfang an das intellektuelle Motiv innerlichst bei¬
gesellt. Also nicht etwa nur in dem Sinne eines nachträglichen Zu¬
satzes oder einer gelegentlichen Beigabe, sondern beigeseilt im Sinne
der prinzipiellen Mitermöglichung jener anderen Typen.
Das intellektuelle Motiv und der intellektualistische Wesenszug
haben mit anderen Worten die Geltung von kategorialen Bedingungen
für jeden Typus der Metaphysik überhaupt, wie immer dieser geartet
sein und nach welcher Richtung auch immer er vertreten werden mag.
Diese Apriorität des intellektuellen Faktors kommt darin zum Aus¬
druck, daß auch das moralische oder das ästhetische oder das reli¬
giöse Motiv in die Form des Gedankens umgesetzt werden