§ I17
Weitere Theorie des Villenbaues
Im ganzen wird besonders die villa suburbana als wesentlicher Phanta¬
siebau die verschiedensten Formen annehmen. Ihre Räume haben nur den
Zweck, eine angenehme oder hohe Stimmung zu erregen; unvermeidlich
wird sich sowohl beim Bauherrn als beim Architekten neben dem Origi¬
nellen auch das Grillenhafte und Extravagante einfinden.
Im VII. Buche des Serlio p. 28 der berüchtigte Plan einer Villa in
Gestalt einer Windmühle; p. 42 das Geständnis, man müsse sich vor
dem allgemeinen Brauch durch neue Erfindungen zu retten suchen;
runde, ja sogar ovale Villenhöfe mit Pfeilerhallen p. 27, 250. (Vgl.
§ 120 die Caprarola.) Andere Torheiten p. 38 usw. Die Überzeugung,
daß auf dem Lande überhaupt Lizenzen gestattet seien, die man sich
in luogo civile e nobile nicht erlauben würde,/). 16.
Den äußern Anblick charakterisiert vorzüglich, im Gegensatz zur
Stadtwohnung, die Öffnung nach außen in Gestalt von Hallen, als sicht¬
barer Ausdruck der Liebe zum Freien, des Einladenden und Luftigen;
zugleich der stärkste Gegensatz zu nordischen Landsitzen.
Serlio VII, p. 46: »Auf dem Lande sind Hallen sehr viel schöner an¬
zusehen als (geschlossene) Fassaden; es liegt ein stärkerer Reiz (piü
diletto) darin, das Auge in das Dunkel zwischen den Bogen eindringen
zu lassen, als eine Wand zu bewundern, wo der Blick nicht weiter
kann.«
Den stärksten Eindruck des Einladenden erreicht die Architektur
auch mit einem ohne Zweifel von Thermen entlehnten Motiv: der gro¬
ßen einwärtstretenden halbrunden Nische. Bramante allein gebrauchte
dasselbe, und zwar nicht an einer Villa, sondern als hintere Schlu߬
form seines großen vatikanischen Hofes und Gartens (Giardino della
Pigna). Aber Pietro da Cortona entlehnte dasselbe mit voller Absicht
anderthalb Jahrhunderte später für die Fassade seiner Villa Sacchetti,
genannt il Pigneto.
Von selbst fällt nun auch die Einheit des Motives hinweg, welche an
den Stadtpalästen wenigstens der ältern toscanischen Schule das höchste
Gesetz ist. Selbst die Symmetrie wird bisweilen preisgegeben.
Die Villa hat keine eigentliche Hauptfassade, da sie frei zu stehen
zensiert ist; an jeder ihrer Seiten oder an irgendeiner derselben wird
die Halle entweder die Mitte zwischen zwei vortretenden Flanken ein¬
nehmen oder sogar unter Aufhebung der Symmetrie mit verschiede¬
nen Baukörpern zusammengruppiert sein. Sehr frühe muß schon der
Turm, als Überbleibsel des Schloßbaues und seiner Zwecke, sich an der
Villa festgesetzt haben; er bleibt ein irrationelles Element, wenn man
ihn nicht verdoppelt oder vervierfacht.