107
Als die herrlichste Arbeit dieser Zeit bezeichnet Vasari anderswo den
nicht ausgeführten Entwurf des Girol. Genga für den Dom von Man¬
tua (XI,/>. 91, v. di Genga; vgl. oben § 5, 67).
Uber die Fassaden, welche die verschiedenen Meister für S. Peter in
Rom ausgedacht hatten, ist auf das Werk v. Geymüllers zu verweisen.
Serlios damalige Theorie über die Ordnungen an Fassaden (L. IV):
die dorische für Kirchen heldenmütiger und ritterlicher Heiligen, die
korinthische für Kirchen der Madonna und heiliger Jungfrauen, die
ionische für Heilige fra il robusto et il tenero, z. B. für heilige Matronen.
Serlio gibt den Gliederungen gerne ein starkes Relief, wie z. B. der
Aufriß L. VII, p. 110 mit Dreiviertelsäulen und vorgekröpften Gebäl-
ken beweist.
Die Obelisken, Kandelaber, Statuen usw., welche Ecken und Mitte
der Fassaden krönen und gleichsam eine überschüssige Kraft derselben
in die Luft ausklingen lassen, werden besonders reichlich in dieser Zeit
angewandt; siehe die mit Obelisken beladene Fassade von S. M. delP
Orto zu Rom (Giulio Romano?) und des jüngern Sangallos Projekt
für S. Peter, wo man freilich in den vielen »agug/ie« ein gotisches Ele¬
ment erkannte; Vasari X, p. 17, v. di Ant. Sangallo. In der Tat hatte
schon die Frührenaissance solchen Schmuck, zum Teil als Erbstück
aus dem Gotischen, hie und da gebraucht (§ 19).
§ 73
Fassaden der Nachblüte
In der Periode von 1540 bis 1580 (vgl. § 56) stellt sich hauptsächlich
in Rom derjenige Durchschnittstypus der Fassaden fest, welcher dann
auf den Flügeln der Gegenreformation in alle Welt getragen wurde. In
all seinen verschiedenen Schattierungen strebt derselbe jedesmal nach
einer konventionellen Harmonie, welche für jene Zeit eine vollkommene
Wirklichkeit hatte.
Die wahrste Aufgabe der Renaissance, der Zentralbau, konnte, wie
hier absichtlich wiederholt werden muß, entweder die Fassaden ent¬
behren oder er ordnete sie dem Ganzen, zumal der Kuppel, unter. Die
einseitige Ausbildung der hievon emanzipierten Fassade war ein Un¬
glück. Allein sie bildet nun einmal, wie Alberti ominöser Weise schon
1447 gesagt hatte, eine musica, und man wird dereinst wieder von ihr
lernen, wenn gewisse Täuschungen aus der Architektur unseres Jahr¬
hunderts geschwunden sein werden.
Die Fassade Einer Ordnung, wie sie jetzt besonders Palladio liebte,
ist von der Bauwahrheit um einen Schritt weiter entfernt als die von
zwei Ordnungen, weil sie auf den Breitenunterschied von Oberbau (Mit¬
telschiff) und Unterbau (Nebenschiffe oder Kapellenreihen) keine Rück¬
sicht nimmt; dazu ist sie schweren Disharmonien des Einzelnen unter¬
worfen.