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Das Wollen
Aber nur scheinbar ist unsere Frage erledigt. Ja, es be¬
ginnen sogar erst jetzt die tieferen Schwierigkeiten.
„Wer will und wer handelt?“ — das sah wie eine Frage
aus. Sollten es nicht zwei Fragen sein können, und sollte
vielleicht nur die eine dieser Fragen durch unsere Ent¬
scheidung über das Ich erledigt sein?
Ich will — daß das richtig ist, steht wohl außer Zweifel.
Es bedeutet, daß ich gewisse Erlebnisse „habe“, welche
ich eben Willenserlebnisse nenne. Ich will zum Beispiel
ein Buch aus dem Bücherschrank holen.
Aber gehe nun „ich“ zum Bücherschrank und hole das
Buch? Das Ich, von dem wir hier soeben geredet haben,
tut das doch wohl nicht. Dieses Ich erlebt vielmehr, daß
„jemand anders“ seine Beine und dann seine Arme be¬
wegt, nachdem „ich“ gewollt habe; und dieser „Andere“
ist — mein Leib.
Ich will — und mein Leib führt’s aus. Das ist also die
allein richtige Formel. Aber dürfen wir deshalb auch
sagen, daß mein Leib „handelt“?
Was wird denn da alles ausgeführt, was muß alles aus¬
geführt werden, auf daß das Buch in meine Hand kommt?
Hier belehrt uns der Naturforscher. Ein Teil meines
Großhirns, eine „motorische Sphäre“, muß in Erregung
kommen, Nerven müssen gereizt, Muskeln zusammen¬
gezogen werden.
Von allen diesen Dingen weiß „ich“ jedenfalls, wie wir
schon früher einmal, unter anderem Gesichtspunkt, kurz
dargelegt haben (S. 51), als Nichtnaturforscher gar
nichts; sie will „ich“ auch nicht — ich will nur das Buch
in der Hand haben. Aber alle diese Dinge geschehen, nach¬
dem ich meinen Willen, das Buch in die Hand zu be¬
kommen, erlebte. Mein Leib führt sie aus; aber wer
„macht“ sie mit Hilfe meines Leibes? Wer also ist der
eigentliche „Handelnde“, der „ich“ jedenfalls nicht bin
und mein Leib als materielles Gebilde auch nicht?
Wir sagten oben, daß wir die Naturgesetze irgendwie,
sei es grob oder fein, müßten kennengelemt haben, um
wollen, das heißt: um sie „anwenden“ zu können. Ein