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Das Wollen
Schon der Primitive, der sogenannte Wilde, weiß, daß
der vom gespannten Bogen losgelassene Pfeil durch die
Luft fliegen und dann entweder das Wild treffen oder,
ohne es zu treffen, zu Boden fallen wird. Erfahrung hat
ihn das gelehrt, und er wurde noch nie in seiner Erwartung,
daß seine Erfahrung auch für die Zukunft gelte, getäuscht.
Nur ein Gradunterschied aber besteht in der Naturkennt¬
nis dieses Wilden und des Professors der Physik, der auf
einem Kongreß von Gelehrten ein äußerst subtiles Ex¬
periment aus dem Gebiet der Elektrizitätslehre vorführt.
Der Wilde hat nur grobe Körper, der Physiker hat die
Elektronen in seiner Hand. „In ihrer Hand14, bildlich ge¬
sprochen, haben sie beide etwas, und beide wissen sie um
die Gesetze dessen, was sie in der Hand haben, und ver¬
trauen auf deren Gültigkeit.
Beide auch wollen sie etwas, und beide haben sie
die Fähigkeit, das zu tun, was sie wollen; der Bereich
ihres Wollens aber bemißt sich bei beiden nach ihres
Wissens Bereich.
Das scheint alles ganz einfach und selbstverständlich
zu sein, und erst auf einer recht späten Stufe der Kultur
beginnt man sich zu fragen, was das eigentlich heiße, und
ob das alles wirklich so selbstverständlich sei.
Dann aber steht man sehr bald vor ganz verblüffenden
Schwierigkeiten, deren erste die Frage ist, wer denn
eigentlich „will“, und wer denn eigentlich „handelt44,
wobei wir noch gleich hinzufügen wollen, daß das Han¬
deln in jedem Falle auf irgendeine Bewegung des eigenen
Leibes zurückgeht, also auf eine Bewegung der Finger,
des Armes, des Beines oder auch, beim Sprechen, der
Zunge und des Kehlkopfes.
2. Wollen und Handeln
Wer also will, und wer handelt?
„Ich“ — so lautet die naive Antwort. Diese Antwort
aber ist nichts weniger als klar.