44
Das Unbelebte und das Lebendige
Daß der natürliche Mensch — und ich denke hier durch¬
aus nicht an „Wilde“ — durch solchen Zwiespalt der An¬
sichten recht sehr in Verwirrung kommt, ist wohl klar.
Er brauchte aber nicht in Verwirrung zu kommen,
denn die gewissenhafte, das heißt die durch kein
Dogma und kein Antidogma beschwerte, den Sachver¬
halten selbst sich schlicht hingebende Wissenschaft gibt
ihm recht.
Es gibt wirklich zwei ganz getrennte Reiche des Wirk¬
lichen, insofern dieses sich uns in Form der materiellen
Welt darstellt. Gewiß, in materieller Form erscheinen
sie beide: aber die Gesetze des Geschehens in ihnen
sind gänzlich verschieden.
Die gewissenhafte Wissenschaft lehrt, daß ein großer
Schnitt durch die gesamte als „materielle Natur“ er¬
scheinende Wirklichkeit geht. Es gibt in der Tat Gescheh¬
nisse an Dingen, welche aus dem Wirken der letzten
Teile, der „Atome“, dieser Dinge aufeinander abgeleitet
werden können; es gibt aber auch Geschehnisse, bei denen
das nicht angeht. Im zweiten Falle muß die Wissen¬
schaft, wenn sie überhaupt von einer ursächlichen Be¬
dingtheit der in Rede stehenden Geschehnisse reden will,
ganzheitlich wirkende, „totalisierende“ oder „indivi¬
dualisierende“ Kräfte, das Wort „Kraft“ im weitesten
Sinne verstanden, annehmen neben den Kräften, die von
den letzten Teilchen, den Atomen, ausgehen und in ihnen
ihr Zentrum haben.
Ein logischer Zwiespalt ist es letzthin, der so durch
die materielle Natur geht: der Zwiespalt zwischenSumme
und Ganzheit. Und dieser Zwiespalt deckt sich nun
praktisch mit dem zwischen Unbelebtem und Leben¬
digem.
Eine „Summe“ im all er strengsten Sinn ist zwar auch
eine unbelebte Gesamtheit von Atomen nicht. Eine ganz
strenge Summe, eine bloße „und-Verbindung“, wie man
heute sagt, wäre etwa „die Zahl 2 und meine Katze“,
also zwei Angelegenheiten — („Dinge“ darf ich nicht
sagen) —, welche gar nichts im Sinne des Wirkens mit¬