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Die Unsterblichkeitsfrage
Da wird nun freilich auch vieles gleichgültig, ebenso wie
für den Unsterblichkeitsleugner das Moralische im Grunde
gleichgültig geworden war, nämlich alles im eigentlichen
Sinne „Irdische44. Aber nicht gleichgültig bleibt die
Hauptsache: die Art unserer Handlungen unter dem Ge¬
sichtspunkt des Sittlichen. Auch wird nicht alles „Ir¬
dische44 bedeutungslos; alles Staatliche, alles „Soziale44
z. B. bleibt bedeutsam. Aber doch nur insofern, als es dazu
dient, den Einzelnen für das Höchste frei zu machen,
also nur als Mittel und nie seiner selbst willen. Wo es
Selbstzweck wird, kann es geradezu Hemmnis sein — wie
wir das ja alle erlebt haben und in den „diktatorischen44
Ländern noch erleben.
Es genügt nun aber nicht, daß überhaupt irgendeine
metaphysische, auf Wissen gegründete Überzeugung da
sei; sie muß, um Sittlichkeit eindringlich zu machen, ganz
ausdrücklich auf Unsterblichkeit gerichtet sein und muß
Sittlichkeit als wesentliches dynamisches Glied in den
Weltplan einfügen. Manche Lehren des sogenannten
„Deutschen Idealismus44 — (nicht freilich die Lehren Schel-
lings) — haben hier ebenso verderblich gewirkt wie der
Materialismus, ja, Hegels Staatsvergottung wohl am
schädlichsten von allen. Denn sie umkleidete höchst
Irdisches mit einem metaphysischen Mantel. Gewisse sehr
menschliche „Ideale“ allein kannte dieser „Idealismus“,
der im Grunde eine Anbetung des Erfolgs war, wobei es
denn wirklich gleichgültig ist, ob der letzte Grund der
brutalen empirischen Wirklichkeit in den Kräften der
Materie oder in der „Idee“, welche sich entfaltet, gesucht
wird. Eine „Idee“, die mit den Einzelnen spielt, macht
Sittlichkeit gerade so wenig eindringlich wie die mit ihm
spielende Materie. Daß der Einzelne sich als dauerndes
sittlich arbeitendes Glied des Wirklichen wisse, darauf
kommt alles an, und die Ziele einer „Idee44, die ihn nur
verbraucht, dürfen ihm wahrhaftig gleichgültig sein.