Full text: Unter den Brücken der Metaphysik

PHÄNOMENOLOGIE KAFKAS 
Du bist nicht in der Welt. Die Welt ist über dir, und du selbst 
wohnst irgendwo ganz unten. Dort bist du zu Hause und kannst 
dir eine Zuflucht einrichten, die dir gehört und wo nichts dich stört. 
Aber um in der Welt zu sein, mußt du Stufen und immer weitere 
Stufen erklimmen, bis du an deiner Tür ankommst. Sobald du die 
Schwelle überschritten hast, bist du plötzlich im Freien und lauerst, 
was vorgeht. 
Draußen ist Lärm. Lärm aller Art, während du nichts als Stille bist. 
Deshalb flößen dir die Geräusche auch Angst ein. Sie durchdringen 
dich ganz. Und du weißt, daß sie nicht von dir kommen können. 
Jedes Geräusch kommt von draußen. Es ist der Feind, der näher¬ 
kommt. 
Wie sollst du nun deine Stille wiederfinden? Manchmal freilich 
hören die Geräusche auf. Aber diese Stille, die nicht deine Stille ist, 
ist beängstigender als jedes Geräusch. Es ist das Warten auf je¬ 
manden, der kommen wird. Du liegst auf der Lauer. Das Geräusch 
wird von dieser oder von jener Seite kommen. Gleichviel. Nie mehr 
findest du deine Stille wieder. 
— Aber warum gehst du denn nicht weiter, warum bleibst du 
immer an der Schwelle deiner Zuflucht stehen, wie wenn du nicht 
von daheim weggegangen wärst und hättest Angst, das Draußen 
zu betreten? 
— Weil ich nicht weiß, wohin ich gehen soll. 
— Stehen dir denn nicht alle Wege offen? Du mußt selbst deine 
Wahl treffen und den Weg einschlagen, der dir zusagt. 
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