Satz, daß die Gerade die „kürzeste“ sei, und daß es zu
einer Geraden durch einen außerhalb von ihr gelegenen
Punkt nur eine Parallele gibt.
Auch das weiß ich mit absoluter Endgültigkeit durch
„reine Anschauung“. Mit dem Wissen um das, was Raum
ist, also mit dem Wissen um das Wesen des Raumes,
weiß ich zugleich um die Gültigkeit und zwar die absolute
„unverbesserbare" Gültigkeit der euklidischen Axiome.
Nun richtet sich aber das reflektierende analytische
Denken auf das Ergebnis dieser unmittelbaren Wesensschau.
Dieses analytische Denken macht sich klar, daß ja der
Raum ein dreidimensionales Beziehungsgefüge besonderer
Art ist, daß „Raum" den viel allgemeineren Begriff „drei¬
dimensionales Beziehungsgebilde“ anschaulich erfüllt, und
da sagt es sich nun dieses: Dreidimensionale Beziehungs¬
gebilde können, wie alle, auch schon die einfachsten ein¬
dimensionalen, zusammengesetzten Gefüge von Beziehungen,
„eben“ oder in bestimmtem Maße „gekrümmt" sein. Mein
Raum, in dem ich die Gültigkeit des Parallelenaxioms
schaue, ist ganz offenbar nicht „gekrümmt", hat das Krüm¬
mungsmaß O, ist also ein ausgezeichneter, ein einfachster
Fall — nicht zwar mit Rücksicht auf andere mögliche
„Räume“, wohl aber mit Rücksicht auf mögliche andere
dreidimensionale „Beziehungsgefüge“. Denn von anderen
möglichen „Räumen“ zu reden, im eigentlichen Sinne des
Wortes Raum, ist sinnlos.
Man sieht: Die gleichsam instinktive Wesenserfassung
vom Raum mit allen seinen Besonderheiten ist das Erste,
die Erkenntnis, daß in diesen Besonderheiten ein schon
gekanntes allgemeines Beziehungsschema „erfüllt“ zum
Ausdruck kommt, ist das Zweite, Es ist nicht ohne Inte¬
resse hier beiläufig zu erwähnen, daß in einem der Geometrie
sehr fern gelegenen Gebiet, in der Ethik, ganz ähnliche
Verhältnisse vorliegen: auch hier folgt der unmittelbaren
43