Full text: Philosophische Gegenwartsfragen

Die Phänomenologie und ihre Vieldeutigkeit. 
81 
nicht, ob nicht die von der klassischen Philosophie zu¬ 
gelassenen und von ihr gekannten Vermögen des Wissens¬ 
erwerbs — Schauen von Urbedeutungen und Schauen 
von besonderen verbesserbaren Ordnungstypen im Ge¬ 
gebenen — genügen. Sie genügen unseres Erachtens ohne 
jeden Zweifel, und die Tatsachen nötigen hier, d. h. etwa 
angesichts der Setzungen „Ding“ und „Du“, keinesfalls 
dazu, eine neue Art des Wissenserwerbs einzuführen. 
Und es kommt hinzu, daß das angeblich unmittelbar 
Erfaßte am Erlebten ohne weiteres für metaphysisch aus¬ 
gegeben, der echte Begriff des Metaphysischen aber, der 
im Gegensatz zum Erlebten als Erscheinung steht, gar 
nicht gesehen wird. Alles ist auf Wunsch gegründet; man 
wünscht ein Wissen, das erstens unmittelbar in Voll¬ 
endung erworben und zweitens absolut ist. Man tritt 
zurück hinter die gesamte klassische Philosophie von 
Descartes über Locke, Hume, Berkeley, Leibniz 
bis Kant; man annulliert diese Philosophie. 
Es ist aber gefährlich für den Fortgang gesunden 
Denkens, Wissensinhalte auf den Wunsch zu gründen, 
ohne Kontrolle neue Wege des Wissenserwerbs zuzulassen 
und das, was man allenfalls „glauben“ mag, anzusehen, 
als sei es sicheres Wissen. 
Die Phänomenologie, wie sie heute betrieben wird, ist 
eine Gefahr für die strenge Philosophie. 
Driesch, Philosophische Gegenwartsfragen. 
6
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.