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Intuition und Positivismus.
auf die Geschichte) angewandt zu werden, oft, leider, in
einer Weise, die zeigt, daß man sich hier des „Irrationalen“
geradezu freut.
In diesem Sinne heißt nun die Aussage, daß Handlungen
von Menschen (oder Völkern) „irrational“ seien, nichts
anderes, als daß sie nicht aus Überlegungen entsprin¬
gen, welche bewußt auf die Erreichung eines Willens¬
zieles gerichtet sind — ganz gleichgültig, wie man sich
das Verhältnis von Wollen, Überlegen und Tun denkt.
Ein Mensch etwa will ein Ziel erreichen, überlegt auch
sorgfältig, was er tun müsse, um, auf Grund der Gesetze
des Geschehens, soweit er sie kennt, das zu erreichen, was
er will; und tut dann doch an einer ganz bestimmten Stelle
etwas der Überlegung gar nicht Entsprechendes, das ent¬
weder die Erreichung des Zieles fördert oder, wohl in der
Mehrzahl der Fälle, hemmt. Da hätten sich, sagt man,
„Gefühle“, „Komplexe“, „Triebe“ in sein Handeln hinein¬
geflochten, und eben das sei „irrational“. Und bei den
Handlungen von Menschengruppen, wie schon gesagt, gibt
es ganz dasselbe.
Hier hätten wir also „Irrationales“ im Sinne eines Nicht-
fieicnjSi-planmäßigen vor uns, und zwar auf der Seite dessen,
was für das reine Ich Objekt ist. Denn der Geschichts¬
verlauf ist Objekt für mich und ebenso die von meiner
Seele, die ja nicht „Ich“ ist, herstammenden Handlungen.
Es ist klar, daß, was in diesem auf das bewußte Wollen
bezogenen Sinne „irrational“ ist, im Sinne des Nicht¬
planmäßigen nicht „irrational“ zu sein braucht — denn
es könnte unbewußt-planmäßig sein.
Aber wie steht nun das sogenannte Irrationale im Sinne
des Zufälligen, also des überhaupt Unplanmäßigen, und
im Sinne des Nicht-bewußt-planmäßigen zum ursprüng¬
lichen Begriff der Irrationalität?