Rationaler Positivismus.
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sauberes Kapitel aus der allgemeinen Relationstheorie.
Aber „anschaulich“ wird sie gar nicht!
Abstände zwischen Strecken, die euklidisch nicht gleich
sind, können wir „rein“ anschaulich nie als gleich er¬
fassen. Andererseits „sehen“ wir, auch als „Erwachsene“,
wie gezeigt ward, Abstände, die „rein“ anschaulich gleich
sind, ungleich.
Das von Reichenbach an den Begriff der Kongruenz
geknüpfte Argument für die Anschaulichkeit der nicht¬
euklidischen Gebilde scheint mir also völlig zusammen¬
zubrechen: Kongruenz ist eben nicht bloß „definitorisch“
in dem Sinne, daß sie sich von reiner Anschauung emanzi¬
pieren könnte. Nie erfaßt ein Mensch, auch wenn er
Mathematiker ist, rein anschaulich als Kongruenz, was
euklidisch keine ist — mag er sich an die intellektuelle
zuordnende Übersetzung des einen Relationstypus in den
anderen soviel „gewöhnt“ haben wie er will, ja, mag diese
Übersetzung schließlich bei ihm geradezu „mechanisiert“,
wie Treppensteigen und Klavierspielen, verlaufen.
Und was eine „Gerade“ ist, das weiß auch „jedermann“
ganz genau, und zugleich mit diesem Wissen weiß er
auch, daß eine krumme Linie, die eine „geodätische Linie“
im nichteuklidischen Raume sein soll, in Wahrheit eine
krumme Linie im euklidischen Raume ist. Zugegeben
selbst, daß man Geradesein mit Maßstäben nicht nach-
weisen könnte, weil diese selbst sich verzerren müssen;
am unmittelbaren Erfassen der Bedeutung „geradesein“
— (es ist eine „Bedeutung“) ändert das nichts.
4, Rationaler Positivismus.
Wenn also auch weder geleugnet werden kann noch
geleugnet werden soll, daß bedeutsame Unterschiede
zwischen dem bestehen, was den Wiener Philosophen und