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Intuition und Positivismus.
scheiden, ist aber unseres Erachtens unerläßlich: es „gibt“
Seelen, Entelechien, es „gibt“ keine Yolksgeister.
Der Wiener Positivismus ist eben zu stark beeinflußt
von den Leistungen der eigentlichen Mathematik in ihrer
Anwendung auf Natur. Eigentliche Mathematik ist aber
nicht die Ordnungslelirc, sondern nur ein Teil von ihr,
und zwar stets ein im Rahmen der Begriffe Soviel und
Mehr arbeitender Teil. Sie kann daher nur ganz Weniges
von der Ordnungsarbeit leisten, welche geleistet werden
muß; und auf vielen Gebieten nur recht Gleichgültiges.
Schreiben doch übrigens die Neopositivisten selbst der
Mathematik und sogar (unseres Erachtens zu Unrecht)
der Geometrie nur die Fähigkeit zu „Tautologien“ zu!
Wenn z. B. Schlick Ergebnisse der Mengenlehre zur
Widerlegung meines Nachweises1) der Unmöglichkeit des
üblichen psycho-physischen Parallelismus verwendet, in¬
dem er sagt, sowohl auf der physischen (mechanischen)
wie auf der psychischen (bewußten) Seite gebe es unend¬
liche Mengen und die ließen sich äquivalent aufeinander
abbilden, so dürfte er übersehen, daß es hier nicht nur
auf „Mengen“, sondern auch auf Bautypus ankommt, und
daß es im Mechanischen nur eine grundsätzliche Gruppen¬
art des Mannigfaltigen, im Bewußten sehr viele Gruppen¬
arten des Mannigfaltigen gibt. Die Punktgesamtheit eines
Apfels, ja einer Apfeloberfläche oder gar eines Apfeldurch¬
messers läßt sich ja freilich, nach der Mengenlehre, der
Punktgesamtheit des Kölner Domes „äquivalent zuord¬
nen“. Aber was ist damit gewonnen? Von einer meines
Erachtens ganz großen Bedenklichkeit der sogenannten
Mengenlehre sehe ich dabei noch ausdrücklich ab, näm¬
lich davon, daß sie, trotz Widerspruchs, das Unendliche
im Grunde doch wie eine Zahl nimmt, während in Strenge
-1) Leib und Seele, 3. Aufl. 1923.