Full text: Philosophische Forschungswege

90 Beispiele einzelner philosophischer Fehlgriffe und Gefahren. 
kann dann im Wahrnehmungsgebiete bekanntlich zu den 
sogenannten „Illusionen44 führen1). — 
Wir kommen zu einem anderen Punkte der neuesten 
psychologischen Ganzheitslehre, nämlich zu der Be¬ 
hauptung, daß es unanalysierbare Ganzheiten als Er¬ 
lebnisse, die Gefühle etwa, gäbe, ja, daß hier alle Analyse 
den wahren Sachverhalt fälsche. Hier wird der Ganz- 
heitsbegriif meines Erachtens gefährlich. Ein Ganzes 
muß nämlich stets zusammengesetzt sein; ist ein Er¬ 
lebnis das nicht, so ist es kein „Ganzes44. Ein Zusammen¬ 
gesetztes aber ist stets in der Retrospektion, der „Re¬ 
flexion44, analysierbar. Nun sind alle Gefühle ganz offen¬ 
kundig zusammengesetzt, denn „Lust44 oder etwas Ent¬ 
sprechendes wird nie schlechthin erlebt; also sind sie 
analysierbar und müssen und können analysiert werden, 
wobei die Analyse natürlich nie vergessen wird, daß eben 
ein Ganzes analysiert wird, die durch die Analyse heraus¬ 
gehobenen Teile also durch das Band Ganzheit, um bild¬ 
lich zu sprechen, zusammengehalten werden. Es ist eine 
wichtige wissenschaftliche Aufgabe, genau festzustellen, 
welche Formen von „Ganzheitsbändern44 es tatsächlich 
gibt; gelöst ist diese Aufgabe heute nicht, obschon man 
einige Bandarten kennt. 
Was aber die angebliche „Verfälschung44 des Erlebten 
durch die, naturgemäß in einem neuen „Akt44 hinterher¬ 
kommende, Analyse angeht, so erwäge man dieses: Ich 
erlebe stets Etwas, und dieses Etwas ist stets ein Solches, 
meist, z. B. im Falle der Gefühle, ein zusammengesetztes 
1) Auf die „Gestaltpsychologie“ von Koehler-Koffka-Wert- 
keimer, die im letzten Grunde auf einem dogmatischen psycho¬ 
physischen Parallelismus ruht und nur auf Wahrnehmungserleb¬ 
nisse optischer Art allenfalls paßt, gehe ich hier absichtlich nicht ein. 
Petermann hat alles Nötige zur Kritik gesagt. Zu den „physischen 
Gestalten“ vgl. meinen Aufsatz in Annalen d. Phil. 5, 1926.
	        
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