Die Umbildung des. religiösen Erlebnisses
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der ganze Umfang. dessen, was sie noch tatsächlich glaubten;
sich schließlich auf das Bild der Hölle beschränkte, während
alles . andere sozusagen nur noch als Gegenstand einer fides
implicita gelten konnte.“ Da diese Katholiken aber vom
ganzem Herzen an die. Höllenstrafen glaubten und nicht
ohne Zittern daran denken konnten, so läßt sich wohl sagen,
daß für sie. im Grunde dieses Erlebnis dieselbe Bedeutung
hatte, wie für die Vorfahren, die noch an die kleine Anzahl
der Erwählten, an die Prädestination usw. glaubten, deren
viel reicheres religiöses Erlebnis.. Anders liegt der Fall für
jene, die sich den Sinn für die Gesamtheit dessen, was die:katho-
jische Lehre darstellt, bewahrt haben und gewissermaßen die
Glaubenswelt in ihrem ganzen‘ Umfange überschauen. Hier
kann es sich ereignen, daß das’ Glaubenserlebnis als solches
an Bedeutung verliert, daß an Stelle klar umgrenzter Gefühle
unbestimmte Erlebnisweisen treten, die nicht mehr be-
stimmend in das Leben eingreifen und sozusagen die Persönlich-
keit des Gläubigen nicht mehr angehen. Dieser vermag dann
die Glaubenswelt aus einer gewissen Distanz anzuschauen und so
zu einer Beschaulichkeit zu gelangen, die denen versagt blieb,
die nur an ganz wenige Lehren, zum Beispiel an die Lehre der
Höllenstrafen glaubten, deren Glaube aber seine ganze Stärke
sich bewahrt hatte.
Von den beiden Typen der Gläubigen, deren Bild wir hier
nur skizziert haben, scheint der erste gerade in den Anfängen
der modernen religiösen Entwicklung in Frankreich ziemlich
häufig gewesen zu sein. Diese Art des Glaubens hat in ihrer
Einschränkung auf ganz wenige Motive etwas Farbloses,
Trockenes und Abstraktes. Der ganze Glaube konzentriert
sich auf einen einzelnen Punkt oder auf einen engbegrenzten
Umkreis . von Vorstellungen, wobei sich.dann der Gläubige
im übrigen, im alltäglichen Leben. von ganz rationell-weltlichen
Motiven leiten Iassen kann. So wird er zum Beispiel die Hölle
fürchten, dabei aber keineswegs für sich selbst, soweit es sich
um den Gang seiner Geschäfte 'handelt,. geneigt sein, an eine
göttliche. Vorsehung .zu glauben oder anzunehmen, daß noch
Wunder geschehen könnten. Er mag noch weiterhin sich als
gläubig betrachten und wird dabei doch, was seine praktische
Lebensgestaltung anbetrifft, sich vor allem auf seine Berech-
nungen und seinen gesunden. Menschenverstand verlassen. Er