Full text: Das Bürgertum und die katholische Weltanschauung (1)

Priester und Laien 
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ständigkeit in dieser Hinsicht wohl bewußt ist. Er wäre nicht 
Bürger, wenn er darüber anders dächte. 
In den langen Diskussionen mit den Geistlichen. hatte sich 
das bürgerliche Bewußtsein immer stärker ausgebildet. Der 
Bürger ist nicht in erster Linie „Philosoph‘; er ist nicht einfach 
ein Denker, der bestimmte metaphysische oder religiöse Pro- 
bleme aufwirft und zu Ergebnissen gelangt, die den Anschau- 
ungen der Kirche widersprechen. Sondern alle die Diskussionen 
die oft nur Gott und die Welt zu betreffen schienen, sind im 
Grunde nur Episoden in dem großen Kampfe gewesen, den das 
Bürgertum für seine Unabhängigkeit führte und in dem es 
dann schließlich dazu gelangt war, sich als autonome Macht 
gegenüber der kirchlich-traditionellen Welt zur Geltung zu 
bringen. 
Bisher haben wir nur die allgemeinen Grundlagen dieser 
Entwicklung darzustellen versucht. die sozialen Bedingungen, 
unter denen der Kampf zwischen Kirche und Bürgertum geführt 
wurde. Es gilt nun weiter gewissermaßen von innen heraus zu 
verstehen wie der Bürger allmählich im Gegensatz zu der kirch- 
lichen Vorstellungsweise sich seine eigene Welt- und Lebens- 
auffassung bildete, Es handelt sich hier, wie wir sehen werden, 
um eine langsame Entwicklung, die sich erst allmählich nach 
Überwindung vieler Hindernisse vollziehen konnte. Wenn wir 
zu dem Ergebnis gelangt waren, daß Bürgertum und Kirche 
als zwei selbständige Einheiten sich gegenüber standen, so 
müssen wir jetzt wieder den Bürger als Sohn der Kirche nehmen, 
ihn uns vorstellen, wie er selbst in den alten Traditionen auf- 
gewachsen ist, sich vor Gott fürchtet, an Himmel und Hölle 
glaubt u. dgl. m. Denn bevor er sich seiner Selbständigkeit 
bewußt wurde, war er selbst einer dieser „Durchschnitts- 
gläubigen‘‘, auf die er später herabsieht, einer unter den vielen, 
die die große Kirchengemeinschaft bilden; er gehörte in diesem 
Sinne zum ‚Volke‘, von dem er sich später abgesondert hat. 
Bevor er sich über die Geistlichen lustig machte und zu dem 
Manne wurde, der „den Teufel nicht mehr fürchtet‘, mußte 
er erst in sich selbst den alten Geist überwinden. 
So handelt es sich gewissermaßen um eine Art innerer Eman- 
zipation des Bürgertums. Die Entwicklung die den Bürger dahin 
geführt hat, ist keine einfache, gradlinige gewesen. Er hat wohl 
selbst manchmal gezögert; er hat mit sich selbst gekämpft, bevor
	        
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