IV. BÜRGERTUM UND VOLK
1.KOLLEKTIVES GLAUBENSERLEBNIS UND INDIVIDUELLE ZUSTIMMUNG
A der gebildete Laie anfing, sich über seinen Glauben,
Rechenschaft abzulegen, mußte sich ihm vor allem die
Frage stellen, was er denn eigentlich glaubte, oder glauben sollte.
Zunächst kann als feststehend betrachtet werden, daß er nicht
alle Dogmen der Kirche kennt, daß er sie überhaupt nicht alle
kennen kann. Er ist kein Theologe, und selbst für einen Theo-
logen wäre es schwer, alles zu wissen. Aber was noch wichtiger
ist: selbst in dem, was er tatsächlich kennt, muß man nun in
Hinsicht auf seine persönliche Glaubenseinstellung einen Unter-
schied machen. Manches von dem, was die Kirche lehrt, hat
er erfaßt und sich zu eigen gemacht; anderes wiederum ist
ihm gleichgültig oder fremd geblieben. Denn ließe sich auch
der Glaube als solcher als etwas Einfaches und Einheitliches
erfassen, so wäre das doch nicht der Fall für den Glaubens-
vorgang, sobald wir es mit bestimmten differenzierten Indi-
viduen zu tun haben. Und dies ist der Fall bei allen jenen,
die nicht mehr in dem kollektiven Glaubenserlebnis ihre Be-
friedigung finden, sondern nach individuell begründeten Über-
zeugungen suchen und gewissermaßen von sich aus ihre be-
wußte Zustimmung zu den kirchlichen Lehren geben wollen.
So mußte sich dem gebildeten Laien die Frage nach einer
genaueren Umschreibung dessen, was er eigentlich glaubte,
stellen.
Auch hier haben die Theologen schon frühzeitig erkannt,
daß ein Problem vorliegt. Bossuet erklärt: „Daß es vor-
kommen kann, daß die Gläubigen im Besonderen von einigen
Glaubensartikeln nichts wissen, gebe ich ohne weiteres zu,
aber die Kirche verschweigt nichts von dem, was Jesus Christus
offenbart hat, und darum bekennen die Gläubigen, die von