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Von Werner Jakobi, Saarbrücken
Christel war ein ordentliches und fleißiges
Mädchen, das in der Schule immer schön aufpaßte,
sauber schrieb und gut redmete. Aber weil sie
schüchtern und zurückhaltend war, war sie bei
den andern Mädchen nicht besonders hoch geach
tet. Deshalb hielt sich Christel meistens für sich
und hatte auch nicht viel Freundinnen. Ganz an
ders stand es um Ruth, die in dieselbe Klasse
ging. Ruth schrieb und rechnete zwar nidit so gut
wie Christel, war auch lange nicht so fleißig,
hatte dafür aber einen großen Mund und wußte
sich immer in den Vordergrund und ins redite
Licht zu setzen. Deshalb war sie immer der Mit
telpunkt, um den sidi die andern scharten. Das
änderte sich mit einem Schlag. Und das kam so:
Eines Tages brachte die Post Christel ein lan
ges, schmales Paket von der Großmutter. Neu
gierig öffnete Christel es. Als das letzte Papier
abgewickelt war, hielt sie einen Schirm in den
Händen. Es war ein großer, sdiwarzer Schirm, der
gar nidit einmal modern war, denn er hatte eine
Krücke, und moderne Schirme haben Griffe, oder
Knöpfe. Deshalb freute sidi Christel gar nidit
besonders; als sie aber den Brief der Großmutter,
der bei dem Schirm lag, gelesen hatte, madite sie
große Augen. Der Schirm war kein gewöhnlidier
Schirm, — nein, es war ein ganz besonderer
Schirm — ein musikalischer Schirm. Wenn man
ihn aufspannte, ertönte Musik, ja, der Sdiirm sang
sogar dazu.
„Na, das muß ich aber gleich einmal auspro
bieren, dachte Christel, spannte den Sdiirm auf
und lausdite!
Im selben Augenblick spielte und sang der
Schirm, zuerst: „Fudis, du hast die Gans gestoh
len!“, — dann: „Ein Männlein stand im Walde!“
— und zum Sdiluß: „Weißt du, wieviel Stemlein
stehen!“ —
Christel wußte sich vor Staunen und Vergnü
gen nidit zu fassen und sprang mit ihrem musika
lischen Schirm in der Stube herum. Laut sang
sie alle Lieder mit, eins nadi dem andern und
wieder von vom. — Von nun an wartete Christel
sehnsüchtig auf den nädisten Regentag, an dem
sie stolz mit ihrem Wunderschirm zur Sdiule
gehen wollte.
Als es endlidi einmal regnete, und Christel mit
ihrem singenden Schirm der Sdiule zuging, kamen
von allen Seiten die Mädchen aus ihrer Klasse ge
laufen. Sie umringten Christel, staunten, freuten
sich und zogen schließlich mitsingend neben ihr,
vor ihr und hinter ihr her. Adi, war das ein lu
stiger Sdiulgang, trotzdem der Himmel trübe war,
und es in Strömen regnete. Von jetzt an drängten
sich alle um Christel, wollten nur mit ihr gehen
und braditen sie bei Regenwetter sogar bis vor
ihre Haustür. Nur eine hielt sich zurück. Das war
Ruth. Sie stand plötzlich allein, niemand küm
merte sich mehr um sie, und das ärgerte und
kränkte sie über die Maßen. Tag und Nadit sann
sie darüber nach, wie sie ihre Freundinnen zu-
rückerobem könnte. Da kam ihr ein häßlicher
Gedanke:
Eines Tages schützte sie mitten in der Stunde
Kopfweh vor, und bat nach Hause gehen zu
dürfen. Draußen auf dem Flur nahm sie ihren
Mantel vom Haken, ergriff Christels Schirm, der
auch dort hing und eilte damit nach Hause. Dort
versteckte sie ihn gut, denn die Eltern wären
bald hinter ihre Missetat gekommen.
Als die Sdiule aus war, vermißte Christel ihren
Schirm sofort. Weinend verkündete sie ihr Un
glück, dodi niemand hatte den Schirm gesehen.
Ein paar Tage noch hoffte sie, daß der Schirm
vertauscht worden wäre und zurückgebracht
würde, dodi vergebens. Der musikalische Wunder
schirm war und blieb verschwunden. Die Mäd
chen aber blieben Christels Freundinnen, denn sie
hatten gemerkt, welch braves verträgliches und
besdieidenes Kind sie war.
Als Ruth sah, daß ihre Freundinnen sich so
nidit wieder ihr zuwandten, dachte sie: „Ich muß
mir etwas ausdenken, das sie alle wieder zu mir
lockt.“