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Schienbeinverletzungen
Schienbeinverletzungen ereignen sich sowohl
im Untertagebau als auch im Ubertagebetrieb,
hauptsächlich aber unter Tage bei Kohlenabbau
durch herabfallendes Gestein und Kohle, des
gleichen an den Übergangsstellen der Band
maschinen, durch umfallende Werkstücke usw.,
obgleich ein großer Teil der Bergleute Schien
beinschützer trägt.
Wegen der Behandlung dieser Verletzungen
haben wir uns mit Herrn Chefarzt Dr. Hon-
necker in Verbindung gesetzt, um die für die
Bergleute beste Behandlungsmöglichkeit, die
auch den neuesten Erkenntnissen der Medizin
Rechnung trägt, für alle Saargruben einheitlich
einzuführen.
Als Ursache dafür, daß Schienbeinverletzun
gen, auch wenn sie geringfügiger Natur sind,
oft einen langwierigen und komplizierten Hei
lungsverlauf nehmen, führt Dr. Honnecker an:
1. Die Tatsache, daß die Haut über der Schien
beinkante stark gespannt und wenig durch sub
kutanes Fettgewebe gepolstert ist; daher stär
kere Zugspannung der Haut und schlechtere
Heilungstendenz.
2. Die Schienbeinwunden werden besonders
dann, wenn sie kleinerer Ausdehnung sind, von
dem Betroffenen in Unkenntnis dieser Erfah
rung als unwesentlich betrachtet, woraus sich
entsprechende Widerstände des Verletzten ge
gen eine energische Behandlung ergeben.
3. Besteht einer der wesentlichsten Gründe
für die schlechte Heilung dieser Wunden darin,
daß auch bei sachgerechter Behandlung durch
die eingesetzten Heilgehilfen diese Wunden
durch den Schweiß der Haut bei der Arbeit aber
noch wesentlich mehr durch das Wa
schen nach der Schicht in der
Waschkaue von einer evtl, deckenden Fi
brinschicht wieder befreit werden, so daß mit
einer gewissen Regelmäßigkeit von etwa 24
Stunden die Wunde erneut aufweicht und eine
inzwischen entstandene Deckschicht immer wie
der abgelöst wird, wodurch meist Infektion
eintritt.
Herr Dr. Honnecker hält es für unbedingt er
forderlich, auch den kleinsten Schienbeinver
letzungen in den Verbandstuben die erforder
liche Sorgfalt zuteil werden zu lassen, da auch
kleinste Wunden über der Schienbeinkante sich
in kurzer Zeit zu ausgedehnten flächenhaften
Geschwüren entwickeln können, wenn die
Wunde nachlässig oder falsch behandelt wird.
Keine Wunde darf mit irgendeiner Salbe be
handelt werden, sondern ist mit dem vorhan
denen Sulfonamidpuder einer Trockenbehand
lung zu unterziehen. Für die Zeit der Schicht
und des Waschens in den Waschkauen werden
wasserdichte Verbandpflaster empfohlen, ob
gleich sie die Atmung der Haut und damit den
Heilungsprozeß etwas beeinträchtigen; sie ver
hindern jedoch das regelmäßige Abreißen und
Aufweichen der Wunde, wenn der Verband
wechsel erst nach dem Waschen in der Ver
bandstube vorgenommen wird und für die ar
beitsfreie Zeit ein luftdurchlässiger Schutzver
band angelegt wird.
Um zu verhindern, daß der Entzündungs
prozeß durch weitere Belastung des Beines bei
der Arbeit fortschreitet, empfiehlt er in allen
Fällen, bei denen sich nach 2—3 Tagen ent
zündliche Infiltrationen der Wundumgebung
einstellen, strenge Ruhebehandlung unter ärzt
licher Aufsicht. In allen Fällen, in denen inner
halb einer Woche die Wunde nicht mit einer
deckenden Borke bedeckt ist, empfiehlt er
Krankenhausbehandlung, welche mit weniger
Unkosten und Arbeitsausfall verbunden ist und
viel schneller zum Erfolg führt, als eine ver
schleppte Behandlung, bei der sich häufig rezi
divierende Unterschenkelgeschwüre mit den
entsprechenden Veränderungen am Bein ein
stellen.
In allen Fällen, bei denen nach 2—3 Tagen
sich eine entzündende Infiltration der Wund
umgebung zeigt, ist m. E. die strenge Ruhe
behandlung unter ärztlicher Aufsicht angezeigt,
falls man nicht das Risiko eines Fortschreitens
der entzündlichen Infiltrationen und damit einer
weiteren Verzögerung der Heilung durch weite
res Belasten des Beines bei der Arbeit auf sich
nehmen will.
Obwohl nicht rein schematisch vorgegangen
werden kann, empfiehlt sich bei allen Schien
beinwunden, die innerhalb einer Woche nicht
mit einer deckenden Borke abgedichtet sind und
reizlose Umgebung zeigen, die Überweisung
zum Unfallarzt in das entsprechende Kranken
haus zur weiteren Entscheidung. Es wird sich
in sehr vielen Fällen erweisen, daß eine strenge
Ruhiglagerung im Bett unter dem Zwang des
Krankenhauses rascher zum Erfolg führt und
weniger Arbeitsausfall und Unkosten ver
ursacht, als eine verschleppte Behandlung, wo
bei häufig das Endresultat das rezidivierende
Unterschenkelgeschwür mit den entsprechenden
Veränderungen am Bein die Folge ist.
Es muß hier m. E. weitgehend Gebrauch ge
macht werden von dem Behandlungszwang, falls
man mit einheitlichen Methoden zu einem er
folgreichen Ziele kommen will.