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igentlich ist dieser Name die mundartliche
Bezeichnung für unsere hochgeschätzte
Schweinesülze, und wenn wir ihn unse
rem Schulkamerad Paulchen anhingen,
so war das nicht Bosheit, sondern entsprang ei
nem triftigen Crund. Um es vorneweg zu neh
men, hochgeschätzt war Paulchen keineswegs hei
seinen Altersgenossen, aber er wog trotz seiner
zwölf Jahre schon hundertzwanzig Pfund und
war speckig und kugelrund. Diese nahrhaften
Erscheinungen genügten zwar noch nicht ganz,
■ihn mit einem Schweinekäs zu vergleichen, aber
Paulchen besass, wie die meisten Dicken, ein
zaghaftes Gemüt, und geriet er bei unseren losen
Streichen einmal in Bedrängnis, dann zitterte er
im wahren Sinne des Wortes wie ein gallertrei
cher, von vielen Schlachtfesten her bekannter
Schweinekäs.
Paulchen aber besass ein gutes Gemüt und trug
den Uznamen voll Würde. Auch rettete er mich
und den Wahnerpeter einmal vor einem dräu
enden Unheil, und .. . doch halt, ich will das
Pferd nicht am Schwanz aufschirren und den
Ablauf dieses unvergesslichen Geschehens, wie
es sich geziemt, nach der Reihenfolge schildern.
Also, da das Heu in den Bergmannsscheunen
nie ausreichte, trieben der Wahnerpeter, « Zid-
derkäs » und ich die Kühe und Geissen in die
junge Talweiler Lohhecke, die an den Rand un
serer Dorfgemarkung grenzte. Wir hüteten
eigentlich in einem fremden Revier, aber von den
Buhen des fernen Kirchdorfes drohte uns keine
Gefahr, und dem Waldgras war es gleichgültig,
in welchen Kuh- oder Geissenmagen es
wanderte.
Unsere Kühe und Ziegen rupften es, nachdem
die Gemeindeallmenden und Feldraine abgeg-ast
waren, mit sichtlicher Gier und merkten nicht,
wie wir uns « verdrückten » und die neue Um
welt nach einem lohnenden Abenteuer durch
streiften.
Aber die Lohhecken ähneln sich alle, und da
wir nur ein paar alte, unbefah r ene Furhsbauten
aufspürten und die erste Vogelbrut längst aus
ihren Nestern geflattert war FesHiHssen wir,
Fallholz zu sammeln und am Waldrand ein Hüte,
feuer anzuzünden.
Schon 7og ich mein Brenngas hervor, um das
aufgeschichtete Gras zu enTachpn. da fuhr der
Wahnerpeter aus einem nahen Ginsterkopf und
posaunte : « Lasst alles stehen und liegen, ich
habe einen vollbehangenen Kirschbaum entdeckt.
Drüben steht er in der Wiesenmulde ! »
« Wahrhaftig — ganz reife — tiefschwarze —
Wiesenkirschen», japste Paulchen nach einem
kurzen Dauerlauf, und da wir seine geringe Klet
terkunst kannten, stemmten und schoben wir ihn
empor, bis er den untersten Baumast ergriff und
sich eigenhändig in die Höhe wand. Im Wipfel
setzte er sich auf den vollsten Ast und spuckte
uns die Kirschkerne auf den Kopf. Wir Hessen
ihn gewähren, und bald war nichts mehr zu
hören als ein wohliges Schlecken und Schmatzen.
Schon begann das « Mehl » bitter zu schmek-
ken », und ich lüftete das schmerzende Sitz
fleisch, um nach dem Vieh Ausschau zu halten,
da klopfte jemand gegen den Baumstamm, und
wie ich erschrocken durch die Zweige spähte,
erkannte ich . . . den Talweiler Feldschütz.
« Steigt herunter, ich muss ein paar Wörtlein
mit euch reden », rief er hinterhältig und strei
chelte seinen armdicken Knotenstock, als wollte
er sagen : «Freu dich, bald bekommst du
Beschäftigung »,
Bei Gott, das roch nach Prügel und einer
gesalzenen Geldstrafe, und erst jetzt wurde uns
bewusst, dass wir die Früchte eines verbotenen
Baumes genossen hatten.
«Verdammt, wie lange soll ich noch warten !»
Das klang scharf und war voller Drohung.
Zögernd stiegen wir ein paar Aeste tiefer. Der
Feldschiitz war nicht mehr der Jüngste, und den
Baum zu ersteigen, fiel ihm wohl schwer.
Wir beschlossen, ihm zu trotzen und ihn durch
einen langen «Sitzstreik» zu zermürben, da
zückte er ein Pistolenrohr und donnerte : « So
fort herunter, oder ich schiesse euch ab wie
lausige Spatzen ! »
War die Kanone wirklich geladen ? Der
Wahnerpeter und ich starrten unschlüssig in ihre
drohende Mündung. Da begann « 7idderkäs ■»
so niederträchtig zu winse 1 n dass wir den ietzten
Mut verloren und uns ohne weiteren Wider
stand dem Arm der Gerechtigkeit überlieferten.
«Hier kniet euch hin!» schnaubte der Furcht
bare ! «Wer durchbrennt, wird durchlöchert wie
ein Sieb ! »