Andreas konnte nur dazu schmunzeln. Was
ihn betreffe, bemerkte er, so finde er das
ganz in der Ordnung. Als Mädchen habe man
seinen Stolz, ganz abgesehen davon, daß sich
das nicht schicke.
„Überhaupt —sagte er, „welche von den
zweien hätte denn mitgehen sollen, und mit
wem?“
„Dummkopf!“ erwiderte Emil wütend.
Andreas schwieg, auch später noch, obwohl
Emil noch einigemale davon anfing; er gab
ihm einfach keine Antwort mehr. Er dachte:
Das alte Lied, man darf sich nicht mit Emil
einlassen.
Auch den Sonntag darauf, als Emil wie
immer aus der Stadt heimkam, sprachen sie
nichts miteinander. Mittags strählte und bür¬
stete ein jeder an sich herum. Emil zog die
neuen, hochschäftigen Stiefel an und das
weiße Halstuch. Andreas aber hatte diesmal
seine besondere Not mit dem Scheitel. Er be¬
eilte sich, vor Emil fertig zu sein, doch Emil
hatte schon den Türgriff in der Hand und
verließ vor Andreas das Haus. Andreas stand
schnaubend hinter dem Vorhang am Fenster
und spähte ihm nach. Wahrhaftig, Emil schlug
den Weg in den Wald ein, ins Nachbardorf.
Diese Kühnheit!
Du kannst jetzt nicht auch noch hinlaufen,
sagte sich Andreas erbost.
Am Abend kam Emil später als sonst nach
Hause. Andreas lag schon im Bett, er hörte
den Bruder unten in Flur und Stube herum¬
stolzieren und laut singen. „Bei Sedan auf
den Auen“ sang er, man konnte es nicht über¬
hören. Darauf pfiff er einen Walzer und An¬
dreas zog die Decke über die Ohren. Er wollte
nicht länger mitanhören, daß Emil bei Lisa
gewesen, der Jüngsten.
In der nächsten Woche fuhr Andreas zum
ersten Male auf dem Personenzug. Er war
nun Schaffner und trug eine goldene Litze
an seiner neuen Uniform. Der Zug fuhr auch
durch Lisas Dorf, und während Andreas am
Zug entlang ging und die Türen schloß, kam
Lisa aus dem Bahnhof heraus, atemlos, den
Jungen auf dem Arm.
„Momentchen!“ rief Andreas dem Lokomo¬
tivführer zu und eilte Lisa entgegen, nahm
ihr den Burschen vom Arm und brachte beide
in ein leeres Coupé. Und schon dampfte der
Zug ab, Andreas schwang sich aufs Trittbrett
und bestieg Lisas Abteil.
„Die Fahrkarten, bitte!“ sagte er lachend.
Hübsch sah Andreas aus in seiner neuen,
blauen Uniform, der Mütze mit dem Adler
und den roten Biesen. Ob man ihm zur be¬
standenen Prüfung gratulieren könne, meinte
Lisa. Andreas nickte stolz, und Lisa schüttelte
ihm die Hand, dabei wurde sie ein bi߬
chen rot.
Und wie hatte sich Lisa herausgeputzt,
dachte Andreas und sah sie mit warmen
Augen an, zum Anbeißen sauber und irisch.
Lisa fuhr nämlich zu ihrer Schwester in die
Stadt, um den Jungen heimzubringen; bis
Pfingstdienstag bleibe sie bei der Schwester.
Inzwischen stieg Andreas auf jeder Station
aus, schloß die Türen, kontrollierte die Fahr¬
karten, aber er erübrigte sich immer wieder
etwas Zeit und stieg zu Lisa ins Abteil. In
der Stadt habe er drei Stunden Aufenthalt,
erzählte er, danach müsse er wieder dieselbe
Strecke zurückfahren. Er half den beiden
beim Aussteigen, zeigte dem Bürschlein den
Packwagen von innen, das Pult, das Sofa,
das öfchen, auf dem er seinen Kaffee kochte
und die Suppe wärmte.
Darauf gingen sie miteinander in die Stadt.
Schade, daß die Schwester so nahe am
Bahnhof wohnte. Aber vielleicht fuhr An¬
dreas den Zug, mit dem Lisa am Pfingst-
dienstag wieder nach Hause müsse. Es wäre
doch schön, meinte er, während sie vor dem
Haus der Schwester standen, oder nicht?
Da kam Emil die Straße herunter, mit dem
Holzhauermeister, bei dem er arbeitete. Er
trug die Axt geschultert. Als er die beiden
sah, wurde er mit einmal merkwürdig un¬
sicher, er starrte Lisa förmlich an, dann warf
er einen stechenden Blick auf Andreas, der
ihm scheu entgegenlächelte. Aber Emil ging
an ihm vorüber, ein paar Schritte weiter
drehte er sich plötzlich um, ging zu Lisa hin,
reichte ihr die Hand und wollte mit ihr eines
seiner glattzüngigen Gespräche anspinnen:
„Welche Überraschung?“ sagte er. „Welcher
Zufall hat wohl Sie hierher geführt? Oder
irre ich mich, wenn ich annehme, daß Ihre
Frau Schwester hier wohnt?“
Nützte ihm alles nichts mehr, dem Wind¬
beutel. Lisa zog den Kleinen an der Hand
und betrat das Haus der Schwester.
„Bis nächsten Dienstag!“ rief sie Andreas
zu und lächelte ihn vielsagend an. „Im Vier¬
uhrzug!“
Gibt C6 etroae Natürlicheres, als öas Leben als eine Kette oon Tätigkeit zu
erkennen unö zu leben? Diele Tätigkeit Ift öer Fortfehritt auf öem Wege zum
Ziel unö ift — öer Weg zum Glück. Denn Hanöeln unö Wollen finö öie
beiöen Etgenfchaften, Öie alle Hinöerniffe überminöen.
€ r n f t Moritz Arnöt
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