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Das Zahnen.
Daß aus dem von einer Mutter geborenen, kleinen,
hilfebedürftigen Wesen mit der Zeit ein erwachsener,
mit allem Zubehör für den selbständigen Lebens¬
kampf ausgerüsteter Mensch werden wird, gibt sich
zuerst an dem Erscheinen der Zähne, des Hilfs¬
mittels zur selbständigen Ernährung, zu erkennen.
Das Zahnen beginnt, rund gesagt, mit dem
2. Lebenshalbjahre, also im 6. oder 7. Monate. Das
Kind bekommt aber bei diesem seinem ersten Zahnen
nicht sogleich das bleibende Gebiß des Erwachsenen,
sondern das nur für die erste Kindheit bestimmte
„Milchgebiß". Zuerst brechen die Schneidezähne
durch, und zwar die mittleren unteren im 6.—8., die
mittleren oberen im 7.-9. Monate; es folgen im
8.—12. Monate von den seitlichen Schneidezähnen
wieder erst die unteren, dann die oberen. In der¬
selben Weise entwickeln sich nach Beendigung des
ersten Lebensjahres, vom 12.—16. Monate die ersten
Milchbackenzöhne und im 16.—20. die Eckzähne. Am
Ende des 2. Lebensjahres, vom 20.—30. Monate,
wird sodann das Michgebiß mit dem Durchbruche
der zweiten Milchbackenzähne vollständig. Es besteht
nun aus 20 Zähnen, oben 10 und unten 10, jeder-
seits 5 einander entsprechenden: 2. Schneidezähne,
1 Eckzahn, 2 Backenzähne, und bleibt bis zum
6. Lebensjahre unverändert bestehen.
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Besonderheiten und Beschwerden beim Zahnen.
Vorstehende Daten des ersten Zahndurchbruches
sowie die Reihenfolge der Zähne sind keine aus¬
nahmslose Regel. Die Mutter denke nicht gleich, es
handle sich um eine schlimme Abnormität, wenn bei
ihrem Kinde die Zähne zu anderer Zeit und in
anderer Folge erscheinen. Oft kommt der erste Zahn
sehr früh zum Vorscheine, etwa im 4. Monate; dann
dauert es aber gewöhnlich lange, meist bis zur nor-
malen Zeit, ehe die übrigen folgen. Bei schwäch¬
lichen Kindern stets, gelegentlich aber auch bei ganz
gesunden, beginnt das Zähnen aber auch später, am
Ende des ersten oder im zweiten Jahre usw. Bei
schwerster Rachitis kommt es sogar manchmal vor,
daß oas Kind mit 5 oder 6 Jahren noch keinen ein¬
zigen Zahn hat.
Da beim Durchbrechen des Zahnes eine Wunde
entstehen muß, so ist es verständlich, daß die Kinder
dabei Beschwerden haben, örtliche, nicht selten aber
auch allgemeine. Tie meisten bereitet gewöhnlich der
Eckzahn. An der Durchbruchstelle entsteht eine
schmerzhafte Spannung mit Juckgesühl, Rötung und
Schwellung: diese Erscheinungen können sich über die
ganze Mundhöhle verbreiten, besonders, wenn Un¬
sauberkeit unterstützend wirkt; dann treten Schleim¬
und Speichelfluß, oft sogar Geschwüre auf. Unter
den Schmerzen leiden Appetit und Nahrungsauf¬
nahme; der zersetzte Speichel wird verschluckt und
erzeugt die nach Aussage der Mütter so häufigen
Verdauungsstörungen, Durchfälle und Erbrechen der
zahnenden Kinder; auch Hautausschläge (Zahn-
friesel) sind bei ihnen so häufig, daß ein ursächlicher
Zusammenhang mit dem Zahnen kaum zu leugnen
ist. Die nicht seltenen „Z a h n k r ä m p f e"
(Eklampsie) endlich, die im Volk allgemein als aus¬
gemachte Tatsache gelten, sind, im Gegenteile, für
die Wissenschaft durchaus noch nicht einwandfrei
geklärt. Kinder können aus vielen Ursachen all¬
gemeine Krämpfe bekommen, und diese sind stets
ernst zu bewerten und daher stets ärztlichen Rates
bedürftig. Man hüte sich daher, Kinderkrämpfe
leichthin „auf die Zähne" zu schieben! Es ist so sehr
zweifelhaft, ob überhaupt in Wahrheit das Zahnen
allein sie verursachen kann, daß man niemals ver¬
säumen sollte, selbst, wenn man glaubt, es handle
sich „nur" um „Zahnkrämpfe", den Arzt um Rat zu
fragen. Ähnliches gilt vom Husten, Durchfalle und
allen ernsteren Storungen. Treten sie bei einem
zahnenden Kinde auf, so warte die Mutter niemals
allzu lauge mit der Zuziehung des Arztes.
— Vor allem aber glaube man nicht, das Zahnen
sei notwendig mit Störungen des Allgemeinbefin¬
dens verknüpft; ganz gesunde Kinder bekommen ihre
Zähnchen fast ohne merkliche Beschwerden.
Während des Zahnens muß die Sauberkeit
in der Pflege des Kindes, besonders bei der Nah¬
rungseingabe, doppelt gewissenhaft beibehalten wer¬
den; alles, was über Peinhaltung der Brustwarzen,
der Trinkslasche usw. gesagt worden ist, muß streng
befolgt werden; auch die Regelmäßigkeit in der
Ernährung darf nicht vernachlässigt werden, und bei
jeder Störung ist sofort für Abhilfe zu sorgen. Das
ständige Ausfließen des Speichels aus dem Munde,
durch das Kinn und Brust wund werden können,
bekämpft man durch fleißiges Trockentupfen (nicht
wischen!) und Vorbinden eines Brustlätzchens
(Seiferläppchens), nötigenfalls aus wasserdichtem
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