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Beralde. Leider sind nur deine großen Ärzte
zwei sehr verschiedene Arten von Leuten: wenn du
sie sprechen hörst, die geschicktesten Männer von der
Welt; siehst du aber, was sie tun, die erbärmlichsten
Stümper, die es gibt. Dies, was ich darüber sage,
gilt nur uns beiden; ich hätte gewünscht, dich ein
wenig aus dem Irrtum zu ziehn, in dem du steckst,
und möchte dich, was dies Kapitel anlangt, zu deiner
Unterhaltung einmal in eines der Molière-
s ch e n Lustspiele führen.
Argan. Dein Molière wäre mir grade der Rechte
mit seinen unverschämten Komödien! Ich finde es
unerhört von ihm, sich über so brave Männer wie
unsere Arzte lustig machen zu wollen.
Beralde. Es sind ja nicht die Arzte, über die
er sich lustig macht, sondern die H i r n g e s p i n st e
ihrer Wissenschaft.
Argan. Als ob er der Mann danach wäre, die
Arzneiwissenschaft zu meistern! — Wie darf solch ein
dreister, vorwitziger Faselhans sich erlauben, über
Konsultationen und Rezepte sich aufzuhalten, an der
ganzen Fakultät sich zu vergreifen, und so ehrwürdige
Personen wie unsre Doktoren auf sein Theater zu
bringen!
Beralde. Wen soll er denn sonst aufs Theater
bringen, als die verschiedenen Stände und Profes¬
sionen der Menschen? — Bringt man ja doch alle
Tage Fürsten und Könige auf die Bühne, die doch
von ebenso gutem Hause sind als die Arzte.
Herr Fleurant tritt auf mit einer Spritze in der
Hand. Argan. Beralde.
Argan. Ach, Bruder, mit deiner Erlaubnis...
Beralde. Wie? Was hast du denn vor?
Argan. Nur eine kleine Injektion; es ist gleich
geschehn.
Beralde. Du spaßest! Kannst du denn nicht einen
Augenblick ohne Injektion oder ohne Medizin leben?
Verschiebe es auf ein andermal und gönne dir ein¬
mal ein wenig Ruhe.
Argan. Heut abend, Herr Fleurant, oder morgen
früh!
Herr Fleurant (zu Beralde). Was fällt Euch ein,
daß Ihr Euch den ärztlichen Verordnungen wider¬
setzte und mich verhindern wollt, Herrn Ärgan mein
Klistier zu applizieren? Ich finde Euch sehr sonder¬
bar, eine solche Dreistigkeit herauszunehmen!
Beralde. Geht, mein Herr. Man sieht, daß Ihr
nicht in der Gewohnheit seid, Gesichter vor Euch zu
haben.
Herr Fleurant. Es ist unerlaubt, mit Medikamen¬
ten seinen Spott zu treiben und mich um meine
Zeit zu bringen. Ich bin nur auf gemessene Vor¬
schrift hierher gekommen, und werde Herrn Purgon
melden, welchergestalt man mich verhindert hat, sei¬
nem Befehl Folge zu leisten und meine Funktion
auszuüben. Ihr sollt schon sehn, Ihr sollt schon sehn...
(ab).
Argan. Beralde.
Argan. Bruder, du wirst ein Unglück angerichtet
haben.
Beralde. Das große Unglück, um ein Klistier zu
kommen, das Herr Purgon verordnet hatte!
Argan. Mein Gott, Bruder, du sprichst wie jemand,
der sich Wohl befindet; wenn du aber an meiner
Stelle wärst, du würdest ganz anders reden.
Beralde. Aber was fehlt dir denn eigentlich?
Argan. Du wirst mich noch ernstlich böse machen.
Ich wünsche nur, du hättest meine Krankheit, und
möchte Wohl wissen, ob du dann so viel schwatzen
würdest. Ah, da kommt Herr Purgon.
Herr Purgon tritt auf. Hinter ihm Toinette.
Argan. Beralde.
Herr Purgon. Schöne Neuigkeiten, die ich da eben
unten an der Tür erfahre! — Man spottet hier über
meine Rezepte und weigert sich, das von mir ver¬
ordnete Mittel zu nehmen?
Argan. Herr Doktor, ich war...
Herr Purgon. Das ist ja ein nie dagewesenes
Unterfangen, eine unerhörte Rebellion eines Kran¬
ken gegen seinen Arzt!
Toinette. Es ist entsetzlich!
Herr Purgon. Ein Klistier, das ich recht con
amore selbst bereitet...
Argan. Ich war nicht schuld...
Herr Purgon. Und nach allen Regeln der Kunst
erfunden und zusammengestellt hatte...
Toinette. Er hat unrecht!
Herr Purgon. Und das eine stupende Wirkung
hervorgebracht haben würde...
Argan. Mein Bruder...
Herr Purgon. Mit Verachtung zurückzuschicken!
Argan (zeigt auf Beralde). Er war's...
Herr Purgon. Das ist eine himmelschreiende Tat.
Toinette. Das ist wahr!
Herr Purgon. Ein frevelhaftes Attentat auf die
Wissenschaft —
Argan (zeigt auf Beralde). Er redete mir zu...
Herr Purgon. Ein crlirisn laesae Facultatis, das
nicht streng genug bestraft werden kann.
Toinette. Ihr habt ganz recht.
Herr Purgon. Ich erkläre hiermit, daß ich meine
Hand von Euch abziehe...
Argan. Es war mein Bruder-
Herr Purgon. Daß ich von der Verschwägerung
mit Euch nichts mehr wissen will —
Toinette. Das macht Ihr recht.
Herr Purgon. Und daß ich, um alle Verbindung
mit Euch aufzuheben, die Donation, die ich zugunsten
seiner Heirat meinem Neffen machen wollte, hier
vor Euren Augen zerreiße. (Er wirst ihm die zer¬
rissene Akte vor die Füße.)
Argan. Mein Bruder ist an dem ganzen Unglück
schuld!
Herr Purgon. Mein Klistier verachten!
Argan. Laßt es kommen, ich will es nehmen!
Herr Purgon. Ich hätte Euch in kurzem aus aller
Not geholfen —
Toinette. Er verdient es nicht!
Herr Purgon. Ich stand im Begriff, grade jetzt
Euren Körper zu reinigen und alle bösen Säfte
gründlich auszutreiben —
Argan. Ach Bruder!
Herr Purgon. Und hätte Euch höchstens noch ein
Dutzend Medizinen zugedacht, um rein Haus zu
machen.
Toinette. Er ist Eurer Sorgfalt nicht wert.
Herr Purgon. Aber weil Ihr durch meine Hand
nicht habt kuriert sein wollen —
Argan. Es ist ja nicht meine Schuld!
Herr Purgon. Weil Ihr Euch gegen den Gehorsam
aufgelehnt habt, den man seinen Ärzten schuldig ist —