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F. Das Kloster Wadgassen im Dienste der
Menschheit.
2Mit kalter Objektivität ist in der Chronik alles zusammengetragen,
was mir über die Schicksale des Klosters überliefert worden ist. Ein
vollständiges Bild der Geschichte der Abtei konnte ich damit nicht geben,
weil eben noch maunches unerforscht ist und darum die Nachrichten noch
verschiedene Lücken aufweisen. Besonders unzureichend und unvollständig
sind jene Mitteilnngen der Chronik, welche die Wirksamkeit des Klosters
darthun sollen. Auf die Statuten der Abtei und auf die Prinzipien
des Ordens gegründet, bildet dieselbe einen stehenden Zug in der Ge—
schichte des Klosters, der nur bei wesentlichen Veränderungen oder Be—
einträchtigungen Aulaß zu besonderen Berichten gab. Auf diese Weise
wurde allerdings mitunter mauches ans Tageslicht gefördert, was dem
Kloster als Schwäche oder Härte nachgesagt werden könnte. Dabei darf
aber nicht übersehen werden, was uns die Geschichte der Meuschheit täg—
lich vor Augen führt, daß die Tugendhaftigkeit weiter verbreitet ist, als
es den Auschein hat; denn die Tugend liebt die Verborgenheit, während
das Laster von sich reden macht.
Die Mönche, deren Litteralien wir fast ausschließlich jegliche Auskunft
über die Geschichte des Klosters verdanken, waren durch die Schranke der
Bescheidenheit gehindert, ihr eigenes Lob zu verkünden. Sogar der Schrei—
ber der Annales, Fr. Konrad Piscator hat über die Wirksamkeit der
Wadgasser Mönche kaum nennenswerte Andeutungen, vielweniger eine
Zusammenstellung gemacht.
Die Korrespondenz mit der Landesbehörde betrifft naturgemäß meist
nur Verwaltungsangelegenheiten; desgleichen lassen auch die Prozeßver—
handlungen, sowie die Jahrgedinge u. dgl. mehr das weltliche Regiment
des Klosters hervortreten, welches namentlich in dem Abschnitt über die
Herrschaft Wadgassen zum Ausdruck gebracht ist.
Daß aber diese Herrschaft der Abtei nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel
zu einem höheren Ziele sein sollte, das kann demnach auch in jenen Erörte—
rungen nicht gefunden werden, obwohl sie die Grundlage und das Feld bil—
dete, worin das Kloster sein wohlthätiges Wirken entfaltete, welches in seiner
Größe und Bedeutung die Grenzen der Herrschaft Wadgassen weit überschritt.
Meinem Bestreben, diesem wichtigen Gegenstande eine würdige Dar—
stellung zu geben, können leider nur zufällige Angaben und Urkunden der
verschiedensten Art dienen, die, obwohl unregelmäßig und sehr zerstreut,
sich doch schon zu einem Gesamtbilde zusammenstellen lassen, wenn auch
nicht in wünschenswerter Vollstäundigkeit. Um meinen Ausführungen eine
richtige Grundlage zu geben, möchte ich nun zunächst feststellen, welche
Bedeutung die Kulturgeschichte den Klöstern des Mittelalters im allge—
meinen zuerkennt, und dann untersuchen, ob das Kloster Wadgassen, den
Prinzipien seines Ordens getreu, den Erwartungen entsprach, die man
von einem Prämonstrateuserkloster hegen durfte, oder ob es dieselben etwa
noch übertraf.