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4*
Geschichte
der erangelischen Gemeinde
vt. Johunn zu vaurbrütken
zur
200 jährigen Erinnerungs-Feier
der am 24. Juni 172 erfolgten
Einweihung der alten Rirthe
neubearbeitet von
Vrof. Dr. h. c. Ruppersberg
Saarbrücken 1927
Selbstverlag der evangelischen Gemeinde 8t. Johann
9.
97
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60 56(2. c6æe)
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.
Peche ur'sche Buchdruckerei
Saarbriücken.
Die Klischees sind größtenteils von der Saarbrücker Klischeefabrik nach
Aufnahmen des Herrn Max Went hergestellt.
O Mäα—
III —
Inhaltsverzeichnis.
Vorwort...
1. Die Grundung der Pfarrei St. Johann
2. Die Einführung der Reformation
3. Der Dreißigjährige Krieg..
4. Die Reunionszeit und der Kirchenraub
5. Der Kirchenbau
b. Die Furstenzeit
7. Revolution und Fremdherrschaft
8. Französisch oder Deutsch?
9. Die evangelische Union.
10. Die Repolution von 1848
11. Die wirtschaftliche Entwichlung der Stadt St. Johann
12. Die Trennung der städtischen Verwaltung
13. Das Kriegsjahr 1870/71 ...
14. Neues Leben in Stadt und Kirchengeme'nde St. Johann
15. Die Vereinigung der drei Saarstädte
16. Der Weltkrieg und seine Folgen
17. Die Pfarrer.
18. Das Kirchenvermögen
19. Der Prozeß gegen das Stift St. Arnual
20. Verluft und Ersatz der Kirchenglocken.
21. Kirchliche Ordnung und kirchliches Leben
22. Das evangelische Krankenhaus
23. Die Friedhöfe zu St. Johann
24. Stiftungen und Vermächtnisse für die Gemeinde:
a) Die Almosenstiftung zu St. Johann
b) Das Paul⸗Marien⸗Stift
e) Das Haus Rotenbühl
d) Die Marienkrippe
25. Gemeinnültzzige Stiftungen
26. Zur Statistik der evangelischen Gemeinde
27. Die jetzige Gemeindevertretung .
28. Die evangelischen Schulen von St. Johan
Anhang: Von der evangelischen Gemeindefeier
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IV —
Verzeichnis der Abbildungen.
1. Schöffensiegel von Saarbrücken und St. Johann
2. Propsteisiegel von Saarbrücken.
3. Stiftsktirche von St. Arnual ..
4. Grabmal des Grafen Philipp III.
b. Grabmal der Gräfin Anna Maria
6. Graf Friedrich Ludwig. ..
7. Alte Kirche von der evang. Kirchstraße aus
8. Alte Kirche vom Pfarrgarten aus
9. Alte Kirche, Inneres..
10. Alte Kirche Kanzel und Altar
11. Abendmahlskanne und Kelch.
12. Silberne Taufschüssel und Kanne
13. Fürst Wilhelm Heinrich ..
14. Marktbrunnen von St. Johann
15. Altes Tor am Röchlingschen Hause
16. Ludwigskirche in Saarbrückhen.
17. Untertor von St. Johann im Jahre 1789
18. Schloßbrand von St. Johann aus gesehen
19. Graburne von Georg Ludwig Firmond
20. St. Johann um das Jahr 1800
21. Familie Bruch......
22. Saarbrüchen um das Jahr 1800
23. Das Obertor von St. Johann
24. Fahnenweihe 1848 ..
25. Kriegerdenkmal auf dem alten Friedhof
26. Ehrental mit Germania
27. Ehrental (Friedhof)
28. Der Rote Berg bei Spichern
29. Winterbergdenkmale.
30. Wappen der Städte Saar? *cen und St. Johann
31. Oberrealschule ..
32. Staden von St. Johann.
33. Das Rathaus in St. Johann
34. Architekt Heinrich Güth
35. St. Johanniskirche
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36. Gedenktafel in der Johanniskirche
37. Inneres der Johanniskirche
38. Kanzel in der Johanniskirche
39. Hauptpostamt...
40. Kaiser⸗Wilhelm⸗Denkimal..
41. Das alte Pfarrhaus, Vorderansicht
42. Das alte Pfarrhaus vom Garten aus
43. Pfarrer Isse
44. Pfarrer Dörmer.
45. Pfarrer Lichno..
46. Pfarrhaus in der Lessingstraße.
47. Pfarrhaus in der Rotenbergstraße
18. Pfarrhaus in der Seilerstratße
49. Das evangelische Krankenhaus
50. Schwesternhaus in der Paul⸗Marienstraßze
51. Friedhofskapelle auf dem Rotenberg ..
52. Grabmal der Brennerschen Kinder auf dem alten Friedhof
53. Geh. Kommerzienrat Emil Haldy und Frau
54. Paul-Marien⸗Stift
55. Erholungsheim Rotenbuhl
56. Marienkrippe.
57. Christianen⸗Anstalt
58. Rotenbergschulhaus
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VII —
Vorwort.
Die vorliegende Schrift ist im Auftrage des Presbyteriums
und der größeren Vertretung der evangelischen Gemeinde zu St.
Johann als Festgabe zu der 200 jährigen Erinnerungsfeier an die
Einweihung der alten Kirche in St. Johann verfaßt worden.
Die Darstellung konnte sich nicht darauf beschränken, das kirchliche
Leben der Gemeinde zu behandeln, sondern sie mußte auch die
politische und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt St. Johann
in den Kreis der Betrachtung ziehen, da auf ihr das Leben der
Kirchengemeinde beruht. Bis zum Jahre 1680 deckten sich über—
haupt die beiden Begriffe Kirchengemeinde und bürgerliche Ge—
meinde vollständig; später gehörte bis in die neueste Zeit wenigstens
der größere Teil der Bürgerschaft dem evangelischen Bekenntnis
an. Das kirchliche Leben ist mit dem Schicksal der bürgerlichen
Gemeinde eng verbunden, ja es wird durch dieses bedingt. Die
Geschichte der bürgerlichen Gemeinde ist der Rahmen, aus dem
sich die Geschichte der Kirchengemeinde heraushebt. Bei wichtigen
Ereignissen konnte auch nicht immer genau auseinander gehalten
werden, was hüben oder drüben geschehen ist. Möge diese Festgabe
von der evangelischen Gemeinde St. Johann freundlich aufge⸗
nommen werden und den Sinn der Gemeindemitglieder aus dem
geräuschvollen Leben der Gegenwart auf einige Stunden in die
Vergangenheit zurückführen, auf der die Gegenwart beruht.
Saarbrücken, im Juni 1927
Der Verfasser.
1. Die Gründung der Pfarrei St. Johann.
⸗
er Name St. Johann taucht im Jahre
1267 zum ersten Male aus dem Dunkel
der Vorzeit auf. In diesem Jahreerscheint
in einer Urkunde der Gräfin Lorette
von Saarbrücken als Zeuge der Ritter
Volmar von St. Johann. Aber schon
in der ältesten Zeit war der St. Johanner
Boden besiedelt, wie die Funde von rohbehauenen Feuersteinen,
Bronze⸗ und Kupferringen nebst Scherben von Topfgeschirr beweisen.
In der Nähe der Kohlwage (Bergfaktorei) wurden an dem alten
Saarbeit Mauerreste entdeckt; die dabei gefundenen Ziegel mit
Stempel und eine Merkurstatuette beweisen ihre römische Herkunft.
Durch St. Johann führte in der Richtung des Eselpfades (ijetzt
Arndtstraße) ein Verkehrsweg, der die römische Siedelung am
Halberg mit der Rennstraßze verband. Nach der mündlichen Über—
lieferung soll an der Stelle von St. Johann ein Fischerdörfchen
gelegen haben. Da die Fischerzunft zu den ältesten Genossen—
schaften der späteren Stadt gehörte, so ist es nicht unwahrscheinlich,
daß die ältesten Bewohner von St. Johann dieses Gewerbe trieben.
Seinen Namen verdankte das Dorf der St. Johanniskapelle,
deren Patronat das Stift St. Arnual besaß und deshalb von den
Bewohnern von St. Johann den Zehnten erhob.!)
Sonach ist die Kapelle von dem Stift St. Arnual erbaut
worden, dessen Chor auch den Namen St. Johannisschor führte.
In der Nähe der Kapelle lag ein adeliger Hof, von welchem
jener Ritter Volmar den Namen führte. Dieser Hof war Eigentum
des Grafen von Saarbrücken, der ihn dem Ritter als Burglehen
überlassen hatte. Zu diesem Hofe gehörte natürlich eine Anzahl
1) Ein Wandgemälde im Festsaal des neuen Rathauses stellt die Weihe
der St. Johanniskapelle durch den Bischof Arnualdus von Metz dar.
von eigenen Leuten, welche die Bebauung der Felder und die
sonstige Wirtschaft besorgten.
Die Verbindung zwischen St. Johann und der gegenüber—⸗
liegenden Stadt Saarbrücken wurde durch ein Fährschiff vermittelt,
das seit der Mitte des 13. Jahrhunderts urkundlich bezeugt ist.
Diese Fähre gehörte dem Grafen, der die Einkünfte derselben
einigen seiner Burgleute anwies. Später werden zwei „Punten“,
eine größere für Fuhrwerke und eine kleinere für Personenverkehr,
erwähnt, deren Unterhaltung den Bewohnern oon St. Arnual
oblag. Graf Simon IV. tauschte im Jahre 1281 von den Rittern
von Thedingen und Ecksweiler das „Neue Gut“ in St. Arnual
und St. Johann für seine Güter in Neunkirchen und Berschweiler
ein. Daraus geht hervor, daß außer dem Hofe des Volmar noch
andere adelige Güter auf dem Banne von St. Johann lagen.
Während Saarbrücken im Jahre 1316 schon als Stadt
bezeichnet wird, war St. Johann noch ein Dorf. Beide Orte aber
waren, da hier zwei wichtige Handelsstraßen, die Straße von Metz
nach Mainz und die Straße von Oberitalien nach Flandern, sich
kreuzten, schon zu einiger Bedeutung gekommen. Graf Johann J.
erkannte diese Bedeutung dadurch an, daß er der Stadt Saarbrücken
und dem Dorf St. Johann im Jahre 1321 einen Freiheitsbrief
verlieh.)) Durch diese Urkunde erhielt das Dorf St. Johann
Stadtrechte, und seine Bewohner wurden für frei von den Pflichten
und Abgaben des Hofrechtes erklärt. Die Rechte des Grafen und
die Pflichten der Bürger wurden genau bestimmt; diese erhielten
das Recht der Selbstverwaltung und die niedere Gerichtsbarkeit.
Alle Jahre am Sonntag vor Pfingsten sollten die Bürger von
Saarbrücken und St. Johann ihre Gerichtsleute wählen, und zwar
vier von Saarbrücken und vier von St. Johann. Diese sollten
am Pfingsttage in der Burg zu Saarbrücken dem Grafen oder
seinem Stellvertreter vorgestellt werden, der von ihnen einen zum
Meier und einen zum Heimburgen ernennen würde, während die
übrigen sechs Schöffen sein sollten. Diese sollten auf die Heiligen
1) Diese Verleihung ist auf einem Wandgemälde im Festsaale des neuen
Rathauses in einer den geschichtlichen Tatsachen und Verhältnissen wenig ent⸗
sprechenden Weise dargestellt.
schwören, daß sie die Rechte des Grafen und der Bürger in Treuen
behüten und bewahren wollten. So wurde ein freier Bürgerstand
in den beiden zu einer Stadtgemeinde vereinigten Städten
geschaffen.
Der Freiheitsbrief wurde auf Bitten der Bürger von dem
Dekan Johann Repper und dem Kapiiel von St. Arnual mit
ihrem Siegel beglaubigt. Die Städte hatten damals noch kein
eigenes Siegel. Erst im Jahre 1462 verlieh Graf Johann III.
den Schöffen von Saarbrücken ein Amtssiegel. Dieses Siegel
zeigt einen einen geteilten Schild; auf dem oberen Teil ist der
Oberkörper des Saarbrücker Löwen in einem mit Kreuzen belegten
Felde zu sehen, auf dem unteren Teile die Rose von St. Johann.
Die Umschrift lautet: S(igillum) Scabinorum opidi
Sarabrucken et sancti Johannis Giegel der Schöffen der
Stadt Saarbrücken und St. Johann).
4*
Kaufverträge wurden in der Propstei mit dem Propsteisiegel
beglaubigt, das auf einem mit Kreuzen belegten Schilde den auf—
gerichteten Saarbrücker Löwen zeigt mit der Umschrift
SCGCGILLDOM) PREPOSITURE
DE SAREPONTE
Propsteisiegel von Saarbrücken).
Aber auch in kirchlicher Beziehung wünschte der Graf die
Selbständigkeit der beiden Städte herbeizuführen. In Saarbrücken
war im Jahre 1261 eine Kapelle erbaut worden, die dem hl. Nikolaus
geweiht war, aber diese hatte ebensowenig wie die St. Johannis—
kapelle einen Taufbrunnen, und die Bewohner der Doppelstadt
waren für den Empfang der Sakramente auf die eine halbe Weg—
stunde entfernte Mutterkirche in St. Arnual angewiesen. Auf
einer Reise nach Avignon, dem damaligen Wohnsitz des Papstes
Johann XXII., die Graf Johann J. im Jahre 1325 im Auftrag
des mit ihm verwandten Königs Johann von Böhmen unternahm,
stellte er dem Oberhaupt der Kirche die unbefriedigenden kirchlichen
Verhältnisse in beiden Städten vor. Obwohl beide Städte sehr
volkreich seien — es befänden sich dort 40 adelige Höfe — und
obwohl die kirchlichen Einkünfte zur Unterhaltung eines Priesters
ausreichten, müßten die Bewohner die Sakramente von der eine
halbe Wegstunde entfernten Kirche von St. Arnual empfangen.
So komme es, daß öfters Kinder ohne Taufe und andere gläubige
Einwohner ohne Empfang der Sabkramente gestorben seien zur
Gefahr für ihr eigenes Seelenheil und zum Ärgernis für viele
andere. Der Papst verschloß sich dieser Vorstellung nicht und gab
dem Bischof von Metz den Befehl, den Rektor von St. Arnual
durch Androhung von Kirchenstrafen dazu anzuhalten, daß er in
den beiden Kapellen zu Saarbrücken und St. Johann Taufbrunnen
anlegen lasse und dort einen eigenen Priester bestelle, der den
Einwohnern den Gottesdienst abhalten und die Sakramente spenden
könne.
Doch die Stiftsherren von St. Arnual beeilten sich nicht, dem
Befehle des Papstes nachzukommen. Schon im Jahre 1183 hatte
ihnen der Bischof von Metz vorgehalten, daß sie mehr um Milch
und Wolle der Gläubigen und ihre eigenen Einkünfte als um
das Heil der Seelen bekümmert seien, ihren eigenen Geschäften
und Bequemlichkeiten nachgingen und durch ihre Abwesenheit die
Religion und die Kirchengüter schädigten. Der Bischof hatte des—
halb bestimmt, daß fortan nur denjenigen Stiftsherren ihre Bezũge
ausbezahlt werden sollten, die dauernd dort ansässig seien und sich
dem Dienst der Kirche mit Eifer widmeten. Aber die Stiftsherren
erkannten die Gerichtsbarkeit des Bischofs von Metz nicht an.
Als der Dekan Johann im Jahre 1372 vor den Metzer Offizial
vorgeladen wurde, um sich wegen eines Vergehens zu verantworten,
erschien statt seiner der Kantor von St. Arnual und erklärte, daß
Dekan und Kapitel seit Menschengedenken von der Gerichtsbarkeit
des Metzer Bischofs befreit seien, und daß über den Dekan das
Kapitel unter dem Vorsitz des Kantors aburteilen müsse.
Auch die Bürger von St. Johann waren mit der Amts—
führung der Stiftsherren nicht zufrieden. Im Jahre 1438 kam
Stiftskirche von St. Arnual—
es zu einem Streit zwischen der Gemeinde zu St. Johann und
dem Stift St. Arnual. Die Bürger hatten sich nämlich geweigert,
verschiedene Abgaben an das Stift zu entrichten, welche, Rauchpfennig“
und „Sendpfennig vor Firbroche“ genannt wurden.) Sie be—
anspruchten außerdem freie Eckernutzung in dem zum Stift gehörenden
Halberg und stiellten den Stiftsherren Bedingungen für die Er—
hebung des kleinen Zehnten. Weil das Stift in der Unterhaltung
der Kapelle säumig war, hatte der Brudermeister?) einen Opferstock
in die Kapelle gestellt und das Opfergeld zum Kirchenbau
verwendet. Hierdurch fühlten sich die Stiftsherren benachteiligt.
Unter Vermittlung der Gräfin-Witwe Elisabeth und ihres Sohnes,
des Grafen Johann III., wurde ein vorläufiger Vergleich auf 5 Jahre
geschlossen, währenddessen der alte Zustand im wesentlichen bleiben
sollte. Doch erst im Jahre 1453 wurde durch den Grafen Johann
der Streit endgiltig geschlichtet. Es wurde festgesetzt:
1. Die Abgabe, welche jedes Hausgeseß zu St. Johann an
das Stift schuldig ist, nämlich 2 Pfennig, die man nennt Rauch—
Pfennig, und 3 Send-Pfennig vor Fürbruch, soll auf ewige
Zeiten abgeschafft sein, wogegen die Bürger und ihre Nachkommen
1) Der Rauchpfennig war eine Abgabe von jedem Hause, das rauchte,
d. h. bewohnt war. Der Sendpfennig war eine kirchliche Steuer, welche die
Pfarrgenossen wegen der heiligen Send (Synode oder Kirchenvisitation) schuldig
waren, bei der lirchliche Verbrechen (Firbroche) bestraft wurden.
2) Die Verwaltung des kirchlichen Vermögens führte eine besondere
Bruderschaft, die zur Beförderung ihres ewigen Heils sich zur Zahlung eines
Brudergeldes und zu frommen Werken verpflichtete. Der Mittelpunkt der
frommen Vereinigung war ein Kirchenaltar, den die Genossen an Festtagen
mit Kerzen schmüdten. An ihrer Spitze stand ein Brudermeister, der für die
Verwaltung des Kirchenvermögens verantwortlich war. So gab es in St. Johann
eine St. Johannis-Bruderschaft, in Saarbrücken eine St. Nikolaus-Bruderschaft,
die in der Schloßkirche, und die St. Georgs- oder Hofgesinde-Bruderschaft,
die in der Kreuzkapelle ihren religiösen Mittelpunkt hatte. Im Jahre 1440
vermachte Konrad von Geispitzheim der St. Niklas-Bruderschaft 4 Gulden,
der St. Johannis-Bruderschaft ebensodiel und der Hofgesinde-Bruderschaft
seinen grauen Mantel und einen Gulden.
4
dem Stift jährlich auf Purificatio Mariae (Mariae Lichtmeß,
2. Febr.) ein Pfund Pfennig!) Saarbrücker Währung entrichten
sollen. Doch wurde vorbehalten, daß der Dechant zu St. Arnual
alle offenbaren Ehebrecher, Zauberer und Wucherer zu strafen habe,
„als sich das der Geistlichkeit gebürt“.
2. Dechant und Kapitel sollen wegen Erhebung des Zehnten
nicht schuldig sein, das Fasel-Vieh zu stellen und zu erhalten.
Welcher unter den Bürgern zu St. Johann den großen und kleinen
Zehnten kaufen und bestehen (steigern) wolle, der möge es tun,
ohne deshalb an die Gemeinde wegen des Fasels etwas abzugeben.
Die Bürger sollen keine Einigung unter sich machen, daß der Zehnte
ungekauft bleibe.
3. Die Bürger mögen einen Stock in die Kapelle stellen, und
was hinein geopfert wird, soll halb zum Bau der Kirche St. Arnual,
halb zum Bau der Kapelle in St. Johann verwendet werden.
Genannte Bürger mögen auch auf Sant Johannis Baptisten-Tag
(24. Juni), nachdem unser Herrgott in der Fron⸗Messe erhoben
worden ist, einen Knecht stellen, der in der Kapelle und in der
Stadt umgehe und Almosen heische mit solchen Worten: „Steuert
zum Bau und Lösen des Ablaß“ —, und was der Knecht also
hebt, das soll zum Bau der Kapelle allein kommen.
4. Würde ein Mensch von Saarbrücken oder ein anderer
„Ußbürtiger“ zu St. Johann begraben und geschähe Begängnis,
Siebenten und Dreißigsten, was alsdann von „Gelüchte“ (Lichtern)
unverbrannt bleibt, soll halb dem Stift, halb der Kapelle zufallen,
und was Gelüchte zu den Begängnissen von den Menschen, die
die zu St. Johann gesessen wären, übrig bleibt, das soll der
Kapelle St. Johann bleiben.
5. Burgermeister, Burger zu St. Johann und deren Nach—
kommen sollen mit ihrem Vieh die Weide haben um und auf dem
Halberg; und wenn Ecker daselbst ist, sollen sie davon zahlen wie
die vom Eschberg und von Bredebach und andere Anstoßer, nach
Weisung des Jahrgedings zu St. Arnual.
1) Man rechnete damals, wie noch heute in England, nach Pfund,
Schilling und Pfennig, 1 Pfund hatte 20 Schillinge, 1 Schilling 10 Pfennige.
4
6. Wegen des hl. Sakraments und des hl. Oels ist man
einem Kirchherrn oder Kaplan nichts schuldig, man gebe es denn mit
gutem Willen. Item ist man einem Kirchherrn schuldig zu Grabe—
Recht von einem Mann 31, Schilling; von einer Frau 3 Schilling;
von einem Kinde, das noch nit zu dem hl. Sakrament gegangen,
6 Pfennig, alles Saarbrücker Währung. Zu den Begängnissen,
dem Siebenten und Dreißigsten) ist man dem Kirchherrn nit schuldig
Präsenz zu geben. Aber er mag die Opfer, die den andern be—
gleitenden Priestern geopfert werden, nehmen, wenn er will.
7. Griffe Jemand zu der hl. Ehe, der ist dem Kirchherrn
oder Kaplan von der Vertrüwung und dreien Ußheischungen?)
nichts schuldig; aber so der Kirchgang beschieht, soll man dem
Kirchherrn geben drei Schilling Pfennige und desselbigen Tags
seinen Morgen-Imbs ungeverlich. Käme aber Einer außerhalb
der Pfarren zu St. Arnual, der soll geben 7 Schilling, und wäre
er arm, dem soll Gnade geschehn. Geben uff Donnerstag nach
S. Markus des heil. Evangelisten Tag (25. April) 1458.
Die Kapelle in St. Johann hatte keinen eigenen Pfarrer,
sondern sie wurde von dem Kirchherrn in Saarbrücken oder in
dessen Auftrag von einem Kaplan versehen, sodaß der Gottesdienst
oft ausfallen mochte. Die Bewohner beschwerten sich wenigstens
im Jahre 1450 darüber, daß sie zum Besuch der Mutterkirche
stets mit einem Nachen über die Saar fahren müßten. Daher
wurde in diesem Jahre von der Bruderschaft zu St. Johann eine
Frühmesse in der St. Johanneskapelle gestiftet. Der von dem
Stift bestellte Priester sollte wöchentlich vier Frühmessen lesen oder
lesen lassen und in St. Johann Wohnung nehmen. Für seine
Dienste sollten ihm von dem Brudermeister zu St. Johann bezahlt
werden 24 Gulden Gelds, eine Behausung zu wohnen, etliche Garten⸗
stüche und 2z Fuder Heu. Die Bürger sollten das Haus in Grundbau
und Dach erhalten; wenn aber der Frühmesser einiges bessern
wollte an Glas-⸗Fenstern, Türen, Fensterladen, Stuben⸗Ofen und
anderm, so sollte er dies auf seine Kosten tun.
1) Der Siebente und Dreißigste sind die Seelenmessen am 7. und 30. Tage.
2) Trauung und Aufgebote.
10 —
Sollten die Gefälle so viel ertragen, daß noch ein anderer
Priester bestellt werden könnte, so sollte künftig jeden Tag Messe
in der Kapelle gelesen werden, ausgeschieden auf den grünen
Donnerstag, Karfreitag und Oster-Abend. Von diesen beiden
Priestern sollte mindestens einer des Nachts in St. Johann bleiben.
Die Bürger sollten künftig kein weiteres Erbe oder Beschwerung
ihres Erbes für diese Frühmesse geben. Die Opfer während der
Frühmesse sollten dem Kirchherrn, das Patronat dem Stift bleiben,
welches sich auch die immer währende Zugehörigkeit der Kapelle
zur Mutterkirche vorbehielt. Die Kapelle hatte 4 Altäre und war
von einem Kirchhof umgeben.
Die Nachrichten über St. Johann sind in der älteren Zeit
recht spärlich; die ältesten Urkunden beziehen sich ausschließlich auf
Güterwechsel und geben für die Geschichte nur geringe Ausbeute.
Im Jahre 1305 erscheinen urkundlich die Eheleute Konzemann
(Koseform von Konrad) und Sophie von St. Johann. Sie führten
noch keinen Familiennamen, waren aber freie und wohlhabende
Leute. Die Urkunde wurde von dem Dekan Johann Repper
von St. Arnual besiegelt. Im Jahre 1309 schenkten Peter, ein
Laie, und seine Frau Agnes aus St. Johann dem Kloster Wadgassen
alle ihre Güter und Einkünfte aus dem Dorf und Bann von
St. Johann zu einer Jahreszeit (Seelenmesse). Im Jahre 1332
wird Werner Richer von St. Johann als Besitzer von Wiesen
in der Nähe von Malstatt genannt. Im Jahre 1333 versetzte
der Edelknecht Nikolaus Rodebosch aus Saarbrücken dem Johannes
von St. Johann, dem Sohn des verstorbenen Schultheißen Nikolaus
ein Pfund Metzer Pfennige aus dem Schaft von Dirmingen, die
der erstere als Lehen von dem Grafen von Saarbrücken besessen.
Der älteste Teil der Stadt lag in der Nähe der St. Johanniskapelle.
In St. Johann war wie in Saarbrücken ein sogenannter Bann—⸗
ofen, in dem alle Einwohner zu backen verpflichtet waren. Der
Bannbäcker hatte dem Grafen außer einem Geldbetrag jährlich
mehrere Schweine zu Weihnachten zu liefern. Diese Bezüge ver—
lieh der Graf auch an Lehnsmannen. So verkauften im Jahre
1369 die Edelknechte Simon Rodebosch und Johann von der Ecken
die Holzmühle bei Neumünster (Ottweiler) dem Grafen, von dem
sie diese zu Lehen trugen, für 3 Malter Roggen und das beste
Schwein aus dem Bannofen zu St. Johann, beides jährlich zu
Weihnachten zu liefern. Der Edelmann Johann Repper besaß
einen Hof „hinter dem Bruch“ zu St. Johann. Seine Ehefrau,
Maichthold von Saarbrück, schenkte 1869 außer andern Gütern
diesen Hof nebst einer Rente von 1 Pfund Pfennige aus dem
Bannofen zu St. Johann dem Kapitel zu St. Arnual gegen die
Verpflichtung, ihr ein Begräbnis in dem St. Johannischor der
Stiftskirche zu gewähren und eine ewige Seelenmesse zu halten.
1376 verpfändete der Edelknecht Niklas von Mauborn seinen
Heuwachs zu St. Johann an Jakob Sommer daselbst. 1380 ver—
lehnten Volmar von Eppingen und Agnes, seine Ehefrau, alle
ihre Güter in St. Johann an Eberhard daselbst; und wenn der
Zins nicht richtig bezahlt würde, sollte der Bote auf Eberhards
Kosten im Wirtshause warten, bis die Zahlung erfolgte. — Die
Bewohner der jungen Stadt vermehrten sich durch Zuzug von den
benachbarten Dörfern: 1453 verkaufte der alte Meier von
Bischmisheim, Peter Rode, seine Scheuer nebst Hofraum zu
St. Johann an Hans von Schwalbach, Hofmeister zu Saarbrücken.
1515 finden wir Ulrich von Malstatt in St. Johann ansässig.
Auch Hörige benachbarter Herren suchten die befreiende Stadtluft
auf. 1372 schloß der Edelknecht und Burgmann Niklas von
Kastel, welcher in Burbach begütert war, mit dem Grafen
Johann II. einen Vergleich, in dem er auf seine Rechte an
vermeintlichen Eigenleuten, darunter „Schnider von Sancte Johanne“,
verzichtete. Dieser Schneider wurde also von dem Grafen in seiner
Freiheit gegen die Ansprüche des Ritters geschützt. Aus dem
Geschlechte des Ritters Volmar, der im Jahre 1267 einen adeligen
Hof in St. Johann hatte, stammte vermutlich der Magister Thomas
von St. Johann, den Erzbischof Boemund II. von Trier im
Jahre 18357 als seinen Freund bezeichnete und mit seinem Bruder
Reimbold von Saarbrücken zum Gubernator des Landfriedens
in Lothringen ernannte. Dieser adelige Hof in St. Johann war
im Anfang des 15. Jahrhunderts im Besitze einer Erbtocher,
Katharine „in dem Hofe“, die mit Heinrich, genannt von Yweiler
(Eiweiler), vermählt war. Die Lage dieses Hofes wird durch den
12 —
Zusatz bezeichnet: „neben der Kirche an dem großzen Torn“. Nach
Heinrichs von Yweiler Tode teilte seine Witwe als Vormünderin
ihres Sohnes Nikolaus die Lehen derer von Yweiler mit ihrer
Schwägerin Else von Yweiler, der Ehefrau des Nikolaus von
Kellenbach. Nach ihrem Ableben im Jahre 1435 wurde ihr Sohn
Nikolaus mit dem Hofe in St. Johann als mütterlichem
Burglehen begabt. Dieser starb jedoch bald; sein Erbe war Hans
von Kellenbach, der Sohn der Else von Yweiler, der 1442
den Hof erhielt,)) während mit 8 Morgen Acher, die Heinrich
von Yweiler gehabt hatte, Heinrich von Sötern belehnt wurde.?)
Diese AÄcker lagen zwischen St. Johann und dem „Gutleuthaus“,
welches wohltätige Menschen zur Aufnahme von Pestkranken und
Aussätzigen gestiftet hatten. Dies Haus, auch Koden genannt,
lag an dem Wege nach Scheidt, und nach ihm führen die um—
liegenden Felder noch heute den Namen Kottenfelder.
Ein wohlhabender Bürger in St. Johann war um das Jahr
1500 Hans Meintzweiler; er besaß fast den ganzen Eschberg.
Graf Johann Ludwig kaufte diesen Besitz in den Jahren
1508 - 1530 allmählich von den Erben, ferner erwarb der Graf
im Jahre 1536 die St. Johanner Güter des Mathias Degen
von Gersheim. Die Herrschaft hatte überhaupt bedeutenden Grund—
besitz in St. Johann, mit dem sie verschiedene Lehnsleute begabte.
Die gewerblichen Verhältnisse in St. Johann waren denen
von Saarbrücken jedenfalls sehr ähnlich. Die meisten Bewohner
trieben Ackerwirtschaft und daneben die nötigsten Gewerbe, manche
nährten sich vom Frachtverkbehr: 1436 wurde Hans Funke, Fuhr—
mann von St. Johann, in Straßburg zurückgehalten. —St. Johann
wird im Jahre 1321 noch ein Dorf genannt, hatte also damals
1) Die Familie von Kellenbach blieb bis in das 16. Jahrhundert im
Besitze dieses Hofes. 1572 wurde Friedrich von Neuß damit belehnt.
2) Die von Sötern, welche Burgmannen zu Saarbrücken waren, blieben
in diesem Besitze bis ins 16. Jahrhundert. Anton von Sötern und seine Frau
Else von Heringen kauften 1503 und 1515 weitere Guter dazu. 1548 erhielt
Philipp von Sirch Herr zu Fels, Oberamtmann in Saarbruden, das Söternsche
Lehen.
15
noch keine Befestigung; doch wurde der Ort wohl bald nachher
mit einer Mauer umgeben. 1442 wird der große „Torn“ bei
der Kirche erwähnt; somit war damals der Mauerring vollendet.
Die Mauer durchbrachen drei Tore; das Untertor an der jetzigen
Fürstenstraßze, das Obertor und das Saar-⸗ oder Brückentor, welche
mit Türmen gesichert waren. Ferner standen an der Nordseite
der Pulverturm und der Betzenlochturm; ein Turm stand an der
Südost- und der weißze Turm an der Südwestecke der Stadtmauer.
Die Mauer war mit Gräben umgeben, die sich in der Richtung
der heutigen Fürstenstraße, Gerberstraße, Bleichstraße, Schillerallee
und Schillerstraße erstreckten; dieser Straßenzug schließt die alte
Stadt ein. Vorstädte gab es nicht; nur die Gerbhäuser lagen
außerhalb der Stadt.
Die Unterhaltung und Bewachung der Befestigungen lag
den Bürgern beider Städte ob. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts
liefßz Graf Johann III., der in mancherlei Fehden verwickelt war,
den Mauerring der beiden Städte erneuern und verstärken. Wir
erfahren das aus einer Urkunde des Grafen vom 11. Januar 1458.
Die Bürger hatten eine Bittschrift an den Grafen gerichtet, in
welcher sie erklärten, daß es ihnen in diesen gefährlichen Kriegs⸗
zeiten sehr schwer und lästig falle, die Städte zu bewachen und zu
behüten, und daß es ihnen ohne des Grafen Rat, Hilfe und Gnade
nicht möglich sei „die Befestong und gewere der stede, als das noit
ist, zu buwen und zu follenfüren“. In Erwägung dieser „Bitte
seiner lieben Getreuen, ihrer Armut und Vergänglichkeit und
schweren Lasten, auch der Kriegsläufe und mancherlei gefährlichen
Aufsätze (Anschläge), die täglich auf Städte und Schlösser gestellt
werden“, gestattete der Graf den Bürgern ein neues „Umgeld“n)
auf den Wein, der zu Saarbrücken und zu St. Johann zum Zapfen
1) Umgeld ist nicht Ohmgeld, wie Köllner schreibt. Das Wort „Ohm“
tommt in der Verordnung des Grafen gar nicht vor, auch hatte eine Ohm
nicht 20, sondern 80 Maß, die kleine Ohm 24 Maß. Umgeld ijt eine Entstellung
von „Ungelt“, d. h. was man nicht schuldig ist, für dessen Zahlung es keinen
Rechtsgrund gibt. In einer Urkunde von 1290 heißt es: indebitum quod
vulgo ungelt dicitur.
verkauft würde, zu legen; und da dem Grafen von Alters her
dies Umgeld zustehe, nämlich die zwanzigste Maß von allem zum
Zapfen verkauften Weine, er dies Umgeld auch sich und seinen
Erben fernerhin vorbehalte, so sollten die Bürger dies Maß mindern
und kleiner machen, sodaß ihnen auch von 20 Maß eine „wachse“.
Dies Umgeld sollten die Bürger anlegen „an Bau, Befestigung
und Gewehr oder sonst zu Nutz und Notdurft der zweien Städte“,
und was in jeder Stadt falle und erhoben würde, das sollte jeder
Stadt verbleiben. Zugleich verordnete der Graf, daß in jeder Stadt
aus den Bürgern ein redlicher und verständiger Mann zum
Baumeifter gekoren werde, der in Saarbrücken mit dem Meier
und in St. Johann mit dem Burgemeister das Umgeld hebe,
verbaue oder anlege; davon sollten sie den Bürgern in des Grafen
oder des Schultheißen Beisein alljährlich Rechnung legen.
Zur Stadtbefestigung war das Kloster Wadgassen verpflichtet
300 Quadersteine jährlich durch seine Untertanen in Ensheim zu liefern.
Derselbe Graf Johann III. befahl im Jahre 1461, daß
jeder in der Stadt, es seien Edle, Bürger, Freie oder andere, vier
Fuß breit vor seinem Hause zu poweien (pflastern) habe; was
darüber sei, solle die Gemeinde tun und bezahlen.
Es zeigte sich bald, wie nötig der verstärkte Schutz der Städte
war. Im Jahre 1460 streiften die Krieger des Pfalzgrafen Ludwig
von Zweibrücken, des schwarzen Herzogs, mit dem Graf Johann
in Fehde lag, zu Roß und zu Fuß bis Dudweiler und Scheidt,
brandschatzten, plünderten und trieben das Vieh weg. Da mochten
die Mauern der Städte manchen Bauern ein Zufluchtsort werden.
Elf Jahre später zog der schwarze Herzog gar vor die Mauern
der Städte selbst. „Fobruarius 19 Anno 1471 stant Herzog
Ludwig vor Sant Johan und grub den Wiger (Weiher) an und
brant die Mühle, auch Folklingen (Völklingen), Burbach und
Malstat.“ Die Mauern von St. Johann waren aber stark genug,
ihm zu widerstehen; dafür rächte sich der Herzog mit dem Greuel
der Verwüstung: „Mai 24. 1471 rannt' Herzog Ludwig in das
Collerdail und verbrant das gar.“ Bald nachher kam der Friede
zu stande, nachdem Graf Johann seinerseits das Land des Herzogs
verwüstet hatte.
15 —
Im Anfang des 16. Jahrhunderts wurde St. Johann von
schweren Unglücksfällen heimgesucht. Heinrich von Nassau berichtet
zum Jahre 1503: „Den 5. April ist Sant Johann verbrennt, das
erbarme Gott! Umb die 4 Uhr angangen.“ Im Herbst desselben
Jahres brach eine pestartige Krankheit aus. Dieses Unglück
bewog die Bürgerschaft, ihr ewiges Seelenheil zu bedenken, „da
einem jeden nit me dann sin gut Werk vorständig sind.“ Die
Bürger stifteten deshalb „gemeinsam und einträchtiglich mittels
100 guter Gulden Korfursten-Montz am Rhein“ zu ewigen
Tagen eine Wochenmesse in der Kapelle zum Heiligen Geist in
St. Arnual. Diese Messe versprachen Dechant und Kapitel der
genannten Bürgerschaft und ihrer Voreltern, Nachkommen und
Freunde Seelen zum Trost und zur Hilfe zu halten und setzten
dafür ihren Zehnten zu Eschberg und den Bruchhof zu St. Johann
zum Pfande.
Über das kirchliche Leben im fünfzehnten Jahrhundert gibt
uns eine Verordnung einigen Aufschluß, die wahrscheinlich im
Jahre 1453 erlassen wurde. Der Graf verordnete, daß der
Kirchherr Tag und Nacht zu Saarbrücken bleibe und sein Kaplan
in St. Johann, sodaß man sie zu finden wisse, falls es not wäre,
die Beichte zu hören oder die Sakramente zu spenden. Sie sollten
diesen Pflichten entweder selbst nachkommen oder die Frühmesser
dazu bestellen, doch so, daß keiner dies auf den andern weise noch
sich auf den andern verlasse und dadurch Säumnis geschehe. Wir
erkennen aus dieser Verordnung wieder die Lässigkeit, mit der
die Stiftsherren von St. Arnual ihren Pflichten nachkamen.
Hochzeiten, Priesterweihen, Kindtaufen und Begräbnisse mit
den nachfolgenden Leichenschmäusen wurden damals mit großem
Aufwand gehalten. Hiergegen richten sich folgende Bestimmungen.
Zu einem Begräbnis, dem Siebenten, Dreißzigsten und zu der
Jahreszeit sollten des Toten Freunde nicht mehr als acht Bürger
laden, auch nicht mehr zum Geleite mitgehen. Wenn der Ver—
storbene einer Zunft oder Bruderschaft angehörte, so durften
außerdem die Zunft- oder Brudermeister und der Zunftknecht
mitgehen. „Aber die Frauen, denen geliebet mit den traurigen
Leuten zur Kirche zu gehen, die mögen das tun unbegriffen.“
2.
Wenn die Bürger, die mit zur Kirche gegangen, um den traurigen
Mann zu trösten, ihm Gesellschaft in des Wirts oder eines
ehrbaren Nachbars Haus laden wollten, so durften sie dies tun;
doch sollte niemand daran gebunden sein. Da sollten sie dem
Traurigen seine Irte (Zeche) bezahlen und ihm keine Kosten antun.
Ebenso sollten es die Frauen halten, wenn die traurige Person
eine Frau wäre. Dem Priester sollte man bei Begängnissen
keine Kost geben, sondern nur die Präsentie in der Kirche, näm—
lich 18 Pfennige, und ebenso dem Kirchherrn für sein Grabrecht.
Zu einer „Vrulofft“ (Brautlauf, Hochzeit) sollte niemand
mehr als 30 Esser laden; zu einer ersten Messe nicht mehr als
25 Gäste. Alle Steuern und Gaben, die man dem neuen Priester
geben wolle, solle man Gott zu Lob und Ehre in der Kirche auf
dem Altar opfern, aber die Gift (Gabe) nicht zu Hause und an
der Tafel tun, wie man zur Vrulofft zu tun pflegte. Der neue
Priester solle für das gemeine Volk nicht mehr als einen Imbiß
oder Mahlzeit des Morgens geben; dazu solle ein jeglicher seinen
Wein mitbringen.
Zu einer Kindtaufe oder zum Kindbettschmause sollten außer
dem Gevatter nicht mehr als 12 Frauen geladen werden; kein
Gevatter sollte dem Kind mehr als 3 Schillinge schenken. Auf
die Übertretung dieser Gebote war eine Strafe von 5 Schillingen
gesetzt; Geistliche, Edelleute und Fremde waren nicht einbegriffen.
Über den damaligen Bestand der bürgerlichen und damit auch der
kirchlichen Gemeinde von St. Johann besitzen wir ein wichtiges
Zeugnis in der sogenannten Türkenschatzung des Jahres 1542,
die uns durch einen glücklichen Zufall erhalten geblieben ist. Der
verstorbene Rektor Jungk hat das Verdienst, sie wieder entdeckt
und veröffentlicht zu haben. (Mitteilungen des historischen Vereins
für die Saargegend, Heft 9, S. 149 ff.)
Der im Frühjahr 1542 in Speier versammelte Reichstag
hatte beschlossen, eiligst ein großes Heer ins Feld zu schicken, um
die Türken, die Ungarn besetzt hatten, wieder zu vertreiben. Zu
dem Zwecke wurde im ganzen Reich eine allgemeine Kriegssteuer
ausgeschrieben, zu der alle Bewohner beizutragen verpflichtet waren.
Von je 100 Gld. Vermögen mußte man einen halben Gulden
17 —
geben; wer unter 100 GEld. besaß, gab von je 20 Gld. 6 Kreuzer;
wer unter 20 Gld. besaß, zahlte 4 Kr. 50 Gld. Zins oder Ein⸗
kommen wurden gleich 1000 Gld. Vermögen gerechnet; also betrug
die Abgabe dj0 vom Vermögen und 1000 vom Einkommen.
Kleider, Kleinode, Silbergeschirr, und was zur Ausübung des
Berufs gehörte, wurden nicht gerechnet. Hatte aber jemand von
seinen Besitzungen mehr als 50 Gld. Einnahme, so hatte er von
dem Mehrertrag noch den zehnten Pfennig zu zahlen. Geistliche und
geistliche Stiftungen gaben von ihren Renten ebenfalls den zehnten
Pfennig, Knechte, Mägde und andere Diener, die unter 15 Gld.
Lohn hatten, von jedem Gld. 1 Kr. Befreit von der Steuer
war der Adel und die Geistlichen in den Städten. Claus von
Widersdorff und Wolff von Gichenbach waren keine Adeligen,
sondern zugezogene Freie vom Lande, die nach ihrer Herkunft
benannt waren. In dem folgenden Verzeichnis werden die Be—
wohner der Stadt Sankt Johann mit ihren Beiträgen aufgeführt.
Der Gulden (fl. — florin) hatte 60 Kreuzer oder 15 Batzen.
Ein Ort war ein Viertelgulden.
Die Stat Sannt Johann.
Conntz lauwer.. .1fl. RKalbfleisch tochter . .4 fl.
Hanns sin knecht . .3 kr. Synn knecht. . . 43 br.
Lude.... 3 ort Hanns hach... .4btz.
Guckenn nichel.. .6kr. Peter schuwmacher. 215 btz.
Peter krieger. ..7k:r. Synn knecht. .. 5kr.
Thielenn mathis cleßgin 1 fl. Die magt. .. 2 kr.
Kreyß...16tz. Reynnhart metzger . 5 bth.
Heintz karcher. .. 71 btz. Hanns schumacher. 2btz.
Mathis sin knecht . .9 kr. Jacob synn sonn ..1 btz.
Synn magt 3 kr. Oberlins Margret. .2btz.
Kuw ketgin. A Scheffer hansen frauw 1 btz.
Mor hennrich ...ort Claus pfeiffer.. 71 btz.
Jakob wagenner. 1 ort Maxmin sin knecht. .2 kr.
Cristmann 71 btz. Synn magt... 43kr.
Conne .. Ibtz. Keller hammann 1 fl. 1 ort
Paulus 2 btz. Kruß hennrich .. .4 btz.
Becker hanns 3 btz. Reutters barbel.. .1 fl.
9
12
Lux karcher....2btz.
Claus von widerstorff . 4 btz.
Hanns weber .. 11 btz.
Hanns wagener ...1 ort
Lamprecht schmit. ...3 ort
Lorenntz sin knecht. .1btz.
Conne sin ander knecht 3 kr.
Lickhanns. .. 71, btz.
Synn magt .2 kr.
Lorenntz. 41. btz.
Keller klaus .. 413 btz.
Peter schmits frauw 1 btz.
Remeigs nickel . . 1Iß fl.
Synn knecht. .. 314 btz.
Synn magt... .2kr.
Hamman lauwer . .4 fl.
Hanns scherer ..1 ort
Jacob schumachers
frauw ... 71 btj.
Hamman scherer.. 71 btz.
Tanchers hanns.. 714 btz.
Tanchers Jacob. . 71 btz.
Iyssenn lorentzen frauw 1 btz.
Fuchs hanns. .. .1 btz.
Kleyn peter 7145 btz.
Marx .. 3 fl.
Alexander. 1 fl.
Hanns schmit. .3 btz.
—A
Sieffrit Lauwer vnnd sin
schwiger. . .. 114 fl.
Jorig sin knecht. ..7 kr.
Kuw otilig.... 2br.
Schneyders Elße. .6kr.
Frumeßer...1fl.
Viox Seyller... .btz.
Sannt Johanns Bruder-·
schafft.. 10 fl.
Connrat becker .1 fl.
Synn knecht. 3 kr.
Synn magt .2 kr.
Hanns taglonner . 1s btz.
Felix ferge .3 btz.
Joist schmit. . . 11 btz.
Bannbecher..31 btz.
Meintzweillers peter 214 fl.
Synn Knecht. .. .9kr.
Synn zwo magd yede
—A
Lomppen hengin. ..3 btz.
Peter schiffmann. 10 fl.
Cleßgin Wagner. 2 btz.
Frolichs Jacob 4 btz.
Cleßgin schmit 1 btz.
Müllers stoffel 2 btz.
Peter schneider 3 btz.
Synn knecht. 2 kr.
Hanns müller . 3 ort
Synn knecht. .. 3kr.
Gyppen hansen frauw 15 btz.
Rebhannsen frauwe. 45 btz.
Cuntzen keth jr tochter 2btz.
Hanns waell....2btz.
Heintz schneiders frauw 2btz.
Wyrich....5br.
Sonntag. . . . 2he btz.
Wolff von gichennbach 49. btz.
Johannes hanns ..1 btz.
Jacob lauwers sonn 135 btz.
Hanns kuffer .. .2btz.
Kappes Jorg. 4btz.
Thieß schweynhirt .2btz.
Bastiann kuwhiert. .1 btz.
Hanns kuwhirt.. 1btz.
Elitzabeth Ertztin. . .2btz.
19
St. Johann stand an Einwohnerzahl und Wohlstand damals
hinter Saarbrücken zurück. Während die Steuersumme dort 148
Gulden, 1 Batzen und 2 Kreuzer betrug, zahlte St. Johann nur
57 Gulden, 11 Batzen und 3 Kreuzer, also nicht einmal die
Halfte des Beitrags von Saarbrücken. Und während Saar—
brücken 184 Haushaltungen, 37 Knechte und 52 Mägde zählte,
hatie St. Johann nur 82 Haushaltungen, 14 Knechte und 8 Mägde.
Die St. Johannisbruderschaft bezahlte 10 Gulden; sie hatte also
das ansehnliche Vermögen von 2000 Gulden.) Der von ihr
bestellte Frühmesser bezahlte nur 1 Gulden, obgleich sein Ein—
kommen 24 Gulden betrug. Die höchst besteuerten Bürger waren
der Lauer (Gerber) Hamann und die Jungfer Kalbfleisch, die je
4 Gulden bezahlten, also auf ein Einkommen von 40 Gulden
oder ein Vermögen von 800 Gulden sich eingeschätzt hatien.
Wohlhabend waren auch die Bürger Marx und Mainzweiler, die
3 und 23j Gulden Steuern bezahlten. Dem Berufe nach zählen
wir 3 Schuhmacher, 4 Gerber, 4 Schmiede, 3 Wagner, 2 Karcher
(Fuhrleute), 2 Scherer (GBarbiere), 2 Tüncher, 1 Schneider (es
wurde wohl viel im Hause geschneidert), 2 Bäcker, 1 Bannbäcker,
1 Müller, 1 Metzger (es wurde auch im Hause geschlachtet),
1 Weber, 1 Seiler, 1 Küfer, 1 Schiffmann, 1 Fergen (Fähr⸗
mann), 1 Taglöhner, 1 (Vieh-) Ärztin, 2 Kuhhirten und 1 Schweine—
hirten, außerdem 31 Männer und 15 Frauen ohne Gewerbe, die
aber jedenfalls etwas Landwirtschaft trieben, 14 Knechte und
8 Mägde. Die Gesamtbevölkerung mag etwa 450 Köpfe be—
tragen haben. Diese Aufstellung über die Gewerbe kann
allerdings nicht als ganz genau gelten, da man bei verschiedenen
Personen im Zweifel sein mußz, ob die Bezeichnung, die dem
Vornamen beigefügt ist, z. B. Wagner, ein Gewerbe bezeichnet oder
schon zum Familiennamen geworden ist. Die meisten Handwerker
haben nur einen Personennamen, oft in einer Abkürzung oder
1) Zur Erläuterung des damaligen Gelbwertes: Bei einem Truppen⸗
durchzug im Jahre 1575 sollte 1 Malter Hafer für 13 Batzen abgegeben
werden, 1 Brot fur 2 Kreuzer, 1 Pfund Fleisch fuür 8 Pfennige, 1 Hammel
sur 1 Taler, 1 Kalb filr 1 Gulden.
20
Koseform, so Contz oder Conne für Konrad, Lude für Ludwig,
Nickel oder Clesgin oder Claus für Nikolaus, Heintz für Heinrich,
Ketgin für Katharina, Hans oder Hammann für Johannes,
Christmann für Christian oder Christoph, Lux für Lukas, Jost
für Justus, Stoffel für Christoph, Wolf für Wolfgang oder
Wolfhart, Thies für Matthias, Bastian für Sebastian usw.
Bald nach dieser Türkenschatzung wurde für die Bürger von
St. Johann eine große Verkehrserleichterung durch den Bau
einer steinernen Saarbrücke geschaffen. Kaiser Karl V. kam
mehrmals auf der Reise von oder nach den Niederlanden durch
unsere Städte. Im März 1546 wurde er durch Hochwasser
mehrere Tage aufgehalten, da die Überfahrt mit dem Schiffe zu
gefährlich schien. Dieser unfreiwillige Aufenthalt des Kaisers gab
den Anlaß zu dem Bau der jetzigen alten Brücke, der in den
Jahren 1546 bis 1548 auf Befehl des Grafen Philipp II. mit
großen Schwierigkeiten ausgeführt wurde und ohne die Fronfuhren
der Untertanen 20000 Gulden, eine gewaltige Summe für jene
Zeit, kostete.
Im Jahre 1548 verlangte Graf Philipp II. von dem Stift,
daß es einen Pfarrer in Saarbrücken bestelle, der seine Einkünfte
aus den Stiftgefällen beziehen und in der Stadt seinen ständigen
Wohnsitz haben sollte. Das Stift weigerte sich, darauf einzugehen,
weil kein Chorherr und Pfründner außerhalb des Stiftes wohnen
dürfe. Hierüber und über einige andere Punkte kam es zu einem
Streit, in dessen Verlauf sich das Stift mit einer Beschwerde an
den Kaiser Karl V. wandte. Dieser übertrug die Entscheidung
dem Bischof Erasmus von Straßburg, der die Herren von Helmstatt
und von Schwarzenburg als Schiedsleute bestimmte. Am Samstag
nach St. Lorenzen Tag (10. August) 1549 kam ein Vertrag
zustande, durch den bestimmt wurde, daß das Stift den Kanoniker
und Curatus Johannes Wald dem Grafen als Pfarrherrn zu
Saarbrücken präsentieren solle. Dieser sollte Tag und Nacht in
Saarbrücken bleiben und seine Pfründe aus dem Stift beziehen
wie ein anderer; „nach ihm einen andern, also für und für zu
ewigen Tagen, so oft von nöten, jederzeit einen, der geschickt und
dem Volk verständlich sei“ Damit wurde die Pfarrei Saarbrücken
begründet. Die Kapelle in St. Johann wurde nach wie vor
durch einen Kaplan bedient.
Mit dieser Entscheidung aber war der Streit des Grafen mit
dem Stift noch nicht beendet, sondern er setzte sich unter dem
Nachfolger des Grafen Philipp II., dem letzten katholischen Grafen
Johann IV. fort.
2. Die Einführung der Reformation.
Die Reformationsbewegung, die durch das Auftreten Luthers
hervorgerufen wurde, blieb nicht ohne Wirkung auf die Bevölkerung
der Städte, wie wir aus einer Verordnung des Grafen Johann
Ludwig vom Jahre 1528 ersehen. Der Graf, welcher jeder
Neuerung abgeneigt war, gebot allen Priestern und Untertanen
aufs strengste, seinem ernstlichen Willen und Befehle nachzukommen.
Er machte sodann die Verringerung der Feiertage bekannt, die
auf dem Regensburger Reichstage 1524 beschlossen worden war;
es blieben noch 28 Feiertage, nämlich der Christtag, St. Stephans⸗
tag (26. Dezember), St. Johannestag (27. Dezember), Unschuldig
Kindleinstag (28. Dezember), Neujahrstag, hl. Dreikönigstag
(6. Januar), Ostertag mit zwei folgenden, Uffartstag (Himmelfahrt),
St. Georgentag (24. April), Pfingstitag samt zwei Tagen,
Fronleichnamstag; die vier hochzittlichen Feste unser Frauen, nämlich:
Lichtmeß (2. Februar), Verkündigung (25. März), Himmelfahrt
(15. August) und Geburtstag (8. September), 12 Botten⸗Tag
Aposteltag (15. Juli), St. Joh. d. Täufertag (24. Juni), Mar.
Magdalena (22. Juli), St. Lorenzen (10. August), St. Michels
(29. September), Allerheiligen (1. November), St. Martin
—
22
(10. November), St. Niklas (6. Dezember), St. Kathrinentag
(25. November). Sodann aber ermahnt der Graf alle Untertanen,
an allen „hochzittlichen Tagen“, d. h. an den hohen Festen, die
„vier ufgesetzten Opfer“ darzubringen bei 10 fl. Strafe. Auch
sollten die Untertanen, wenn der Pfarrer auf die Kanzel geht,
„das Evangelium und Gottes Wort zu verkünden,“ nicht aus der
Kirche gehen und auf dem Kirchhof spazieren.
Wir ersehen hieraus, daß in der Bevölkerung Gleichgiltigkeit
gegen den hergebrachten Gottesdienst eingerissen war, und daß
anderseits man doch gewisse Zugeständnisse machte, wie Verminderung
der Feiertage und Einführung der Predigt. Die Priester mußten
sich vor ihrer Bestätigung dem Grafen gegenüber verpflichten,
die Pfarrkirche nicht zu „permutieren noch zu übergeben durch
keinerlei Gewalt päpstlicher oder weltlicher Oberkeit ohne Wissen
und Verwilligung des gnädigen Herrn, sonder selber Residenz
darauf zu thun“.
Während die Grafen Philipp II. und Johann IV. als treue
Anhänger des habsburgischen Hauses an der alten Lehre festhielten,
drang die Reformation mehr und mehr nach den Grenzen der
Grafschaft Saarbrücken vor. In dem benachbarten Zweibrücken
war das evangelische Bekenntnis schon 1522 zur Herrschaft gelangt,
bald nachher in der zu Saarbrücken gehörenden Herrschaft Kirchheim
und in der ebenfalls saarbrückischen Grafschaft Saarwerden; die
nächstverwandte und nach Johanns IV. Tode zur Erbfolge
berufene Weilburger Linie gehörte zu den eifrigsten Anhängern
des neuen Glaubens. So war die Einführung der Reformation
nur eine Frage der Zeit. Aber nicht durch Gebot der Grafen,
sondern durch eigenen Entschluß der Untertanen verbreitete
sie sich. Der protestantische Gedanke wurde gefördert durch
die Haltung der Arnualer Stiftsherren, welche die Pfarr—
stellen in Saarbrücken und St. Johann durch Kapläne und
Frühmesser versehen ließen, selbst aber ein beschauliches und durch—
aus nicht kanonisches Dasein führten. Von den Stiftsherren wurde
an den Grafen das Ansinnen gestellt, die Priesterehe und das
Abendmahl unter beiderlei Gestalt zuzulassen, doch der Graf ver—⸗
weigerte dies und schritt gegen die Widerstrebenden mit Gewalt
Q
—2
ein. Infolge dieser und anderer Streitigkeiten wurde das Stift 1569
aufgelöst. Der Dechant wurde gefangen genommen und verjzichtete
am 22. Juli auf seine Würde, die Chorherren erhielten bestimmte
Pfarren zugewiesen, und das Vermögen wurde der landesherrlichen
Verwaltung unterstellt. Gleichzeitig faßzte in den Städten die neue
Lehre festen Fuß.
Die Nachrichten hierüber sind sehr spärlich. Der Superintendent
Georg Keller, der als Zeitgenosse (geb. 1555) Glauben verdient,
berichtet: „In den Jahren 1565—1567 unter der Regierung
weiland des Grafen Johannsen, welcher vor seiner Person papistisch
gewesen, haben die Stiftsherrn zu St. Arnual mit Vorwissen der
Herren Räte, unter welchen Herr Samson Herzog der fürnehmste
gewesen, die Messe und also das Papsttum fallen lassen und an—
gefangen, das Evangelium rein und lauter zu predigen, und ist der
erste evangelische Prediger allhier gewesen Herr Bartholomäus
Kilburg von Bitburg. Als derselbige neben andern Stiftsherrn
darum, daß sie sich verheiratet, dieses Ortes weichen müssen, ist
ihm succediert Herr Petrus Zophaeus) von Lützelburg. Und
nachdem derselbe um gleicher Ursache willen hier abziehen müssen,
ist ihm nachgefolgt und von Straßburg anhero von den Herren
Räten berufen worden Herr Johann Rüdinger, vwelcher in die
30 Jahr den Pfarrdienst löblich und wohl versehen hat.“
Die Kapelle in St. Johann versah im Jahre 1569 der
Schulmeister Maternus von St. Arnual. Wir erfahren, daß er
mit den Chorherren um „gebürliche Kompetenz“ verhandelte — er
war also ebenfalls nur Kaplan — und verlauten ließ, daß er sonst
nicht bleiben werde. Er blieb auch nicht; die Ahnung der Stifts—
herren, die sie in einem Schreiben an den gefangenen Dechanten
kund gaben, „daß ein Anderes daraus kommen möchte,“ betrog
sie nicht: in demselben Jahre 1569 wird als evangelischer Pfarrer
in St. Johann Jakob Itzstein genannt. Die Bürgerschaft hatte
sich also der neuen Lehre zugewendet. An Itzsteins Stelle kam
1571 Achatius Stark von Straßburg; sein Nachfolger wurde
nach zwei Jahren Johann Ruß, ebenfalls von Straßburg.
1) Er. war vorher Kaplan in St. Johann.
5
Durch diese Prediger wurde die Messe abgeschafft und der
Gottesdienst nach dem protestantischen Ritus umgestaltet. Der Graf,
gealtert und, wie es scheint, religiös ziemlich gleichgültig, liefz es um
so mehr geschehen, als seine Erben die protestantischen Grafen Albrecht
und Philipp von Weilburg waren. Ein Zeugnis dafür, in welcher
Weise der Gottesdienst abgehalten wurde, besitzen wir in einer
Verordnung, die Graf Johann aus Anlaß einer ansteckenden
Krankheit am 28. Juli 1574 ergehen liefz. Es wurde damals
verordnet, „daß in allen Städien, Flecken, auch Dörfern, wo die
böse Luft eingerissen oder regieren werde, bis auf Abstellung alle
Kirchendiener, die uff ihrer Pfarre sitzen und wohnen, neben den
Sonn⸗- und Feiertagspredigten und Kinderlehre hinfüro in der
Wochen nur eine Predigt uff Mittwochen und anstatt der Freitags⸗
predigten alle Werktage in der Woche, des Morgens um fünf
und des Abends um sieben Uhren, ihr Früh- und Abendgebet
neben kurzer Ermahnung oder Auslegung eines Psalmen aus den
Propheten, David usw. halten und ein Zeichen läuten lassen, damit
jeder Bürger und sein Hausgesind sie besuchen möge. Und welche
Pfarrherrn nit bei ihren Kirchen sitzen, die sollen uff ihren Pfarren
(Filialen) alle Woch einen Bettag verkünden und halten und die
Untertanen fleißig ermahnen. Und damit in diesen Geschwind⸗
krankheiten die Buße nit bis uff die letzte Stunde verspart, die
Pfarrherrn auch bei der Menge der Kranken nicht allerwegen
dürften erfordert werden, niemand aber des Trostes und Nacht—
mahles entbehren möchte, sollen die Pfarrer alle 14 Tage in der
Kirchen das Nachtmahl des Herrn Jesus verkünden und reichen,
und soll hier in beiden Städten alternative ein Sonntag nach dem
andern geschehen und um der Menge des Volks willen der
Diakonus helfen, damit nit Not sei in Stunde der Gefahr zu
einem jeden zu gehen, es wäre denn, so einer des Pfarrherrn
begehr oder aus Phaniaseien in letzter Stunde berufen würde.“
Also keine Messe und keine Anrufung der Heiligen mehr,
sondern Predigt, Vermahnung und Gebet; keine Olung, sondern
Nachtmahl des Herrn Jesu — das ist der offenkundige evange—
lische Gottesdienst.
*5
Wenige Monate später, am 23. November 15741), wurde
Graf Johann IV. zu seinen Vätern versammelt, und Graf
Philipp III., der protestantisch erzogen war und in Jena studiert
hatte, wurde sein Nachfolger in der Grafschaft Saarbrücken.
Am Neujahrstage 1575 ließ er in allen Kirchen des Landes das
Evangelium predigen und die Messe abstellen; der Hofprediger
M. Gerhard Beilstein wurde mit der Visitation der Gemeinden
betraut. Wenn die Pfarrer sich zur Augsburger Konfession bekannten,
wie in Saarbrücken und St. Johann, so wurden sie beibehalten,
andernfalls evangelische Prediger eingesetzt.
Gleichzeitig wurden die Pfarrverhältnisse neugeordnet und
das Einkommen der Prediger, wo es nötig schien, erhöht. Dem
Pfarrherrn zu St. Johann sollten „uff beschehen Anhalten“ zu
seiner früheren Besoldung 15 Gulden von der Bruderschaft zu
St. Johann und vom Stift St. Arnual 5 Malter Weizen, 5 Malter
Korn und 8 Malter Hafer geliefert werden. Sein Gesamtein—
kommen betrug im Jahre 1581: 45 Gulden, 20 Malter Weijzen,
20 Malter Korn, 20 Malter Hafer, 2 Viertel (50) Fische,
24 Kapaunen und 20 Hühner. Hierzu kam freie Wohnung,
Kasualien (Gebühren für außergewöhnliche Amtshandlungen wie
Taufen, Trauungen und Beerdigungen) und wohl auch freies
Holz. Damit erst war eine besondere Pfarrei in St. Johann
begründet. Die Kirchenfabriken (Kirchenbauvermögen) wurden in
ein Corpus, die spätere Kirchenschaffnei, zusammengezogen,
damit die einzelnen Pfarreien bei Bau und Ausbesserung von
Kirchen und Pfarrhäusern einander helfen könnten.
Über die ersten evangelischen Pfarrer haben wir nur einzelne
Nachrichten. Der Superintendent Gebhard Beilstein waltete bis
zum Jahre 1613 seines Amtes. Unter ihm wirkte in Saarbrücken
1) Auf seinem Grabmal in St. Arnual steht die Jahreszahl 1573, doch
ist dies offenbar ein Fehler des Steinmetzen, da die obige Verordnung des
Grafen das Datum 28. Juli 1574 trägt. Auch noch andere Zeugnisse liegen
vor. Vergl. meine Geschichte der Grafschaft Saarbrüden JI2 S. 215 Anm. 2.
Das Grabmal ist erst am Anfang des 17. Jahrhunderts errichtet worden.
Grabdenkmal Graf Philipps III. und seiner Gemäahlinnen Erika von
Manderscheid und Elisabeth von Nassau-Katzenelnbogen
in der Stiftskirche zu St. Arnual.
7
als Pfarrer Johann Rüdinger, der 1601 seines Alters wegen
sich auf die Pfarrei St. Arnual versetzen ließ. Auf ihn folgte
M. Georg Keller, früher Pfarrer zu Saarwerden, der nach Beilsteins
Tode (1613) Superintendent wurde. In St. Johann wirkte
Magister Johann Ruß aus Straßburg bis zum Jahre 1602.
Zur Stütze der städtischen Pfarrer wurde ein Diakon als
Hilfsprediger angestellt. Als solcher ward genannt Philipp Dudler,
Kellers Schwiegersohn, sodann Georg Keller junior, der danach
Pfarrer zu St. Johann wurde.
Das Werk der Kirchenreform wurde von dem Grafen
Philipp III. durch die Einführung der nassauischen Kirchen—
ordnung abgeschlossen, die schon 1574 erlassen war und 1576
bei Sigmund Feyrabend in Frankfurt a. M. in Druchk erschien;
sie gab genaue Vorschriften über den Gottesdienst und jegliche Art
von kirchlichen Handlungen; ja, sie regelte das ganze Leben der
Gemeinde auf kirchlicher Grundlage. Es wird den Superinten⸗
denten und Predigern eingeschärft, bei der reinen Lehre, wie sie
in der Schrift, den drei bewährten Symbolen und dem Augsburger
Glaubensbekenntnis ausgesprochen sei, getreulich zu verharren;
sodann sollten sie des ärgerlichen und gefährlichen Disputierens,
wie es damals von vielen Geistlichen geübt wurde, sich enthalten
und dem Volke die wahre Religion ohne Spitzfindigkeit lehren.
Wenn einer unreine, ärgerliche Lehren verbreitete, so sollte er ermahnt,
im Wiederholungsfalle mit Geldbuße bestraft oder entlassen werden.
Für die Pfarrstellen sollten nur sittlich und wissenschaftlich
taugliche Prediger bestellt werden; über ihre Fähigkeit hatten die
Superintendenten ein schriftliches Zeugnis auszustellen. Auch die
sonstigen Kollatoren durften nur geeignete und würdige Personen
präsentieren; falls sie die Pfarrei länger als 2 Monate unbesetzt
liefzen, so sollte der Superintendent Macht haben, selbst sie
zu bestellen. Die Superintendenten sollten einmal im Jahre die
Pfarrei revidieren und darauf achten, daß das Pfarrgut nicht ver⸗
mindert werde. Den Kollatoren wurde verboten, von den Präsen⸗
tierten irgend ein Entgelt anzunehmen. Zweimal im Jahre sollten
die Pfarrer zu gemeinsamer Besprechung unter Leitung des Super—
intendenten zusammenkommen. Auch die Besserung der Sitte ließ
3
4
Grabmal der Gräfin Anna Maria von Sessen, der Gemahlin des
Grafen Ludwig, ihres Sohnes Philipp und ihrer zwei Töchter.
29 —
die Regierung sich angelegen sein. Den Untertanen wurde fleißiger
Besuch des Gotlesdienstes eingeschärft; die Lässigen sollten von
den Pfarrern und ltesten ermahnt werden; halfen die kirchlichen
Strafen nicht, so sollten die Widerspenstigen „eine ziemliche Geltstraff“
von etlichen Weißpfennigen, die in den Gotteskasten kommen sollten,
erlegen oder auch einen Tag oder etliche in bürgerliche Haft und
Gefängnis kommen. Auch das Spazierengehen auf dem Kirchhofe
während der Predigt und „unnützlich Schwatzen“ daselbst sollte
mit 4 Weißpfennigen bestraft werden; das Fahren am Sonntag
vor oder während der Predigt wurde bei Pön zweier Gulden
verboten. Für das bürgerliche Leben wurde strenge Ehrbarkeit
vorgeschrieben. Die Kirmessen, bei denen es leichtfertig und wüst
hergehen mochte, wurden gänzlich verboten; den Pfarrer, der eine
Kirmes hielt, sollte Amtsentsetzung, die anderen hohe Geldstrafe
treffen. Die Sonntagstänze, besonders während der Predigt und
Kinderlehre, dazu „andere leichtfertige Üppigkeiten, so nach heidnischer
Weise zur Fastnacht, Walpurgis, Pfingsten, Johannistag und
anderen Zeiten mehr durch's Jahr vom gemeinen Mann geübet
und fürgenommen werden“, sollten gänzlich verboten sein. An
Hochzeiten dagegen war das „ziemliche“ Tanzen gestattet, doch nicht
unter der Predigt oder zu der Zeit, wenn man den Katechismus
hält), dazu „ehrlicher Weise‘. Die Beamten sollten redliche
Personen verordnen, die bei den Tänzen sein und darauf achten
sollten. Wahrsagen und sonstiger Aberglaube, Gotteslästerung,
Trunkenheit und sittliche Vergehen sollten streng geahndet, Wieder—
täufer des Landes verwiesen werden, doch wurde ihnen Zeit
gelassen, ihre Güter zu verkaufen.
Die gleichzeitig herausgegebene Agende enthält genaue
Vorschriften über die Ordnung des Gottesdienstes und über die
Ausführung der Visitationen. Die Zahl der Feiertage wurde
1) An der Katechismuslehre mußten auch die Erwachsenen teilnehmen;
nach der Kirchenordnung Graf Ludwigs sollte keine Person zum Abendmahl,
als Gevatter bei der Taufe oder zur Ehe zugelassen werden, falls sie nicht die
75 Hauptstücke des Katechismus kannte.
30 —
beschränkt, doch war sie gröfzer als heutzutage. Außer den noch
jetzt geltenden hohen Festtagen sollten als Feiertage Epiphanias
(6. Jan.), Mariä Reinigung (2. Febr., Mariä Empfängnis
(25. März) und Trinitatis gehalten werden.
Am 3. Weihnachts-, Oster⸗ und Pfingsttage, an Mariä
Heimsuchung (2. Juli), Johannis, Michaelis und Aposteltag
(15. Juli) sollte nur eine Predigt gehalten werden, nach Mittag
das Volk aber wieder zu seiner Arbeit gehen. Dazu kam in
jedem Monat ein Bußtag; auch sollte innerhalb der Woche in den
Städten wenigstens zweimal, auf dem Lande einmal gepredigt
werden. Gesang, Gebet und Predigt sollten deutsch sein; nur in
den Städten war zu Anfang und zur Vesper ein lateinischer
Psalm gestattet. Alle Gesänge sollten möglichst kurz sein, damit
das Volk nicht vor der Predigt mit Überdruß erfüllt werde. Die
Predigten sollten klar und verständlich sein; im Hauptgottesdienst
sollten sie nicht länger als *4, höchstens eine Stunde, sonst nur
u Stunde dauern. Weitere Vorschriften betrafen besonders die
Konfirmationen und die Visitationen, die im Einzelnen genau
geregelt wurden. Diese strenge Ordnung des Gemeindelebens
war in dieser Äbergangszeit, wo nach der Lösung der früheren
Fesseln manche Spuren von Verwilderung sich zeigten, durchaus nötig.
Es liegt am Tage, wie sehr die landesherrliche Macht des
Grafen durch seine nunmehrige Stellung als oberster Bischof der
Landeskirche gestärkt wurde. Erst durch das Kirchenregiment, die
Aufsicht über das Kirchengut und die Übernahme der bisherigen
Aufgaben der Kirche, wie Unterricht und Armenpflege, wurde die
Landeshoheit zum Abschluß gebracht.
Auch die Verbesserung des Schulwesens ließ sich Graf
Philipp angelegen sein. 1576 erging die Verordnung, daß auf
der Schule in Saarbrücken neben dem Deutschen auch das Latein
gelehrt werden sollie.
Übrigens gehörte Graf Philipp keineswegs der extremen
lutherischen Richtung an, die eben damals (1577) durch die ab—
schließende Konkordienformel statt Einigung dauernde Zwietracht
31 —
zwischen den Evangelischen hervorriet. Im Verein mit den
übrigen wetteraurischen Grafen lehnten die Nassauer es ab, die
Konkordie zu unterschreiben.
Die Frömmigkeit und kirchliche Gesinnung des Grafen
Ludwig, der dem Grafen Philipp III. in der Regierung folgte
(1602 -1627), wird von seinem Biographen Dr. Werner sehr
gerühmt. Wie dieser erzählt, war Graf Ludwig beim Klange der
Sonntagsglocken der erste, der mit seinem ganzen Hause zur
Kirche ging; der Predigt folgte er mit großer Andacht und
wohnte dem Gottesdienste und dem Abendmahle bis zum Ende
bei. Sein Amt als oberster Landes-Bischof nahm er mit großer
Gewissenhaftigkeit wahr. Jeder Kandidat, der um eine Pfarr⸗
stelle sich erwarb, mußte sich in die jeweilige Residenz nach
Saarbrücken, Ottweiler oder Saarwerden begeben und dort in
der Schloßkirche vor dem gesamten Hofstaat nach dreimaliger
Verbeugung gegen den gräflichen Stand die Probepredigt halten,
in der es an lateinischen Citaten und Ausfällen gegen Rom und
die Sektierer nicht fehlen durfte. An seinem Hofe hatte er
gewöhnlich einen Geistlichen, der an der Tafel die Tischgebete zu
sprechen und die Seelsorge auszuüben hatte.
Auf die Sonntagsheiligung wurde streng gehalten. Während
des Gottesdienstes durften die Metzger kein Fleisch aushauen, die
Tore der Stadt blieben geschlossen, und die Schlüssel wurden
während dieser Zeit von dem Bürgermeister verwahrt. Die Be—
setzung der städtischen Ämter wurde von Pfingstmontag auf den
nächsten Mittwoch verlegt, damit niemand Ursache hätte, den
Gottesdienst zu versäumen.
Im Anfange des Jahres 1617 ließ der Graf alle
Superintendenten und Inspektoren seines Landes nach Saar—
brücken berufen, um über eine Jubelfeier der Reformation und
eine neue Ausgabe der nassauischen Kirchenordnung zu beraten.
Die Feier fand am ersten Sonntag nach dem Reformationstage
(2. November) statt; dabei wurde in allen Pfarreien ein für
diesen Tag besonders verfaßtes Kirchengebet verlesen. Die 1618
32 —
neu herausgegebene und erweiterte Kirchenordnung) läßt erkennen,
wie sehr es das Bestreben des Grafen war, die kirchlichen und
sitllichen Zustände in der Grafschaft zu verbessern. Die Leitung
der geistlichen Angelegenheiten war einem Kirchenrat übertragen,
der aus dem Superintendenten und aus weltlichen Räten bestand;
der Amtsbezirk des Superintendenten war wieder in Inspektionen
zerlegt. Die Kirchenzucht und die Aufsicht über das Pfarr—
vermögen hatte der Kirchenvorstand, der aus den Geistlichen und
den angesehensten Gemeindemitgliedern (Senioren) bestand. Regel—
mäßige Synoden der Geistlichen und Visitationen der Kirchen
sollten die Reinheit der Lehre und die Strenge der Zucht
bewahren.
In den „Erläuterungspunkten“, die den Anhang der
Kirchenordnung bildeten, wurde folgendes bestimmt:
Die angehenden Prediger wurden von dem unter Vorsitz
und Leitung des Superintendenten versammelten Presbyterium
(Versammlung der Pfarrer) geprüft, darauf vor dem Landesherrn
(einige Male auch in Gemeinschaft mit dem Presbyterium) berufen,
der Gemeinde, vor der sie gewöhnlich zu predigen hatten, vorgestellt,
ordiniert und eingeführt. Solcher Prüfung waren alle Kandidaten
1) Ordnung und Reformation unser Ludwigs Graven zu Nassau,
zu Sarprüchen und zu Sarwerden, Herrn zu Loher, Wiesbaden und Idstein,
wie es in unser Grave⸗ und Herrschafften, nicht allein im Kirchenregiment von
unsern Visitatorn vnd Predicanten mit der Lehr, ihrem Leben vnd Wandel,
Visitation der Pfarren, annemung vnd beurlaubung der Predicanten, vbung
deß Catechismi vnd der gleichen, sondern auch sonsten in andern zur Abschaffung
allerhand Aberglaubens, Rotten vnd ärgerlichen Lebens, auch beförderung
Christlicher Zucht vnd Ehrbarkeit vnd Erhaltung guter Polizey dienlichen
Studen als mit Crystallsehern, Zauberern, Widertäuffern, Kirmessen, Sonntags⸗
täntzen, Gotteslästerern vnd Vollsäufern, auch in etlichen Ehrfällen vnd mit
straff der Vnzucht vnd des Ehebruchs gehalten werden soll. Gedruckt zu
Gießen durch Caspar Kemlein, 1609. Kirchenordnung, wie es mit der
christlichen Lehre und Ceremonien etc. in unsere Ludwigs Grafens zu Nassau etc.
Grafe⸗ und Herrschafften gehalten wird. Anfänglich gedrudt zu Frankfurt am
Mayn bei Joh. Nic. Stoltzenberger anno 1618, hernach zu Zweibrücken bei
Joh. Burchhard Quantz 1625. Neugedruckt von Adam Zeller, Zweibrücken 1699.
33 —
unterworfen, selbst die von auswärtigen Patronen gesandten;
gewöhnlich wurden sie von Saarbrücken aus zugeschickt.
Bei der Disziplinierung der Geistlichen erfolgte zuerst eine
Vermahnung des Superintendenten, sodann in schweren Fällen
ein brüderlicher Beweis (correptio fraterna) vor versammelter
Synode. Eine härtere Strafe war die Ausstoßung aus dem
synodo. In sehr schweren Fällen erfolgte die Enthebung aus
dem Amte auf eine gewisse Zeit oder die völlige Entfernung aus
dem Amte. Die beiden letzten Strafen wurden von dem Super⸗
intendenten mit Vorwissen der Landesherrschaft vollzogen. Zuweilen
mußten auch Pfarrer von der Kanzel Abbitte tun vor versammelter
Gemeinde.
Den Superintendenten wurde zur Pflicht gemacht, die Pfarrer
fleißig zu beaufsichtigen. Bemerken sie grobe Fehler an ihnen, so
sollen sie zuerst unter vier Augen, dann auf der Synode dieselben
verwarnen oder von der Besoldung etwas abnehmen, um es den
Armen zu geben oder der Kirche zuzuwenden, ja zeitweilig sie
fuspendieren oder vom Amte völlig entheben. Schwerere oder
Kriminalfälle waren der Landesherrschaft vorbehalten; kein Be—
amter hatte das Recht, ohne Befehl der Landesherrschaft einen
Prediger zu verhaften.
Die Erledigung einer Pfarrstelle durfte nicht länger als
zwei Monate währen. Später wurden drei oder vier Monate
daraus. Vor Besetzung der Stelle hatte die Witwe eine Gnaden—
zeit von Jahr.
In kulturgeschichtlicher Beziehung sind die Bestimmungen
über die Kirchencensur und Disziplin recht beachtenswert. Besondere
Kirchencensoren mußten allmonatlich alles Straffällige in der Ge—
meinde anzeigen und die Bußgelder einsammeln; Beamte,
Schultheißen und Meyer waren verpflichtet, ihnen dabei Hilfe
und Schutz zu gewähren. Einige charakteristische Bestimmungen
will ich hier anführen.
Der Kirchencensor, welcher etwas Straffälliges wissentlich
verschweigt, soll einen Ortsgulden Strafe bezahlen, im Wieder—
holungsfalle alle seine Ehrenämter verlieren. Die eine Hälfte der
Bußen sollte den Censoren zufallen, die andere der Kirche und
9
1
den Armen zu Gute kommen. Sonntagsarbeit wurde mit
1 Ortsgulden gebüßt, ebenso die Versäumnis der Predigt. Fahren
während der Predigt außer bei besonderer Notdurft und Erlaubnis
2 Gulden, Versäumnis der Katechismuslehre 4 Albus, Sonntags-
verkauf nach Bewandtnis, vorzeitiges Verlassen der Katechismus—
lehre 4 Pfennige. Aus jedem Haus soll wenigstens eine Person
zur Predigt kommen, sonst muß der Hausvater 2 Albus erlegen.
Besuch eines Wirtshauses während des Gottesdienstes kostet einen
halben Gulden für den Gast und einen ganzen Gulden für den
Wirt. Wer nach Empfang des Abendmahls am selben Tage
ein Wirtshaus besucht, bezahlt einen Gulden Kirchenbuße. Die
Kirchencensoren sollen auf den Gassen, in Wirtshäusern, Werk—
stätten und Scheuern herumgehen und die Übertreter merken. Zur
besseren Kontrolle der Säumigen soll an Sonn- und Feiertagen
besonders in Flechken und Ortschaften vor der Kirche von Haus
zu Haus umgezählt werden.
Wer unvorsätzlich flucht, zahlt 1 Albus, wer aber gröblich
Goit lästert und flucht, andern zum Ärgernis und bösen Exempel,
zahlt 1 Ortsgulden, im Wiederholungsfalle verfällt er in ernste
obrigkeitliche Strafe. Trunkenheit soll dabei kein mildernder
Umstand sein, sondern „solch viehisch Vollsaufen“ ebenfalls mit
1 Ortsgulden gestraft werden. Hurerei und Unzucht soll mit
2 Gulden für jeden Teil bestraft werden, weitere obrigkeitliche
Strafe vorbehalten; die Verwandtschaftsgrade, welche eine eheliche
Verbindung ausschließen sollten, wurden genau festgesetzt.
„Die Spielgesellschaften und Konventikul, da mit Karten,
Würfeln und dergleichen spitzbübischer Weise um Geld und Geldes—
wert gespielt wird,“ soll man durchaus nicht dulden. Wer dabei
ergriffen wird, soll für das erste und andermal 1 Ortsgulden
erlegen. „Die Receptatores aber und die solchen Spielern,
Raßlern und Dopplern in ihrer Behausung Gewahrsam oder
sonstigen Unterschleif geben, oder die Rädlinsführer, so die un—⸗
unverständige Jugend hierzu verleiten, sollen um einen halben
Gulden oder nach Gelegenheit höher belegt sein“ Nach dem
dritten Mal kann „Turm“ und andere obrigkeitliche Mittel ver—
hängt werden.
35
Einheimische, die nach 9 Uhr in den Wirtshäusern Wein
trinken, sollen einen halben Gulden bezahlen. Das Kegelschieben
Sonntags zwischen der Morgen- und Mittagspredigt oder dem
Katechismus ist bei 3 Albus Strafe verboten; wer Kegel und
Kugel dargibt, zahlt das Doppelte. Die Hagelfeiertage,) Fastnacht,
Walpurgis und Johannisfeuer, Geläute und Glockenstreiche gegen
das Wetter, Gebete bei und über den Totengräbern sollen nicht
geduldet werden, auch nicht „übergebliebene Totenbein und genannte
Heiligen (Reliquien) wie auch Sakramenthäuslein, die man gänzlich
soll abschaffen und die Totenbein auf dem Gottesacker verscharren.“
Zusammenkünfte des jungen Volks, der Knechte und Mãgde zu
Winterszeiten in den Kunkel- oder Spinnstuben sollen bei 6 Albus
4Pfennigen Kirchenbuße verboten sein.
So griff die kirchliche Zucht fast auf alle Gebiete des
bürgerlichen Lebens über. Die sittlichen Zustände mochten wohl
in jener Zeit vielfach bedenklicher Art sein und Besserung
wünschenswert machen; anderseits war die Anstellung von be—
sonderen Kirchencensoren und ihre Belohnung mit der Hälfte der
Strafgelder nur zu sehr geeignet, Frömmelei und Denunziantentum
zu fördern.
Mehr Anerkennung verdienen die Bestimmungen über
Einsammlung von Almosen für die Armen, die Verwaltung des
Kirchengutes, Abhörung der Kirchenrechnungen und Erhaltung
von Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern. Die Kirchen sollten in
gutem, baulichem Zustande gehalten werden, bei Neubauten mußten
die Pfarrinsassen Frondienste leisten, zuweilen auch die Meister und
Arbeiter beköstigen. Die Pfarrhäuser sollten beim Einzug eines
neuen Pfarres von dem Superintendenten und dem Kirchenschaffner
besichtigt und danach in Stand gesetzt werden. Der Kirchhof sollte
mit einer Mauer umfriedigt und darauf gehalten werden, daß
niemand aus der Gemeine seine Schafe, Kühe, Pferde und Säue
darauf treibe.
1) Der Hagelfeiertag war der Tag der Wetterherren Johannes und
Paulus, 26. Juni.
Von der Bedeutung der Schule für die Erziehung des
Volkes überzeugt, schrieb Graf Ludwig vor: „wo Schulen vom
Glockenampt und andern Gefällen uffgericht, daselbst soll jedes
Pfarrvolk mit Zuthun deren Filialen bequeme Schulhäuser vor
Schulmeister und ihre eigenen Kinder mit schuldiger Dankbarkeit
erbauen und im Bau erhalten“. Die Visitatoren sollten dem
Unterrichte beiwohnen und auf die Fortschritte der Kinder Acht
haben. Wenn Eltern aus Kargheit oder andern untauglichen
Ursachen ihre Kinder nicht zur Schule schickten, sollten sie gleichwohl
das Schulgeld zu entrichten schuldig sein und dessen erinnert
werden. Niemand sollte ohne Erlaubnis der Visitatoren seine
Kinder aus der Schule nehmen. Armen Schülern und „fähigen
Ingeniis, die für andern zu den Studiis tüchtig“, sollte aus dem
Kirchenvermögen, wenn möglich, eine Beisteuer gegeben werden.
Im Jahre 1604 erhob Graf Ludwig die Lateinschule in Saar—
brücken zu einem Gymnasium, an dem allezeit außer dem deutschen
Schulmeister fünf „Gottesfürchtige exemplarische und in guten
Künsten und Sprachen erfahrene Männer, die der reinen
ungeänderten Augsburgischen Konfession aufrichtig zugetan“ seien,
wirken sollten.)
Gleichermaßen suchte Graf Ludwig der Verschwendung und
den übermäßigen Gastereien zu steuern, die in jener Zeit besonders
bei Verlöbnissen, Hochzeiten, Kindtaufen und Leichenbegängnissen
im Schwange waren. Der Wohlstand scheint damals hier zu
Lande wie auch im übrigen Deutschland groß gewesen zu sein
und zu allerlei Üppigkeit verführt zu haben. Bei Verldbnissen
(Handstreich) sollen nicht mehr als 2 Tische zu je 10 Personen
erlaubt sein bei Strafe von einem halben Gulden für jede über—
zählige Person. Es soll dabei nicht mehr als eine Mahljzeit
angerichtet werden bei Strafe von 5 Gulden. Auf Hochzeiten
sollen nicht mehr als 5 Tische erlaubt sein, Herrendienern, auch
vornehmen Rats- und Gerichtspersonen 6 Tische, ungerechnet
Kutscher und Diener. Die Mahlzeit soll nicht länger dauern als
1) Stiftungsbrief des Gymnasiums vom 10. Dezember 1620.
F
von 6—10 Uhr. Das Suppenholen der Einheimischen und das
Zuhauseholen von Speise und Trank soll abgeschafft sein, ebenso
das Austeilen der Schnupftücher vor dem Kirchgang außer bei
den Brautführern an solchen Orten, da die Verehrung von Hand—
schuhen nicht Herkommen. Die Zeit des Kirchgangs soll genau
eingehalten werden; kommt der Hochzeiter eine Viertelstunde zu
spät in die Kirche, so soll der Pfarrer die Kopulation an diesem
Tage nicht vornehmen, sondern verschieben. Die Mittagsmahlzeit
soll an den beiden Hochzeitstagen nicht über 4 Uhr dauern, doch
soll denen, die noch Lust zum Trunk haben möchten, derselbe
dadurch unversaget sein. Beim Tanzen soll Zucht und Ehrbarkeit
gehalten, auch kein Gezänk erhoben werden. Ungeladene oder
deren Knechte und Mägde sollen der Hochzeitstänze müßig gehen
oder davon in Gewahrsam oder ins Narrenhaus geführt
werden. Trunk soll nicht über 11 Uhr gereicht werden und
die Wacht den Gästen die Zwölf-Uhr anzeigen,' damit die
Spielleute aufhören. Das Gesinde und die Kinder der Gäste,
so nicht namhaft geladen, sollen nicht an den Hochzeitstischen sich
aufhallen, damit nicht die Tische dessen, was daraufgesetzt worden,
zu Schimpf des Hochzeiters leer gemacht werden. Ungeladene, die
so unverschämt sein, daß sie doch zuschlagen, sollen ins Narrenhaus
geführt oder nach Gelegenheit um 6—12 Albus gestraft werden.
Der Hochzeitsschank (Geschenk) soll bei Bürgern und Bauern
nicht über einen Goldgulden, bei Standespersonen nicht über einen
Dukaten sich belaufen. Das Silbergeschirr-Verehren soll nur
Standespersonen gestattet sein. Jungfrauen oder Mägdlein sollen
nicht über einen halben Reichsthaler ins Becken verehren, es seien
denn die neuen Eheleute nächste Verwandte. Das Brautstück—
Verehren soll auch bei den nächsten Verwandten unter Einheimischen
abgeschafft sein; nur den Freiern sich dankbar zu erzeigen, soll
gestattet sen. Mit zwei Tagen soll die Hochzeitsfeier geendigt
sein, nur die fremden Hochzeitsgäste sollen am dritten Tage mit
einem kurzen Frühmahl abgefertigt werden. Einheimische, die
nicht zu den nächsten Verwandten zählen, sollen, wenn sie sich am
dritten Tage noch aufhalten, in 5 Gulden Strafe verfallen sein;
der Hochzeithalter zahlt in diesem Falle 20 fl. Strafe. Den
33 —
Aufwärtern und ihren Weibern soll am dritten Tag noch eine
Abendmahlzeit, aber nicht länger als von 4510 Uhr gegeben
werden dürfen, und wird es freigestellt, Pfarrherrn und Schultheißen
mit ihren Hausfrauen dazu zu laden. Die Pfarrherren und ihre
Hausfrauen sollen des Hochzeitsgeschenkes ledig sein und mit
dem Aufstehen zur rechten Zeit allen mit gutem Beispiel vorangehen.
Ein inländischer Koch soll nicht mehr als einen Gulden für
den Tag bekommen und sich die Häute und Felle von dem
geschlachteten Vieh nicht anmaßen. Die Spielleute sollen jeder den
Tag einen halben Gulden haben und dabei den Teller aufsetzen
dürfen, sofern nicht der Hochzeitshalter sich anderweit mit ihnen
vergleichen sollte. Wenn Köche und Spielleute mit diesem Lohn
sich nicht begnügen lassen, so soll ihnen in Jahresfrist bei Hochzeiten
aufzuwarten verboten sein. Den Nachtwächtern sollen jedem, wenn
sie die Uhr beim Hochzeitsschmaus anmelden, ein gutes Glas voll
Wein und nmicht mehr gegeben werden, damit sie die Wacht nicht
unachtsam thuen. Zur Mittagszeit soll ihnen der Hochzeitshalter
eine halbe Maß Wein, auch Suppe und Fleisch nach Haus folgen
lassen, ein Gleiches dem Turmwächter, doch nicht eher äls zur
Morgensuppe am Nachhochzeitstag. Wegen der Schüler und des
Glöckners soll es beim Herkommen bleiben, doch soll die
„Ersteigerung“ verboten sein. Wenn sie eine Musik halten, mag
es nach Belieben gehalten werden. Widersetzliche gegen Pfarrer
und Schultheißen sollen in Arrest genommen und die letzteren bei
der Ordnung von Kirchensenioren, Schöffen und Gerichtspersonen
unterstützt werden.
Unvermögende, die eine Schenkhochzeit nicht halten können,
dürfen höchstens 5 Tische Leute laden; die bei einem Wirt bestellte
Mahlzeit ist jeder Gast dann zu bezahlen schuldig (Irthochzeit).
Dabei sollen die Gäste „nicht übernommen und wider Billigkeit
beschwert werden“.
Auf Kindtaufen soll nur eine Mahlzeit zu 2 Tischen gehalten
werden bei 10 fl. Strafe, und der Schmaus soll nicht über 10
Uhr dauern. Damit die Predigt nicht von vielen versäumt werde,
sollen außer den Goten (Paten) nur 4 Personen weiblichen
Geschlechts das Kind begleiten und der Kindbetterin Glück
39 —
wünschen. Gemeine Bürger oder Bauersleute sollen nicht über
einen halben Reichsthaler „Pettern- oder Gotengeschenke“ machen,
andere Bürger nicht über einen Reichsthaler, Standespersonen
nicht über einen Dukaten. Verehrung von Silbergeschirr oder
anderen kostbaren Accidentalien sollen bei 20 Rthlr. Strafe unter
Inländischen abgeschafft sen. Der Gevatter und die Gevatterin
soll des Gelags ledig sein; die anderen sollen bezahlen, wenn
nicht der Mann ein halb Viertel und die Frau ein Maß Wein
mitbringt. Den Patenkindern soll zum nächsten oder folgenden
Jahr höchstens ein Hemd nicht über einen Reichsthaler an Wert
verehrt werden und an 3 Neujahrstagen hernach, „wenn das
Kind selbst zusprechen wird, etwa ein Weck oder geringes Geldlein
nach Gefallen“. Das unnütze Heben der Gevattern soll bei 5 fl.
Strafe abgeschafft sein. Wenn die Wöchnerin wieder zur Kirche
geht, soll bei Strafe von 5 fl. keine Mahlzeit angestellt, höchstens
der Gevatterin oder 3—4 Weibern, die sie aus der Kirche begleiten,
ein Trunk Wein gereicht werden.
Das Laden zum Leichenschmaus wird bei 20 Rthlr. Strafe
verboten; doch soll es unverwehrt sein, mit den nächsten Freunden
und Nachbarn einen Trunk in christlicher Bescheidenheit zu tun, den
sie durcheinander bezahlen sollen, das Weib halb so viel wie der
Mann. Um 9 Uhr sollen sich alle nach Hause verfügen, doch
soll es gestattet sein, ein oder zwei Personen über Nacht dazu—
behalten, aber sie sollen sich des Weintrinkens enthalten und zur
Ruhe begeben. Wenn des Abgelebten Schwachheit (Krankheit)
der Infektion halben verdächtig gewesen, soll dasselbe Haus
gemieden und anderer obrigkeitlicher oder Amts-Verordnung, bei
der die christliche Lieb nicht außer Acht zu lassen, Folge geleistet werden.
Auch auf die Unordnungen und Verschwendungen, die bei
Zunftversammlungen vorkommen, sollen Beamte und Räte ein
wachsames Auge haben und dem nach Kräften steuern.
Wir haben diese Ordnung ausführlicher mitgeteilt, weil sie
uns manchen Einblick in das Leben jener etwas ungeberdigen
Zeit eröffnen und zu manchen Vergleichen mit der Gegenwart
anregen. Die eingehenden Bestimmungen der Regierung lassen
klar erkennen, daß das Volksleben vielfach an Völlerei und
19 —
Verschwendung krankte, wie dies auch anderwärts berichtet wird.
Diese Bestimmungen wurden durch spätere Verordnungen ergänzt
und verschärft. Im Jahre 1620 erließ Graf Ludwig ein scharfes
Verbot gegen die zunehmende Unsittlichkeit. Personen, welche der
Unzucht überführt wurden, sollten 14 Tage lang mit harter Turm⸗
strafe belegt und sodann je 10 Rthlr. zu 18 Batzen als Strafgeld
erlegen, zudem öffentlich Buße tiun und 2 Gulden in den
Kirchenkasten bezahlen. Auch gegen das leichtsinnige Kreditgeben
wandte sich eine Verordnung. In Zehrungssachen sollte nicht
mehr als 14 Tage Kredit gegeben und dann gepfändet und
vergantet werden, damit die unbedachten, leichtgeladenen Zechbrüder
abgehalten und der Weiber und Kinder Notdurft in Acht
genommen werde.
Graf Ludwig war strenger Lutheraner, aber doch nicht un—⸗
duldsam gegen die Kalvinisten. Als die lutherische Geistlichkeit
im Jahre 1607 an ihn das Ansinnen stellte, sämtliche reformierten
Prediger in der Grafschaft Saarwerden zu entlassen und durch
Bekenner der Augsburgischen Konfession zu ersetzen oder doch
keine neuen reformierten Geistlichen zu ernennen, gab er dem
keine Folge; vielmehr verlieh er den Reformierten Zuschüsse aus
der Kirchenschaffnei; dies berührt um so wohltuender, als in jener
Zeit anderwärts Lutheraner und Reformierte in grimmigem Hader
lebten. Nur das Verlangen stellte Graf Ludwig an die Reformierten,
daß sie im äußeren Ritus, in der Beobachtung der Feier- und
Beitage, sowie in der Kirchenzucht nach der Kirchenordnung sich
halten, auch nicht an fremden Orten dem Gottesdienst beiwohnen
sollten. Katholiken dagegen wurden nicht aufgenommen. Im
Stadtgerichtsprotokoll von St. Johann findet sich folgende Ein—
tragung: Anno 1606 d. 16. Mai hat Daniel Thomas von Metz
um das Bürgerrecht nachgesucht. Weil er aber der Römisch—
Katholischen Religion mit seinem Weib zugetan, so haben die
Herren Gerichte Bedenken genommen und diese Sache auf weiteren
Bescheid differiert (verschoben), so daß nichts daraus worden.
41 —
3. Der dreißigjährige Krieg.
Im Anfange des 17. Jahrhunderts befand sich das städtische
Gemeinwesen in blühendem Zustande. Die Zahl der Bürgerschaft
hatte beträchtlich zugenommen und steigerte sich gerade noch in den
ersten Kriegsjahren, da viele Umwohner hinter den Mauern der
Städte Schutz suchten. Die Stadtprotokolle melden ununterbrochen
aus dieser Zeit von Bürgeraufnahmen,) Abgabe von Bauplätzen,
Anlage neuer Gärten, Urbarmachung von Feldern, Verbesserung
der Wege, ferner von Bauten an Türmen, Toren und Stadt⸗
mauern. Während wir die Bevölkerung von Saarbrücken im
Jahre 1542 auf nur 1000 Seelen, die von St. Johann zu
derselben Zeit auf 450 Seelen schätzen konnten, befanden sich nach
einer amtlichen Aufstellung, die im Jahre 1628 zwecks Teilung
der nassauischen Länder gemacht wurde, in Saarbrücken 281 Häuser
und 2732 Seelen,s) in St. Johann 184 Häuser und 1826
Seelen; die Bevölkerung hatte sich somit, wenn wir oben richtig
geschätzt haben, in 80 Jahren verdreifacht. Unter dem Pfluge
waren in Saarbrücken 1882 Morgen Ackerland, dazu kamen
686 Morgen Wiesen und 1866 Morgen Wald. St. Johann
besaß 1800 Morgen Ackerland, 840 Morgen Wiesen und 2878
Morgen Wald. Die städtischen Finanzen waren in gutem Zustande.
1) 1578 wurden 12 neue Bürger an einem Tage aufgenommen. Das
Aufnahmegeld wurde 1677 von 2 auf 6 Gulden, 1601 auf 12 Gulden erhöht.
2) Nach Andreae befanden sich 1628 in Saarbrücken 291 bürgerliche
Haushaltungen ohne die Beamten und die Hofdienerschaft, in St. Johann 203
„ganze und halbe Ehen durcheinander“.
42
1607 betrug die Einnahme 1904 Gulden, denen eine Ausgabe
von nur 549 Gulden gegenüberstand, sodaß ein Überschußz von 1355
Gulden auf Zinsen gelegt werden konnte. Die Einnahmen stiegen
bis zum Jahre 1630 auf nahezu 4000 Gulden. Das Umgeld
allein warf im Jahre 1622/23 1210 Gulden ab, ein Beweis für
den starken Weinverbrauch und damit für den Wohlstand der
Bürger. Der Güterwechsel war sehr lebhaft, das dabei gezahlte
Weinkaufgeld (20 des Kaufpreises) betrug in derselben Zeit
169 Gulden. Im Jahre 1623 wurde bei der Erneuerung der
Stadtämter auf dem Rathaus für 87 Gulden 17 Albus verzehrt,
bei der Dingung der Stadtdiener 70 Gulden an Wein, 58 Gulden
an Küchenspeisen und 6 Gulden 24 Albus an Brot. Die Ver—
ordnungen gegen den Luxus zeigen, daß reichlicher Verdienst
vorhanden war. Wir hören, daß feine englische und lundische
Tücher sowie seidene Stoffe in den Städten feilgeboten wurden;
als Ausfuhrprodukte werden u. a. Steinkohlen, Fässer, Dauben
und Reifen genannt. Nur die Münzverwirrung schädigte das
geschäftliche Leben.
Der Wohlstand der Bürger bestand besonders in dem Vieh.
Ein Verlust in dem Viehstand war besonders schmerzlich. So
lesen wir vom Jahre 1613: „Den 12. Juli hat Gott der All—
mächtige uns dieses Orts mit schwerer Straf heimgesucht, also daß
49 Stück Rindvieh und 83 Geißen durch den Strahl und Schall
vom Himmel zerschlagen worden.“ Eine besondere wichtige Sache
war die Schweinezucht. Im Jahre 1623 durfte jeder Bürger
4 Schweine in den Ecker treiben, jede halbe Ehe (Witwer oder
Witwe) 2. Zusammen waren es 339 Schweine.
Von Krieg und Kriegsnot waren die Bürger seit langer
Zeit verschont geblieben, abgesehen von Truppendurchzügen zur Zeit
der französischen Religionskriege und des jülich-clevischen Erbfolge—
streites. Als im Jahre 1589 spanische und italienische Söldner
des Herzogs von Lothringen in Forbach, Spichern und Blittersdorf
lagen, hatien die Bürger „ein Commis aufgericht“, d. h. durch
Lieferungen im Werte von 83 Gulden 814 Albus sich von
Feindseligkeiten losgekauft.
Seitdem aber die evangelische Union und die katholische
Liga sich als feindliche Partelen gegenübergetreten waren (1609),
lag der Krieg in der Luft. Als der Reichstag 1614 unverrichteter
Sache auseinander gegangen war, rüsteten sich die Parteien zum
Kampf; auch unsere Städte wurden in Verteidigungszustand gesetzt,
und eine „Landrettungssteuer“ wurde von der Herrschaft ausge—
schrieben. 1615 erließ Graf Ludwig eine neue Ordnung für
Kriegsgefahr, von der jedoch nur der auf Saarbrücken bezügliche
Teil erhalten ist. Der Anfang lautet:
„Freitag den 5. May ao 1615:
Ordnung, wie sich die Inwohner zu Sarprücken bei
einer jeden Uffruhr, zu Feur- oder Kriegsgefahr
zu verhalten:
1. Das Feindtgeschrei soll man abnehmen bei der Sturm—
glocken.
Das Feurgeschrei wird vermerkt bei dem Hornblasen auf
dem Schloßturm und der Kirchen Glockenklang.
Zu welcher Zeit oder wann dergleichen Uffruhr sich erzeugen,
so soll ein jeglicher Bürger von stund und fürderlichst er mag
sonder Verzug mit seiner ufferlegten Wehr und Geschütz an Ort
derselbig hinbeschieden sich finden lassen und mit Trewen, Fleiß
und Ernst die verordnete Plätz helfen in Hut halten und beschützen
und von dannen nicht weichen uff verlust Leib und Guts, es sei
dann, daß die Obrigkeit, der Herr Schultheiß, Meyger oder
jemand von dern wegen so dessen befelcht wird, erlaubt und
solches zugelassen hätte.
Hauptmann ist der Herr Schultheißz, aus den Bürgern
wird ein Leutnant und 2 Wachtmeister erwählt.
Im folgenden Jahre wurde der verschlammte Stadtgraben
von St. Johann geräumt und so die Stadt wehrfähig gemacht.
1617 zog „Gentisches Kriegsvolk“ an den Städten vorbei, und es
wurde verordnet, daß „bei jetzigem französischen Krieg und Überzug
desselbigen Volkes“ die jungen Burschen und Handwerksgesellen
— 40 an der Zahl — die Nachtwachen sollten versehen helfen.
Doch dies waren keine ernstlichen Gefahren, und die betriebsamen
St. Johanner, welche ihren Stadtgraben schön aufgeräumt und
2.
44 -
durch eichene Röhren das Wasser vom Bruchwaschgraben hinein⸗
geleitet hatten, machten das Gewässer nutzbar, indem sie junge
Fische hineinsetzten.
Doch im folgenden Jahre 1618 kam der Krieg in Böhmen
zum Ausbruch und da er bald auf die benachbarte Pfalz übergriff,
so näherte sich die Kriegsgefahr unsern Grenzen.
Im Sommer 1620 war Spinola mit 24000 Spaniern aus
den Niederlanden und im folgenden Jahre Tilly mit ligistischen
Truppen aus Böhmen herangezogen, um in die Erbländer des
Winterkönigs einzufallen, wobei auch die Gebiete seines Verwandten,
des Pfalzgrafen Johann II. von Zweibrücken, nicht verschont
blieben. Graf Ludwig, der sich in keine Waffenverbindung mit
dem Kurfürsten eingelassen, brauchte zwar vorderhand feindliche
Behandlung nicht zu fürchten, doch vernahm man mit Schrecken
die Verwüstungen jener rohen Horden, welche selbst die neutralen
Länder nicht verschonten, und sah mit bangen Erwartungen der
Zukunft entgegen. Magister Philipp Schröter, Rektor des Gymna⸗
siums zu Saarbrücken, begann sein Tagebuch vom Jahre 1622
mit folgendem Chronostichon:
horreMvs DVras ppgnaCesquVe hIspanl cetras,i)
womit er auf den befürchteten Einbruch der Spanier hin—
deuten wollte.
Auf den ersten Januar 1622 hatte Graf Ludwig wegen
der sorgenvollen kriegerischen Zeit einen allgemeinen Buß⸗ und
Bettag angeordnet. Dieser wurde, wie Andreae berichtet, in
Saarbrücken an diesem besagten Tage mit drei Predigten, dem
Toe Deum laudamus und anderen Gesängen, von frühem
Morgen bis in die Nacht feierlich begangen, wobei jung und alt
gefastet. Auch wurde in dieser ersten Woche jeden Tag eine
Predigt gehalten, zur Buße und Besserung und zum Almosengeben
ermahnt. So glaubte man durch Gebet und andere kirchliche
Handlungen den Zorn des Himmels abwenden und die Gemüter
beruhigen zu können. Aber man bereitete sich auch vor, Gewalt
mit Gewalt abzuwehren.
1) Wir fürchten die hartherzigen und kampflustigen spanischen Scharen.
—45
Am 18. Februar 1622 erließz Graf Ludwig abermals eine
Verordnung „in Aufläufen, nächtlichen Fürfällen, Feind- oder
Feuersgefahr der Bürgerschaft fürgeschrieben:“
1) Jeder Bürger soll Achtung haben auf Sturm oder Glocken—
streich, Trommelschlag oder sonst Geschrei.
2) Ein Nachbar soll dann den andern rufen.
3) Ein jeder soll mit seinem Gewehr an den ihm bestimmten
Ort laufen.
4) Ein jeder soll Licht in einer Latern vor sein Fenster henken.
5) Auf den Gassen sollen keine Hindernisse (Wagen, Bauholz,
Steine) sich befinden.
6) Alle Kellertüren, so auf die Straße gehen, sollen zugedeckt
werden.
Dann folgt Verteilung der Bürger, zu denen auch Hoffunker,
Kanzler, Räte und Kanzleibediente gerechnet werden, und Be—
stimmung der Sammelplätze. Um dieselbe Zeit wurden Soldaten
angeworben und bei den Bürgern ins Quartier gelegt, auch die
Geschütze, Büchsen und anderes Kriegsgerät in Stand gesetzt.
Am 27. Juni wurden die Stadt-Rottmeister vor Gericht
beschieden und mit Ernst ermahnt, darauf zu sehen, daß die Bürger
ihre Wachen besser versähen; denn wo nicht vom Gericht hierin
Korrektion geschehe, wolle der Schultheiß die Freiheit hintansetzen
und die Nachlässigen mit gebührender Straf vornehmen. Der Meyer
Hans Führer mahnte die Herrn Gericht, ihre Runde fleißiger in
Acht zu nehmen, damit er der Klagen überhoben werde, oder er
müsse die Unachtsamen anzeigen. Sämtlichen Bürgern wurde
bekannt gemacht, daß keiner sich in fremde Kriegsdienste begebe
bei Verlust des Bürgerrechts. Zugleich wurden die Städte mit
Lebensmitteln versorgt. Das Stadtprotokoll meldet darüber:
„Den 11. Juli ist von der Motten an Rocken-Korn vor die
Stadt anher kommen 66 Malter, jedes Faß à 27 Albus, macht
480 Gulden Batzen 9 Batzen, und soll unter die Bürger zu 281, Albus
zugelassen werden.“
1) Das Gut la Motte bei Lebach, den Herren von Hagen gehörig.
— 48 —
„Am 25. Juli 1622 (berichtet Rektor Schröter) ist das
Spanisch Kriegsvolk in die benachbarte Dörfer ankommen. Gott
woll uns vor allem Übel gnädig behüten.“ Diese Truppen ver⸗
folgten das Heer Mansfelds, das aus der Pfalz sich nach Saar—
werden gezogen hatte, und suchten das arme Landvolk arg heim.
Im August herrschten bösartige ansteckende Krankheiten,
besonders die rote Ruhr, von welcher viele Leute dahingerafft
wurden, und zugleich trat eine große Teuerung ein. Ein Fuder
Weißwein kostete 8 Gulden, eine Maß Butter 9 Gulden, eine
Maß neuen Weins 20 Albus, eine Ohm Bier 8 Gulden. Rektor
Schröter bezahlte in 2 Monaten für Rind- und Schweinefleisch
65 Gulden. Im folgenden Jahre wurde ein Hering für 5 Albus
(40 Pfennige) verkauft, doch man fand, daß dies „christlicher Lieb
zuwider“ sei, und taxierte das Stück in Anbetracht des hohen
Einkaufspreises auf 22 Pfennig.
1623. Die Kriegsgefahr schwand, da die Heere die Pfal;
verließen, dagegen herrschten in den benachbarten Ländern pestartige
Krankheiten und Hungersnot. Da diese furchtbare Plage sich jetzt
unserer Gegend immer mehr näherte, befahl Graf Ludwig, die
von der Pest behafteten Orte zu meiden, verbot das Einlassen von
Fremden und überwies beiden Städten am 6. Oktober die verlassene
Aschbacher Kirche als Lazaret.) Sofort wurde von dem gräflichen
Schultheißen, dem Stadtgericht und den Zugebern Anstalten zur
Instandsetzung dieses Gebäudes getroffen und mit den betreffenden
Handwerksleuten Verträge abgeschlossen. Meister Antoni Ludwig,
der Steinmetz, verlangte für seine Arbeit 45 Rthlr. und 3 Malter
Korn, Meister Heinrich Brenninger, der Zimmermann, 36 Rthlr.
und 3 Malter Korn, Velten, der Leiendecker, 24 Rthlr. und
1 Malter Korn usw.; Hans, der Förster zu Gersweiler, erhielt
vom Schloß Befehl, das benötigte Holz, 30 Stämme, fällen zu
lassen. Die Arbeit wurde auch wirklich in Angriff genommen,
und am 30. Obtober zeigte der Waisenschreiber Niklas Keller an,
1) Heute der „Ziegelhof“ bei Krughüutte, an dem noch gotische Spitz⸗
bogen zu jehen sind. 16066 kaufte Graf Gustav Adolf der Stadt den Hof
wieder ab.
daßz der Zimmermann Brenninger den Bau zu Aschbach aufzu—
schlagen im Begriff sei.
Die Gerichte beschlossen, die Städte zur Notdurft mit Früchten
zu versehen und deshalb bei Junker Leonhard von Helmstadt,
Nassauischem Landhauptmann, 1000 Reichstaler zu 6 60 Zins
aufzunehmen. Für St. Johann wurden von demselben 19214
Quart Weizen gekauft für 530 Reichstaler. Saarbrücken bezog
im folgenden Jahre von St. Nabor (St. Avold) 150 Quart
Weizen, die Quart zu 1414 Franken lothr. Währung.
Der gefürchtete Notstand trat jedoch nicht ein. Das Saar—
brücker Stadtprotokoll meldet zum 20. Mai: „Nachdem früher
eine Anzahl Malter Früchten der gemeinen Bürgerschaft zum
Guten angekauft, aus Ursachen, weil die Päß in der Nachbarschaft
zugethan, auch über Rhein und an andern Orten böse Lüfte
sich erreget, auch nit geringe Gefahr mit Kriegsunruhen sich
begeben, weshalb man Fruchtmangel besorgte, nunmehr aber, Gott
sei Lob und Ehr, die Päß wieder offen und die Früchte in
Abschlag, hat man nöthig erachtet, die gekaufte Frucht unter die
Bürger auszutheilen, so sich erboten, das Malter vor 6 Reichsthlr.
anzunehmen, und hernach aufs Gewicht zu verbacken, auch auf
Michaeli zu bezahlen.“
Wie man in dieser Zeit vor der Pest besorgt war, zeigt
folgende Eintragung:
„Dienstag den 31. August hat Graf Ludwig durch den
Schultheißen der Bürgerschaft ganz getreu und ernsthaftig anzeigen
und befehlen lassen, daß man sich bei einreifzender Infektion und
Kontagion solcher Ort soll enthalten, die Märkt und Hantierungen
einstellen, item kein Gesindel, so von fremdten Orten kommt,
ufnehmen, alle Storger und Landstreicher, Unbekannte, Verdächtige
nit einlassen oder beherbergen, Zettelträger und Bettler, nach
Gestalt der Sachen, mit einem Almosen ab- und zurückweisen.“
Der Superintendent ermahnte in beweglichen Worten „in
diesen gefährlichen und beschwerlichen Kriegsläuften“ Gottes Zorn
zu erkennen und rechtschaffene Buße zu tun.
In dieser Zeit rückte kaiserliches Kriegsvolk in die Grafschaft
Saarbrücken, namentlich das Regiment des Obersten Kronenberg.
2
Von seiten der Landesherrschaft wurde eine Botschaft nach Augs⸗
burg und München abgeschickt, um von der Einquartierung der
„Kronenbergischen Völker“ befreit zu werden, doch scheinen diese
Abgeordneten ihren Zweck nicht erreicht zu haben.
1625. Am politischen Horizont unserer Gegend begann es
jetzt immer dunkler zu werden. Anfangs Februar 1625 fand
Graf Ludwig ratsam, zur Bewachung des Schlosses einen Ausschuß
vom Lande (Miliz) in die Stadt zu ziehen. Zu ihrem Unterhalte
wurden aus den städtischen Magazinen Früchte zum Mahlen
gegeben und 20 Bäcker angewiesen, Mehl vorrätig zu halten, um
zum Kommiß zu backen. Aus den Stadtprotokollen dieser Zeit
ergibt sich, daß man einen Überfall befürchtete. Die Serren an
den Ausgängen wurden hergestellt und alle überflüssigen Türen an
den Stadtmauern der Vorstädte zugemauert. Auch wurden die
Steinmetzen beider Städte beauftragt, die Hahnenstraße ungesäumt
auszubessern. Der oben erwähnte Ausschuß langte den 19. Februar
hier an und wurde bei den Bürgern ins Quartier gelegt. Diese
Verstärkung überhob aber die Bürger ihrer beschwerlichen Wacht
und Hut nicht im geringsten; sie mußten ihren Dienst wie früher
verrichten. Die Herrn Gerichte wurden angewiesen, fleißig die
Runde zu begehen, allen Korporalen und Rottmeistern wurde bei
ernster Straf vorgehalten, streng auf den Dienst zu sehen, und
insonderheit ihre Mitwachenden vor Trunkenheit zu verwarnen;
wer darüber betroffen würde, sollte mit Turmstrafe belegt werden.
Die erwähnten Sicherheitsmaßregeln hatten ihren Grund
darin, daß die kaiserlichen Obersten Schmidt und Kurtenbach ihre
Regimenter im Herzogtum Zweibrücken und der Grafschaft Saar—
brücken ins Quartier gelegt hatten. Um diese Truppen zu be—
friedigen, nahm der Graf die Hilfe der Städte in Anspruch. Das
Stadtprotokoll meldet: „Montags den 14. März. Nachdem am
verschienenen Sampstag von unsers gn. Grafen Oberamtmann
beider Städt Gericht und Zugebern der Lengde nach die Be—
schwerlichkeit des Lands und, wie man mehrerem Unheil möcht
vorkommen, angedeutet worden, also ist von beiden Städt eine
Hülf wöchentlich von 250 Reichsthaler begehrt worden, den Obersten
49 —
zur Steuer Unterhalts zu erlegen, und obwohl vielfältige Strafen
Gottes anhero über uns verhengt, mit Theuerung, Münzbeschwer⸗
lichkeit und Viehsterben, kann man doch, ferner Unheil der Städt
zu verhüten, kein Umgang haben (dies nicht umgehen). Welches
der Burgerschaft vorgehalten und begehrt nächsten Mittwoch solches
zu verschaffen.“
Die Bedrückungen und Erpressungen dieser fremden rohen
Horden veranlaßte viele Auswärtige, in unsern schon überfüllten
Städten Schutz und Zuflucht zu suchen. Auch brachte man von
Heusweiler, Güdingen und andern Orten das Vieh in Sicherheit
hierher, weil man dort genötigt war, die Herden durch etliche mit
Feuergewehren versehene Mannschaften auf den Wiesen bewachen
zu lassen, da die Soldaten oben genannter Regimenter allerwärts
nach Beute herumschweiften. Oberhalb des Dorfs Arnual wurden
die Wege und Straßen verhauen und unbrauchbar gemacht; im
Orte selbst Serren und Schläge errichtet und Wachen angeordnet,
um bei einem Überfalle zeitig in Kenntnis gesetzt zu werden.
Die fortwährenden Wachtdienste beschwerten die Bürger nicht
wenig, auch die „Herrn Gericht“ hatten ihre Last und Bürde zu
tragen; sie wurden beständig in Anspruch genommen und mußten
obendrein die Runde begehen, um die Wachen zu visitieren. Der
Meier Bartolomäus Sauer hatte nicht geringe Mühe und Sorgen
mit der Anordnung der Wachen und andern Geschäften. Vom
Schultheißen kamen fortwährend Mahnungen ans Gericht und
Verordnungen, wie sich die Rotten und Rottgesellen zu verhalten
hätten. Vernachlässigungen im Wachtdienste wurden mit der beliebten
Strafe, 1 Maß Wein, belegt. Die Bürger dagegen klagten über
die vielen Befreiten. Nach einem amtlichen Verzeichnisse besanden
sich in Saarbrücken 40 Häuser von Adligen und Beamten, aus
welchen weder Wacht noch Hut geleistet wurde. Alle Lasten ruhten
auf dem eigentlichen Bürger, aber sein Los war gegenzdas der
Landleute immer noch beneidensweri.
Im Stadiprotokoll lesen wir: „1. September 1615. Hat
man von Mittag an bis an den Abend ufgewart das gelegt
Soldaten- oder Kriegergeld einzusambeln, so den 29. Augusti ver—
schrieben. Ist in Summa gewesen 750 Gulden.“
50
Auch das nächste Jahr (1626) verlief ziemlich friedlich,
obgleich noch immer fremde Truppen im Land lagen, welche wieder
eine allgemeine Teuerung herbeiführten; diese wurde im Mai so
fühlbar, daß vom Stadt-Gericht den Bäckern alles Backen von
Kuchenwerk verboten wurde. Infolge dieses Notstandes ließen die
Bürger, als die Herrschaft im Juli Kriegssteuer auf die Städte
legte, durch das Stadt-Gericht dem Oberamtmann erklären, daß sie
sich nicht dazu verstehen könnten.
In dieser Zeit war die Pest bereits im Sarwerdischen, im
Amt Ottweiler und in der Herrschaft Forbach ausgebrochen. Von
letzterem Orte verpflanzte sie sich nach Saarbrücken in die Markt—
pforten-Vorstadt. Am 15. Juli starben mehrere Personen daselbst
plötzlich an der Pest; am 20. erkrankte ein Schneider aus der
Vorstadt, der sofort in das Hospital nach Aschbach gebracht wurde,
andere Kranke folgten. Graf Ludwigs Gemahlin, Anna Maria,
Landgräfin von Hessen, schickte sogleich das Nötige zur Pflege
und Unterhaltung der Kranken dorthin. Das Stadtgericht ließz
den Spitalverwalter Jakob Gulden vorbescheiden, der getreulich
ermahnt wurde, das Beste bei den Patienten, die ihm geschickt
würden, zu tun.
Bis zur Mitte August hatte die Krankheit, welche ein
Nervenfieber gewesen zu sein scheint, bereits so um sich gegriffen,
daß manche aus Angst die Stadt verlassen hatten. Unter diesen
war auch der Rektor des Gymnasiums, M. Philipp Schröter, der
am 16. August seine Familie in St. Arnual unterbrachte, am 17.
selbst nachfolgte und noch im November desselben Jahres sich dort
aufhielt. Die Schule war also bis dahin geschlossen.
Am 18. August 1626 eröffnete der Oberamtmann Piesport
im Beisein des Schultheißen dem Stadtgericht, daßz die Herrschaft
mit ihren Beamten und Dienern aus der Stadt gezogen und
etliche 20 Bürger wegen der vor der Marktpforte herrschenden
Infektion anderswohin sich begeben hätten. Man solle nun, da
der Paß bei Lahr aufgegangen und die Sperre gehoben, Sorge
tragen, daß die nötigen Früchte herbeigeschafft würden, um dem
Brotmangel unter der Bürgerschaft abzuhelfen. Auf Befehl der
Herrschaft wurde gegen Mitte September der Wochenmarkt zwischen
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und unter die Brücke verlegt, und die St. Johanner Schöffen
erschienen wegen der Ansteckungsgefahr nicht zur Gerichtssitzung
in Saarbrücken. Den 2. Oktober wurde der gemelte Tag (Dies
designatus) auf dem Rathaus in St. Johann gehalten, weil
wegen der Ansteckung niemand an dem gewöhnlichen Versammlungsort
erscheinen mochte. Am 5. fand das Gericht unter der Saar-Brücke
zwischen den Schießhütten statt, am 20. November in der
St. Johanner Pfortenstube und am 20. Dezember in der Saar—
brücker Saarpfortenstube. Da in Saarbrücken die Krankheit noch
nicht erloschen war, wurde die Leiche der in Neunkirchen verstorbenen
Gräfin Maria Anna!) am 11. Dezember nach St. Johann
gebracht und von hier über Güdingen nach St. Arnual geleitet.
Ungefähr in dieser Zeit erbot sich die auf dem Rathaus
versammelte Bürgerschaft, wegen der langwierigen Goltesheim—
suchung und Strafen mit Krieg, Teuerung und Sterben die un—
nötigen Kosten bei Kindtaufen, Hochzeiten und Gelagen womöglich
auf die alte Gewohnheit zu richten, daß nämlich die erbetenen
Gevatnern zum Abend-Trunk mit den Nachbarn ins Wirtshaus
könnten geladen werden, alles Übrige aber abzustellen.
Den 28. Februar 1627 wurde die bisher verschlossene Saar—
pforte wieder eröffnet und dem freien Verkehr übergeben. Die
Krankheit hatte nachgelassen und scheint überhaupt nicht so viele
Menschen hinweg gerafft zu haben.
„Am 2. März ist die gemeine Burgerschaft versammelt und
ihnen fürgehalten worden: daß gestrigen Tages unser gnädiger
Herr eine Steuer von jeder Stadt, 200 Gulden Batzen in 3
Terminen zu erlegen, begehrt (wie in beider Städt Gerichts—
Protokoll angezogen). Und obwohl große Armuth bei dem armen
gemeinen Manne vorhanden, will man sich nach möglicher Ge⸗
legenheit erzeigen.“
Aus den Protokollen erhellt, daß im April große Teuerung
herrschte, und daß man in beiden Städten fortwährend einen
Überfall von den im Lande liegenden Kriegsvölkern fürchtete.
1) Abbildung des Grabmals Seite 28.
V
Im September dieses Jahres fand ein Raubzug der Kratzischen
Völker statt. Es heißt im Stadiprotokoll:
Sonntags den 16. Sept. 1627. „Nachdem der Oberst Cratz
von Scharpfenstein mit etlichem Volk im Anzug, und wie die Sag
geht, in Lothringen Dienst zu haben sucht, also seind Mann—
Ausschuß vom Land, in jede Stadt 40 Personen, inlosirt worden,
deren 20 in der Stadt, und in jeder Vorstadt 10 die Wache
versehn sollen.“
Montag den 17. ejusdem. „Uff allen Stadt-Türmen die
Musqueten und Rohr besichtigt und, wer dazu verordnet, Bescheid
ertheilt. Was zerbrechlich gewesen, zu verbessern bestellt, auch Pulper,
Kugeln, Lunten und Rohr wie in einem besonderen Verzeichniß
zu ersehen, außgeben.“
Die Städte waren durch ihre Mauern gegen die räuberischen
Soldaten gesichert, aber die umliegenden Dörfer wurden verwüstet
und zum Teil verbrannt; nicht einmal das Siechenhaus bei
St. Johann wurde verschont, sondern die Insassen daraus
vertrieben.
Im Dezember dieses Jahres starb Graf Ludwig, nachdem
er hatte erleben müssen, wie der Wohlstand seines Landes durch
fremde Kriegshorden vernichtet wurde.
1628. Bei allen Bedrückungen des Landvolkes waren
unsere Städte noch ziemlich gut durchgekommen. Als Folgen der
Beraubungen stellten sich jedoch auf dem Lande schon im Anfang
des Jahres 1628 allerwärts Hunger und Elend ein. Die
Landesherrschaft konnte nicht helfen, wie sie sonst wohl zu tun
pflegte; die Kassen und Vorräte waren erschöpft, die Früchte auf
den herrschaftlichen Höfen geplündert oder verbrannt, die Herden
abgetrieben, so daß sich Graf Wilhelm Ludwig, der jetzt die
Regierung übernommen hatte, in die traurige Notwendigkeit
versetzt sah, die Hilfe der Städte anzusprechen. Das Stadtprotokoll
vom 20. März 1628 sagt hierüber folgendes:
„Am verschienenen Montag (17. März) hat unsre gnädige
Herrschaft durch den Oberamtmann von Piesport in Beiwesen des
Herrn Schultheißen Bernhard Wölflin den Mayer und beider
Städt Gericht uff die Amtsstube erfordern lassen und ihnen der
Längde nach vorgehalten, daß durch die langwierigen Kriegs—
unruhen die gnädige Herrschaft also erschöpft, die Landschaft
verderbt, daß sowohl jenseits des Rheins als auch aus der obern
Grafschaft Sarwerden zur Zeit wenig zu erwarten, nichtsdestoweniger
aber die Schulden sich häufen und zu der gnädigen Herrschaft
Unterhaltung Hülf nöthig sei. Also ist eine freiwillige Steuer
von den inwohnenden Bürgern in beiden Städten gesonnen und
hierüber verhört worden. Welche auch absque praejudicio
ihrer Privilegien sich willig erklärt, daß sie, wenn das Kriegswesen
nicht also lang gewährt und der gemeine Mann verarmt, weil die
Hantierungen und Handwerker mehrentheils geschwächt, wohl gern
ein Mehreres hätten erweisen wollen. Also haben sie sich freiwillig,
wie der Zettul solches ausweist, eingestellt.“
In ebenso bedrängten Umständen waren die Armen- und
Krankenhäuser. Dem Hospital in Saarbrücken mangelten alle
Mittel, so daß die Spitalpfründner vor dem Stadtgericht klagten,
das täglich Notdürftigste werde ihnen nicht mehr gereicht. Der
zur Rede gestellte Schaffner erklärte, daß die Früchte von der
Gräflichen Hofkellerei nicht eingegangen seien; auch wisse er von
den Dörfern nichts zu erhalten, obgleich er 447 Gulden an Zinsen
ausstehen habe.
Im Mai wurden von den Stadtbehörden Anstalten zur
Erweiterung des Lazaretis zu Aschbach getroffen, da in der Um—
gegend abermals ansteckende Krankheiten ausgebrochen waren.
Bereits im Juni waren sie der Stadt näher gerückt, weshalb vom
Schultheißen der Befehl erging, keinem Fremden den Eingang zu
erlauben. Am 1. Juli kamen 2 Todesfälle vor; man traf daher
die nötigen Maßregeln. Zum Krankenpfleger wurde der Chirurg
Jost Hofmann bestellt und ihm zur Pflicht gemacht: „daß er den
Personen, so mit der grassirenden Pest angesteckt, uffwarten und
ihrer pflegen solle, mit Aderlassen, Pflaster ufflegen und nöthigen
Medicamenten, die man ihm verschaffen soll, denselben beizuspringen,
damit Niemand verwahrlost und versäumt werde“. Zur Belohnung
wurden ihm vierteljährlich 20 Gulden verheißen, wobei er von
denjenigen Personen, die er auf Verlangen in ihren Häusern
bedienen würde, noch eine besondere Entschädigung zu beanspruchen
54
hatte. Ferner wurde ihm lebenslängliche Befreiung von aller
Wacht, Hut und Fron zugesagt. Im August wurde auf Anfrage
der beiden Pfatrer zu Saarbrücken beschlossen, die Toten nicht
mehr Nachts, sondern am Tage zu beerdigen, zugleich wurden die
Infizierten gewarnt, ihre Häuser zu verlassen. Dieses Mal war
die Krankheit auch in St. Johann ausgebrochen. Nähere Nach—
richten fehlen.
In der Folge traten ruhigere Zeiten ein; die Pest erlosch,
und die fremden Kriegsvölker zogen ab. So hören wir, daß die
Bürger 1630 wieder den Stadtbann begingen und ihnen für ihre
Bemühung aus dem Stadtsäckel je 2 Batzen und 4 Pfennige
bewilligt wurden. Auch der Ecker im Stadtwald konnte wieder
besichtigt werden, wofür den beteiligten Bürgern 1 Taler Zehrung
vergönnt wurde. Es wurde damals geklagt, daß die Bürger in
der Hut sehr fahrlässig seien und gar nicht zur Wacht kämen; die
Säumigen wurden deshalb in Strafe von einem Ortsgulden
genommen. Da der Graf Wilhelm Ludwig im Interesse seines
Landes den Kurfürstentag zu Regensburg besuchte, so wurde
Reisesteuer auf die Bürgerschaft gelegt; wie viel es gewesen,
erfahren wir nicht. Mit diesem Jahr brechen leiter die Stadt—
protokolle ab und beginnen erst wieder im Jahre 1642.
In dieser Zeit feierte der Aberglaube seine größten
Triumphe. Dieser traurige Wahn erforderte auch beklagenswerte
Opfer. Der Rektor Schröter berichtet in seinem Tagebuch zum
Jahre 1631: „Junii 17. ist Maria venefica (die Giftmischerin)
verbrannt worden. — Jul. 2. ist die welsche Jodoca verbrannt
worden.“ Der alte Hofgärtner Köllner bemerkt in seinen
„Winterabenden“ (1800) dazu: „Nach der Zeit Thorheit geschah
es, daß man Hexen verbrannte. Wie steckten die Richter jener
Zeit noch in dem fürchterlichen Aberglauben, da man meinen sollte,
die gelehrte Welt wäre durch die Reformation in ein helleres
Licht versetzt worden. Der Gerichtsplatz war in Lautemanns
Wies am Gersweiler Weg beim Schanzenberg. Die von Gers—
weiler mußten das Holz zum Verbrennen liefern. Der Scharfrichter
wohnte in der Schelmenkaul, da alles unsaubere Vieh begraben
wurde.“ Auch der Flurname Hexenberg bei Saarbrücken deutet
auf die Erinnerung an solche Vorgänge hin.
Der Krieg hatte inzwischen durch die Ankunft Gustav Adolfs
von Schweden im Jahre 1630 und durch die Schlacht bei Leipzig
(17. September 1631) für die Protestanten eine vorteilhaftere
Wendung genommen; die Schweden besetzten das linke Rheinufer
und zeigten sich bereits Ende d. J. 1631 in Zweibrücken. Um
diese Zeit fielen französische Truppen infolge der Streitigkeiten
zwischen Ludwig XIII. und Herzog Karl IV. von Lothringen
in die Länder des letzteren ein und streiften bis in unsere Gegend.
Infolge dieser Kriegsunruhen blieb die Salzzufuhr aus Lothringen
aus. „Am 28. Februar 1632,“ sagt Rektor Schröter in seinem
Kalender, „ist des Königs von Frankreich Volk eingefallen zu
St. Arnual und hat großen Schaden gethan.“ Diese Truppen
hielten sich geraume Zeit im Westrich, denn noch unterm 25. Mai
d. J. wird erwähnt, daß die Franzosen in der Nähe von Zwei—
brücken standen.
Mit beiden fremden Mächten war Graf Wilhelm Ludwig
bereits in freundschaftliche Verbindung getreten. Franzosen und
Schweden vertrieben nun die spanischen und kaiserlichen Truppen
vom linken Rheinufer; im August 1633 lag eine schwedische
Besatzung in Saarbrücken, welche der schwedische General,
Rheingraf Otto Ludwig, bei seinem Zuge nach dem Elsaß verstärkte.
Das Jahr 1634 ging unter dem Schutz der Schweden
einigermaßzen ruhig vorüber. Inzwischen hatte sich aber wieder
ein anderer Feind, die Pest, eingeschlichen, welche dieses Mal mehr
Opfer als früher forderte. Von Saarbrücken erfahren wir nur
im allgemeinen, daßz die Seuche viele Menschen weggerafft hatte,
da der Pfarrer Schlosser die Todesfälle im Kirchenbuche nicht
aufgezeichnet hat. Die Gefahr war so groß, daß der Hof—
meister von Helmstatt die gräflichen Kinder im Mai nach Ottweiler
bringen liefz; Meister Balthasar, der Barbier, mußte sie begleiten
und Dr. Weber aus der Schloßapotheke das Nötige verordnen.
Pfarrer Rüdinger in St. Johann notierte von der zweiten Hälfte
des Jahres im Kirchenbuche 172 Sterbefälle und nur 10 Geburten.
Die Krankheit trat also in St. Johann besonders stark auf; es
7
wird erzählt, daß niemand mehr in die Kirche gegangen und der
Gottesdienst im Freien gehalten worden sei. Die Kranken wurden
zum Teil ins Lazarett nach Aschbach gebracht, von wo die Halb—
genesenen sich in den Koden im Tiefenthal begaben und sich dort
Hütten erbauten. Im folgenden Jahre starben in St. Johann
nur 80, woraus die Abnahme der Seuiche ersichtlich ist.
Inzwischen war auf dem Kriegsschauplatze durch die Niederlage
der Schweden bei Nördlingen (6. September 1634) ein Umschwung
eingetreten. Herzog Bernhard von Weimar konnte sich nur bis
zum Sommer 1635 in seiner Stellung am Rhein behaupten.
Der Übermacht der kaiserlichen Truppen weichend, welche unter
Gallas am 31. Juni 1635 den Rhein bei Worms überschritten,
zog er sich nach Saarbrücken zurück, wo er vom 20. Juni bis
zum 10. Juli verweilte. Hier in unsern Mauern rief der
bedrängte junge Kriegsheld die Hilfe des Königs von Frankreich
an, die nur zögernd gewährt wurde. Sengend und brennend
hatten sich die bluts und beutegierigen Kroaten, Spanier und die
übrigen Kriegshorden des Gallasschen Heeres über die ganze
Pfalz verbreitet. Kaiserslautern wurde am 7./17. Juli mit Sturm
genommen, die schwedische Besatzung niedergehauen und die Stadt
geplündert; Kusel wurde überrumpelt und verbrannt, endlich
Zweibrücken hart bedrängt, doch von den Schweden tapfer verteidigt;
jede Stunde konnten die Kaiserlichen vor Saarbrücken erscheinen.
In dieser gefährlichen Lage flüchtete Graf Wilhelm Ludwig
am 15. Juli mit seiner Familie nach Metz, wohin ihm seine
Beamten und ein Teil der Bürgerschaft beider Städte mit ihren
Habseligkeiten nachfolgten; aus St. Johann allein 40 Haushaltungen.
Unter den Geflüchteten befand sich auch der seit 1635 bestellte
Superintendent Abraham Staimlin. Die Verwaltung des Landes
übernahm der Oberamtmann von Piesport. Die Pfarrer Schlosser
und Rüdinger blieben als treue Seelsorger bei ihren Gemeinden;
von den Lehrern des Gymnasiums war nur einer übrig geblieben.
Die Franzosen hatten unterdessen ein neues Armeekorps von
20,000 Mann zusammengebracht, welches sich unter dem Befehl
des Kardinals La Valette am 27. Juli 1635 mit den Truppen
des Herzogs Bernhard bei Merlenbach vereinigte. Sie ließen in
57
Saarbrücken eine Besatzung zurück und eillen zum Entsatze von
Zweibrücken und Mainz. Gallas zog sich eilig zurück, verwüstete
das Land vor und hinter sich, um dem Gegner die Mittel zum
Unterhalt des Heeres zu entziehen, und erreichte so seinen Zweck
leichter als durch Kämpfe. Die beiden Feldherren konnten sich in
Mainz nicht lange behaupten; Hunger und Pest dezimierten ihre
Truppen, dabei mußten sie fürchten, durch Gallas abgeschnitten zu
werden, welcher eine Bewegung gegen die Saar machte, um
Saarbrücken wegzunehmen und so ihren Rückzug nach Lothringen
zu bedrohen. Bernhard und La Valette verließen also Mainz und
eilten über Kreuznach, Sobernheim, Oberstein, Birkenfeld und
Wallerfangen nach Metz, hart von Gallas verfolgt, welcher Waller⸗
fangen mit Sturm nahm, die Stadt plünderte und die schwedisch—
französische Besatzung zu Gefangenen machte. Herzog Bernhard
erreichte mit Mühe am 28. September Metz.
Unterdessen war am 26. September 1635 der Marquis von
Cressac mit Reiterei von Metz abgegangen, um der Besatzung zu
Saarbrücken zu Hilfe zu kommen, und kaum war er am 28. in
Saarbrücken angelangt, als 6000 kaiserliche Dragoner, Kroaten
und Ungarn unter dem Befehl des Marquis von Gonzaga
anrückten.
Am 30. September aber nahmen die Kaiserlichen
St. Johann mit Sturm. Es lag also hier ebenfalls eine
schwedisch-französische Besatzung, die sich indessen gegen die Über—
macht in diesem Platze nicht halten konnte und sich nach
Saarbrücken zurückzog. Es wird erzählt, daß die Einwohner von
St. Johann sich sämtlich in die Kirche flüchteten bis auf einen
jungen Burschen, der wegen Krankheit das Bett nicht verlassen
konnte. Dieser wurde von einem Soldaten erstochen, den übrigen
Bewohnern aber wurde gegen eine Brandschatzung von 1625
Reichstalern (nach einer andern Nachricht 3672 Rtlr.) Leben und
Eigentum zugesichert. Es waren 81 Personen, welche in aller
Eile das Geld zusammenschossen. Für den Pfarrer mußte ein
besonderes Lösegeld gegeben werden: „Wegen des Pfarrers
Rüdinger Ranzion ist gegeben worden: dem Quuartiermeister
6 Dukaten oder 12 Reichsthaler. Item dem Herrn Grafen —
50
vermutlich Gonzaga — 26 Rthlr. Item dem Leutnant (dem
Prinzen von Modena) 12 Rthlr.“ Später wurde diese Summe
auf 179 Personen oder Haushaltungen verteilt, doch blieben noch
lange Zeit Rückstände.
Die französische Besatzung mochte sich nun zu schwach fühlen
und räumte wohl gegen freien Abzug die Stadt, welche sofort von
den Kaiserlichen besetzt wurde. Die Franzosen müssen in den
ersten Tagen des Oktober abgezogen sein, denn am 16. Oktober 1635
schrieb der kaiserliche Generalkommissar Freiherr Reinhard von
Walmerode aus Biedersdorf bei Doise (Dieuze) an die „Wohl⸗
edlen, Gestrengen, Edeln, Ehrenvesten und Hochgelehrten, sonders
geliebten Herrn und Freunde, Beamte der Grafschaft Nassau—
Saarpruikh“ und ersuchte sie um eine Aufstellung der Gefälle und
Einkünfte genannter Grafschaft, indem er verbot, von diesen Ge—
fallen etwas zu verwenden, „bis Ihre Kaiserliche, auch zu Hungarn
und Böheimb Königliche Majestät darüber verfügt habe“. Bei
der gänzlichen Verwüstung des Landes waren die Renten und
Gefälle sehr gesunken; 1637 betrugen sie nur 340 fl. „Auf den
Dörfern ist fast niemand mehr, sondern die Untertanen teils ver—
storben, teils aus dem Lande entwichen, sich Hungers und der
Soldateska Insolenzien zu erwehren,“ heißt es in einem gleich⸗
zeitigen Berichte. Es ist ja genugsam bekannt, wie damals die
entmenschten Horden unter den friedlichen Bewohnern hausten.
Übrigens sah es auch in unsern Städten traurig genug aus.
Die Vorstädte waren abgebrannt, Pest und Auswanderungen
hatten die Bürger dezimiert. „In beiden Städichen,“ heißt es in
demselben Bericht, „sind jetztmals nit mehr als 70 Bürger und
diese ganz ruiniert.“ 1638/39 zählte man in Saarbrücken nur 5
Geburten, in St. Johann nur 2, während 1624 in Saarbrücken
84, von 1621 bis 1630 durchschnittlich 70 Geburten jährlich
angemeldet wurden. Statt eines friedliebenden Landesherrn und
zahlreicher Beamten, welche der Bürgerschaft Nahrung und Verdienst
brachten, lag ein schroffer Kommandant im Schloß und eine
insolente Soldateska in der Stadt, welche die Vorräte der Bürger
aufzehrten, ohne die mindeste Gewerbtätigkeit zu befördern. Unter
diesen Umständen hoben am 24. Dezember 1635 die gräflichen
—
Beamten, um den Marktverkehr etwas zu erleichtern, die
gewöhnliche Abgabe der Fruchtkoppel auf. Besonders litten die
Beamten und Pfarrer Not, deren Gefälle ganz ausblieben.
Der Oberamtmann von Piesport war nach Frankfurt
geflüchtet; von den Nassauischen Beamten waren nur Seßkretär
Johann Georg Pfeiffer und Rentmeister Johann Georg Klicker
in Saarbrücken zurückgeblieben. Ersterer führle auch unter der
österreichischen Herrschaft unter dem Namen Oberamtsverweser eine
Art von Verwaltung und Gerichtsbarkeit, seine Geschäfte mögen
aber sehr beschränkt gewesen sein; letzterer verwaltete die Gefälle,
und es wurden keine fremden Beamten zu ihrer Überwachung eingesetzt.
Dieser Klicker wurde jetzt aufgefordert, über die Einkünfte der
Grafschaft Auskunft zu geben, und benahm sich hierbei sehr klug
und umsichtig, indem er die Lage der Bürger möglichst zu er—
leichtern suchte.
In Saarbrücken lag damals der Generalwachtmeister Wangler
mit dem Alt Wanglerischen Regimente, welcher bereits im De—
zember 1635 von beiden Städten eine Kontribution von 500 Reichs⸗
talern verlangt hatte; die Stadt St. Johann trug hierzu 114 Reichs—
taler bei. Die Besatzung hatte bald alle Vorräte aufgezehrt; der
Mangel wurde schon sehr fühlbar, und die Kontributionen nahmen
kein Ende. In diesen Drangsalen wandte sich das Stadtgericht
an Graf Wilhelm Ludwig zu Metz; dieser ermahnte sie, alles
mögliche zu tun, um die Bürgerschaft in beiden Städten beisammen
zu behalten; sie sollten alle Mittel aufbieten und Geld aufnehmen,
um die geforderte Kriegssteuer zu bezahlen, zu deren einstiger
Wiedererstattung er alles tun würde, was in seinen Kräfte stünde.
Darauf nahmen die Städte im Sommer 1636 bei Ludwig Beyer,
Rentmeister des Teutsch-Bellistums Walderfangen, 3000 Franken
lothringischer Währung auf. Bald nachher zog das Alt-Wanglerische
Regiment ab und wurde durch das Gordonsche Regiment ersetzt.
Das Rathaus diente damals als Hauptwache.
Da es an Lebensmitteln für die Truppen fehlte, so mußte
man sich auswärts umsehen. Am 14. Mai 1636 schrieb der in
Saarbrücken stationierte Kriegskommissarius Albrecht von Trier
aus an Klicker, daß er 150 Quart Frucht zu Trier gekauft habe
8
4
und sich nicht getraue mehr zu bekommen. Solche Früchte habe
er zu Schiff nach Saarbrücken abgehen lassen und bitte, sie in
seinem Quartier aufzuschütten. Übrigens ersuche er denselben, die
Kontribution beizutreiben und „die arme Leut“ (d. h. Untertanen
vom Land) nicht in die Stadt zu lassen, damit die Infektion nicht
weiter verbreitet werde, da die Leute innerhalb 24 Stunden
stürben. — Auch in Lothringen und der Grafschaft Saarwerden
wurden Früchte für die Truppen aufgekauft.
Von der damaligen Lage der Bürger beider Städte werden
wir durch eine Bittschrift unterrichtet, welche am 23. Juni
(3. Juli 1637) Meyer, Gericht, Burgermeister und Zugeber zu
Saarbrücken und St. Johann (Jakob Pflug, Meyer, Johann
Ruprecht Nimbsgern, Hans Bernhard Löw, Samuel Bruch, Hans
Becker, Bartel Buntell, Karinus Kalbfleisch, Joh. Trapmann,
Adolf Becker, Hans Kirchbecker und Adolf Schröter) an Ihro
Gestrengen Herrn Hauptmann Maller richteten, um sich über die
Wochenkontribution für die Offiziere zu beschweren. Durch zwei⸗
jährige unsägliche Lasten sei die Bürgerschaft so erschöpft, daß
„außerhalb ihres Lebens und der noch verbliebenen wenigen Hũttchen
nichts mehr in Vorrat sei. Sie hätten allen Hausrat und zwar
die Kleider vom Leibe um schnödes geringes Geld verkauft; viele
Einwohner seien bereits ausgewichen, die übrigen müßten mit Weib
und Kind verschmachten und schwarzen, bittern Hungers sterben.
Es sei unmöglich, die verlangte Kontribution zu liefern. Auch
würden die Einwohner durch Fronden und Botenläufe sehr beschwert;
so wollten lieber ins Elend gehen und alles zurücklassen, als länger
solchen Druck ertragen.“
Da diese Bittschrift vermutlich keinen Erfolg hatte, so
wandten sich die Bürger im August desselben Jahres mit
ausführlicher Beschwerdeschrift an die Kaiserliche Generalität. Sie
wiesen auf die Armut ihres Landes hin, das obendrein X
durch beständige Kriegslasten völlig ausgesogen worden sei.
Der Einnahme einer Kaiserlichen Besatzung hätten sie sich
nicht widersetzt; mit Mühe hätten sie durch Anleihen bei Vormund—
schaften, Kirchen und Almosenstöchken 5- bis 6000 Gulden
Brandschatzung aufgebracht; dennoch sei es nicht ohne Plünderung,
81
besonders in St. Johann, abgegangen. Man sei vertröstet worden,
daß beide Orte, unter Aufrechthaltung ihrer Freiheit, nur mit 100
Mann und einem Kapitän als Kommandanten belegt werden
sollten. Doch seien bald an 190 Kranke mit Oijfizieren und
Dienern hereingewiesen worden; dazu sei ein lothringisches
Regiment unter Oberst Maillart einquartiert worden, dessen Offiziere
und Soldaten außer Beköstigung monatlich an 1200 Gulden
erhalten; die Soldaten hätten alle Vorräte und Mobilien aus
dem Schlosse geraubt, den Bürgern sei ihr Ober- und Seiten⸗
gewehr abgefordert worden. Kaum seien etliche zwanzig Stück
Vieh zur Unterhaltung der Kinder übrig geblieben.
Man habe dies dem Generalkommissarius Freiherrn von
Walmerode geklagt; dieser habe sie vertröstet, daß die Kranken
anderwäris untergebracht, die Lothringer abgeführt und beide
Städte mit einer kaiserlichen Garnison versehen werden sollten.
Die Kranken seien aber nur zum Teil entfernt worden und anstatt
der Maillartschen der Generalwachtmeister und Oberst Wangler
mit seinem Regiment gekommen, obwohl nicht mehr als 100 Malter
Früchte im Vorrat gewesen und der Winter vor der Türe gestanden.
Viele Bürger seien aus Hunger, Kummer und an Krankheit
gestorben. Meyer und Bürgermeister seien an andere Bürger
auszuweichen gedrungen worden. Wangler habe zwar das Un—
vermögen eingesehen, aber doch hätten die Bürger nur durch Versatz
ihres Gutes die Kosten aufbringen können. 385888 fl. seien in
24 Wochen ausgegeben worden. Aus Mangel an Brennholz
habe man Häuser niedergerissen und damit an 15000 Reichstaler
Schaden getan ohne Botenläufe, Verehrungen, Gage und sonstige
Kosten. Darauf sei das Gordonische Regiment eingezogen. Diese
hätten das Niederreißen fortgesetzt, sodaß an 150 Wohnhäuser
und 80 Ställe daniederlägen. Die Kontribution habe anfangs
wöchentlich 525 fl., später 402 fl., dann, als ein Teil des Regiments
nach Bockenheim verlegt worden, 340 fl. und schließlich 230, im
ganzen 23888 fl. betragen.
Wenn die Generäle die vielen armen Leute, darunter frühere
Herren- und Kirchendiener und sonst wohlhabende Leute, das
—A
32
verwilderten Äcker sähen, so würden sie gewiß erbärmliches Mitleid
haben und nicht beide Städte gänzlichem Untergang weihen wollen.
Es wurde aber durch diese Eingabe nur erreicht, daß die
wöchentliche Kontribution von 300 fl. auf die Bürgerschaft nach
dem Vermögen umgelegt wurde.
Am 1. Juni 1640 schrieben Meyer, Gericht, Bürgermeister
und Zugeber beider Städte an Rat Pfeiffer nach Metz, daß infolge
der langen Abwesenheit des Grafen bei den alten Dienern, Bürgern,
Offizieren und Soldaten allerhand „imaginationes“ Platz
griffen. Die Beamten wollten ihre Ämter nicht länger administrieren,
fondern deren quitt sein, da wenig Dank dabei zu erwerben sei;
die Bürger klagten über Kontributionen und sonstige Kriegsbe—
schwerden. Die impatientia sei großz, da sie von jedermann
verlassen seien. Sie regten an, daß die Landbewohner den Städten
zu Hilfe kommen könnten, und ließen den Grafen bitten, seine
Ankunft zu beschleunigen.
Diese Bitte sollte nicht in Erfüllung gehen: am 22. August
dieses Jahres starb Graf Wilhelm Ludwig in Metz im Elend.
1641. Nachdem die Kriegsstürme sich etwas gelegt hatten,
fand sich der Oberamtmann Philipp von Piesport im März 1641
in Saarbrücken wieder ein, und auch die Gräfin-Witwe Anna
Amalia wagte es, Metz zu verlassen und in ihr Land zurückzu—
kehren. Sie nahm vorläufig, weil Saarbrücken damals noch mit
kaiserlichen Truppen besetzt war, ihren Sitz in Ottweiler, wo sie
am 11/21. September 1641 anlangte.
In derselben Zeit verbreitete sich die Nachricht, daß Kaiser
Ferdinand III. dem Herzog von Lothringen die Grafschaft
Saarbrüchen und die Festung Homburg als Pfandbesitz überlassen
habe. Wirklich zogen auch die Regimenter des Obristen Gordon
in den ersten Tagen des Oktobers aus Saarbrücken und Homburg
ab, und lothringische Truppen rückten an ihre Stelle. Die
mancherlei Bedrückungen der lothringischen Beamten und die
Durchzüge der verschiedenen Truppenteile mußz ich übergehen.
Am 16. Februar 1643 trafen einige Kapuziner aus Worms
hier ein, welche dem Kommissarius Simon ein Schreiben von der
lothringischen Herzogin behändigten, des Inhalts, man solle den
Patres zur Celebrierung der Messe ein Haus in der Stadt geben.
„Als sie nun“ (sagt das Stadtprotokoll) „die Stadtschule
(Gymnasium) begehrt, auch bereits von dem Amtmann Durand
zu Wege gebracht, daß er den jetzigen Bewohnern des Hauses
durch den Amtsboten zu emigrieren befohlen, haben beider Städte
Gerichte eine Zusammenkunft gehalten, um zu beraten, wie diesen
neuen Attentaten zu begegnen sei. Worauf man dem Amtmann
die Beschaffenheit der Schule vorgestellt, welcher sich aber enischuldigte,
daß die Kommission nicht auf ihn, sondern auf Kommissar Simon
gestellt sei. Letzterer zeigte das Schreiben der Fürstin vor, in
welchem in marginsé steht: „den Geistlichen das Haus, das sie
begehren, einzuräumen.“ Darauf die Gerichte solenniter protestiert:
„Die Schule sei ein bürgerlich Haus und den Städten zugehörig;
könnten und wollten es nicht zulassen, mit dem Bemerken, daß
sie wohl wüßten, daß diese Attentate und Eingriffe gegen den
Befehl des Herzogs gingen, der die Privilegien der Städte tam
in genéere, quam in speécieé konfirmiert und bisher manuteniert
habe, und bäten, solche nicht zu violieren, ansonsten man sich bei
dem Herzog oder à la Cour zu beklagen. Mit dem Erbieten,
den Geistlichen das Haus beim Schloß, so vor diesem Herrn
Doktor Werner selig zugestanden, einzuräumen. Solches haben sie
aber nicht angenommen, sondern sind de facto zugefahren und
haben etliche Gemach in der Schule gesäubert und die Leute
ausgebotten. Die Gerichte aber haben die Leute mandiert zu
bleiben und nicht auszuziehen, auch abermals in Gegenwart der
Geistlichen, des Kommissars Simon und des Amtmanns in faciem
protestiert, auch die Sache alsbald à la Cour gelangen lassen,
deren Expedition Gott zu gutem Ende bringen wolle.“
Der Anschlag der Kapuziner gelang nicht; denn wir finden,
daßz Meier und Gericht das Gymnasialgebäude am 25. Mai 1643
aufs neue an einen hiesigen Bürger vermieteten, da bei dem
zerrütteten Zustande des Landes an eine Besetzung der Lehrerstellen
nicht zu denken war.
Inzwischen war die Neutralität der Städte und der ganzen
Grafschaft am 6. August von der französischen Regierung bewilligt
worden, und die Gräfin Anna Amalia sandte daraufhin ihren Sohn,
den Grafen Johann Ludwig, um die Regierung zu übernehmen
und den Bürgern mit Rat und Tat beizustehen.
Die französische Armee machte indessen immer größere Fort-
schritte. Im Herbst 1644 zog General Magalotti mit einem an—
—
von wo er den Obersten Baron Saint Aumont mit einem Detachement
von 200 Reitern und 100 Mann Fußvolk gegen unsere Städte
abschickte; dieser rückte Sonntag den 22. September 1644 nachts
vor St. Johann und forderte den Platz sogleich auf. Der loth—
ringische Kommandant, Leutnant Dubois, wollte sich anfangs zur
Wehr setzen, bedachte sich aber bald eines andern und bat den
auffordernden Offizier und Trompeter, sich bis zum Tagesanbruch
zu gedulden, da er dann abziehen wolle; dies wurde bewilligt,
worauf die Lothringer Montag Morgen mit Hinterlassung ihrer
Gewehre nach Homburg abmarschierten.
Graf Johann Ludwig war dem Obersten St. Aumont
entgegen geritten, ersuchte denselben, gute Ordnung zu halten, indem
er ihm vortrug, daß man von der Krone Frankreich die Neutralität
für das Land erhalten habe, und bat, keine Besatzung einzulegen.
Ersteres versprach der Oberst, bemerkte aber: „weilen er von seinem
Feind Garnison zu St. Johann gefunden, müsse er auch Garnison
daselbst einlegen, maßen seines Königs Dienst dies erfordere“.
Ungeachtet des gegebenen Versprechens ließen sich die Reiter nicht
abhalten, beim Einrücken in St. Johann Unfug durch Plündern
und Rauben zu verüben. Abends zog der Oberst mit der Reiterei
ins Lager bei Wallerfangen ab und ließ 50 Mann Fußvolk zur
Besatzung in St. Johann zurück.
1645. Die fortwährenden Kriegslasten, welche die Garnison
zu Saarbrücken verursachte, bewogen die Gräfin Anna Amalia zu
Anfang des Jahres 1645, einen Abgeordneten nach Paris zu
schicken und um die anderweitige Unterhaltung der Garnison zu
bitten; auch gab sie ihrem Rat und Oberamtmann der Herrschaft
Lahr, Philipp Streuf von Leuenstein, Instruktion, wie derselbe bei
dem französischen Residenten zu Straßburg die nötigen Schritte zu
demselben Zwecke tun sollte. In ihrem Schreiben d. d. Ottweiler,
den 5. Februar 1645, erwähnte sie, „dafz das Haus Saarbrücken
— —
(d. h. das Schloß) durch die Lothringer fast gänzlich demantelirt
und in solchen Stand gesetzt sei, daß es beinahe nicht zu bewohnen, daß
sie die Stadtmauern und Wehren an beiden Städten Saarbrücken
und St. Johann an verschiedenen Orten niedergerissen und Breschen in
dieselben gemacht, hernach aber die zu St. Johann wiederum
etlicher Massen ergänzt und dieser Ort von den Lothringern
besetzt, aber im September 1644 von den Franzosen genommen
worden sei, und daß die Kosten der Unterhaltung der Garnison
sich monatlich auf mehr als 1000 Livres beliefen. Darauf erging
eine königliche Ordre an den Kommandanten, daß er keine
Kontribution von den Einwohnern erheben dürfe. Die Folge
davon war, daß dem Meier, dem Bürgermeister und den Gerichts—
herren 4 bis 6 Mann Einquartierung ins Haus gelegt wurden.
Die französische Garnison blieb bis zum Jahre 1650 in Saarbrücken.
Bei der am 20. Mai 1646 vor Oberamtmann Philipp Georg
von Piesport, dem Rat Johann Georg Pfeiffer und dem Schultheiß
Bernhard Wölflin geschehenen Ersetzung der Stadtämter wurde von
Piesport vorgeschlagen, zum Meier einen solchen Bürger zu wählen,
welcher der französischen Sprache völlig mächtig sei. Samuel Bruch,
Gerichtsschöffe, erbot sich dazu, wenn er der Kontribution und seiner
Gerichtsstelle entledigt würde. Das Gericht wollte ihn aber der letzteren
nicht entledigen, da er als ältester Gerichtsschöffe viele Erfahrungen
habe; doch nach einigem Kapitulieren wurde ihm zugesagt und das
Amt übertragen.
Den Schluß dieser schier endlosen Durchmärsche machte der
berühmte Turenne, der am 6. Oktober mit einem starken Heere
und vielem Geschütz ankam und in St. Johann sein Hauptquartier
aufschlug. Am 8. brach er wieder auf. nachdem er an Früchten
und Futter großen Schaden getan; auch wurden etliche Häuser
in beiden Städten gänzlich ausgeplündert. Für die französische
Garnison in St. Johann mußten die Saarbrũcker das Brot backen,
wodurch sie sich sehr beschwert fühlten.
Die Gräfin Anna Amalia lebte unterdessen in Ottweiler,
da fast alle ihre Einnahmequellen versiegt waren, in geradezu
ärmlichen Verhältnissen.
a
4
Im Sommer 1648 verlegte die Gräfin ihren Wohnsitz wieder
nach Saarbrücken, obwohl hier noch eine französische Besatzung lag.
Am 265. Januar 1649 erließ sie die Verordnung, daß der sog.
Pfundzoll oder das Kreuzergeld (1 Kreuzer von jedem Gulden des
Kaufschillings) auch von den Bürgern bezahlt werden sollte. Die
Städte aber beschwerten sich über diese Neuerung und hoben hervor,
daß sie schwere Kriegslasten erduldet hätten und jetzt monatlich 100
Karren Holz für den Kommandanten zur Wacht herbeiführen müßten.
Darauf beließ es die Gräfin dabei, daß der Pfundzoll nur von
den Fremden bezahlt werden solle. Zwei Jahre später, am
18. November 1651, starb die Gräfin. Sie fand ihr Begräbnis
in der Schloßkirche; die Armut der Zeit gestattete nicht, ihr ein
Grabmal zu errichten.
Der allgemeine Wunsch nach Beendigung des Krieges war
am 24. Oktober 1648 endlich erfüllt und die Herrschaft wieder in
ihre Rechte eingesetzt mworden, doch die Bewohner der Städte wurden
des Friedens vorläufig nicht froh. Die französische Garnison blieb
in der Stadt, da der Herzog von Lothringen in den Frieden nicht
eingeschlossen war und Homburg besetzt hielt. Von hier aus
unternahmen seine Truppen Raubzüge in die Umgegend; am
10. April 1649 raubten sie der Stadt St. Johann 39 Kühe, die
mit einem Lösegeld von 66 fl. 14 Batzen zurückgekauft werden
mußten; ja am 10. Juni 1650 erschien eine lothringische Heeres—
abteilung vor St. Johann, beschoß die Stadt und nötigte die
französische Besatzung zum Abzug. Doch am Ende des Jahres
wurden die Lothringer gezwungen, die Stadt wieder zu räumen.
Von der Einquartierungslast, von französischen und lothringischen
Kontributionen waren die Einwohner nun befreit, aber dafür wurde
jetzt die Kriegsentschädigung für Schweden und die Frankenthaler
Evakuationsgelder für Spanien ausgeschrieben. Mit Seufzen
machten sich die Bürger daran, ihr verwüstetes Heim wieder herzu⸗
richten und in fleißiger Arbeit den gesunkenen Wohlstand wieder
zu heben.
67
4. Die Reunionszeit und der Kirchenraub.
Nur langsam vermochten sich die verarmten Städte von dem
Kriegselend zu erholen, und es dauerte viele Jahre, bis die
Spuren der ausgestandenen Leiden einigermaßen verwischt waren.
Schweden und Kaiserliche, Lothringer und Franzosen hatten
nacheinander die Städte besetzt gehalten und von dem Gut der
Bürger gelebt, Brandschatzung und andere Bedrückung verübt.
Die Wohnhäuser waren verfallen und zum Teil verbrannt, auch
die Mauern, Tore und städtischen Gebäude waren keils zerstört,
teils in sehr schlechtem Zustande und bedurften einer Ausbesserung.
1659 befahl die Herrschaft der Stadtbehörde, die verfallenen
Mauern wieder herzustellen, aber es fehlte an hinreichenden Mitteln,
da der Graf Johann Ludwig notgedrungen den Städten ihren
Anteil an den Ohm- und Salzgeldern entzogen hatte.
Graf Gustav Adolf, dem bei der Erbteilung mit seinen
Brüdern die Grafschaft Saarbrücken zugefallen war, war redlich
bemüht, wie dem ganzen Lande, so auch den Städten wieder aufzuhelfen.
Er ließ Verzeichnisse der ausgewanderten Bürger aufsetzen und sie zur
Rückkehr auffordern. Um neue Bewohner in die verödeten
Städte zu ziehen, verordnete der Graf am 9. Februar 1664, daß
von dem Einzugs- und Zunftgeld, das beim Eintritt Fremder in
die Bürgerschaft entrichtet werden mußte, einige Jahre lang ein
Drittel nachgelassen und denen, welche ruinierte oder neue Hãäuser
aufbauten, 5, 6 und mehr Jahre Befreiung von Real- und
Personallasten gewährt werden könne. Diese Erleichterung bestand
bis 1679. In der Tat finden sich seit dieser Zeit in unsern
Städten eine Reihe von neuen Namen, deren Träger damals
50
7
zugewandert sein müssen, z. B. Korn aus Brandenburg, Haldy
aus der Schweiz, Sehmer aus Baden u. a. Der Wohlstand hob
sich langsam wieder, da einige gute Jahre reiche Ernte brachten
und der Holzreichtum der Wälder bei holländischen Händlern
guten Absatz fand.
Dieser Friedenszustand war leider nicht von langer Dauer;
denn schon 1672 brach infolge der Ländergier Ludwigs XIV.
ein neuer Krieg aus, der für Land und Städte verhängnisvoll wurde.
Bereits im Herbst 1672 hatten Durchmärsche und Ein—
quatierungen französischer Truppen stattgefunden, doch fanden
zunächst keine Feindseligkeiten statt. Gegen den Ausgang des
Jahres 1673 aber erschien ein französischer Proviantkommissarius
in Saarbrücken, um zur Verpflegung der Turenne'schen Armee,
welche an der Saar ihre Winterquartiere beziehen sollte, Vorräte
an Frucht und Mehl aufzukaufen, und bald langten Abteilungen
dieser Truppen hier an, welche sogleich die Stadttore besetzten.
Unmittelbar hierauf wurde der gräfliche Hofmeister Joh. Karl
von Rüdesheim verhaftet und am 5. Dez. nach Nanzig abgeführt. Am
Abend des 11. Dezember erlitt Graf Adolf dasselbe Schicksal,
weil er sich weigerte, von dem Kaiser sich loszusagen und sich an
den König von Frankreich anzuschließen. Er sagte, er wolle
lieber nur mit einem Stecken davongehen, als seinem Kaiser die
Treue brechen. Darauf wurde er auf Befehl des Marquis von
Rochefort gefänglich auf das Rathaus gebracht und am andern
Tage durch eine Schwadron Dragoner nach Metz abgeführt.
Von jetzt an fand unablässiger Truppendurchmarsch von der
Turenne'schen Armee und den Kölnischen Truppen statt, die unter
General Renel vom 25. bis zum 28. Dezember durch Saarbrücken
zogen. Die ständige Besatzung betrug 7 Kompagnien zu Fuß
und 2 zu Pferd. Die Einquartierungslast war so drückend, daß
die Bürger beider Städte den Grafen um Abhilfe baten, aber
dieser war dazu außer stande, da er selbst mittellos in der
Gefangenschaft lebte. Da den städtischen Behörden bald die
Mittel zur Verpflegung der Garnison fehlten, so wurden nach
eingeholier Erlaubnis der Gräfin Eleonora Klara die vorrätigen
Hospitalgefälle dazu verwendet.
Unter beständigem Truppenwechsel verstrichen die ersten
Monate des Jahres 1674. Bald mangelte es abermals an allem
zur Verpflegung der Truppen, und die Gräfin sah sich genötigt,
um den Gewalttätigkeiten des Kommandanten zuvorzukommen, den
Städten mit einigen Geldmitteln beizustehen. Am 13. Mai kam
Graf Gustav Adolf aus seiner Gefangenschaft von Metz nach
Saarbrücken zurück; da ihm aber der Aufenthalt im Schlosse
nicht gestattet war, so reiste er nach Ottweiler und nahm später
als Generalmajor Dienst in der kaiserlichen Armee.
Während dieses Wechsels der Garnisonen und Kommandanten
dauerte der Truppendurchmarsch vom Frühjahr bis Herbst fort,
und darauf wurden Anstalten für die Winterquartiere der Truppen
getroffen, wobei sich der Kriegskommissar La Trecy besonders
gewalttätig zeigte, der, als die Stadtverordneten die verlangte Fourage
nicht schnell genug beschafft hatten, den Meier und Bürgermeister
und sämtliche Gerichtspersonen in den Turm werfen ließ. Die
Kenntnis der französischen Sprache wurde in dieser Zeit bei der
Besetzung des Meier- und Bürgermeisteramtes für erforderlich
gehalten.
Die beiden nächsten Jahre verflossen unter beständigen
Truppendurchmärschen, wodurch die Bürgerschaft aufs äußerste
erschöpft wurde. Eine Deputation an den französischen Intendanten
und an den Marschall Rochefort in Nanzig blieb ohne Erfolg.
Durch alle diese Kriegsbeschwerden waren die Bürger so verarmt,
daß, als Gräfin Eleonora Klara am 31. März 1676 verlangte,
die Städte sollten die gewöhnlichen 500 Gulden sogenannter
Subsidiengelder, wie vordem, an die Rentei entrichten, man nicht
imstande war, diesem Verlangen zu entsprechen, und durch eine
Abordnung die Gräfin bitten ließ, die Bürgerschaft diesmal damit
zu verschonen, da jedermann kaum seinen nötigen Unterhalt
aufbringen könne. Wie es scheint, hatten manche Bürger die
Stadt verlassen, um sich den Lasten zu entziehen; denn am
16. Mai 1676 faßte das Stadtigericht den Beschluß, die heraus—
gewiesenen Bürger sollten sich wieder in die Stadt begeben und
die Lasten tragen helfen oder ihrer Bürgerschaft und Zunft
verlustig gehen. Aber man vergaß in dieser Not nicht, was man
70
dem Vaterlande schuldig war. Als ein Bürger den Franzosen
den Weg nach Homburg zeigen wollte, forderte man ihn auf,
zurückzukommen; sonst werde sein Vermögen eingezogen und er
selbst verbannt werden.
1677. Während im Anfang des folgenden Jahres die
Pfalz, das Elsaß und der Westrich von den Franzosen durch
Mord und Brand verwüstet und verheert wurde, blieb man hier
ruhig und verschont. Im März jedoch begann die kaiserliche
Armee unter dem Befehl des Herzogs Karl V. von Lothringen
sich in Bewegung zu setzen und rückte im Mai gegen die Saar vor.
Am 16. Mai lagerte sich die kaiserliche Armee auf den
Anhöhen von Malstatt bis St. Johann, worauf man den franzö—
sischen Kommandanten Du Roy aufforderte, die Stadt zu
übergeben; da dieser sich weigerte, ließ der Herzog die Kanonen
auffahren und die Beschießung vorbereiten. Weil die Franzosen
St. Johann nicht behaupten konnten, so hatten sie die Türme
und Mauern zum Teil niedergerissen, um den Feinden keinen
Stützpunkt zu lassen. Um die Annäherung zu erschweren, steckten
sie am folgenden Tage die Vorstadt im Tal (nach St. Arnual zu)
und die Häuser an der Schloßkirche in Brand (der Schloßberg
war damals noch eng mit Häusern bestanden). Als die Be—
wohner, welche nicht einmal vorher gewarnt worden waren,
Anstalten zum Löschen machten, nahmen ihnen die Franzosen
Eimer und Kübel weg; so verbreitete sich der Brand bald
über die ganze Stadt und verzehrte die dichtgebauten Holz⸗
häuser. Auch das Dach der Schloßkirche wurde vom Feuer
ergriffen, die Glocken schmolzen und fielen herab. Um nur aus
den Flammen zu entkommen, schlugen die Bürger die Stadttore
ein und retteten sich ins Freie.
St. Johann wurde vor dem gleichen Schicksal nur dadurch
bewahrt, daß einige Bürger die Kaiserlichen einließzen. Ein späterer
Bericht erzählt, die Franzosen seien schon mit Brandfackeln auf
der Brücke gewesen, um die Stadt anzuzünden, da habe sich ein
St. Johanner Bürger namens Nickel Ludt, welcher der französischen
Sprache mächtig gewesen, vor dem Befehlshaber auf die Kniee
geworfen und ihn um Schonung für seine Vaterstadt angefleht.
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Mittlerweile hatten die Kaiserlichen zwei Brücken über die
Saar geschlagen und beschossen das Schloß aus zwei Batterien
von St. Johann und von der Saarbrücker Seite aus. Durch
den Widerstand und die Brandstiftung der Franzosen erbittert,
warfen sie schließlich am 18. Feuerkugeln in das Schloß, nötigten
die Besatzung zur Übergabe und verübten unter den Brandstiftern
ein gräßzlliches Gemetzel. Die Gräfin Eleonore Klara war fast
—
worden und kaum dem Tode entronnen. Der Herzog legte eine
starke Besatzung ins Schloß sowie nach St. Johann und rückte
mit seiner Armee nach Lothringen vor.
In Saarbrücken sah es jetzt öde und traurig aus; alle
Häuser, mit Ausnahme von 6 massio aus Stein erbauten, lagen
in Asche und Schutt. Von der Schloßkirche war Dach und
Turm abgebrannt, das Schloß war zur Hälfte vom Feuer zerstört;
die Straße im Rauschental war ebenfalls niedergebrannt. Zu den
vom Feuer verschont gebliebenen Häusern gehörte das Gymnasial—
gebäude, das vereinzelt stand, und einige Häuser adeliger Familien;
auch einige kleine Häuser in der Vorstadt vor dem Markttore
waren noch übrig.
Die Einwohner hatten sich gleich beim Brande nach allen
Seiten hin geflüchtet und irrten von allem entblößt und dem
Elend preisgegeben umher. Manche von ihnen kehrten nicht mehr
zurück; einige starben vor Schrecken und Entbehrung, andere
ließen sich auswärts nieder, und noch 40 bis 60 Jahre später
fand man heimliche Verstecke, in welchen einige nicht wiedergekehrte
Flüchtlinge ihre Habseligkeiten verborgen hatten. Wieder andere
hatten sich in die benachbarten Dörfer geflüchtet und fanden später
in St. Johann einen Aufenthalt. So hatte denn jetzt, nachdem
die beklagenswerten Bürger alle Bedrängnisse des dreißigjährigen
Krieges getragen, sie noch das furchtbare Geschick getroffen, das
viele unserer Nachbarstädte schon früher hatten erleiden müssen.
Wie gar verödet und leer damals Saarbrücken war, kann man
daraus entnehmen, daß bei der am 6. Juni vorgenommenen
Erneuerung der Stadtämter nur der Meier, Ulr. Blank, der
Büttel und der Schütz aus der Zahl der noch übrigen Bürger
erwählt wurde. Das Stadtiprotokoll sagt bei dieser Gelegenheit:
„Weilen, Gott erbarms, die Burgerschaft in Saarbrücken sich sehr
gemindert und durch den Brand ihrer häuslichen Wohnungen
beraubt worden, daß Einer hierin, der Andere dorthin sich retiriret,
so ist bei so gestalteten Zeiten kein Zugeber noch Heinmaier in
der Stadt Saarbrücken gezogen worden.“
Infolge des Rückzugs des kaiserlichen Heeres gewannen die
Franzosen wieder die Oberhand im Westrich. Den Zeitpunkt, in
welchem sie sich abermals der Städte bemächtigt haben, vermögen
wir nicht genau zu bestimmen; doch finden wir am 21. Juni 1678
wieder eine französische Garnison in Saarbrücken und zugleich den
Herrn de la Goupillière als Kriegskommissarius sein heilloses
Wesen treibend.
Obgleich seit dem Brande manche der zerstörten Häuser wieder
hergestellt worden waren, auch sich einige Bürger wieder einge—
funden hatten, so war doch Saarbrücken noch so schwach an
Einwohnern und Mitteln, daßz Gräfin Eleonora Klara,i) um
Mißhelligkeiten zwischen beiden Städten zu verhüten, am
3./13. Oktober 1678 dem Gericht zu St. Johann bemerken ließ,
daß Saarbrücken nur ein Sechsteil von allen Kriegslieferungen
und außergewöhnlichen Umlagen zu tragen habe.
Die Stadtprotokolle aus diesen und den folgenden Jahren
enthalten viele gerichtliche Abschätzungen von verbrannten Hofstätten,
die von andern in Besitz genommen und wieder bebaut wurden.
Der Meier und die sechs Schöffen schätzten jeder besonders die
Baustelle und dann wurde aus den Schätzungszahlen das arithmetische
Mittel gezogen. Die Häuser wurden auf den alten Fundamenten
wieder aufgeführt, auch die Bauart beibehalten: nur der Sockel
1) Ihr Gemahl, Graf Gustav Adolf, war am 7. Oltober 1677 in einem
Gefecht gegen die Franzosen bei Kochersberg tödlich verwundet worden. Seine
einbalsamierte Leiche ist in der Thomaskirche zu Straßburg zu sehen; in der
Schloßkirche zu Saarbrücken hat ihm und seiner Gemahlin ihr Sohn, der Graf
Ludwig Kraft, ein prächtiges Grabmal errichten lassen.
74
aus Stein, das übrige Fachwerk, der Giebel nach der Straße,
das obere Geschoßz über das untere hervorragend; auch viele ein—
stöckige Häuser wurden erbaut. Noch um das Jahr 1720 waren
nur etwa zwei Drittel der Häuserzahl, wie sie hundert Jahre früher
gewesen, vorhanden. Die Schloßkirche wurde erst im Jahre 1691
wiederhergestellt; am 22. Dezember wurde der Kirchturm aufge—
schlagen und am folgenden Tage die neue Glocke eingehängt.
Der Frieden von Nymwegen (5. Februar 1679), welcher die
Grafschaft Saarbrücken ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgab und
die Räumung durch die Franzosen festsetzte, hatte gerade das Entgegen—
gesetzte zur Folge, indem die französische Regierung jetzt durch jenes
bekannte Reunionsverfahren nicht allein die Grafschaft Saar—
brücken, sondern auch viele andere Landschaften und Gebiete des
linken Rheinufers als Dependenzen der ihr abgetretenen Bistümer
Metz, Toul und Verdun an sich zog. Um gegen dieses Verfahren
Einspruch zu erheben, schickte die Gräfin ihren Sohn Ludwig Kraft
nach Nanzig und Paris, welchem die Städte, da ihm die Mittel
zur Reise fehlten, 50 Taler Reisegeld beisteuerten, wozu Saar—
brücken 15 und St. Johann 35 Reichstaler beitrug. In einem
Schreiben der Gräfin (Ende 1679) an den König von Frankreich
sagt sie, daf ungeachtet der Bestimmung des Nymweger Friedens
nicht allein das Schloß Saarbrücken und die Stadt St. Johann
mit französischen Truppen besetzt geblieben, sondern auch letztere seit
kurzem um mehr als die Hälfte vermehrt worden seien, daß
königliche Truppen überdies die Winterquartiere im Lande' bezogen
hätten und dasselbe mit Kriegskontributionen und Lasten aller
Art fortwährend beschwerten. Diese Vorstellungen waren jedoch
ohne Erfolg, und Ludwig XIV. begann vom Anfange des
Jahres 1680 an als unumschränkter Oberherr über unser Land
zu gebieten und demgemäß zu verfahren.
Im März 1680 erschienen französische Bauunternehmer,
welche beauftragt waren, die Befestigung von St. Johann
vorzunehmen. Die alten, vor ungefähr 300 Jahren erbauten
Stadtmauern und Türme wurden unter Beihilfe der Garnison bis
zum Grund niedergerissen und im Laufe dieses Jahres neue
starke Mauern mit Schießscharten, Bastionen und Toren mit
Zugbrücken aufgeführt; ein breiter Graben umzog das Ganze.
Die alte Pforie an der St. Johanner Kirche wurde damals zugebaut.
Am 8. Juli 1680 fällte die Reunionskammer in Metz
den Spruch, daß die Gräfin Eleonore Klara bei Strafe der
Lehnentziehung binnen 40 Tagen ihr Lehen von dem Bischof
von Metz empfangen und ihre Untertanen anweisen solle, keinen
anderen Oberherrn als den König von Frankreich anzuerkennen
und an kein anderes Gericht als an das Parlament in Metz zu
appellieren, und alsbald trat der König, noch ehe die Gräfin den
Lehnseid wirklich geleistet hatte (9. Januar 1681), als absoluter
Landesherr auf. Die Saargegend wurde in die Province de
—I0—
und der Finanzen Anton Bergeron de la Goupilliöre bestellt,
der in Homburg seinen Sitz nahm und von dort aus mit un—
beschränkter Willkür seine Verfügungen ergehen ließ, indem er
Beamte ein⸗ und absetzte, Steuern, Kontributionen und Lieferungen
nach Gutdünken ausschrieb.
Von den Verfügungen der französischen Behörde war aber
keine einschneidender und folgenreicher als ihre Eingriffe in das
konfessionelle Gebiet, und die evangelische Gemeinde zu
St. Johann hatte darunter besonders zu leiden. Seit dem
Jahre 1575 war die öffentliche Ausübung des katholischen Kultus
in der Grafschaft Saarbrücken verboten, und in den Städten
wurden nur Lutheraner als Bürger angenommen, Reformierte
nur ausnahmsweise geduldet. Jedoch müssen sich im 30jährigen
Kriege während der österreichischen, lothringischen und französischen
Besetzung und während des zweiten Raubkrieges Katholiken in
den Städten niedergelassen haben; denn wir erfahren, daß damals
die protestantischen Pfarrer bei der Beerdigung von Katholiken
die kirchlichen Handlungen verrichteten.
Die französische Garnison hatte ihren eigenen Feldprediger
namens Fabry mitgebracht, der sich fortan Priester und Ausspender
der Garnison zu Saarbrücken und St. Johann und bestellten
Seelsorger der ganzen Grafschaft Saarbrücken nannte und den
protestantischen Geistlichen das Recht bestritt, Katholiken zu beerdigen.
Im Anfang des Jahres 1680 ließ er einen Hirtenbrief des Bischofs
75 —
von Metz an der Kirche zu St. Johann anschlagen, in welchem
dieser seine baldige Ankunft ankündigte. Am 28. Mai erschien
der Bischof auch, stieg beim Ochsenwirt in St. Johann ab und
schickte den Prior von Gräfintal zur Gräfin-Witwe Eleonore
Klara, um ihr seinen Besuch anzukündigen. Er bat die Gräfin,
eine der Kirchen in beiden Städten den Katholiken einzuräumen.
Als dies verweigert wurde, nahm er die gräfliche Zehntscheuer in
St. Johann in Besitz und ließ in Gräfintal den nötigen Ornat
holen. Am andern Tage besuchte er die Kirche in St. Arnual,
die er hatte öffnen lassen. Am nächsten Tage, am Himmel—-
fahrtsfest, ließ er in dem zur katholischen Kapelle geweihten Ge—
bäude in St. Johann die Messe lesen. Der französische Intendant
La Goupillidre ließ ausschellen, wer katholisches Gesinde habe,
müsse er bei Strafe in die Messe schicken.
Da die alte Pfarrkirche zum hl. Ludwig () in Saarbrücken!)
in die Hände der „Irrgläubigen“ gefallen und deshalb als diruta
(zerstört) anzusehen sei, so übertrug der Bischof von Metz das
Saarbrücker Pfarramt auf die neuhergestellte Kapelle zu St. Johann
und gab dieser jetzt zur Pfarrkirche erhobenen gottesdienstlichen Stätte
als zweiten Patron den hl. Ludwig. Zur Dotation des Pfarramts,
das einem Jesuiten aus Bockenheim (Saarwerden) übertragen
wurde, gewährte Ludwig XIV., da nach dem Westfälischen Frieden
alles Kirchengut den Lutherischen zugefallen war, das gesetzlich
vorgeschriebene Gehalt von 300 Franken. Im folgenden Jahre
bewilligte der König ein weiteres Gehalt von 350 Franken mit
der Verpflichtung für den Pfarrer, nichts von den Pfarrkindern
zu nehmen.
Kein Geringerer als die allerchristlichste Majestät selbst hörte
drei Jahre später in dieser Kapelle die Messe. Am 6. Juli 16883
kam König Ludwig XIV. mit der Königin, dem Dauphin,
dem Herzog von Orleans und großem Gefolge hier an. Der
Konig übernachtete im Schloß, der Herzog in der Stadt Saarbrücken,
das Gefolge in beiden Städten, und die begleitenden Truppen
) Die Schloßlirche war dem hl. Nilolaus geweiht.
7
lagerten sich zwischen St. Johann und Malstatt. Am folgenden
Morgen wohnte der König dem Gottesdienste in St. Johann bei
und reiste von hier nach Saarlouis weiter, um die dort im Ent—⸗
stehen begriffene Festung zu besichtigen.
Die katholische Religion wurde durch Strafbestimmungen
geschützt. Kinder eines kathol. Vaters oder einer kathol. Mutter durften
nicht von einem evang. Pfarrer getauft, noch in eine evang. Schule
aufgenommen werden. Ein evang. Pfarrer durfte kein Paar
kopulieren, wenn der eine Teil katholisch war, auch keinen
Katholiken beerdigen. Den evang. Pfarrern wurde jede Be—
sprechung katholischer Lehren verboten; ja sie durften nicht einmal
zur Beständigkeit im Glauben ermahmen. Blasphemie (Gottes⸗
lästerung) wurde die ersten vier Male mit Geldstrafen, zum fünften
Male mit Prangerstrafe, zum sechsten und siebten Male mit Ab—
schneiden von Ober- und Unterlippe, zum achten Male mit Ab—
schneiden der Zunge bedroht. Wer Gotteslästerung — dafür konnte
jede abfällige Äußerung über eine andere Religion erklärt werden —
hörte, ohne sie anzuzeigen, wurde mit 60 Liores gestraft.
Die französische Regierung begnügte sich aber nicht damit, den
katholischen Untertanen die Ausübung ihres Gottesdienstes zu er⸗
möglichen, sondern sie bemühte sich auch, möglichst viele verirrte
Schafe in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückzuführen.
Schon im Jahre 1681 wurden die Bürger von St. Johann ge—
zwungen, die katholischen Feiertage mitzufeiern. Die Gräfin be—
schwerte sich darüber bei dem Minister Louvois, erhielt aber eine
abschlägige Antwort. Am 4. Januar 1684 erließ la Goupilliöre
die Verordnung, daß alle diejenigen, welche die katholische Religion
annehmen würden, vier Jahre von allen Lasten und Beschwerden,
Einquartierungen, Umlagen, Steuern und Fronden befreit sein
sollten. Alle Amtleute, Schultheifen, Meier und Schöffen erhielten
bei Strafe der vierfachen Wiederersetzung den Befehl, die Neube—
kehrten nicht mit solchen Lasten zu belegen und, wie später zugesetzt
wurde, ihren Anteil auf die Lutheraner und Reformierten zu legen.
Die Entscheidung aller Prozesse solcher Neubekehrten mit Gegnern
anderer Religion behielt sich der Intendant selbst in zweiter Instanz
vor, damit jenen kein Unrecht geschehe. So arbeitete man mit
9
den gröbsten Mitteln daraufhin, die protestantische Bevölkerung
von ihrem Glauben abtrünnig zu machen.
Diese Verordnung gab dem Intendanten Anlaß, den Meier
von Saarbrücken, Joh. Jakob Hetzhenn, abzusetzen und nach
Homburg ins Gefängnis bringen zu lassen unter der Anschuldigung,
daß er einem Bürger, der die Religion „changiert“ und katholisch
geworden, Soldaten ins Quartier gelegt habe. An seiner Stelle
wurde ein katholischer Bürger, Robert Locuti, bisher Wirt in der
Vorstadt, zum Meier eingesetzt, obwohl derselbe nicht einmal seinen
Namen schreiben konnte.
Am 21. Dezember desselben Jahres 1684 machte der Intendant
folgendes bekannt: Da es der Billigkeit nicht entspreche, daß die
katholischen Einwohner von der Benutzung der Kirchen ausgeschlossen
seien, so befehle der König, daß an allen Orten, wo sich zwei
Kirchen befänden, die kleinere den Katholiken eingeräumt werden
solle; wo nur eine vorhanden sei, sollte sie beiden Bekenntnissen
gemeinschaftlich sein; jedoch sollten die Katholiken auf die kirch—
lichen Einkünfte keinen Anspruch erheben und keine Störung des
evangelischen Gottesdienstes verursachen, die Messe nur im Chor
gelesen und dieser nötigenfalls abgetrennt werden. Damit wurde
der bisherige durch den Westfälischen Frieden anerkannte Rechts⸗
zustand umgestoßen, obwohl der König kurz vorher, am 15. August 1684,
bei dem Regensburger Waffenstillstand den Protestanten in den
reunierten Gebieten die Beibehaltung ihrer Kirchen versprochen hatte.
Da Saarbrücken und St. Johann eine Stadtgemeinde
bildeten, so wurde auf Grund dieses königlichen Erlasses die Kirche
zu St. Johann von den Katholiken allein beansprucht. Dem wider⸗
setzte sich aber der Pfarrer Johann Philipp Schlosser in St. Johann,
wahrscheinlich mit der Begründung, daß St. Johann ein selbständiger
Ort sei und somit den Katholiken nur das Mitbenutzungsrecht an
der Kirche zustehe. Da der Pfarrer nicht gutwillig von seiner
Kirche und Gemeinde weichen wollte, so wurde er unter dem
Vorgeben, daß er eine üble Conduite geführt, am 6. März 1686
zuerst nach Saarlouis und nach seiner Rückkehr am 6. April unter
Mißhandlungen der Soldaten in den Turm am Obertor gesperrt.
Als er dann in Homburg sein Recht suchte, erhielt er den Befehl,
binnen 24 Stunden die Provinz zu verlassen. Die Gefangen—
nahme und Ausweisung geschah auf den Bericht des katholischen
Pfarrers Thilmanni zu St. Johann; beide Pfarrer
hatten sich öffentlich in der Kirche gestritten. Die Bitte der
Bürgerschaft von St. Johann, er möge ihnen erlauben, einen
andern Pfarrer zu wählen, schlug der Intendant ab und verwies
sie an Thilmanni als den bestellten Pfarrer.) Der Intendant
befahl nun der Ortsobrigkeit, die Gemeinde in St. Johann zum
katholischen Gottesdienst anzuhalten; doch hatte er damit wenig
Erfolg, da die Evangelischen in St. Johann vorzogen, die Kirche
in Saarbrücken zu befuchen, die bei der geringen Anzahl der dortigen
Bürgerschaft hinreichend war, um beide Gemeinden aufzunehmen.
Die St. Johannis-Kirche war mittlerweile ganz von den
Katholiken in Besitz genommen, und am zweiten Pfingsttage wurde
die erste feierliche Messe in der nunmehr ganz katholischen Kirche
gehalten. Die Gräfin Eleonore Klara reiste zwar am 22. Juli
nach Paris, um die Rückgabe der Kirche zu erbitten, aber sie kam
am 14. September unverrichteter Sache zurück. Am 2. Juli war
der Altar abgebrochen und ein anderer aufgeführt worden, der am
23. August durch den Bischof von Metz eingeweiht wurde. Der
Intendant hatte bei dieser Gelegenheit befohlen, daß Meier und
Gericht zu Saarbrücken der Predigt des Bischofs beiwohnen sollten;
und als sie sich nicht eingefunden hatten, wurde jeder der Gerichts⸗
leute zu einer Strafe von 10 Livres verurteilt, der Meier Jakob
Senner aber mit zehntägigem Gefängnis belegt und endlich seines
Amtes entsetzt. An dessen Stelle wurde auf Befehl des Intendanten
der Heimmeier Hans Philipp Schrapp zum Meier ernannt, der
am 6. September durch den Stadt- und Landschultheißen Frangçois
der Bürgerschaft auf der Gerichtsstube (Baillago) zu St. Johann
als verordneter Meier vorgestellt wurde.
Damit waren jedoch die Mittel der französischen Regierung
noch nicht erschöpft. Diejenigen Lutheraner, die früher katholisch
1) Er wurde später als Pfarrer nach Heidelberg berufen, wo er noch
im Jahre 1709 als Pfarrer und Konsistorialrat stand.
gewesen oder deren Vater oder Mutter oder Großeltern der alten Reli—
gion angehört hatten, wurden genötigt, wieder zurückzutreten, und wenn
sie sich weigerten, mit Haft bestraft. Selbst gegen Leute von 60—-70
Jahren ging man so vor. Es wird sogar berichtet, daß man mit
Nasen- und Ohrenabschneiden drohte, während man den Willigen
Freiheiten und Ehrenämter versprach. So machte man natürlich
Abtrünnige, aber diese „Neubekehrten“ mußten nun mit Zwang
zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten angehalten werden. Man
zählte im Oktober 1684 28 Abtrünnige.
Eine Ordonnanz des Intendanten de la Goupillioöre befahl,
daß die Neubekehrten fleißig zur Messe gehen und die Wider—
spenstigen mit einer Buße von 10 Reichstalern belegt werden sollten.
Infolgedessen legte am 15. September 1687 Pastor Thilmanni
die Namen der Neuen Katholiken, die lange Zeit nicht im Amt
der heiligen Messe noch der Predigt erschienen, vor; er klagte auch,
daß einige derselben, wie sie ihm selbst gestanden, die lutherische
Kirche besucht, und begehrte, daß diese, weil sie die Ordre des
Intendanten nicht befolgt hätten, zu der diktierten Strafe von 10
Reichstalern verurteilt werden möchten. Auf Befehl des Stadt—⸗
schultheifhen François wurden sofort vor Gericht zitiert: Hans
Philipp Hofmann, Chirurgus, Hans Velten Rosenkranz, Daniel
Christschilles, Küfer, Kaspar Lautemann, alle von Saarbrücken;
ferner Georg Nickel und Hans Paul Keller von St. Johann.
Einige der Vorgeladenen erschienen und entschuldigten sich
damit, daß sie nichts Böses in der lutherischen Kirche gehört; sie
wurden in Betracht ihrer Armut jeder mit einem halben Reichs—
laler Strafe angesehen, mit der ausdrücklichen Verwarnung: „so
sie inskünftig in der lutherischen Kirche weiter betreten würden,
daß sie mit der vom Hr. Intendanten angesetzten Straff von 10
Reichstaler ohnnachläßig belegt werden sollen, und so einer Unver—
mögenheit wegen solches nicht wohl bezahlen können, mit 8 Tagen
bei Wasser und Brod im Thurm gebüßet, auch so einer muthwillig
die Mess versäumt, jedesmal um . Rthlr. solle gestraft werden,
ingleichen auch, daß sie ihre Kinder, der gegebenen Ordonanz gemäß,
in die katholische Schul schicken. Die diesmal vor Gericht aus—
3.
gebliebenen sollen auf Montag 22. September wieder eingeboten
werden“.
An diesem Montage erschien: „Erstlich Hans Philipp Hof—
„mann: gesteht, er sey in der luthrischen Kirchen gewesen, denn
„er in dieser Religion erzogen, wolle es noch mehr thun, denn
„er befinde sich wohl dabei. — Hans Peter Jakob (der Schreiner)
„entschuldigt sich: habe in der Kirchen geschafft, als man zur
„Predigt gangen, habe sein Werkzeug niedergelegt, sey in der Kirch
„blieben. — Daniel Christschilles: Wann ihm die Kirch verbotten
„würde, müßte er drausbleiben; müsse in eine Kirche gehn, es
„sey diese oder ein andere.“
„Bescheid: Ist erkannt daß Ph. Hofmann fünf Livres in
„die Kirchenstraff neben 1 Gulden vors gerichtliche Gebot soll geben. —
„Daniel Christschilles und H. P. Jacob sollten vor diesmahl
„absolviert sein, doch mit dieser Condition, daß selbe hinfort nicht
„mehr ohne sondere Ursach die Catholische Kirch versäumen sollen
„bei 4 Gulden Straff.“
„Anno 1688 den 5. Januar. Pastor Thilmanni klagt,
„daß Hoffmann und andere Neubekehrte die katholische Kirch wenig
„besuchten und nicht in der heiligen Meß blieben, auch ihre
„Kinder nicht in die Kirch und Kinderlehr schickten.“
„Bescheid: Partheyen angehört, königliche Ordonnanz
„angesehn und zweimahl über sie allbereit ergangene Urtheil, wird
„Hoffmann wegen Halsstarrigkeit und ungeziemend ausgestoßener
„Reden umb ein Reichsthaler Buß angesehn, solche in die
„Catholische Kirch zu erlegen, mit Gebott inskünftig keine h. Meß
„oder Catechismuslehr ohne sonderbahre und hohe Ursach bei
„hoher Straff zu versäumen. Was die andern Neukatholischen
„anlangt, sollen sie und ihre Kinder alle Sonntag in die Predigt,
„h. Meß und Catechismuslehr kommen, bei hoher Straff.“
Am 18. Dezember 1687 wurde das Dekret Ludwigs XIV.
bekannt gemacht, welches die Todesstrafe über denjenigen verhängte,
welche den Neubekehrten die Flucht aus dem Lande erleichtern würden.
Der katholische Pfarrer schrieb in demselben Jahre an die
evangelischen Pfarrer folgende Erklärung: „Im Namen des
4
unterzeichneten Pfarrers von Saarbrücken sei erklärt und pflicht—
schuldigst wiederholt dem Herrn Georg Barthel Schlosser,
Prediger zu Saarbrücken, und Herrn Reuß, seinem Kaplan,
daß sie in ihren Predigten keine Neubekehrten noch Rückfällige
noch solche dulden dürfen, die versprochen haben sich zu bekehren,
noch dieselben oder deren Kinder von der katholischen Religion
abwendig machen dürfen.“ Michel Tillmann.
Am 12. Januar 1688 wurde eine Verordnung des Inten—
danten in Betreff des Schulbesuchs ins Protokollbuch eingerückt,
welche verdeutscht folgender Maßen lautet:
„Demnach wir in Erfahrung gebracht, daß der größte Theil
„der Einwohner dieser Provinz, sowohl die alten Katholiken als
„die Neubekehrten, verabsäumen, ihre Kinder in die Katechismus—
„lehre und den häuslichen Unterricht der Pastoren (Instructions
„familièêères qui se font par les Pasteurs) und in die
„Schule zu schicken, um in denselben in der katholischen, apostolischen
„und römischen Religion unterwiesen zu werden, und zwar aus
„bloßzer Hartnäckigkeit von Seiten einiger Neubekbehrten, die selbst
„die Grundsätze der Religion, zu welcher sie sich gegenwärtig
„bekennen, nicht verstehen, weil sie nicht von Jugend auf darin
„erzogen worden sind; — und da dieser Mißbrauch die Kinder
„in der Unwissenheit der zu ihrem Heile nöthigen Lehren erhält
„und außerdem dem Willen des Königs zuwider ist: So befehlen
„wir den Vätern, Müttern oder mangels derselben den Verwandten,
„Vormündern oder Pflegeeltern, die Kinder, die ihnen anbefohlen
„sind, in die Katechismuslehre und den häuslichen Unterricht der
„Pastoren zu schicken und in die Schulen der Lehrer, die zu
„dem Ende in den Städten und Dörfern unseres Departements
„angestellt worden sind, um darin in den Pflichten der Christen
„unterrichtet zu werden, um lesen, schreiben und französisch sprechen
„zu lernen, bei Strafe von 10 Livres monatlich für jedes Kind,
„das fehlen wird, welches Geld zum Besten der Kirchen des
„Landes verwendet werden soll.“
„Actum den 29. März 1688. Auf die Klage des Pastors
Tillmanny, Priester und Pfarrer zu St. Johann, gegen die Neu—
bekehrten Math. Lipp, Katharina Karcher, Gertrude Müller,
8
—
Johann Ph. Hoffmann, Valentin Rosenkranz, Hans Peter Jakob
und Anton Daum, alle Bürger zu Saarbrücken und St. Johann,
der Verordnung des Intendanten nicht genügt zu haben, werden:
Math. Lipp, Velten Rosenkranz und Anton Daum, jeder zu
5 Livres Buße und in die Kosten verurtheilt, mit dem Befehl,
der Ordonnanz des Intendanten sowohl für sich als für ihre
Kinder Folge zu leisten, und dem Mathias Lipp unter Androhung
der Confiscation aller seiner Güter und 100 Livres Strafe auf—
gegeben, sein Kind spätestens in Zeit von 14 Tagen zurückkommen
zu lassen; die andern aber wegen vorgebrachten Entschuldigungs—
gründen losgesprochen.“
„Actum den 18. Juli 1688. Auf die abermalige Klage
des Pastors Tilmanny, daß die Neu-Catholischen, nämlich: der
Meier Hans Philipp Hofmann, Hans Mathias Lipp, Velten
Rosenkranz, Kaspar Lautemann, Daniel Christschilles, H. P. Jacob
und Anton Daum, gestern auf Frohnleichnamstag nicht zur Kirche
und Prozession gekommen, werden dieselben zu 10, 5 und 192 Livres
Strafe und in die Kosten verurtheilt, sowie jeder zu 2 Gulden
fürs gerichtliche Gebot, mit dem Befehl, sich bei harter Strafe
künftig besser einzustellen.“
Infolge dieses Zwanges nahm die katholische Bevölkerung
sehr stark zu. Eine französische Zusammenstellung aus dem
Jahre 1688 zählt in Saarbrücken 58 Familien, darunter 16 katho—
lische, 2 reformierte und 40 lutherische; in St. Johann 193 Familien,
darunter 63 katholische, 14 reformierte und 116 lutherische. In
Saarbrücken befanden sich 179, in St. Johann 511 Kinder.
Unter der Jugend trat die schroffste konfessionelle Scheidung ein.
Es wurde eine besondere Schule in den Städten gegründet, in der
die Kinder in der katholischen Religion und in der französischen
Sprache unterrichtet wurden, und wie wir oben gesehen haben, den
Katholiken und Neubekehrten bei 10 fr. Strafe monatlich ein—
geschärft, ihre Kinder in diese Schule zu schicken. Graf Ludwig
Kraft seinerseits wandte sich an die eoangelischen Eltern mit dem
Gebot, ihre Kinder vom 6. bis 15. Jahre in die (deutsche) Schule
zu schicken, in Betracht, daß sonst in Zukunft keiner unter der
Bürgerschaft beider Städte gefunden werde, der zur Besetzung
eines Stadtamtes oder zu andern öffentlichen Diensten tauglich sei.
So sianden sich eine deutsche eoangelische und eine französische
katholische Partei gegenüber.
Der Friede von Ryswyk (1697) gab dem Grafen den un—
beschränkten Besitz seines Landes zurück, und die alten Einrichtungen
traten wieder in Kraft. Nur eine wichtige Folge der französischen
Herrschaft blieb bestehen. Durch die sogenannte Ryswyker
Klausel wurde bestimmt, daß die katholische Religion an allen
zurückzugebenden Orten in dem Zustand bleiben solle, in dem sie jetzt
sei. Doch nach dem Abzug der Franzosen stellte die evangelische Bürger—
schaft von St. Johann den Antrag, daß ihr wenigstens die Mitbenutzung
der entrissenen Kirche wieder gestattet würde. Graf Ludwig Kraft
gab dem billigen Wunsche auch Folge und führte das exercitium
simultaneum, d. h. die gemeinschaftliche Benutzung der Kirche durch
Protestanten und Katholiken ein. „Es haben aber,“ wie er selbst
schreibt, „die Katholiken einen solchen Lärm bei dem Bischof von
Metz gemacht, daß derselbe sich unterwunden, mir einen gar
empfindlichen Brief zu schreiben, sodaß mich zuletzt viele Ursachen
bewogen, von dem angefangenen Werk abzulassen“. Damit blieb
die Kirche in St. Johann)) den Eoangelischen verloren. Selbst
wenn man den Standpunkt des Königs Ludwig XIV. als
berechtigt annehmen sollte, so liegt doch in diesem Vorgehen ein
großes Unrecht. St. Johann war nicht nur eine selbständige
evangelische Pfarrei, sondern auch eine besondere bürgerliche
Gemeinde mit eigener Verwaltung. Es traf deshalb der betreffende Satz
der königlichen Verordnung auf die St. Johanner Gemeinde
nicht zu; die Entziehung der Kirche war eine willkürliche Maßregel,
die nicht zu rechtfertigen ist. Es stand den Katholiken frei, in
1) Sie war im Anfang des 17. Jahrhunderts neugebaut worden. Im
Jahre 1606 wurden für 1350 Gulden Kirchengüter verkauft, deren Erlös
wahrscheinlich zum Kirchenbau verwendet wurde. Im Jahre 1615 beschwerten
sich Bürgermeister, Schöffen und Zugeber zu St. Johann, daß der Kirchen⸗
schaffner Adam Ochs zum Kirchen- und Pfarrhausbau von ihrer Stadt
Fronverfahren verlangt habe, obwohl der Kirchenbau dem Stifte St. Arnual
obliege.
44
St. Johann eine eigene Kirche zu bauen, aber die Besitznahme
der evangelischen Kirche war ein Verstoß gegen den Friedens—⸗
vertrag von 1648, nach dem die konfessionellen Verhältnisse so
bleiben sollten, wie sie in dem sogenannten Normaljahre (1624)
gewesen waren. Der evangelische Pfarrer von St. Johann
predigte, taufle und traute in den nächsten 30 Jahren in der
Schloßkirche zu Saarbrücken.
5. Der Kirchenbau.
Das Jahrhundert, welches unsern Städten so schwere Heim—
suchungen gebracht hatte, endete friedlich; so konnten die Bürger
neue Hoffnungen und neuen Lebensmut schöpfen, wenn sie auch
in engen Verhältnissen sich bewegten; auch die gräflichen Beamten
waren auf eine sehr bescheidene Zahl beschränkt.
Die Nachrichten aus den ersten Jahrzehnten des 18. Jahr⸗—
hunderts, mit dessen Beginn der gregorianische Kalender eingeführt
wurde, sind sehr dürftig, da die Stadtprotokolle aus dieser Zeit
nicht erhalten sind. Von dem spanischen Erbfolgekrieg (1701 - 1714)
blieb unsere Gegend nicht ganz unberührt; doch da der regierende
Graf Ludwig Kraft in französischen und sein Bruder Karl Ludwig
in kaiserlichen Diensten stand, so wurden Land und Städte von
beiden Parteien mit Schonung behandelt. Aber ohne Plagen und
Lasten ging es natürlich nichtab; Truppendurchzüge, Einquartierungen
und Lieferungen waren unvermeidlich.
Da infolge der langen Kriege sittliche Verwilderung eingerissen
war, so gebot der Graf, daß der Unzucht überführte Personen
Turmstrafe erleiden, dann in den „Trill“ gesetzt, darauf knieend
öffentliche Kirchenbuße tun und 2 fl. in den Gotteskasten zahlen
sollten. Als 1709 nach einem strengen Winter Teuerung und
Hungersnot ausbrach, ließ der Graf Getreide aufkaufen und unter
die armen Leute verteilen.
Nachdem der spanische Erbfolgekrieg beendet war, trat eine
zwanzigjährige Friedenszeit ein, die auf die Entwickelung der
Städte günstig einwirkte. Schon im Jahre 1715 erschien es
nötig, den Untertanen einzuschärfen, daß Hochzeiten nicht länger
als zwei Tage dauern sollten; am ersten Tage sollte die Festlichkeit
nicht über 10 Uhr, am zweiten nicht über 3 Uhr nachmittags
dauern. Bei Kindtaufen sollte überhaupt keine Gasterei stattfinden,
sondern den zum Kirchgang geladenen Weibern nur Brot und
Wein gereicht werden. Die Wirtsordnung aus demselben Jahre
deutet auf steigenden Verkehr, das Wein- und Aufschlaggeld warf
1730 an 700 fl. ab. Im Jahre 1723 verordnete Graf Karl
Ludwig, „zur besseren Aufnahme, Erhaltung und Fortpflanzung
unserer nunmehro — Gottlob! — ziemlich besetzten Städte und Dorf—⸗
schaften,“ daß kein Mann unter 25 Jahren ohne besonderen
Dispens heiraten dürfe. Handwerker sollten außerdem vorher
wenigstens 2 Jahre außerhalb des Vaterhauses in Arbeit stehen
oder etliche Jahre in der Miliz dienen. Auch die Töchter sollten
wenigstens 2 Jahre außerhalb des Elternhauses dienen, ehe sie
sich verheirateten, ausgenommen die älteste oder einzige Tochter
und die Töchter vermögender Eltern. Der Zuzug von auswärts
war so stark, daß es nötig schien, ihn zu erschweren. Um keine
unvermögenden Leute in die Städte einzulassen, wurde 1715
bestimmt, daß jeder aufzunehmende Bürger mindestens 200 Rtlr.
(früher 100 fl.— Gulden) Vermögen nachweisen müsse, und 1725 das
—A
Dazu sollte jeder neue Bürger einen ledernen Feuereimer anschaffen.
Da die Zahl der Bewohner sich vermehrt hatte, so faßte die
evangelische Bürgerschaft von St. Johann den Plan,
ein eigenes Gotteshaus zu erbauen.
In der St. Johanner Kirchenrechnung von 1718/19, die
das Staatsarchiv in Koblenz verwahrt, werden als Zimmererarbeit
aufgeführt drei Stiegen und ein Boden in die Kirche auf den
Turm, ein Glockenstuhl und als Leiendeckerarbeit ein Wetterdach
80 —
und ein Dach über der Uhr, ferner „dem katholischen Glöckner
vor verschiedenemals abgelangtes Baumöl, die Glocken zu schmieren.“
Danach scheint es, daß der Turm und die Glocken der
nunmehr katholischen Kirche noch weiter von der evangelischen
Gemeinde benutzt wurden. Aber der Notstand, daß die Gemeinde
kein eigenes Gotteshaus hatte, machte sich immer dringender fühlbar.
Am 6. Dezember 1723 starb der Graf Karl Ludwig. Da
seine beiden Söhne in früher Jugend gestorben waren, so ging
die Regierung auf seinen Vetter und Schwiegervater, den Grafen
Friedrich Ludwig von Ottweiler, über, der bereits im 73.
Lebensjahre stand. Er hatte in seiner Grafschaft Ottweiler durch
den Bau von Kirchen in Neunkirchen und Dörrenbach seine Sorge
für die religiösen Bedürfnisse seiner Untertanen betätigt. Daher
durften die evangelischen Bewohner in St. Johann, die ihre Kirche
schmerzlich entbehrten, von dem Grafen, der sich selbst den Ehren⸗
namen „Der Kirchenbauer“ zugelegt hat, die Förderung ihrer
Wünsche erwarten. Noch ehe Graf Friedrich Ludwig die Re—
gierung in Saarbrücken selbst angetreten hatte, richteten sie eine
Bittschrift an den Grafen, deren Entwurf in dem Stadtarchiv von
Saarbrücken erhalten ist. Sie lautet:
„Hochgeborener Herr!
Gnädigster Graf und Herr!“
„Ew. hochgräfliche Gnaden haben zu dero unsterblichem Ruhm
hiesiges Kirchen-, Pfarr- und Schulwesen bishero in also gnädigstes
Obacht und Versorgung gezogen, daß zu Beförderung des lieben
Gottesdienstes keineswegs einiger Mangel mehr vorhanden, welche
gottgefälligen Werke dann auch hiernächst göttlichen Lohn deroselben
reichlich einernten werden. Annebst ist Ew. hochgräflichen Gnaden
gnädigst erinnerlich, dafß; bey vormaligen Religions-Troubles der
Stadt und armen Burgerschast zu St. Johann dortige Kirche von
denen Katholiken empfindlichst entzogen worden, die nunmehr
schwerlich wird wieder zurückgebracht werden, welches aber umb
so mehrers gewünscht wird, als bey kalter Winters- auch Regen—
zeit die vielen alten Leute und Kinder aus St. Johann wegen
weiten Weges den Saarbrücker Gottesdienst und liebe Beistunden
leyder aus Schwachheit öfters versäumen müssen. Wann nun aber,
J
Graf Friedrich Ludwig.
88 —
gnädigster Graf und Herr, sowohl deswegen als auch wegen so
großer Anzahl Burgerschaft und Kinder eine neue Kirche in der
Stadt St. Johann von allen Burgern herzlich und sehnlich
gewünscht wird, als welche fast Mann vor Mann nach Vermögen
darzu eine Steuer aus eigenen Mitteln beytragen, übriges aber
von gottliebenden Herzen erbitten lassen wollen, und dann sowohl
solcher Kirchenbau Gott zu hohen Ehren, sodann der gesambten
Burgerschaft und lieben Jugend zur Beförderung ihres Christen⸗
tumbs ausschlüge, so gelangt an Eure hochgräfliche Gnaden
gesambter Burgerschaft sambt der seufzenden Alten zu St. Johann
hierdurch ganz untertänigste Bitte, in solchen neuen Kirchenbau zu
St. Johann nicht nur gnädigst consentieren, sondern auch hoch—
angeboren tragender Mildigkeit zu Beförderung derer Gotteshäuser
und gottseligen Sachen eine Bausteuer darzu uns gnädigst
angereichen zu lassen, durch welche Gottesgabe Ew. hochgräflichen
Gnaden tragende hohe Barmherzigkeit des weiteren verewigt, wir
auch werden sambt unserer Jugend und Nachkömmlingen in solcher
neuen Kirche zugleich mit zubereitet, viele gottgefällige Vatter unser
umb Gesunderhaltung unsers teuersten gnädigsten Landesherrn
Vatters abzusenden. In tiefster Verharrung
Dat. St. Johann den 21. Decembris 1723.“
Es liegt kein Grund vor zu bezweifeln, daß diese Bittschrift
wirklich abgegangen ist und das Herz des Grafen gerührt hat.
Am 4. April 1725 wurde der Grundstein zu der Kirche gelegt,
in dem eine Bibel und eine kupferne Platte mit der folgenden
lateinischen Inschrift geborgen wurde:
MEMORIA PRIMI LAPIDIS
quem anno salutis NDDCCXXV die IV Aprilis, impo-
ratore Carolo sexto S. A. (Semper Augusto) in fundamentis
aedium sacrarum posuit illustrissimus ac celsissimus
Comes ac Dominus, Dn Prideéricus Ludovicus Comes
Nassoviae Saraepontis et Sarverdae, Dynasta in Lahr,
Wiesbaden et Idstein ete., seronissimae ac illustrissimae
Domus Nassoicae senior
PATER PATRIAE
9
2
utpote cujus felicibus auspiciis non minus quam pia
liberalitate anno aetatis LXXIVo et post delatam in
comitatum Saraepontanum successionem secundo,
oaedom invicem templi ante XL annos tempore gallicae
sic dictae reunionis Evangelicis ablati et nondum re—
stituti ad civium praeces ac vota de novo structae sunt
Quod
ut in majorem Dei gloriam atque écclesiae
incrementum cedat, faxit ipse
DEUS OPTIMDOS MAXIMVUS.
In deutscher Übersetzung:
Gedächtnis des ersten Steines, welchen im Jahre des Heils
1725 am 4. April legte in dem Grunde des heiligen Gotteshauses
unter dem beständigen Mehrer des Reiches, Kaiser Karl VI.,
der erlauchte und erhabene Graf und Herr, Herr Friedrich Ludwig,
Graf von Saarbrücken und Saarwerden, Herr in Lahr, Wies⸗
baden und Idstein usw. und des durchlauchtigen Nassauischen
Hauses Senior.
Vater des Vaterlandes, unter dessen glücklicher Herrschaft
und frommer Freigebigkeit im 74. Lebensjahre und im 2. Jahre
nach erlangter Nachfolge in der Grafschaft Saarbrücken dieses
Gotteshaus an Stelle der Kirche, die vor 40 Jahren zur Zeit
der sogenannten französischen Reunion den Evangelischen genommen
und noch nicht zurückerstattet ist, auf die Bitten und Gelübden
der Bürger aufs neue erbaut worden ist. Das lasse der allgütige
und allmächtige Gott zu seiner größeren Herrlichkeit und der
Kirche Wachstum gedeihen.
„Vier Pläne“, so schreibt Karl Lohmeyer im Saarbrücker
Heft des Rheinischen Vereins für Denkmalspflege und Heimat⸗
schutz (1912) „zu diesem Gotteshaus hatte ein Werkmeister Bernhard
Traboco gefertigt, und auch der Werkmeister Jost Bager von
Wiesbaden scheint in irgend welcher Weise, vielleicht nur gutachtlich,
dabei beteiligt gewesen zu sein. Es werden ihm wenigstens „vor
gehabte bemühung und Reise nach Idstein, den hiesigen Kirchen—
bau und Riß betreffend, 15 Gulden nach der St. Johanner Kirchenbau⸗
rechnung gereicht. (St. Johanner Neue Kirchenbau-Rechnung 1725
Alte Kirche von der Evangel. Kirchstraße aus.
91
Alte Kirche vom Pfarrgarten aus.
32
Alte Kirche (Inneres).
23 —
Alte Kirche, Kanzel und Altar.
94
bis 1727 von Georg Ludwig Firmond, Bürger und Gerichts⸗
schöffen. So konnte am 19. Januar 1725 „dem Werkmeister
Dominique Garosse, Italienern, und wohnhaft zu Otitweyler, mit
hohem Vorwissen die Kirche, der Kirchturm mit Mauer- und Stein—
—VDD
Trankgeld von 10 Gulden verakkordiert werden, nachdem noch der Bild⸗
hauer Coraille ein Modell von der neuen Kirche in Erde hergestellt
hatte. Die Zimmerarbeiten übernahmen der Saarbrücker Paul
Bucklisch und der Ottweiler Meister Nik. Buntzel; die Stuckateure
Johann Adam Eyßen und Johann Kreß fertigten die Stuck- und
Gipsarbeiten.“
„Die schöne Marmorkanzel, das einzige Schmuckstück der
Kirche, dessen Errichtung ein Beischuß der regierenden Gräfin förderte,
und den Altar lieferte der Bildhauer Ferdinand Ganal von
Saarlouis, das immer noch, wie vorher schon, in dieser Zeit die
künstlerischen Kräfte nach Saarbrücken lieferte. Um die Kanzel herum
malte dann noch der „Mahler Hr. Bellon einen blauen Fürhang,
so von zwei Engelfiguren fliegend gehalten wird,“ der noch unter
der Tünche stechen mag.“
Zwei Abendmahlskannen und ein Kelch sind eine Stiftung
der Gräfin Sophie Eleonore, einer unvermählten Tochter des Grafen
Gustav Adolf, von der auch die Eleonorenstiftung zu Gunsten der
Pfarrer der Grafschaft Saarbrücken herrührt; die Hostiendose in
Gestalt eines Buches ist von Christiane, der Witwe des Grafen
Karl Ludwig, gestiftet.
Die altertümliche Taufschüssel trägt die Inschrift: Louise
Sophie, comtesse regnante de Nassau, néo comtesse do
Hanau; auf dem Grunde der Taufschüssel befindet sich das
Nassau-Saarbrückische und das Hanauische Wappen, durch eine
fünfblättrige Grasenkrone verbunden. —
Aus den Einzelangaben der alten Baurechnung ist mit
Genugtuung zu erfehen, mit welcher großen Opferwilligkeit damals
alle Kreise, die fürstlichen Herrschaften, die Stadt, die Bürgerschaft
und auswärtige Privatpersonen zu den Kosten des Kirchbaues
beigesteuert haben.
)
4
5
Abendmahlstanne und Kelch.
Silberne Taufschüssel und Kanne.
96
Gewissenhaft hat der Kirchmeister Firmond alles bei Heller
und Pfennig registriert; und es ist nicht uninteressant, beim Durch⸗
blättern der langen Geberlisten auf jeder Seite den Saarbrücker
alten Namen zu begegnen, die heute noch nicht ausgestorben sind
und deren Träger heute noch zum Bestand der Gemeinde und der
Stadt gehören.
Als Kuriosum sei nicht unerwähnt gelassen, daß unter den
gespendeten Baugeldern auf Seite 34 der Rechnung folgende
Posten figurieren:
Einnahme an zu hießigem Kirchenbau verwießenen Strafen:
Nr. 18. Laut hochgräfl. Cantzley-Scheines mußte Ph. ..
R. .. .„Bürger zu St. Johann, wegen gegen der Eltern
Consens unternommenen Eheversprechens anhero zahlen.. 15 Gulden.
Nr. 19. Vermöge Spezifikation hierbey ist von Hochgräfl.
Cantzley wegen unter einigen Würthen und Bürgern geduldeten
über die Zeit verübten Kartenspielens anhero angewiesen
worden .. 8 Gulden.
Auch berichtet die Baurechnung, daß ein Bürger, weil er
durch Abwesenheit gehindert war, beim Eröffnungsgottesdienst ein
Opferscherflein zu geben, dies nachträglich in Gestalt von 5 Gulden
gespendet habe.
Zu den Baukosten steuerten bei:
Graf Friedrich Ludwig. . . 1300 Gulden
Das Stift St. Arnual (General⸗
kirchenschaffnei).. ...
Die Gräfin Philippine Henriette, die
Witwe des Grafen Ludwig Kraft
Die Gräfin Christiane, die Witwe
des Grafen Karl Ludwig ..
Die Gräfin Sophie Eleonore, die
unvermählte Tochter des Grafen
Gustav Adolf.. .
Der Graf von Hohenlohe⸗Pfedelbach
Nassau-Usingen..
Sammlung aus der Grafschaft Saar⸗
werden
—97 —
Sammlung aus der Voglei Herbitz—
heim.
Kirchenschaffnei Neu-Saarwerden..
Stadt St. Johann 200 Holländer⸗
stämme zu je 8 Gulden...
Desgl. von versteigertem Allmende⸗
Guͤterertrag....
Einige Bürger.
Die Herren von Stockum für 124
an Thomas Röchling verkaufte
Holländerstämme aus dem Stadt⸗
wald zu je 792 Gulden. ..
Erlös von gebrannter Pottasche aus
dem Stadtwald ...
Sammlung in Saarbrüchen .
„St. Johann ..
außerhalb der Städte.
Sammlung in⸗ und außerhalb der
Städte und des Landes. ..
Sammlung bei Legung des Grund⸗
steines und bei der Einweihung
der Kirche..
Anleihe der Stadt St. Johann bei
Joh. Nikolaus Mühlhaus zu 490
Anleihe aus dem bürgerlichen Al⸗—
mosen...
Strafgelder. ..
Schenkung von Baustoffen von Be—
amten und Bürgern im Werte von
WGulden 4 Albe64
2000,
16008,
275,
40
930
116
328
5511,
39 1
29
16
16.—
141
34
199 „123,4
10006,
100
23
148
717 4
*
Summa der Einnahmen 9293 Gulden 21 Alb. 6349
In der Kirchenrechnung heißt es weiter:
Ad perpetuam rei momoriam:
(Zum beständigen Gedächtnis.)
1. Ihro hochgräfliche Gnaden Frau Louise Sophie, regierende
Gräfin zu Nassau-Saarbrücken, geborene Gräfin von Hanau,
7
—98 —
haben gnädigst gestiftet: ein silbern Taufgeschirr in Lavor und
und Becken bestehend, worauf das Wappen.
Ihre hochgräfliche Gnaden Frau Christiana, geborene und
verwittibte Gräfin zu Nassau-Saarbrücken, haben über so milde
Geldsteuern gnädigst gestiftet: die Arbeit oder Macherlohn eines
marmorierten Altars, desgleichen Kanzel und Kanzeldecke.
Item ein Bild darauf, die Auferstehung unseres Herrn
Jesu Christi repräsentierend. Zwei Engelfiguren und ein ver—⸗
guldet Schild an die Kanzeldecke.
Herr Johann Matthias Lösw, gnädigster Herrschaft Rentmeister
allhier, hat vor sich und namens seiner verstorbenen Hausfrauen
gestiftet: eine feine Glocke, so dermalen noch die erste in dieser
Kirche ist, worauf dessen und seiner Hausfrauen Frau Anna
Margarete geborene Köhlin Namen sambt aufgegossenem
Löwen zum Wappen.
Peter Linnenmann, Kupferschmied zu Zweybrücken, hat die
gesambte Arbeit an dem rotkupfernen, nunmehro verguldtem
Knopf auf den Turm defrayiert (umsonst geleistet) und nur
das Gewicht bezahlt genommen.
Frau Susanna, Herrn Philipp Dietrich Firmonten, ältesten
Gerichtsschöffen allhier eheliche Hausfrau, hat ein schwarz⸗
sammeten Klingelbeutel mit aller Zugehöre gesteuert.
Frau Seylerin, geborene Gräthin von St. Johann, und Herr
Johann Kaspar Schreiner, Buchbinder, beide zu Zweybrücken,
haben eine große wohlbeschlagene Kirchenbibel in Folio unter
dero Namens-Einschrift gestiftet.
Item 7. Die hiesige Leinenweber Zunft hat 24 Ellen
Gebildtuch zu Allar⸗ und Tauftüchern gestiftet.
Die Ausgaben betrugen:
Für das Graben und Auswerfen
der Fundamente und für Hau—⸗
und Mauersteinbrechlöhne. .. 893 Gulden 7 Alb.
Fuhrlöhne für Steine. 705 , 68,
„für Bauholz .. 44 11, 49
Für Maurer- und Steinhauerarbeit 2998, 25, 4,
Für Kalkbrennen. 310 21, 3.
2
99 —
Für Zimmerer⸗- und Wagnerarbeit.
Für Gips zu brechen, fahren, mahlen
und klopfen......
Für Stuckatur- und Gipserarbeiten.
Für Leien (Schiefer). ..
Dem Leiendecker und Spengler.
Für Glaserarbeit
Für Schreinerarbeit
Für Schlosserarbeit.
Für Schmiedearbeit
Für Nagelschmiedearbeit
Uff Zehrungen und ohnvermeidliche
Weinkäufe..
Für allerhand Materialien zur
Baunotdurft.....
An Maler und Bildhauer . ..
Bei Legung des ersten Grund—
steines Herrrn Georg Pfeilstickern
vor eine kleine Bibel, so in den
ersten Grundstein gelegt ..
Dem Goldschmied zu Saarlouis Mr.
Grand vor eine kupferne Tafel,
worauf anderseits bemelte Auf—
schrift zu lesen, auszustechen, welche
Tafel auch in den Grundstein
geleget ..
Item Herrn Apotheker Bruchen vor
Wachs, so über ermelte Tafel zu
mehrerer Beschützung der Schrift
geleget ..
836 Gulden 3 Alb. 4 6
130
209
705
276
142
270
z66
104,
2951
21
15
21
5
20
10
10
12
12
r
q
1
14—
139
211
70o7, 12
58 14— 6 44—
F
14—
15
44
5
Summa: 10 Gulden 22 Alb. 49
Insgemein: 215 Gulden 17 Alb. 849
Summa summarum aller Aus⸗
gaben.
9322 Gulden 21 Alb. 219
70
100
Diese gegen die Einnahme gehalten,
findet sich, daß Rechner überzahlt
habe..
28 Gulden 29 Alb. 3929
Im Jahre 1731 wurde für eine zweite Glocke gesammelt,
die in Straßburg, gegossen wurde und in Straßburger Währung
492 Gulden 4 Albus 69, in Saarbrücker Währung 383 Gulden
4 Alb. 69 kostete. An der Spitze der Sammlungsliste steht die
Fürstin Charlotte Amalie mit 32 Gulden 20 Alb., die Gräfin
Sophie Eleonore mit 18 Gulden, die beiden Grafen von Grumbach
mit 20 Alb. (1), Pfarrer Rupp mit 1 Gulden 15 Alb., der
Oberschultheifß mit 1 Gulden, „der herrschaftliche Nachtisch“ mit
2 Gulden 28 Alb. und der Lakaientisch mit 1 Gulden 49. Die
ganze Sammlung ergab die Summe von 107 Gulden.
Der Kirchenrechner Georg Ludwig Firmond hatte gesammelt:
113 Gulden 25 Alb. 44
Die Stadt St. Johann steuerte aus
den Stadtgefällen. ..
Pfarrer Lichtenberger hatte
eingenommen. ..
Aus den St. Johanner Kirchen⸗
gefällen
„ 29 253
398 Gulden 24 Alb. 6 9
383 J * 6 o
2 R 10 51
15 „ 208
—X
Der Glockenguß kosteten.
Trinkgeld für die Gesellen
Arbeit des Schlossers Hör
Sa.: 401 Gulden 4 Alb. 64
Also Fehlbetrag: 2 Gulden 10 Alb.
Im Jahre 1754 wurden drei neue Glocken angeschafft.
Die größzte wog 14 Zentner 82 Pfd., die mittlere 7 Zentner
66 Pfd., die kleinste 4 Zentner 719 Pfd., zusammen 27 Zentner
20 Pfd. Dafür wurde abgegeben die große alte Glocke mit einem
Gewicht von 6 Zentnern 7484 Pfd. und die kleine mit einem
Gewicht von 3 Zentnern 8792 Pfd., zusammen 10 Zentner
6184 Pfd. Davon gingen ab die eisernen Schwengelkloben mit
101 —
7514 Pfd., sodaß noch 17 Zentner 3380 Pfd. blieben, von denen
der Zentner mit 62 Gulden, das Pfund also mit 18* Albus
berechnet wurde, zusammen 1074 Gulden 22110 Albus. Daju
kamen für Umguß der alten Glochen 70 Gulden 231140 Albus,
sodaßz zu bezahlen waren 1145 Gulden 161330 Albus. Auf
welche Weise dieses Geld aufgebracht wurde, finde ich nicht verzeichnet.
Die bürgerliche Gemeinde war damals mit ihren Geldmitteln gut
gestellt. Im Jahre 1755 betrugen die Einnahmen 5219 Gulden
22 Albus, die Ausgaben 4606 Gulden 2 Albus, sodaß 614 Gulden
20 Albus Bestand blieben.
Über diese Glocken kam es mit dem Zinn- und Glockengießer
Johann Jakob Karcher zu einem Streit, der durch den Fürsten
Wilhelm Heinrich zu Gunsten des letzteren entschieden wurde. Dem
Stadtgericht warf der Fürst vor, daß es weder die Einwilligung
der Bürgerschaft zu der Anschaffung nachgesucht noch die obrig—
keitliche Erlaubnis eingeholt habe. Adolf Köllner berichtet in seiner
Geschichte der Städte (I1 428), daß sich im Jahre 1793 auf der
evangelischen Kirche zu St. Johann drei Glocken von 20,
12 und 5 Zentnern, zusammen 37 Zentnern, befunden haben.
Diese Angabe ist wohl ungenau, da nicht anzunehmen ist, daß
während der 40 Jahre von 1753-1793 noch einmal neue Glocken
angeschafft worden seien.
Am 23. Januar 1736 schlossen die Vorsteher der Stadt
und Gemeinde Sanct Johann mit dem Orgelbauer Romanus
Benedictus Nollet von Luxemburg einen Vertrag, durch den sich
dieser verpflichtete, eine Orgel mit 12 Registern für 700 Gulden,
freie Wohnung in St. Johann während der Arbeitszeit und
5 Klafter Holz zu verfertigen. Der Vertrag wurde unterschrieben
von den Oberschultheißeen Zeisig, Georg Ludw. Fürmond, Konrad
Gottfried, Stephan Löw, Bürgermeister, und Philipp Köhl als
Zugeber. Im Jahre 1737 wurde die Orgel fertig. DieKosten
beliefen sich auf 978 Gulden. Dieser Betrag wurde durch frei—
willige Beiträge aufgebracht. Das Verzeichnis der Beitragenden
ist im Stadtarchio noch erhalten. An der Spitze steht:
102
Unsere durchlauchtigste Herrschaft
Ihro durchlauchtigste Fürstin und
Herzogin von Zweibrücken (Tochter
des Grafen Ludwig Kraft) wie
auch Ihro hochgräfliche Gnaden,
verwittibte Gräfin von Lorenzen
(dem Witwensitz in der Grafschaft
Saarwerden) und dero hochgräfliche
Tochter Gräfin Henriette (die älteste
unvermählte Tochter des Grafen
Ludwig Kraft) .1
Jakob Balthasar Reinhard von
Groß-Rohrheim ..
Von der gnädigen Frau Rheingräfin
von Grumbach (T. des Grafen
Gustav Adolf). ....
Noch obige hochgräfliche Gnaden
Gräfin Henriette ..
Ihro hochgräfliche Gnaden Frau
Gräfin-Witwe von Ottweiler
(Witwe des Grafen Karl Ludwig)
wie auch Gräfin Louise (Schwester
des Grafen Friedrich Ludwig)
haben gnädigste Versprechung getan,
auch das Ihre beizutragen.
150 Gulden
76 „10 Alb.
10
45
24
)]
M
X
Sa. 265 Gulden 20 Albus
Die gräflichen Beamten steuerten be 27 , 10,
Ihro hochgräfliche Gnaden von
Furbach...
Die Bürgerschaft von Furbach
Pfarrer Lichtenberger
49
Sa. 454 Gulden 5 Alb. 4Pf.
Unter der Bürgerliste stehen die Namen:
Georg Ludwig Fürmond,
Johann Georg Köhl,
103 —
Johann Jakob Gottlieb
Magnus Schellenberger.
Als Sachverständiger war Johann Jakob Brand, der Direktor
der Kirchenmusik in Saarbrücken, zugezogen worden.
Im Jahre 1765 stellte sich heraus, daß die Orgel sehr
schadhaft war. Ein Ausschuß der Bürgerschaft, bestehend aus den
Herren G. L. Firmond, Nickel Scherer, Karl Löw, Daniel Sandel,
Daniel Bruch, Georg Löw, Friedrich Mohr, Fr. Georg Simon,
Ludwig Hör, Hutmacher, Christian Schmidt, Andreas Mügel,
Balthasar Schlachter und Thomas Röchling, stellten bei dem
Stadtgericht den Antrag, daß die Orgel gründlich wiederhergestellt
und einige Fußz weit vorgezogen werde, da sie zu tief in dem
Turm stecke, wodurch ihre Klangwirkung beeinträchtigt werde.
Dazu sei eine Versetzung der Kanzel nötig. Die Reparatur wurde
von dem Orgelbauer auf 1600 Gulden angeschlagen.
Im Jahre 1790 erbot sich der Orgelmacher Johann Nollet,
eine Reparatur für 18 Louisdor zu machen. Die Reparatur
wurde von dem Orgelmacher Geib aus Pisstorf begutachtet und
verschiedene Mängel bemerkt. Es kam schließlich zu einem Rechts—
streit vor dem Oberamt. Nollet aber verschwand unter Zurück⸗
lassung von Schulden.
Im Jahre 1806 wurde eine neue Reparatur durch den
Orgelbauer Geib vorgenommen. Die Kosten beliefen sich auf
500 Gulden. Der betr. Vertrag ist unterschrieben von Ch. Rumpel,
Fr. Dryander und Daniel Bruch. Der Orgelbalgtreter Kaspar
Mohr erhielt jährlich 22 Gulden.
Am 13. Oktober 1761 berichtete der Kirchenmeister Johann
Georg Karcher:!)
„Die Kirch samt dem Turm hat die Stadt erbaut, doch
haben der damalige Herr Graf, die verwittibte Frau Grãfin
Christiane, nunmehro Landgräfin zu Homburg, und das Stift
St. Arnual ein Schönes darzu beigetragen. Den Turm und Dach
unterhält die Kirch, die Glocken hat die Stadt bezahlt, die Seil
und Riemen zu dem Klöppel zahlt die Kirch, auch die Schmeer.
1) Er wurde im Jahre 1762 Bürgermeister.
— 104 —
Den Glöckner zahlt zum Teil das Stift oder die Kirch, zum Teil
die Stadt. Die Orgel hat die Stadt erbaut, zahlt auch den
Orgelschlager; den Balgdrücker zahlt das Stift, die Reparationen
zahlt die Kirch. Die Sakristei ist von der Kirch erbaut und
erhalten, die Stadt aber hat das Bauholz, auch alle Ab- und
Zufuhren darzu getan, fourniert (liefers) auch das Holz zum
Heizen, die Kirch aber zahlt den Einheizer. Die Uhr und Uhr—
richter und das ganze Uhrwesen zahlt die Stadt. Die Reparationen
und Flichkarbeit an Stühl und Fenster, wie auch das Plätten zahlt
die Kirch. Das Pfarr⸗ und Schulhaus hat die Stadt erbaut und
unterhält es auch.“
Die Eigenart der Kirche hat Pfarrer Reichard mit folgenden
Worten gewürdigt:
„Als Denkmal evangelisch-kirchlicher Vergangenheit von St.
Johann erscheint allein die Alte Kirche.“
„Mitten hineingestellt in die Altstadt mit ihren engen Gassen
und Winkeln, ein überaus einfacher Bau ohne irgend welche
architektonische Besonderheit oder charakteristische Stil-Eigentümlichkeit,
vermag sie sich mit anderen Gotteshäusern in Saarbrücken unter
künstlerischen Gesichtspunkten nicht zu messen.“
„Die Alte Kirche hat, wie man es fast ausdrücken möchte,
das Mißgeschick gehabt, zehn Jahre zu früh gebaut zu sein. Zehn
Jahre nach Beginn des Baues erschien, von dem kunstsinnigen
Landesherrn berufen, Joachim Stengel im Saarbrücker Land.“
„Wäre die Errichtung der Alten Kirche in seine Schaffens—
periode gefallen, so stände heute an Stelle des mehr als nüchternen
Gebäudes ohne Zweifel als würdiges Pendant zur Ludwigskirche
eine schöne, in Stengels feiner Architektonik gehaltene Kirche.“
„Indes der pietätvolle Sinn der Gemeinde weiß sein altes
historisches Gotteshaus auch in seiner schlichten Gestalt zu schätzen;
und die dankbare Erinnerung an vergangene Zeiten, das liebevolle
Verständnis für die im Bild der Alten Kirche überlieferten Werte
früherer Tage hat nun dazu geführt, dem ehrwürdigen Gotteshause
in seinem Äußern und vor allem in seinem Innern eine umfassende
Restaurierung zuteil werden zu lassen, die nach der Arbeit fast
eines Jahres nunmehr vollendet ist und die Kirche in einem, den
*
5
modernen Bedürfnissen angepaßzten Gewande hat neu erstehen
lassen.“
„Die bei diesem Anlaß angestellten Nachforschungen über
die Baugeschichte der Kirche und sonstige bemerkenswerte Daten
haben aus dem Archiv der Gemeinde die in merkwürdiger gravitätisch—
kleinstaatlicher Schnörkelschrift gehaltene detaillierte Baurechnung
der Kirche zu Tage gefördert.“
„Es mutet den Menschen der heutigen Zeit fremdartig,
eigentümlich und doch zugleich fast anheimelnd an, aus diesen ver⸗
gilbten Blättern mit ihren kunstvoll gemalten und mit allen
möglichen Buchstaben-⸗Ornamenten verzierten Schriftzügen zu sehen,
wie wenig offenbar jene fernen Tage noch berührt gewesen sind
von der nervösen Hast und dem Jagen und Drängen, wodurch
unsere Zeit so unerfreulich charakterisiert erscheint. Die alten Bücher
reden zwischen den Zeilen eine höchst interessante und wohltuende
Sprache von der schönen Ruhe, die damals in Saarbrücken
geherrscht haben muß. Der Mann, der mit so viel rührender
Sorgfalt und mit so viel Zeitaufwand die alte St. Johanner
Kirchbau⸗Rechnung, ein bescheidenes kalligraphisches Kunstwerk in
seiner Art, aufstellte, hat sicher noch keine Nerven gehabt. Und
wenn wir ihn als Repräsentanten des Saarbrücker Bürgertyps
von damals ansehen dürfen, dann erscheint die Frage naheliegend,
ob nicht die Menschen jener Zeit im kleinen Rahmen der stillen
Residenz auf ihre Weise doch glücklicher gewesen sind als die
heutigen Großstädter, die Tag und Nacht das laute Getriebe der
gewaltig wachsenden Zentrale südwestdeutschen Wirtschaftslebens
umwogt.“
Die hier erwähnte Erneuerung der alten Kirche fand in den
Jahren 1912/13 statt und wurde mit einem Aufwand von 40000 Mk.,
von denen mehr als 5000 M. durch freiwillige Spenden aufgebracht
wurden, durchgeführt. Der innere Anstrich wurde vollständig erneuert,
die Orgel wurde in Stand gesetzt und eine Zentralheizung eingebaut.
Die Wiedereinweihung fand am 4. Mai 1913 statt. Die Weiherede
hielt der Generalsuperintendent der Rheinprovinz Klingemann, die
Festpredigt Pfarrer Reichard, die Schlußliturgie Pfarrer Lic. Ulrich.
106 —
6. Die Fürstenzeit.
Doch wir sind der Geschichte der Gemeinde vorausgeeilt und
müssen den Faden der geschichtlichen Erzählung wieder aufnehmen.
Graf Friedrich Ludwig, der Kirchenbauer, wohnte am Pfingst⸗
montag (17. Mai) 1728 dem Gottesdienste in der neuen Kirche
zu St. Johann bei und hörte die Predigt des Pfarrers Lichtenberger.
Er kehrte dann in das Schloß zum Mittagessen zurück, wurde
aber an demselben Nachmittag von einem heftigen Unwohlsein
befallen und starb 8 Tage später, am 25. Mai 1728, im 77.
Lebensjahre. Seine Leiche wurde nach Ottweiler gebracht und in
der dortigen Kirche beigesetzt. Seinen Namen bewahren noch
die von ihm gegründeten Orte Friedrichsthal und Friedrichs⸗
weiler. Mit Graf Friedrich Ludwig starb die Linie Nassau—
Saarbrücken aus, und nun fielen die Grafschaften Saarbrücken
und Ottweiler an die Linie Nassau-Usingen, die den
Fürstentitel besaß. Zunächst führte die Fürstin Charlotte
Amalia (4 1738) die Regentschaft für ihren noch unmündigen
Sohn Wilhelm Heinrich, der im Jahre 1741 die Regierung
antrat. Dieser Fürst hat sich durch die Hebung der Landwirtschaft
und die Begründung der Industrie um das Saarbrücker Land
und besonders durch seine Bautätigkeit um die Städte, in denen
die Spuren der langen Kriege noch immer nicht verwischt waren,
sehr verdient gemacht. Die Bewohner trieben außer den nötigen
Gewerben hauptsächlich Landwirischaft. In Saarbrücken zählte
man im Jahre 1741 180 Haushaltungen, nämlich 136 Bürger—
familien, 27 Witwen und 17 Beisassen (ohne Bürgerrecht) in 126
Hãäusern; (die herrschaftlichen und adeligen Häuser waren nicht
einbegriffen). Unter den Bürgern befanden sich 169 lutherische,
107 —
Fürjt Wilhelm Seinrich 1741 -1768.
108 —
7 reformierte und 4 katholische Haushaltungen. In St. Johann
zählte man 195 Haushaltungen in 142 Häusern, nämlich 184
Bürger und 11 Hintersassen. Also stand St. Johann an
Einwohnerzahl höher als Saarbrücken, das sich von dem Brande
des Jahres 1677 noch immer nicht ganz erholt hatte. Von seinen
Bewohnern waren 182 lutherisch, 3 reformiert und 10 katholisch.
Auch der Wohlstand war größer, da man hier 35 wohlhabende
Familien, in Saarbrücken aber nur 11 zählte.
An Grundbesitz hatte
Saarbrücken: 217 Morgen Ackerland, 187 M. Gärten, 281 M.
Wiesen und 2167 M. Wald.
St. Johann: 925 Morgen Ackerland, 103 M. Gärten, 499 M.
Wiesen und 3000 M. Wald.
Der Fürst, der sich längere Zeit an dem französischen Hofe
aufgehalten hatte, suchte seine unansehnliche Residenz zu einem
Klein⸗Versailles umzugestalten. Zunächst verbot er das unregel—
mäßige Bauen und verlangte, daß von jedem Neubau der Behörde
ein Plan vorgelegt wurde. Dann gewährte er den Bürgern,
die neue Häuser bauten, auf 10 Jahre Befreiung von allen Steuern
und sonstigen Abgaben. Er selbst gab durch eine großartige Bau—
—XV
ein prächtiges neues Schloß, das der Mittelpunkt eines glänzenden
Hoflebens wurde. An dem Schloßplatz wohnte der Hofstaat in
geschmackvollen Häusern. Für die Bürger baute der Fürst ein
neues Rathaus. Den Reformierten, die in beiden Städten
10 Familien zählten, gewährte er aus Pietät gegen seine Mutter,
die diesem Bekenntnis angehört hatte, freie Religionsübung und
förderte ihre Bemühungen um den Bau eines eigenen Gotteshauses
durch Beihilfen und Empfehlung ihrer Sammlungen besonders in
Holland und England. Die Jugendbildung begünstigte er durch
den Bau eines neuen Gymnasiums. St. Johann verdankt dem
Fürsten den Neubau der katholischen Kirche, die an der Stelle
der alten Johanniskirche steht, und den schönen Marktbrunnen.
Der Baumeister des Fürsten war Friedrich Joachim Stengel,
dessen Leben und Wirken Karl Lohmeyer, ein St. Johanner
—109 —
Reformierte Kirche (1746-1817).
1821-21892 Gymnasium, jetzt altkatholische Friedenskirche.
110 —
Marktbrunnen von St. Johann, 1769 errichtet.
111 —
Altes Tor am ehemaligen Röchling'schen Hause, Markt St. Johann.
Kind, in einem schönen Buche beschrieben und gewürdigt hat.
(Mitteilungen des historischen Vereins für die Saargegend Band 11).
Den Schlußstein und Glanzpunkt der fürstlichen Bautätigkeit
bildete die neue Kirche, die später nach ihrer Vollendung, die Fürst
Wilhelm Heinrich nicht mehr erlebte, nach seinem Sohn und Nach—
112 ——
folger Ludwigskirche genannt wurde. Von dem sie umge—
benden und von geschmackvollen Häusern umrahmten Ludwigsplatz
bietet sich durch die von dem Fürsten angelegte Neugasse, die jetzt
nach ihm Wilhelm⸗Heinrichstraßze genannt wird, auf die alte Kirche
von St. Johann ein hübscher Ausblick, dem freilich der Mittelbau
des Gymnasiums zum Opfer fiel. Diese fürstliche Residenz erschien
dem jungen Goethe, der im Jahre 1770, zwei Jahre nach dem
Tode des Fürsten Wilhelm Heinrich, Saarbrücken von Straßburg
aus besuchte, als ein Lichtpunkt in dem felsig-waldigen Lande.
(Wahrheit und Dichtung, 10. Buch). Wilhelm Heinrich hat die
Städte mit neuem Leben erfüllt. Die Kaufmannschaft vereinigte
er zur Förderung des Handels in der Krahnengesellschaft, rief
einen regelmäßigen Postverkehr ins Leben und legte durch das
„Allgemeine Wochenblatt“ den Grund zu der Saarbrücker Presse.
Mit der Bürgerschaft verkehrte er freundschaftlich und schenkte
jeder der beiden Städte 1000 Taler als Stipendium, aus dessen
Zinsen bedürftige Bürgersöhne zur Fortsetzung ihres Studiums
oder zur Erlernung eines Gewerbes unterstützt werden sollten.
Die Zahl der Bewohner hat sich unter seiner Regierung wohl
verdoppelt. Im Jahre 1779 zählte man in Saarbrücken 3000,
in St. Johann 1500 Einwohner.
Der Sohn und Nachfolger Wilhelm Heinrichs, Fürst Ludwig,
ist am meisten durch seine zweite Ehe mit einem Bauernmädchen
aus Fechingen bekannt geworden, das er zur Reichsgräfin von
Ottweiler und Fürstin von Dillingen erhob. Ein weiteres auf—
fallendes Ereignis war die Vermählung des 11 jährigen Erbprinzen
mit der 7 Jahre älteren französischen und katholischen Prinzessin
von Montbarey. Egoistischen politischen Gründen opferte er das
Lebensglück seines Sohnes. Er mußzte aber durch ein Hausgesetz
anerkennen, daß im Falle der Religionsveränderung eines künftigen
Landesherrn die evangelisch-lutherische Religion als die herrschende
Landesreligion fortbestehen sollte. Seine besondere Freude waren
seine Soldaten, die der Fürst auch selbst exerzierte. Diese Lieb—
haberei führte einen Streitfall des Fürsten mit den Bürgern von
St. Johann herbei. Um seinen Soldaten eine angemessene
Beschäftigung zu geben, wollte der Fürst die Tore der Städte
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nicht mehr von den Bürgern, sondern von seinen Grenadieren
bewachen lassen und verlangte dafür 2700 Gulden als jährliche
Zahlung zum Unterhalt der Wachen. Die Bürger von Saarbrücken
scheinen auch mit dieser Anordnung zufrieden gewesen zu sein, da
sie Hut und Wacht immer als drückende Last empfanden; die
St. Johanner aber waren mit diesem Ansinnen des Fürsten
keineswegs einverstanden, obgleich dieser seine Forderung auf 2500
Gulden ermäßigte und zugleich Erlaß des Grundbirnzehnten anbot.
Da verlegte der Fürst den Wochenmarkt von St. Johann nach
Saarbrücken und verbot seinen Soldaten und Bedienten bei
schwerer Strafe, in St. Johann etwas zu kaufen, das Geringste
hier zu verzehren oder zu vertrinken. Ferner sollte jeder Bürger
bei 50 Gld. Strafe seine Wache selbst versehen. Das Stadtgericht
gab in dem Streite nach: Auf die gnädige Willensmeinung, daß
die Bürgerschaft zu St. Johann jährlich 1250 Gld. zur Unter—
haltung der Soldaten bezahlen solle, welche die Stadttore zu besetzen
bestimmt sind, wollen sie sich untertänigst fügen, wenn ihnen
folgende Punkte genehmigt werden:
1. daß die Soldaten sämtlich in St. Johann logieren und
ihr Quartiergeld selbst bestreiten, wie in Saarbrücken. 2. daß
sie ihre Montierungsstücke in St. Johann kaufen und verfertigen
lassen. 3. daß die Bürger vom Torsperrgeld zu allen Zeiten
der Nacht befreit sein sollen. 4. daß ihnen der Grundbirn-Zehnten
erlassen, und ihnen erlaubt sei, die Saarbrücker, auf dem St.
Johanner Bann Begüterten wegen des Wachtgeldes zu besteuern.
5. daß der Fürst die Privilegien beider Städte bestätige, die
Bürger vom Brückengeld dispensiere, der Markt wieder in St.
Johann gehalten, die Befreiung vom Zoll gemäß Dekret vom
2. Juni 1760 gestattet werde. 6. und 7. die Bürgerschaft nur
bei Wolfsjagden auf hiesigem Banne zugezogen, mit Saarbrücken
alle Vergünstigungen gemeinschaftlich genießen. 8. jedem Bürger
12 Krz. Wachtgeld bezahlt werde, der in Abwesenheit der Soldaten
die Wache zu tun beordert; auch daß jeder seine Wache durch
einen Anderen versehen lassen dürfe; daß kein Bürger von
Personallasten frei sein soll. 9. die publizierten nachteiligen Ver—
ordnungen vom 6. und 13. Sept. wieder aufgehoben werden.
2
Endlich 10. daß die bewilligten 1250 Gld. sogleich cessieren, sobald
die Wachen aufhören. So geschehen St. Johann, 16. Septbr. 1770.
Unterzeichnet: J. G. Mühlhaus, Anton Kleber, Joh.
Christ. Schmidt, Joh. Ludw. Höhr, Bürgermeister, J. A.
Six, Zugeber.
Der Fürst antwortete: Ich genehmige alle diese Punkte,
und da die meiste Bürgerschaft mir gefällig gewesen, so versichere ich
sie hierdurch meiner Gnade und Freundschaft.
L. F. Z. N. 8.
Die Freundschaft scheint aber doch nicht sehr herzlich gewesen
zu sein. Wenigstens erzählt man, der Fürst habe bei seinen
Fahrten nach dem Ludwigsberg und nach Dudweiler den Weg
durch St. Johann vermieden und sei um die Stadt herum auf
dem Weg gefahren, der danach die Fürstenstraße genannt wurde.
Vielleicht ist durch diesen Vorfall das Urteil des Freiherrn
von Knigge beeinflußt worden, der in den achtziger Jahren als
Gast des Fürsten in Saarbrücken sich aufhielt. Er schreibt: „Die
Einwohner von St. Johann stehen in Ansehung der Höflichkeit
ein wenig mit den Sachsenhäusern in Frankfurt am Main in
gleichem Rufe; in Saarbrücken selbst hingegen habe ich die Leute
immer sehr gesittet und gegen Fremde zuvorkommend gefunden.
Was mich noch freut, ist, das ungeachtet der Nachbarschaft von
Frankreich sich hier unter den Bürgern aller Klassen soviel teutsche
Gradheit und Biederherzigkeit erhalten haben.“
Im Jahre 1784 wurde St. Johann durch eine große
Überschwemmung heimgesucht, die auch Kirche und Pfarrhaus
heimsuchte. Der Pfarrer Ludwig Karl Schmid berichtet darüber
folgendes:
„Zum beständigen Andenken für die Nachkommenschaft wird
niedergeschrieben, daf; Gott alle Lande und insonderheit unsere
Stadt St. Johann in der Nacht zwischen dem 27. und 28. February
im Jahre 1784 mit einer unerhörten Wasserflut heimgesucht hat.
Bereits den 27., 28. und 29. Dezember 1783 ist eine solche
Menge Schnee gefallen, dergleichen sich die ältesten Leute nicht
erinnern konnten. Gleich darauf kam eine solche Kälte, die die
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Kälte der Jahrgänge 1766 und 1767 übertroffen hat. Nachdem
dieselbe mehrere Tage gedauert, so ließ sie zwar mit ihrer außer⸗
ordentlichen Heftigkeit einige Zeit nach, sodaß ein Tauwetter einfiel,
wobei ein guter Teil Schnee abging. Dagegen aber fiel gleich
darauf von neuem eine großze Menge, womit es bei beständiger
namhafter Kälte schier täglich so fortdauerte, also daß noch viel
mehr zusammen kam und der Erdboden tiefer bedeckt wurde, als
anfänglich geschehen war.
Endlich schickte Gott ein gütiges Tauwetter, welches den
22. Februar 1784 seinen Anfang nahm. Und weil es den 26.
ein wenig zu regnen anfing, so ist dadurch die grausame Wasser⸗
flut verursacht worden.
Wir zu St. Johann hatten das höchste Wasser in der Nacht
um 3, 4 und 5 Uhr. In der sogenannten Vordergasse —
jedenfalls ist damit die jetzige Saarstraße gemeint — war es
mannshoch. Im Pfarrhaus in der untersten Wohnstub und
Küche hat es ungefähr 2 Schuh und in der Kirche 1 Schuh—
hoch gestanden.
Durch gütige und weise Anstalt des Stadtmagistrats ist eine
Patrouille die ganze Nacht durch alle Gassen in einem Nachen
gefahren, um, weil kein Mensch dem andern zu hülf kommen
konnte, den Hülflosen beizuspringen.
Weil das Wasser zu hoch worden war, als daß es durch
die Bogen der Saar-Brücke hätte passieren und das Eis mit sich
hindurchführen können, so stürzte es morgens gegen 3 Uhr diese
Saar-Brücke nieder, welches man in dieser schreckvollen Nacht der
Stadt Saarbrücken durch Stürmen mit allen Gocken und durch
Trommelschlag bekannt gemacht. Doch ist niemand bei dieser Ein—
stürzung umgekommen.
Zugleich hat das wütende Wasser eine Menge von Eisstücken
mitgebracht und da es hernach gefallen, in den Gärten sitzen lassen,
welche sich niemand vorstellen kann. 10, 20 und mehr Schuh lang
und breit, 192 bis 2 Schuh dick, wodurch die Zäune aus dem
Land, ja die Bäume aus den Wurzeln gerissen worden.
Die Vorsehung Gottes hat gewacht und sich darin verherrlicht,
daß
4
1. ein langsames Tauwetier vorhergegangen, wodurch sicher
50 des Schnees ruhig fortgeflossen, ehe es ein wenig geregnet.
2. daß die Saar-Brücke sobald eingestürzt ist, da sie dann
dem Gewässer und Eis Luft gemacht, welches sonst unsere Stadt—⸗
mauern, ja unsere Häuser niedergerissen hätte, so daß Menschen
und Vieh umgekommen wären.“
Der Schaden in Häusern, Kellern, Gärten und Wiesen,
welche zum Teil als wie gepflügt vom Eis aussahen, ist leicht zu
ermessen. Man schätzt ihn über viele 1000 Rthlr.
Durch den außerordentlichen Schnee, der seit Anfang des
Jahres gelegen, ist das allgemeine Elend, das ohnedem groß im
Lande war, sehr gewachsen.
Manche armen Leute wären schier Hungers gestorben, und
mußten täglich wohl etliche hundert Bettelleute abgefertigt werden.
Ich glaubte übrigens, daß diese Begebenheit ihren Grund
in der vorjährigen Witterung den ganzen Sommer hindurch hatte.
Denn da hatten wir nicht allein eine ganz ungemeine Dürre
viele Monate hindurch, sondern auch einen sogenannten Rauch
oder täglichen Nebel bei aller dieser Dörrung, welcher vermutlich
aus der Insel Island gekommen und durch den Nordwind zu
uns gebracht worden. Da dann auf die langwierige Dörrung
mußte Nässe folgen und weil der Nordwind unsere hohe Luft mit
Kälte erfüllt, so mußte die Nässe in einem so ungemeinen Schnee
herabfallen.“
Der Chronist Gottlieb berichtet: „Am 1. März erging der
Befehl, daß bei Strafe von 5 Gulden alle Keller ausgeschöpft
werden sollten, was denn auch unter größter Anstrengung geschehen
ist. Im Mai ließ der Fürst der Neugasse gegenüber eine Schiff—
brücke über die Saar anlegen, und mußte jeder, außer wer in
herrschaftlichen Diensten stand, Brückengeld bezahlen, was bei
Bürgern, Bauern und Fremden vieles Murren verursachte. Damit
aber keiner, ohne zu bezahlen, die Schiffbrücke passierte, wurde
auf Befehl des Fürsten eine Schildwache an derselben aufgestellt,
welche nachts die Leute anrufen mußte. Doch machten sich manche
ein Vergnügen daraus, an der Schildwache vorbeizuschleichen und
diese noch zu verhöhnen.“
1129 —
„Mit dem Wiederaufbau der Brücke wurde im Jahre 1785
begonnen und dieselbe im Jahre 1787 vollendet. Fünf Pfeiler
wurden aus dem Fundament neu erbaut, der sechste wurde auf
sein altes Grundlager gestellt. Die Kosten beliefen sich auf 30 000
Gulden. Die Städte steuerten in den Jahren 1785 und 1786 4400
Gulden bei, die Landgemeinden 1511 Gulden. Die Bewohner der
beiden Städte gaben zu den Kosten des Brückenbaus 400 Louisd'or,
und der Fürst erließ den Bewohner der Städte wie des Landes
das Brückengeld.“
1788 im November begann eine grimmige Kälte, die bis
zum 13. Januar 1789 anhielt, daß viele Bäume in der Mitte
barsten, Menschen und Tiere erfroren. Auch richteten die Wölfe
vielen Schaden an.
7. Revolution und Fremdherrschaft.
Bald nachher stieg im Westen das furchtbare Wetter herauf,
das nicht nur Frankreich verheeren, sondern auch das Schicksal
unseres Grenzlandes durchaus umgestalten sollte. Der französische
Hof war so lange das Vorbild für die Saarbrücker Fürsten gewesen,
daß man die Ereignisse in Paris mit gespannter Aufmerksamkeit
verfolgte. Die Einberufung der Generalstände, die zahlreichen
Flugschriften gegen die feudalen Rechte und das absolute Regiment
mußten hier großen Eindruck machen. Am 14. Juli 1789 wurde
in Paris die Bastille, das Bollwerk des Absolutismus, erstürmt,
und furchtbare Straßenszenen bewiesen die Machtlosigkeit der fran—
zösischen Regierung. Es folgte nun in Frankreich die Abschaffung
der Feudalrechte (4.5. August), unter denen auch ja die Saarbrücker
Untertanen so schwer seufzten.
120 —
Ein höherer Beamter in Saarbrücken äußerte sich über die
Wirkungen der französischen Revolution folgendermaßen:
.Da die hiesigen Lande so nahe an Frankreich grenzen und
zum Teil von Lothringen umgeben sind, so war bei den häufigen
gedruckten französischen Aufforderungen und herübergekommenen
Freiheitspredigern kein Wunder, daß unsere Untertanen am ersten
davon eingenommen worden, sich zusammenrottierten und dieses
als die beste Gelegenheit ansahen, alles zu fordern und zu präten⸗
dieren, was ihnen nur einfallen konnte, wobei sie ihre Vorstellungen
mit vielen erdichteten Beschwerden anhäuften. Serenissimus und
Höchstihro Landesregierung wurden dahero mit einer anßerordent—
lichen Menge von Suppliquen und meistens impetuosen Querelen
(Bittschriften und stürmischen Klagen) aus den drei Graf- und
Herrschaften heimgesuchet, sodaß man kaum so viele Zeit auffinden
können, die übrigen laufenden und pressanten Geschäfte mit zu
besorgen. Da man bei dieser äußerst kritischen Lage mit möglichster
Klugheit und Nachgiebigkeit zu Werk gehen müssen, so sahen
Serenissimus sich allerdings in dem Fall, vieles, wozu gar keine
Verbindlichkeit vorhanden gewesen, den mit dem fürchterlichen
französischen Arm drohenden Untertanen zu akkordieren.“
Den Anfang mit revolutionären Forderungen machten die
beiden Städte. Nachdem sie schon am 14. August eine Eingabe
an den Fürsten gemacht hatten, reichten sie am 5. September eine
Beschwerde ein, durch die sie in nicht weniger als 40 Punkten
Abhilfe verlangten. Der Hauptzorn der Bürger richtete sich gegen
den Präsidenten von Hammerer, der in den letzten Jahren, da der
Fürst leidend war, als allmächtiger Günstling das Land regiert hatte.
„Seitdem Hammerer Chef der Oberjustiz und aller andern Kollegien
geworden, gingen unerhörte Dinge bei Justiz, Polizei- und Landes—
angelegenheiten, in Kameral- und fürstlichen Haussachen vor.“
Man klagte besonders über die gehemmte und verkaufte Justiz;
man nannte Hammerer den „Jud Süß“ und warf ihm vor, daß
er die Tätigkeit des Regierungs-Kollegiums lähmte, indem er
gegen die Beschlüsse desselben eine angebliche Resolutio Serenis-
simi vorlegte, die von ihm allein gezeichnet war. Die Städte
wollten daher seine Unterschrift: „ad Mandatum Serenissimi“
121
—
nicht mehr gelten lassen. Auch die Brand und Plüderungsszenen
des französischen Landvolkes blieben nicht ohne Nachahmung. Im
Herbst 1789 steckte ein Haufe aufrührerischer Bauern ein fürstliches
Haus bei Neunkirchen in Brand, doch dieser Vorgang blieb ver⸗
einzelt; man zog vor, die Abstellung der Beschwerden auf ordnungs—
mäßzigem Wege zu erlangen. Am 19. September vereinigten sich
sämtliche Gemeinden der Grafschaft Saarbrücken zu einer gemein—
—
der Landgelder, die Vorlegung der Landkassenrechnung, die seit
dem Regierungsantritt des Fürsten nicht abgehört worden war, die
Aufhebung aller Monopole, die Verminderung des Wildprets,
freien Handel mit Tabak und Branntwein, die Aufhebung des
Kartoffelzehnten, des Papier- und Lederstempels, der Fruchtsperre
gegen Ottweiler und Saarwerden, freie Fruchtausfuhr in das
Ausland, die Milderung der Strafgelder und endlich die Entfernung
des Präsidenten von Hammerer. Die Erbitterung des Volkes
gegen den verhaßten Günstling stieg von Tag zu Tag, und der
Pöbel in den Städten hatte nicht übel Lust, ihn nach dem Pariser
Vorbild an eine Laterne zu hängen, doch die fürstliche Soldateska
schützte ihn vor dem Zorne der Bürger. Hammerer flüchtete nach
Brebach, wo er ein Haus besaß. Am 5. Obtober verfügte der
Fürst von Karlsbrunn aus die Entlassung seines Ministers, die
bei dem Volke großen Jubel erregte und selbst von den Beamten
gern gesehen wurde. Zugleich gab der Fürst seiner Befriedigung
über die ruhige Haltung der Bürger Ausdruck, erklärte die Frucht—
sperre und den Lederstempel für aufgehoben und machte auf weitere
Vorstellungen der Bürger noch fernere Zugeständnisse; auch den
Landgemeinden wurden auf ihre Bittschriften hin kleinere Er—
leichterungen bewilligt. Doch es fehlte der Regierung offenbar
ein großer Zug und die rechte Einsicht in die Lage der Dinge;
nur widerstrebend lief sie sich einzelne Zugeständnisse entwinden,
um bald zu weiterem Nachgeben genötigt zu sein.
Am 27. Januar 1790 gab die Regierung das Versprechen,
daß alles unnötige und überflüssige Wild weggeschossen und weg—
gefangen werden solle. Zugleich wurden die herrschaftlichen Natural—
fronden (Fuhr- und Handfronden) aufgehoben. Doch sollten die
122
Untertanen auch fernerhin verpflichtet sein, das Holz für die Geist⸗
lichen zu fahren, die Fronden zur Unterhaltung der Chausseen,
Brücken und Dohlen, die Ordonnanzgänge und die Jagdfronden
zu leisten. Der Nachlaß des Hammel- und Grundbirnzehnten wurde
abgeschlagen. Wir sehen aus diesen Erlassen, wie mannigfaltig
die Lasten waren, die den Untertanen zugemutet wurden, und wie
sparsam die Regierung in der Gewährung von Erleichterungen war;
noch im Anfange des Jahres 1792 wurde die Exekutionsordnung
verschärft. Der Fürst war des Ernstes der Lage sich offenbar
wenig bewußt. Die im Jahre 1781 für Feld- und Gartendiebstähle
eingeführte Strafe des Prangerstehens wurde abgeschafft und durch
Prügelstrafe (für Schüler), Schanzarbeit und Turm ersetzt.
Da aus Frankreich revolutionäre Sendlinge herüberkamen,
so wurde verordnet, daß kein französischer Untertan sich länger als
drei Tage im Lande aufhalten dürfe. Trotzdem kam es im
Juli 1791 zu ernstlichen Unruhen in St. Johann, bei denen
sogar das fürstliche Militär einschreiten mußte.
Auch in der fast ganz von französischem Gebiet umschlossenen
Grafschaft Saarwerden gärte es. Die Hauptstadt Bockenheim bei
Alt-Saarwerden war in französischem Besitz, während von dem
übrigen zwei Drittel zu Saarbrücken und ein Drittel zu Weilburg
gehörte. Der Saarbrücker Amtssitz war das zur Stadt erhobene
Harskirchen, der Weilburgische Neu-Saarwerden. Als die Unzu⸗
friedenen in Saarbrücken kein Gehör fanden, richteten sie ihre
Blicke nach Frankreich, wo man ihnen gern entgegenkam.
Am 19. November 1792 faßte der französische National—
Konvent im Anschluß an eine Mainzer Bittschrift um Einverleibung
in die französische Republik den berühmten Beschluß: „Der National⸗
konvent erklärt im Namen des französischen Volkes, daß er brüder—
liche Unterstützung und Hilfe allen Völkern gewähren will, die ihre
Freiheit wiedererlangen wollen, und beauftragt die ausübende
Gewalt, den Generälen die notwendigen Befehle zu geben, damit
sie diesen Völkern Hilfe bringen und die Bürger verteidigen, die
um der Freiheit willen bedrückt werden oder in diese Gefahr kommen.“
Damit war der Grundsatz der revolutionären Propaganda öffentlich
3
2
ausgesprochen und französischer Einmischung in die inneren Ange⸗
legenheiten fremder Staaten Tor und Tür geöffnet. Am
14. Februar 1793 wurde auf den Bericht Carnots hin die Einver⸗
leibung der Amter Neu-Saarwerden und Harskirchen von dem
Konvent beschlossen, doch schon am 9. Februar waren die Konvents—
kommissare Laporte und Blaux unter Glockengeläute und Böller—
schüssen in Neu-Saarwerden eingezogen und hatten am folgenden
Tage die Bekanntmachung erlassen, daß die Republik Frankreich die
Bewohner der Grafschaft Saarwerden unter ihren Schutz nehmen
und sie von dem Joche ihrer Tyrannen befreien werde. Dasselbe
Schicksal hatte u. a. das Zweibrückische Amt Schaumburg, das bis
1787 zu Frankreich gehört hatte, und die erst 1766 von Frankreich
an Saarbrücken abgetretene Herrschaft Püttlingen. Die Wünsche
der Püttlinger fanden beim Konvent bereitwilliges Gehör, und die
Vorstellungen, die Fürst Ludwig in Paris gegen diese Annexions—
politik erhob, hatten keine Wirkung. Es wurde ihm erklärt, daß
seine Untertanen sich aus eigenem Antrieb für frei erklärt und
die Vereinigung mit Frankreich nachgesucht hätten. Die französische
Nation müsse nach ihren öffentlich ausgesprochenen Grundsätzen
ihnen dazu behilflich sein.
Große Teile der fürstlichen Herrschaft hatten sich schon losgerissen,
als das Geschick den Fürsten selbst ereile. Am 31. Oktober 1792
rückte ein französisches Korps von ungefähr 10,000 Mann unter
dem General Ligneville in Saarbrücken ein und bezog teils Quartiere
in den Städten, teils ein Lager bei Malstatt. Es war ein buntes
Gemisch von Linientruppen, Nationalgarden, Freiwilligen und
einigen Tausend Mann Kavallerie. Der Fürst und die Bevölkerung
taten alles, die ungebetenen Gäste zu befriedigen. Die unzufriedenen
Elemente hoben jetzt das Haupt empor, und es dauerte nicht lange,
so war auf dem Marktplatz in St. Johann die schönste Fichte des
Stadtwaldes als Freiheitsbaum aufgepflanzt. Hier und da erschallte
der Ruf: Vive la Républiquo! und wer keine Kokarde am
Hut trug, war den Mißhandlungen der Franzosen ausgesetzt. Doch
schon am dritten Tage zogen die Franzosen ab, um einen Vorstoß
auf Trier zu unternehmen.
124 —
Da in den wiederholten Beschwerden der einzelnen Gemeinden
bestimmte Forderungen immer wiederkehrten, so hielt die Regierung
für gut, durch ein Generaldekret, welches am 20. Januar 1793
erging, der allgemeinen Unzufriedenheit zu steuern. „Zur Wieder—⸗
herstellung der bisher so sehr gekränkten Ruhe und zur Befestigung
des zwischen Landesherrn und Untertanen so wesentlichen Einver—
ständnisses und wechselseitigen Zutrauens als der Grundsäule der
wahren Glückseligkeit eines Landes“ verordnete der Fürst „mit
Hintansetzung seines eigenen Interesses und Aufopferung wohl—⸗
hergebrachter Renten und Gerechtigkeit zum Beweise seiner landes—
väterlichen Gesinnung“ eine Reihe von Erleichterungen. U. a. wurde
der Grundbirnzehnte allen Gemeinden erlassen, sofern er der Herrschaft
oder dem Stift St. Arnual zustand; auch die Leibeigenschaft
wurde mit einigen Einschränkungen aufgehoben.
Doch mit diesen Zugeständnissen waren die unruhigen Köpfe
noch nicht zufrieden; „sie schienen unersättlich zu sein und wollten
dieses von Gnadenbeweisen überströmende Dekret nicht eher annehmen,
als bis alle ihre Beschwerden gehoben wären“. Da sie sogar drohten,
sich, falls ihnen nicht ihr Recht werde, mit der französischen
Nation zu vereinigen, so sah sich Serenissimus am 15. Februar
genötigt, einen Nachtrag zu jenem Generaldekret zu erlassen. In
demselben wurde das Frongeld für alle Untertanen ohne Unterschied
auf die Hälfte herabgesetzt, alle Jagdfronden abgeschafft und die
Leibeigenschaft völlig aufgehoben.
Auch die Bewohner der Städte waren noch nicht zufrieden.
Sie machten von neuem Vorstellungen, und in wiederholten Dekreten
suchte der Fürst ihnen genug zu tun. Doch schon war das
Ende seiner Herrschaft gekommen.
Zu Anfang des Jahres 1793 (0. Januar) waren die
Franzosen von ihrem Zuge gegen Trier zurückgekommen, der völlig
gescheiter war. Sie hatten gegen die Stellung der Deutschen
nichts auszurichten vermocht, sie hatiten in dem „pays des loups“
(Land der Wölfe) schrecklich gelitten und kamen nun zerlumpt, krank
und elend hier an. Es war die ehemalige Kellermann'sche Legion
(Légion de la Mosello), ein aus Infanterie und Kavallerie
gemischtes Freikorps, dem bald noch das Regiment Nr. 1 (Picardie)
folgte, um hier, teils in den Städten, teils auf den umliegenden
Dörfern, die Winterquartiere zu beziehen. Der bereits leidende
Fürst, der sich tags zuvor, um dem Getümmel zu entgehen, nach
Neunkirchen begeben hatte, ordnete an, daß die höheren Offiziere
im Schloß zu Saarbrücken einquartiert und gastlich bewirtet wurden;
auch die Kommandeure der auf den Dörfern liegenden Abteilungen
wurden mit Wildpret und Wein versehen; dagegen erhielt der
Fürst Schutzbriefe für seine Schlösser. Von den Soldaten zeichnete
sich das erste Regiment durch gute Manneszucht vor der Mosel—
legion aus.
Bald nachher verbreitet sich die Nachricht von der Hinrichtung
Ludwigs XVI. und erfüllte jedes menschlich fühlende Herz mit
Entsetzen. Ganz Westeuropa vereinigte sich zu einem großen Kriegs—
bunde gegen das republikanische Frankreich; Belgien und Mainz
sollten zunächst zurückerobert werden. Dieser Bedrohung gegenüber
begannen die Franzosen ihren Ruf: „Krieg den Palästen!“ durch
die Tat wahr zu machen. Ihr erster Anschlag galt dem Herzog
Karl von Pfalz-⸗Zweibrücken. Mitte Februar setzte sich die Saar—
brücker Garnison mit den umliegenden Truppen gegen Homburg
in Bewegung, um den Herzog in seinem Schlosse Karlsberg
zu überfallen und festzunehmen. Doch es gelang diesem, im letzten
Augenblick durch die Flucht zu entkommen; die Franzosen rächten
sich durch die barbarische Zerstörung seines schönen Lustschlosses.
In Saarbrücken sah man die Beute von Karlsberg, kostbare
Gemälde und Möbel, die reiche Gewehrsammlung u. a. auf
vielen Hundert Wagen durchführen. Der Bruder des Herzogs,
Prinz Max, ließ den Fürsten warnen und zur Flucht mahnen.
Fürst Ludwig aber ließz sich durch die französischen Versicherungen
beruhigen, daß er als Freund und Verbündeter der Republik
keinen Schaden leiden sollte, und blieb ruhig in Neunkirchen.
Wie erzählt wird, war es besonders die Gräfin von Ottweiler,
die, um die Zukunft ihrer Kinder besorgt, ihn zum Bleiben bewog.
Obwohl die französische Regierung sich geweigert hatte, das letzte
Quartal der bis zum Jahre 1792 fälligen Subsidien zu bezahlen,
hatte der Fürst alles vermieden, was den Verdacht oder die Ver—
stimmung der französischen Machthaber erregen konnte. Den
—1223 —
Emigranten und den eidweigernden Priestern war der dauernde
Aufenthalt in seinem Lande verboten worden. Sogar den Ver—⸗
wandten seiner Schwiegertochter, der Prinzessin Montbarey, war
die nachgesuchte Erlaubnis abgeschlagen worden. Die französischen
Deserteure hatte er festnehmen, entwaffnen und ihre Montierung
der französischen Nation ausliefern lassen, nach dem Ausbruche des
Krieges an die Verbündeten weder Mannschaft gestellt noch Geld—
beiträge bezahlt, dagegen die französischen Truppen in jeder Weise
durch Lieferung von Frucht und Futter unterstützt.
Im Frühjahr 1793 wurde der Feldzug am Rhein eröffnet.
Die von den Franzosen besetzte Festung Mainz wurde belagert,
andere Truppen zogen durch die Pfalz und kamen bei ihren
Erkundigungen bis in die hiesige Gegend. Am 14. April drang
eine kleine Abteilung Husaren, die zu den Truppen des Generals
von Wurmser gehörte, bei der Verfolgung des Custine'schen Heeres
bis Homburg vor und überfiel die dort liegende französische
Reiterabteilung. Der Schrecken, den sie verbreiteten, war so groß,
daß nicht nur die Reiterei in Homburg, sondern auch mehrere
tausend Mann Infanterie, die in Blieskastel lagerten, eiligst
über die Saar flüchteten.
Jetzt schien ein längeres Verweilen in Neunkirchen für den
Fürsten nicht mehr ratsam. Er mußte fürchten, aufgehoben und
als Geisel mitgenommen zu werden. Schon waren mehrere seiner
Beamten als verdächtig verhaftet und nach Metz gebracht worden.
Der Fürst war in übler Lage. Wenn er entfloh, so hatte er sein
Land verloren; blieb er, so war Freiheit und Leben in Gefahr.
Als Ausweg bot sich eine Badereise, die durchaus unverdächtig
sein mußte, da der Fürst seit mehreren Jahren an der Gicht litt
und in der letzten Zeit völlig gelähmt war. Durch diese Reise
wurde er einstweilen der Gefahr entrũckt; da das siegreiche Vor—
rücken der Verbündeten zu erwarten war, so konnte sich in wenigen
Monaten ein völliger Umschwung vollziehen. Um jedem Verdacht
vorzubeugen, meldete der Fürst dem Nationalkonvent und dem
kommandierenden General seine bevorstehende Abreise nach Baden
und empfing von dem letzteren die nötigen Pässe. Die Abreise
wurde auf den 14. Mai festgesetzt. Dem Erbprinzen, der mit
127 —
seinem Vater schlecht stand, wurde freigestellt, in Neunkirchen zu
bleiben; die fürstlichen Kinder sollten mit den Pagen nach Saar—
brücken zurückgehen und dort eine bescheidene Hofhaltung führen.
Nach dem zu erwartenden Abzug der Franzosen sollten die Schlösser
und Gärten gereinigt werden; für etwaigen Schaden, den die
Untertanen anrichteten, sollten diese haften. So verließ den Fürsten
die Hoffnung nicht, daß er bald wiederkehren und seine alte
Herrschaft wieder antreten werde. Die rebellischen Untertanen
sollten dann wohl vor ihm zu Kreuze kriechen. Am 12. Mai
machten die höheren französischen Offiziere in Neunkirchen ihre
Abschiedsbesuche und wünschten dem Fürsten eine glückliche
Badereise.
Zu dieser Zeit war seine Verhaftung bereits befohlen. Tags
zuvor hatten die Repräsentanten des französischen Volkes, welche
zur Moselarmee abkommandiert waren, in Metz den Befehl
unterzeichnet, daß die Gräfin von der Leyen (in Blieskastel),
der Fürst von Nassau-Saarbrücken, seine Gemahlin, seine
Kinder, seine Beamten, Räte und Agenten, weil sie durch ihren
Haß gegen die französische Revolution bekannt seien, verhaftet und
unter sicherem Geleite als Geiseln nach Paris gebracht werden
sollten. Ihre Papiere, Effekten und Möbel sollten versiegelt, ihre
Pferde und ihr Vieh nach Metz gebracht werden.
Die Anklage der französischen Volksvertretung hätte wohl
genügt, um den Kopf Fürst Ludwigs unter die Guillotine zu
bringen. Am Nachmittag des 13. Mai erschienen einige Kommissäre,
von einer starken Abteilung Gensd'armes begleitet, in Saarbrücken.
Sogleich nach ihrer Ankunft riefen sie die sämtlichen Regierungs—⸗
und Kammerräte zusammen und erklärten ihnen, daß Fürst und
Beamte zu Feinden der französischen Republick erklärt seien.
Darauf wurden die Kassen weggenommen, die Regierung und die
fürstlichen Zimmer versiegelt und die Räte unter Bedeckung in
ihre Wohnungen zurückgeschickt. Dann rückten die Gensd'armen
in Begleitung von mehreren Bataillonen und Schwadronen in
zwei Kolonnen über Dudweiler und St. Ingbert nach
Neunkirchen, um den Fürsten gefangen zu nehmen. Doch sie
fanden das Nest leer. Da das schlechte Wetter sich gebessert hatte,
128 —
so war Fürst Ludwig einen Tag früher als er vorhatte, am
Morgen des 13., abgereist, ohne von der französischen Schutzwache
gehindert zu werden; seine Gemahlin und seine drei Söhne be—
gleiteten ihn. Von dem ihm drohenden Schicksal scheint er keine
Ahnung gehabt zu haben, da er die Pferde, welche ihn zur
nächsten Poststation gebracht hatten, nach Neunkirchen zurücksandte.
Dem Erbprinzen, der in Neunkirchen zurückgeblieben war, gelang
es, im letzten Augenblick durch einen Sprung von einer hohen
Mauer sich zu retten; er flüchtete zu den preußischen Vorposten,
die in der Nähe standen. Die französischen Sendlinge nahmen
den geheimen Rat Eichberg und den Hofkavalier von Bertel
gefangen und brachten sie nach Saarbrücken, wo man vor allem
um den geliebten Erbprinzen bange war. Sodann machten sie sich
daran, das Schloß auszuräumen und alles bewegliche Gut zusammen⸗
zupacken. Doch in diesem Geschäft wurden sie am 15. Mai durch
eine Abteilung Preußen gestört, die der Erbprinz herbeigeführt
hatte. Die Franzosen mußten weichen, eine ganze Kompagnie wurde
gefangen genommen, und es gelang dem Erbprinzen, einen Teil
der schon gepackten Beute, vor allem das meiste Silberzeug, dem
Feinde zu entreißen. Am nächsten Tag nahmen die Franzosen
Neunkirchen wieder in Besitz und setzten das unterbrochene Werk
fort. Alle Möbel, Wagen, Pferde, Geschirre und Reitzeug, das
vollständige Jagdgerät, wenigstens 50,000 Gulden wert, wurde nach
Metz geschafft. Sogar die Fußböden wurden aufgerissen, die
Lamperien und Ofen abgebrochen, das Blei von den Dächern
entfernt, die inneren Treppen des Schlosses abgerissen und über—⸗
haupt alles verwüstet.
So begann ein großartiges Raubsystem, welchem alles Eigen—
tum des Fürsten, aber auch viele Vorräte von Privalpersonen zum
Opfer fielen.
„Und es praßten bei uns die Obern und raubten im großen,
Und es raubten und praßten bis zu den Kleinsten die Kleinen;
Jeder schien nur besorgt, es bleibe was übrig für morgen.
Allzugroß war die Not, und täglich wuchs die Bedrückung;
Niemand vernahm das Geschrei, sie waren die Herren des Tages.“
129 —
Doch es schien, als sollte das Land bald von seinen Be—
drängern befreit werden. Nachdem Mainz am 22. Juli gefallen
war, zog sich der Krieg in unsere Gegend. Während der
österreichische General Wurmser die Weißenburger Linien angreifen
sollte, setzten sich die Preußen nach der Saar zu in Bewegung,
um die linke Flanke der französischen Aufstellung zu umgehen, die
von Weißenburg über den Kettrich (bei Pirmasens), Neuhornbach,
Blieskastel und St. Ingbert nach Saarlouis sich
erstreckte. Bei Schwarzenacker und Hornbach stand der
General Houchard; ) das Hauptquartier des Generals Kalckreuth
war Mitte August Wiebelskirchen. Die vorgeschobenen Posten
der Franzosen wurden überall zurückgedrängt. Auf dem
Bischmisheimer Berg, dem Eschberg, Schwarzenberg,
Homburg und Ludwigsberg nahmen die Preußen ihre
Vorpostenstellung; eine schwere Batterie wurde auf den Halberg
postiert, welche die feindlichen Geschütze auf dem Winterberg beschoßz?)
und die Schiffbrücke, welche die Franzosen über die Saar geschlagen
hatten, zerstörte. Nun kam es hier zu einem lebhaften Vorpostenkrieg.
In Saarbrücken erwartete man stündlich den entscheidenden
Angriff, der die Städte von ihren Bedrängern befreien sollte.
„Unsere Erlöser aus der republikanischen eisernen Sklaverei nähern
sich, sind nur noch einige Stunden von uns entfernt“, schrieb
Horstmann am 28. September. „Gestern und heut rollt der
Donner der Kanonen ununterbrochen in unserer Nachbarschaft.
Sie glauben nicht, wie angenehm diese sonst so fürchterliche Musik
unseren Ohren ist. Alles ist neubelebt, und das schwächere,
furchtsame Geschlecht, das vor wenig Monaten bei dem Gedanken
einer Beschießung der Stadt ohnmächtig wurde, jauchzet jetzt bei
der Gewißheit; der sicherste Beweis für die Schwere der Bedrängnisse,
1) Beim Durchzug durch St. Johann ließ er im Juli 1793 seine
Truppen in den St. Johanner Fruchtfeldern lagern. Man erzählte, er habe
dies aus Rache getan, weil er als Weißgerbergeselle in St. Johann Prügel
bekommen habe.
2) In dem Winterbergdenkmal sind einige Kanonenkugeln aus jener
Zeit eingemauert, die man bei dem Bau des Denkmals aufgefunden hatte.
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130 —
welche uns die Franzosen auferlegt haben. Die Verwirrung
der Franzosen in der Stadt ist unbeschreiblich, alles läuft unter⸗
und widereinander, und wir ergötzen uns nicht wenig an ihrer
Bestürzung und an ihren vergeblichen Bemühungen, ihre Furcht
zu verbergen. Morgen ist also der Tag, der unser Schicksal
entscheidet.“
Man erwartete also mit Bestimmtheit die Erstürmung
Saarbrückens durch die Preußen, und es ist nicht zu bezweifeln,
daß ein energischer Vorstoß die Stadt befreit hätte. Das geben
auch die französischen Berichte zu. „Nur noch ein einziger Schlag“,
sagt der französische Kriegs-Schriftsteller Chuquet, „und die Mosel—
armee war nach Lothringen zurückgedrängt. Sie stand im Zeichen
der Auflösung, und die Preußen hätten ohne jede Frage alle unsere
Stellungen an der Saar nehmen können, wenn sie nur gewollt
hätten. Von allen Seiten hörte man nur den Ruf: „Wir sind
abgeschnitten!“ Mit gesenktem Haupte und langem Gesicht
schnürten die Jakobiner ihr Bündel zum Abmarsch nach Frankreich.“
Aber dieser entscheidende Angriff erfolgte nicht; mit Plänkeln,
Patrouillieren und Kanonieren wurde die Zeit hingebracht, obgleich
der Augenblick zu entschlossenem Vorgehen so günstig wie möglich
war. Niemals war Frankreich in schlimmerer Lage als damals:
das Land war von Parkteiungen zerrissen, in der Vendée war die
royalistische Partei siegreich, die erssen Städte des Landes, Lyon,
Bordeaux und Marseille, in offenem Aufstande gegen die von den
Jakobinern beherrschte Hauptstadt, dabei Staatsbankerott und
Hungersnot vor der Türe, ein feindliches Heer von 250,000
Mann trefflicher Truppen an den Grenzen zum Einfall bereit, die
eigenen Truppen zuchtlos und entmutigt — dies Bild mußte ver—
lockend genug für die Koalitionsmächte sein. Was war es nun, das
den preußischen Führern Kalckreuth, Knobelsdorff und Blücher die
Füße lähmte, daß sie sich scheuten, die Saar, als ob es ein
stygisches Wasser wäre, zu überschreiten? Es klingt paradox, aber
es ist so: das Schicksal Saarbrückens wurde damals an der
Weichsel entschieden. Preußen hatte keine Lust, diesen Krieg gegen
Frankreich zu führen, in dem es nichts zu gewinnen hatte, während
im Osten, in Polen, wichtige Interessen auf dem Spiele standen.
131 —
Am 29. September, an demselben Tage, an dem die
preußischen Truppen auf den Höhen von St. Johann erschienen,
verließ König Friedrich Wilhelm II. die Armee, um sich nach
Polen zu begeben, und mit ihm schied die treibende Kraft. Der
Herzog von Braunschweig, der jetzt allein den Oberbefehl führte,
war jedem energischen Vorgehen abhold. Am 7. Oktober drängten
die Franzosen die preußischen Schützen auf dem Ludwigsberg mit
Übermacht zurück und steckten das Schlößchen in Brand. Am
Abend desselben Tages wurde auch das schöne Schloß in Saar—⸗
brücken ein Opfer ihres Vandalismus.
Sieben Wochen blieben die preußischen Truppen untätig bei
Saarbrücken stehen, indes in den Städten die Willkür der Franzosen
ihren höchsten Grad erreichte. In Selbstsucht und Hader hatten
die Mächte den günstigen Moment verscherzt, während in Frank—
reich die nationale Begeisterung für das bedrohte Vaterland erwachte,
der Konvent die waffenfähige Jugend ins Feld rief und Lazarus
Carnot die Mittel der nationalen Verteidigung organisierte.
Am 16. November abends zogen die Preußen nach St.
Ingbert und Bildstock ab, überschritten, von den Franzosen
beunruhigt, die Blies und lagerten sich bei Waldmoor, von wo
der weitere Rückzug nach Kaiserslautern ging. Hier wurden zwar
die Angriffe der Franzosen am 30. November glänzend zurück—
geschlagen, aber in den Kämpfen um die Weißenburger Linien
wurden im Dezember die Osterreicher zurückgedrängt, Landau
entsetzt, und so war der unter glänzenden Aussichten begonnene
Feldzug für die Verbündeten verloren.
Und nicht besser erging es im nächsten Jahre (1794).
Belgien ging den Osterreichern verloren, Trier wurde geräumt, die
Feinde zogen in Aachen, Köln, Bonn und Koblenz ein. Die
preußischen Truppen fochten noch zweimal ruhmvoll bei Kaisers—
lautern, wo der Oberst von Blücher sich durch zahllose Husaren⸗
stückchen bei den Franzosen gefürchtet machte, aber Preußen, durch
einen Aufstand in Polen beschäftigt, war des Krieges mit zwei
Fronten müde und knüpfte bald Verhandlungen mit Frankreich
an, die am 5. April 1795 zum Frieden von Basel führten.
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Preußen trat vom Kriege zurück und ließ das linke Rheinufer in
den Händen der Franzosen. sterreich führte zwar den Kampf
nicht ohne Ruhm weiter, doch das überlegene Genie Bonapartes
brachte 1796 in Oberitalien den Krieg zur Entscheidung. Im
Frieden von Campo Formio 1797 erklärte sich der Kaiser im Geheimen
mit der Abtretung des linken Rheinufers einverstanden. Damit
war die Grafschaft Saarbrücken an Frankreich aus—
geliefert.
Fürst Ludwig war glücklich nach Mannheim entkommen.
Im Sommer des Jahres 1793 suchte er Linderung für sein
Leiden an den Heilquellen zu Baden-Baden. Es fehlte aber bald
an Mitteln zur Bestreitung des Unterhaltes. In dieser Lage
scheint sich Fürst Ludwig an die Bürgerschaft von Saarbrücken
und St. Johann gewendet zu haben; diese sandte den Kaufmann
Fauth nach Baden, um dem Fürsten außer den bereits geleisteten
Vorschüssen die Summe von 40,000 Gulden anzubieten. Der
Fürst nahm ein Kapital von 25,000 Gulden an, welches der
Kaufmann Heinrich Karcher und Konsorten vorschossen; zur
Sicherheit wurden die Einkünfte des Amtes Jugenheim
verpfändet. Da diese geliehene Summe nicht lange vorhielt, so
nahm der Fürst Ende 1793 unter Gewähr des Gesamthauses
Nassau 100,000 Gulden auf.
Nach beendigter Badekur kehrte der Fürst nach Mannheim
zurück, wo sich mehrere seiner Hofleute und Anhänger, unter
ihnen Hammerer, Crolbois und Horstmann, um ihn sammelten.
Auch der Herzog Maximilian von Pfalz-Zweibrücken, der
spätere König von Bayern, hatte sich hierher geflüchtet und lebte
mit Fürst Ludwig in freundschaftlichem Verkehr. Aber bald wurde
sein Zufluchtsort durch die vorrückenden Franzosen bedroht, und
der Fürst floh im Januar 1794 nach Aschaffenburg. In der
Nähe von Darmstadt verirrten sich abends bei einem furchtbaren
Schneegestöber die Vorreiter, und der Wagen kam von der Land—
straße ab. Der kranke Fürst mußte, da das Umschlagen zu
befürchten war, in Kissen gehüllt eine Strecke weit getragen
werden und zog sich dabei eine starke Erkälung zu. Todmüde
kamen die Reisenden in Darmstadt an, wo sie die Nacht über
134 —
blieben, und fuhren am andern Morgen nach Aschaffenburg weiter.
Beim Einfahren in die Stadt sagte der Fürst seufzend: „Diesen
Ort werde ich nicht lebend verlassen“, eine Ahnung, die sich bald
erfüllen sollete. Am 2. März 1794 starb er im Alter von 49
Jahren. Fürst Karl Wilhelm bot eine Ruhestätte in der fürstlichen
Gruft zu Usingen an, und das Anerbieten wurde von dem Erb—
prinzen angenommen. Die Leiche kam am 5. März, morgens
2 Uhr, in Usingen an und wurde um 5 Uhr in aller Stille
beigesetzt. Acht Hofhandwerker hoben vor der Kirche den Sarg
vom Wagen auf die Bahre und bedeckten ihn mit einem schwarzen
Leichentuch; dann übernahmen ihn der Stadtschultheif; und 12
Gerichtsschöffen in schwarzen Kleidern und trugen den Sarg in
die Gruft.
Fürst Ludwigs Regierung war dem Lande, das ihm an—
vertraut war, nicht zum Segen geworden. Um gerecht zu sein,
müssen wir sagen, daß er seine Anschauungen von dem Fürsten—
beruf mit einem großen Teile seiner Standesgenossen teilte. Das
Wort Friedrichs des Großen, daß der Fürst der erste Diener des
Staates sei, hatte noch wenig Wurzel in den Herzen der Landes—
herren jener Zeit gefaßt.
Der Erbprinz Heinrich, der noch den Brand des väterlichen
Schlosses hatte mitansehen müssen, wurde als Kavallerieoberst in
die preußische Armee aufgenommen und lebte in der Hoffnung,
in seine Heimat zurückkehren zu können, eine Zeitlang in Kadolzburg
bei Ansbach. Am 27. April 1797 fand er durch einen Sturz
vom Pferde seinen Tod. Mit ihm erlosch das Haus Nassau—
Saarbrücken.
Über die Ereignisse, die sich damals hier abspielten, haben
uns zwei St. Johanner Bürger wertvolle Mitteilungen ge—
macht, Heinrich Gottlieb, der im Jahre 1771 Bürgermeister
von St. Johann war, und Georg Ludwig Firmond,
ein angesehener Kaufmann, wohl der Sohn oder Enkel des
Kirchmeisters von 1727. Er starb am 6. Februar 1810, sein
in einer großen Urne bestehendes Grabmal befindet sich noch auf
dem alten St. Johanner Friedhof auf dem Rotenberg. Die
beiden Chroniken hat Professor Dr. Krohn im 7. Heft der
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—
Grab⸗Urne von Georg Ludwig Firmond.
136 —
Mitteilungen des historischen Vereins für die Saargegend abdrucken
lassen. Die Gottlieb'sche Chronik beginnt mit der Einweihung der
Ludwigskirche am 25. August 1775 und endigt mit der Feier der
preußischen Besitzergreifung am 30. November 1815. Gottlieb
erzählt vom Jahre 1797 folgendes: „Am letzten Tage des Jahres
wurde die Bürgerschaft eingeladen, in der Kirche zu erscheinen.
Den wenigen, velche erschienen waren, wurde im Besein des
neuen französischen Amtmanns, des Kommandanten, eines
Kommissärs und der Mitglieder unseres Stadtgerichts vorgelesen,
daß nunmehr alle Landschaften diesseits des Rheins unter
französischer Botmäßigkeit stünden; und solle die Bürgerschaft und
das ganze Land jetzt darüber seine Freude und sein Ver—
gnügen äußern, daß es von der despotischen fürstlichen Herr—
schaft befreit se. Da wir alle das Gutliche der französischen
Republik mehr, als uns lieb ist, bisher schon kennen
gelernt haben und viele Bürger an dieser neuen Herr—
schaft kein Vergnügen finden, so wollen sie solches gar
nicht glauben.“ Der letzte Satz der Chronik lautet: „In der
Nacht vom 29. auf den 30. November sind die Douaniers von
hier fortgegangen. Adieu!“
Die Firmond'sche Chronik ist ausführlicher; sie beginnt mit
der Revolution im Jahre 1790 und endigt mit dem Jahre 1801.
Nur zwei Sätze will ich aus dieser Chronik hervorheben, die
ebenso wie der letzte Satz Gottliebs von der deutschen Gesinnung
der damaligen St. Johanner Bürger zeugen.
„1799. Dezember kam ein Brief vom Departement von
Trier, daß wir hier insgesamt sollten einen Brief mit aller Unter⸗
tänigkeit an den Bonaparte in Paris schreiben und darauf antragen,
daß er uns möchte mit den übrigen Franzen reunieren (vereinigen);
dieser Brief hat aber kein Gehör gefunden, und jeder sagte: Da
wir ruiniert sind, sollen wir uns mit ihnen reunieren!“ —
„1801. März den 17. ist ausgeschellt worden, das linke Rheinufer
sei französisch, und der Rhein wäre den Franzosen ihre Grenzlinie;
da sind auf diese Nachricht nachmittags die Katzenköpfe gelöst worden,
und in allen Kirchen sind die Glocken geläutet worden — ist
kein Vergnügen für uns!“
137 —
Die Franzosen hatten freilich sich nicht bemüht, die Liebe der
Saarbrücker zu erwerben. Gleich nach ihrem Einrücken im Jahre
1792 hatten die Krieger der Revolutionsarmee jeden Bürger, der
nicht die blau-weiß⸗rote Kokarde trug, georfeigt und ihre Bedürf—
nisse in Assignaten bezahlt, die bald ganz wertlos wurden. Die
fürstlichen Schlösser wurden ausgeplündert und in Brand gesteckt;
zwei unschuldige Bauern aus Güdingen und Bübingen wurden
mit der ambulanten Guillotine auf dem Schloßplatz in Saarbrücken
geköpft. Die Glocken wurden von den Kirchen geraubt, zahllose
Lieferungen ausgeschrieben und die Bürger mit einer Zwangs⸗
anleihe von einer Million Franken gebrandschatzt. Eine Eingabe
aus dem Jahre 1798 um Vereinigung mit der framnzösischen
Republik, die trotz des behördlichen Druckes nur wenige Unter⸗
schriften fand, verrät schon durch ihr elegantes Französisch und ihren
schwülstigen Stil ihren Ursprung.
Die Franzosen zeigten sich durchaus kirchenfeindlich. Sie
raubten nicht nur die Glocken, welche die Gemeinde zur Andacht
rufen sollten, sondern sie störten auch in der rohesten Weise den
Gottesdienst. Die Schloßkirche schloß man aus Vorsicht ab,
damit sie ihre Wut nicht an den dort befindlichen Grabmonu—
menten ausließen. Schließlich bat man um eine Schildwache, die
an die Tür der Ludwigskirche gestellt wurde. Das half aber auch
nicht lange. „Mit brennenden Pfeifen spazierten die Republikaner
herum, insultierten Frauen und Mädchen, spotteten den Geistlichen
nach und hießen sie mitten in der Predigt stillschweigen, befahlen
dem Organisten das Ca ira zu spielen, in welches sie mit voller
Kehle einstimmten. Bei der Kommunion drangen sie in die Reihen
und verlangten vom Pfarrer auch einen Schluck. Bei Kindtaufen
geleiteten sie die Gevatter und Gevatterinnen zum Altar, äfften
ihre Bücklinge und Knixe nach — und einer unserer Geistlichen
glaubte, sein letztes Stündlein sei erschienen, als eine starke Anzahl
Soldaten bei einem Taufakte plötzlich die Säbel zog und diese
über dem Täufling zusammenschlugen, um denselben in republikanischer
Weise zum citoyen einzuweihen.“
Es ist bekannt, daß die republikanische Regierung die
christliche Zeitrechnung abschaffte, die Jahre nach der Einrichtung
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der französischen Republik (22. September 1792) zählte, neue
Monatsnamen einführte, die Sonntagsfeier abschaffte, die Wochen—
tage in Dekaden (Abschnitte von 10 Tagen) einteilte und die
christlichen Kirchenfeste durch republikanische Feiern ersetzte. Die
Beurkundung des Personenstandes (Geburten, Heiraten und Todes—
fälle) wurden den Geistlichen entzogen und besonderen Standes—
ämtern übertagen. Kein Geistlicher durfte in Amtstracht auf der
Straße erscheinen, selbst nicht bei Beerdigungen. Das Singen bei
Leichenbegleitungen, kirchliche Taufen und Trauungen wurden
verboten. Niemand durfte mit einem anderen Namen als Citoyen
oder Citoyenne (Bürger oder Bürgerin) angeredet werden. Das
linksrheinische eroberte Land wurde in 4 Departements eingeteilt:
Roer (GHauptstadt Aachen), Rhein und Mosel (Gaupfistadt
Koblenz), Donnersberg (Hauptstadt Mainz) und Saar
(Hauptstadt Trier). Das Saarbrücker Land kam zum Saar—
departement, das in 4 Arrondissements (Saarbrücken, Birkenfeld,
Trier und Prüm) geteilt wurde. Die Arrondissements zerfielen
wieder in Kantone. Das Arrondissement Saarbrücken umfaßztte
die Kantone Saarbrücken, St. Arnual, Lebach, Ottweiler, Merzig,
St. Wendel, Blieskastel und Waldmoor. Später wurden die
Arrondissements in Mairien eingeteilt. Die Mairie Saarbrücken
bestand aus den Gemeinden Saarbrücken, St. Johann, Malstatt,
Burbach, St. Arnual, Brebach, Güdingen, Fechingen, Bischmisheim,
Gersweiler und Klarental. Der erste Maire war Philipp von
Mandel, früher Major im Regiment Nassau-Kavallerie. An
seine Stelle trat im Jahre 1804 Sebastian Bruch von St. Johann.
Nachdem Napoleon Bonaparte im Jahre 1799 sich zum
Ersten Konsul gemacht hatte, erlie am 8. April 1802 der
gesetzgebende Körper zu Paris die sogenannten organischen Artikel,
durch welche den Evangelischen die öffentliche Ausübung ihres
Kultus zugestanden und die Feier des Sonntags wieder gestattet
wurde. Kraft dieser Artikel wurde das Kirchenwesen organisiert.
Für die Departements Donnersberg und Saar wurde ein General⸗
konsistorium in Mainz eingesetzt; sein Bezirk war in Inspektionen
geteilt, die in Lokalkonsistorien zerfielen. Die ehemalige Grafschaft
Saarbrücken zerfiel in die Lokalkonsistorien Saarbrücken, St. Johann
140 —
und Ottweiler. Das Konsistorium St. Johann, dessen Präsident
der Pfarrer Ludwig Schmidt war, umfaßte die Pfarreien
St. Johann, Dudweiler, Neunkirchen, Dirmingen, Heusweiler
und Völklingen. Die Geistlichen wurden vom Staate besoldet,
sie erhielten 500 bis 1500 Franken Gehalt.
Am 186. September 1802 wurde die Konsistorial-Verfassung
der evangelischen Kirche durch den Präsidenten des General—⸗
konsistoriums zu Mainz Pietsch feierlich eingeführt. Die gesamte
Geistlichkeit unter Anführung des Inspektors Röchling, die
Mitglieder der Konsistorien beider Städte, der Maire und andere
„Notablen“ versammelten sich in dem Hause des Herrn Kaspar
Korn zu Saarbrücken und zogen in die Ludwigskirche. Die
Einwohner beider Städte waren zu dieser Feier eingeladen.
Über die Einsetzung des Lokalkonsistoriums St. Johann
wurde folgendes Protokoll aufgenommen: „Heute den 16. September
des Jahres 1805 unter dem Vorsitz des Unterpräfekten Bordé
und des Präsidenten des Generalkonsistoriums Augsburgischer
Konfession in der Absicht, die Lokalkonsistorien von Saarbrücken,
St. Johann und Ottweiler zu organisieren, genau nach den Vor—
schriften des organischen Gesetzes über die protestantischen Kulte
vom 8. April 1802, haben 25 Familienväter folgende 11 Laien—
mitglieder des Lokalkonsistoriums erwählt: F. Dryander, Maler,
G. L. Firmond, Balthasar Schlachter, Daniel Bruch,
Jakob Groß von St. Johann, Phil. Wagner von
Friedrichsthal, Georg Appolt von Dudweiler, Nikol. Wahlster
von Bietschied, F. Guthörl von Dirmingen, Wohlfahrt von
Neunkirchen, Georg Kunkel von Völklingen.“
In dem Annuaire (Jahrbuch) des Saardepartements vom
Jahre XI. (1802/1803) sagt der Generalsekretär Zegowitz von
den Einwohnern der beiden Städte: „Sie sind arbeitssam, tätig
und intelligent, von großer Einfachheit in ihren Sitten und Ge—
bräuchen, ohne Luxus, und zeichnen sich nur durch ihre Okonomie
und Mäßigkeit aus, welche sowohl in den Mittelklassen wie bei
den Reichen herrscht.“
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Von den Ereignissen der folgenden Jahre wurden die
Bewohner der Städte in mannigfacher Weise berührt. In den
Jahren 1802 und 1804 wurden Volksabstimmungen über das
lebenslängliche Konsulat und die Kaiserwürde Napoleons abgehalten.
Am 27. September 1806 kam der Kaiser hier an, frühstückte im
„Hirsch“ (in der Obergasse, der jetzigen Schloßstrafze, neben dem
Rathaus) in Saarbrücken und fuhr weiter nach Mainz. Von
seinen Siegen bei Jena, Auerstädt und Friedland, zeugten bald
preußische und russische Gefangene, die hier ankamen. Am 25.
Juli 1807, nach dem Frieden von Tilsit, kam Napoleon wieder
hier an und wurde als „Friedensfürst“ begrüßt. Am Obertor
war ein Triumphbogen erbaut, und hier hatten sich sämtliche
Mitglieder des Tribunals „im Kostüm“, der Maire und alle
Beamten zur Begrüßung eingefunden. Auf der Brücke war ein
zweiter Triumphbogen aufgestellt; weißgekleidete Bürgermädchen
streuten Blumen, und eine von ihnen überreichte dem Kaiser einen
Blumenstraußz. „Se. Kaiserliche Majestät hielt sich unter Musik
und Vivatrufen eine Stunde auf der Post auf.“ Dieser Empfang
stand natürlich unter dem Einfluß der französischen Behörden;
aber von dem Zauber des Napoleonischen Namens blieben damals
nur wenige unberührt. „Was die Kriegsaffären in diesem Jahre
anlangt“, schreibt der Chronist Gottlieb, „so können die hiesigen
Bürger und Einwohner mit Grund behaupten, daß sie Kriegs—
völker von allen Nationen gesehen haben, als Russen, Mamelucken,
Preußen, Polen, Sachsen, Hessen, Schweden, Engländer, Spanier,
Holländer, Italiener, Franzosen, welche alle hier durchpassiert sind;
und ich glaube nicht, daß unsere Alten seit den letzten 500 Jahren
soviele und mancherlei Völker gesehen haben. Unsere Mitbürger
wissen aber auch zu sagen, daß die Einquartierungslast fast un—
erträglich war.“
Am 24. September 1808 reiste der Kaiser durch Saarbrücken
nach Erfurt zu der Zusammenkunft mit dem Kaiser Alexander
von Rußland, bei welcher der französische Schauspieler Talma „vor
einem Parterre von Königen“ spielte.
„Am 4. Mai 1809 wurden die drei St. Johanner Stadt⸗
tore auf Abbruch versteigert, und ist sogleich mit dem Saartore
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der Anfang gemacht worden.“ Dieser Abbruch der Tore steht
wohl in Zusammenhang mit dem Bau der großen Heerstraße von
Metz nach Mainz, die St. Johann als Mainzer Straße durchschneidet.
„Am 25. August 1910 ist hier am großen Brunnen die
erste Laterne aufgestellt worden. Wenig Erleuchtung. — „1811,
am 15. März haben die Conscrits vom Jahre 1791 gespielt“
(gelost). Die Franzosen hatten die Konskription (Militär-Aus—
hebung) eingeführt, von der man sich frei losen konnte.
„Am 9. Juni wurde allhier das Geburtsfest des Königs
von Rom auf das Feierlichste begangen. Morgens 7 Uhr kündigte
der Donner des Geschützes dieses bedeutungsvolle Fest an. Um
9 Uhr gingen sämtliche Militär- und Civilpersonen in ihren Staats—
uniformen unter Geschützsalven in die Kirchen. Mittags um 2 Uhr
ging der ganze Zug nach der neuen lutherischen Kirche (Ludwigs⸗
kirche). Voraus gingen die Schulkinder beider Städte, von ihren
Lehrern geführt. Die Kirche war mit Laubwerk und Blumen—
kränzen geschmückt. Der Pfarrherr Zimmermann hiellt in fran—⸗
zösischer und deutscher Sprache eine passende Rede, und die Kinder
sangen unter dem Donner des Geschützes das To doum laudamus
(Herrgott, Dich loben wir). Um 4 Uhr wurde den Kindern eine
Komödie gratis gegeben. Abends um 8 Uhr war Wettrennen
um 2 silberne Uhren. 2 Paar Militärpersonen wurden kopuliert
und 16 arme Kinder gekleidet. Jedes Paar der Kopulierten
erhielt zu seiner Ausstattung 600 Franken. Nach eingetretener
Finsternis ward die Stadt illuminiert; dann war Ball und
freie Nacht.“
Der König von Rom war bekbanntlich der lang ersehnte Sohn
Napoleons, den ihm die österreichische Kaisertochter Marie Luise
geboren hatte. Zur Erinnerung an diese Feier wurden die 7
Eichen auf der Höhe der Lebacher Straße gepflanzt an der Stelle,
wo der Weg nach der Grube Von der Heydt von dieser
Straße abgeht.
Napoleon stand damals auf dem Höhepunkt seines Glückes
und seiner Macht. Seine maßlose Herrschsucht und sein wahn—
sinniger Ehrgeiz rissen ihn ins Verderben. „Vom 7. Februar bis zum
7. Mai sind an 60,000 Mann mit wenigstens 20,000 Pferden
145 —
und über 200 Kanonen hier durchgegangen. Dieser Durchmarsch
hat uns das teuere Brot, Heu und Stroh gebracht.“ Am 11.
Mai 1812 reiste der Kaiser durch Saarbrücken nach Dresden und
Polen zu dem russischen Feldzug. Auf Rußlands Schneefeldern
vollzog sich das Weltgericht. Der Kaiser eilte seinem fast vernichteten
Heere voraus. „Am 17. Dezember 1812 ist der französische
Kaiser incognito hier durch nach Paris gereist.“ Aber er hatte
seine Zuversicht noch nicht verloren. Um Geld zu gewinnen,
befahl er die Versteigerung aller Gemeindeländer. Am 18. Juni
wurde in Trier ein Teil der St. Johanner Gemeindeländer für
80,400 Franken versteigert. Neue Aushebungen wurden ver—⸗
anstaliet. Aus den vornehmsten Bürgerssöhnen wurde eine
Ehrengarde von 10,000 ausgehoben, die in 4 Regimenter verteilt
wurden.
Aus St. Johann und Saarbrücken sind die Namen von
7 jungen Leute bekannt, die damals in diese Garde d'honneur
eintraten: Friedrich Firmond, Karl Schmidtborn (1862 - 1871
Bürgermeister von Saarbrücken), Karl Haldy, Wilhelm Lautz
(später Geheimer Kommerzienrat und Präsident der Handels—
kammer in Trier), Karl Wagner, Hafner und Georg Bruch.
„Am 28. Juli ist Ihro Majestät die Kaiserin der Franzosen hier
durchgereist.“ Marie Luise suchte zwischen ihrem Vater und ihrem
Gatten zu vermitteln. Aber ihre Bemühungen waren vergeblich,
da Napoleon auf seine Stellung in Deutschland nicht verzichten
wollte. Am 18. Oktober fiel in der großen Völkerschlacht bei
Leipzig die Entscheidung. „Den 6. November ist der Kaiser
Napoleon zum letzten Male hier durch nach Frankreich passiert.“
9
— 146 —
8. Französisch oder Deutsch?
„Am 7. Januar kamen endlich die längst ersehnten Deutschen
und Russen hier an, und zwar mittags gleich nach 1 Uhr, Kosaken
und preußische schwarze Husaren. Unmittelbar vor ihrer Ankunft
sprengten die Franzosen von unserer schönen Saarbrücke zwei
Bogen in die Luft. Die Franzosen hielten sich dann noch während
zweier Tage in Saarbrücken auf, indem sie St. Johann und die
in und um die Stadt stehenden Deutschen aus Kanonen beschossen
und verschiedene davon töteten, darunter auch die zwanzigjährige
Tochter Philipp Kleins. In der Nacht vom 9. auf den 10.
Januar marschierten dieselben endlich von Saarbrücken ab.
Während dieser Zeit waren noch viele Deutsche angekommen, sodaß
die ganze Stadt und die umliegenden Ortschaften voll lagen. Bei
der Kohlwage (Bergfaktorei) wurde über die Saar eine Brücke
geschlagen. Am 10. Januar morgens marschierten sie endlich ab.
Ihnen folgte die ganze schlesische Armee unter dem General
Blücher.“ (11. Januar.)
Blücher wurde hier als Befreier von der französischen
Herrschaft begrüßtt. Da die französischen Beamten die Städte
verlassen hatten, so wurde eine deutsche Verwaltung eingesetzt und
der Verkehr mit dem rechten Rheinufer freigegeben. Der deutsche
Sinn der Bewohner war während der 20jährigen Fremdherrschaft
nicht erstorben und lebte jetzt kräftig wieder auf. Ein patriotischer
Verein wurde gegründet, dessen tätigste Mitglieder der Kaufmann
Heinrich Böcking aus Saarbrücken, der Bürger Lucas und
der Pfarrer Gottlieb von St. Johann waren. Heinrich Böcking
wurde als Bürgermeister eingesetzt. Als er bald nachher sein
147 —
Amt niederlegen mußte, empfahl er den Beigeordneten Heinrich
Karcher aus St. Johann als seinen Nachfolger, der freilich schon
nach kurzer Zeit sein Amt an den Notar Laukhardt abgab.
Nachdem die verbündeten Monarchen am 31. März in
Paris eingezogen waren, wurde am 17. April ein allgemeines
Dank- und Siegesfest in den Städten gefeiert, „um dem all—
mächtigen Gott den feierlichsten Dank darzubringen,
daß er nach 20 jährigem namenlosen Elend uns
endlich dem Kummer entrissen, uns unserm alten deutschen
Vaterlande wiedergegeben und uns durch Siege ohne
Beispiel die gewisse Hoffnung geschenkt hat, nicht wieder von
demselben getrennt und an ein fremdes Volkgekettet
zu werden.“ (Aus dem Einladungsschreiben des Kreis—
direktors Haupt.)
An demselben Tage erließ der Generalgouverneur des
Mittelrheins (der früheren Departements Rhein und Mosel,
Donnersberg und Saar) Justus von Gruner eine Bekbannt—
machung folgenden Wortlautes: „Übelgesinnte suchen das falsche
Gerücht zu verbreiten, die Länder des Mittelrheins würden an
Frankreich zurückfallen. Zur Beruhigung aller Ununterrichteten
erkläre ich dasselbe offiziell für durchaus unbegründet. Wir haben
keinen Krieg mit den Franzosen mehr, aber alle Deutschen
werden mit Deutschland wiedervereinigt werden.
So ist der Wille der hohen verbündeten Monarchen;
dafür ist das Blut unserer Brüder geflossen. Und
wer anders behauptet, verdient als Unruhstifter bestraft zu werden.“
Nach einer so bündigen Erklärung und Versprechung hielten
es die Bürger nicht mehr für nötig, sich durch eine besondere
Abordnung um die Lostrennung von Frankreich zu bemühen.
Aber das Unglaubliche geschah. Obwohl Frankreich auf die Grenzen
vom 1. Januar 1792 beschränkt wurde, an dem das Fürstentum
Nassau-Saarbrücken noch deutsch gewesen war, wurden durch den
Pariser Frieden vom 20. Mai 1814 die Kantone Saarbrücken,
St. Arnual und ein Teil des Kantons Lebach bei Frankreich
belassen. Es war dies das Werk des schlauen französischen Unter—
händlers Tallegrand, der dabei auch eigennützige Absichten verfolgte.
10*
148 —
Die Nachricht von dieser unerwarteten Wendung rief in
Saarbrücken und St. Johann große Bestürzung und Empörung
hervor. Die Bürger hielten erregte Versammlungen ab und be—
schlossen, eine Abordnung an den Generalgouverneur nach Mainz
zu schicken. Doch dieser konnte ihnen wohl Teilnahme zeigen,
aber keine Abhilfe versprechen, da an den Friedensbedingungen
nichts mehr zu ändern war. Auch in Deutischland regte sich
allgemeine Teilnahme. „Wir klagen um unsere Brüder“, schrieb
Josef Görres im Rheinischen Merkur, „und begraben den Volks⸗
sinn im Augenblick seiner Auferstehung. Weh uns, wenn unser
heiligstes Gefühl nicht mehr gehört wird! Führer und Leiter von
Deutschlands Völkern, stoßt Euere Kinder nicht wie Rabenmütter
von Euch!“ Auch deutsche Dichter versagten den verratenen
Saarbrückern ihre Teilnahme nicht. Stägemann sprach in einem
Gedicht von der Thränenflut der Saar, und Friedrich
Rückert dichtete das rührende Lied „Arm Saarvpögelein“.
Frankreich ergriff wieder Besitz von unserm deutschen Grenz⸗
lande, das mit dem Moseldepartement vereinigt und in die durch
die Saar geschiedenen Kantone Saarbrücken und St. Johann
geteilt wurde. Der Unterpräfekt von Saargemünd übernahm die
Verwaltung des abgetretenen Gebietes und verordnete, daß fortan
kein Akt in deutscher Sprache geschrieben werden dürfe. Der
Oberbürgermeister Laukhardt wurde abgesetzt und der frühere
Maire Bruch wieder eingesetzt; doch auch er war mit der Wendung
der Dinge nicht zufrieden und legte bald sein Amt nieder, um
wieder Friedensrichter zu werden; an seine Stelle trat der in Nancy
geborene Franzose Rupied. Die Beamten mußten dem König
Ludwig XVIII. den Treueid leisten; die französischen Steuern
(droits réunis) und das Obtroi (indirekte Verbrauchssteuer)
wurden wieder eingeführt; die Douaniers besetzten die nunmehrige
deutsche Grenze und erschwerten den Verkehr mit dem alten
Vaterlande.
Es war ein Glück für die deutschgesinnte Bevölkerung, daß
Napoleon den Frieden nicht hielt. Nachdem er die ihm zugesprochene
Insel Elba verlassen hatte und am 1. März 1815 in Südfrank⸗
reich gelandet war, fielen ihm die Franzosen wieder zu, und auch
149 —
die Beamten in Saarbrücken gingen in das Bonapariistische
Lager über. Napoleon veranstaltete neue Rüstungen. Am 4. Mai
wurde alle waffenfähige Mannschaft vom 20. bis zum 40. Lebens⸗
jahre zur Nationalgarde nach Saarlouis einberufen. Die Stadt
St. Johann, die noch ihren Mauerring hatte, wurde durch drei
hölzerne Tore und Pallisaden in Verteidigungszustand gesetzt.
Die Brücke wurde durch zwei sogenannte spanische Reiter gesperrt
und das Obertor völlig geschlossen; zwei Kompagnien National-
garde und etwa hundert Mann vom Mosel-Freikorps bildeten
die Besatzung.
Am 18. Juni errangen Engländer, Niederländer und Deutsche
unter Wellington und Blücher einen entscheidenden Sieg über
Napoleon, aber unsere Städte, besonders St. Johann, sollten
noch der Schauplatz eines blutigen Nachspiels werden.
Am 23. Juni gingen die Bürger von St. Johann ohne
Furcht vor Gefahr ihrer gewohnten Arbeit nach; zahlreiche Frauen
waren auf den Bleichen beschäftigt, als um 1 Uhr auf der
Dudweiler Straße zwei französische Gendarmen auf schaumbedeckten
Pferden heranjagten und den Leuten zuriefen: „Die Baiern
kommen!“ In großer Bestürzung eilten Männer und Frauen in
die Stadt, während die Nationalgarde und die Freischärler an die
Tore und Mauern liefen. Die Häuser wurden geschlossen, die
Fensterläden zugezogen, und ein jeder suchte ein sicheres Versteck
zu gewinnen. Bald wurden die Baiern auf der Dudweiler
Straße sichtbar. Es war der Generalleutnant Graf Beckers, der
mit einer Infanterie-Brigade, einer Batterie und einer Reiter⸗
schwadron von Neunkirchen aufgebrochen war, um St. Johann zu
besetzen und den Übergang über die Saar zu sichern. Ein Teil
der Truppen ruckte gegen die Saarbrücke vor und erwiderte das
Feuer, das sie von dort erhielten; andere wandten sich nach dem
Türkentor (an der katholischen Kirche) und stürmten auf dasselbe
los. Der erste Angriff der Baiern wurde durch das Feuer der
Verteidiger abgeschlagen, der Major Bauer wurde schwer verwundet.
Doch ein neuer Angriff machte die Baiern zu Herren des Tores.
Die Franzosen wichen anfangs hinter die Mauer der katholischen
Kirche und gaben von hier aus Feuer, zogen sich aber dann über
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151 —
die Brücke zurück. Einige von ihnen flüchteten in die nächst⸗
gelegenen Häuser und schossen von hier aus auf die andringenden
Feinde. Die durch den Widerstand erbitterten Baiern, welche die
meist mit Kitteln bekleideten Nationalgardisten für Zivilisten hielten,
schossen in die Häuser und töteten 7 bürgerliche Personen, unter
ihnen eine Frau. Auch einige Bürger, die das verrammelte Tor
den Baiern öffnen wollten, sollen das Opfer ihres patriotischen
Eifers geworden sein. 8 Bewohner von Häusern, aus denen
geschossen worden war, wurden ergriffen, unter Stößen und
Schlägen fortgeschleppt und sollten kriegsgerichtlich abgeurteit werden;
doch durch die Fürbitte des katholischen Pfarrers Fröhlicher, der
den General Grafen Beckers kannte, wurden sie nach 24stündiger
Haft, während der sie schon den Tod erwarteten, wieder frei⸗
gelassen. Die Franzosen, welche die im Holzbau wiederhergestellte
Brücke abzudecken versuchten, wurden durch einige Kartätschenschüsse
vertrieben. Die Baiern, welche 19 Tote und 41 Verwundete,
unter ihnen 3 Offiziere, hatten, lagerten sich nach dem Kampfe
zwischen Malstatt und Burbach und plünderten beide Dörfer sowie
Rußhütte völlig aus. Die Bewohner flüchteten in den nahen Wald.
In den Städten spielten sich mittlerweile heftige Kämpfe
zwischen der deutschen und der französischen Partei ab. Die deutsch—
gesinnte Mehrheit der Bürgerschaft hatte keine Lust, die Herrschaft
der Franzosen und ihrer Freunde länger zu ertragen. Eine
Abordnung der Bürgerschaft wandte sich in den letzten Junitagen
an den in der Nähe stehenden russischen Feldmarschall Barclay de
Tolly mit der Bitte, ihre Verwaltungsbehörde, die noch aus
Franzosen bestehe, durch Deutsche ersetzen zu lassen. Am 3. Juli
traf der Feldmarschall in Saarbrücken ein und wurde durch eine
festliche Beleuchtung der Städte begrüßt, die freilich von dem
Stadtrat mißbilligt wurde.
Vermutlich erteilte Barclay die Zusage, den Wunsch der
Bürgerschaft bei den hohen Verbündeten zu befürworten. Am
5. Juli kam die Nachricht, daßz Paris kapituliert habe und
Napoleon geflüchtet sei. Damit war die Aussicht auf einen
besseren Frieden eröffnet, und die Saarbrücker Patrioten wollten
diesmal nicht wieder die Gelegenheit unbenutzt vorübergehen lassen.
43*
—
Am 7. Juli schrieb Böcking an Görres: „Sie nahmen sich unser
an; tun sie es nochmals, edler Mann. Wirken Sie auf das
deutsche Publikum, auf Stein, Blücher u. a. Ein Promemoria
(Denkschrift) schildert Ihnen die Lage und die Wünsche von neun
Zehnteln der Einwohner. Kommt man uns nicht zu Hilfe, so
sind 20,000 Deutsche geopfert. Die Elenden triumphieren schon,
da die Strafe bis jetzt vorübergezogen. Der Franzose ändert seine
politische Meinung wie seine Kleidung; nur im Haß gegen Fremde
und vorzüglich gegen die Deutschen bleibt er sich gleich. Die
Bourbonisten (Anhänger des Königs Ludwig XVIII.) versichern
schon, Frankreich werde sich durch eine neue Terrilorialabtretung
nicht erniedrigen lassen.“
Am 10. Juli wandte sich Böcking mit einem längeren
Schreiben an den Generalgouverneur Justus von Gruner, der
damals in Paris weilte. Er setzte ihm die Lage der Deutschen
in Saarbrücken auseinander. Der Schluß des Schreibens lautet:
„Wir schmachten noch unter der Napoleonischen Tyrannei, da auch
in Saargemünd Franzosen regieren und sie alle einig sind,
sobald es darauf ankommt, Deutsche zu unterdrücken.
Während ganz Europa jubelt, sind wir in Trauer
versunken. Vergebens flehten wir bis jetzt um
Rettung; bleibt sie noch lange aus, so werden 20,000
der wärmsten, aufrichtigsten Deutschen ein Opfer der
französischen Wut und Ränke. Die Anlage B. enthãlt
die Klagen und Wünsche sämtlicher deutschen Einwohner von
Saarbrücken. Erlauben mir Ew. Excellenz, im Namen derselben
Sie um Hilfe und Rettung anzuflehen. Finden wir bei Ew.
Excellenz Erhörung, so sind wir gerettet; Hochderselben alles
vermögende Verwendung wird uns bald vom Franzosenjoche
befreien und uns unserm geliebten deutschen Vaterlande wiedergeben.“
Es traf sich glücklich, daß an demselben 10. Juli mittags
der preußische Staatskanzler Fürst Hardenberg mit dem
Minister Wilhelm von Humboldt auf der Reise nach Paris in
Saarbrücken eintraf. Eine Abordnung der Bürger übergab ihm
in dem Gasthof zur Post in Saarbrücken (Wilhelm-Heinrichstraße)
eine Adresse mit folgendem Wortlaut:
153 —
„Die Einwohner von Saarbrücken haben die Ehre, Ew.
hochfürstliche Durchlaucht untertänigst anzuflehen, diese durch den
Frieden von Paris an die Franzosen abgetretene unglückliche
Stadt in Schutz zu nehmen und durch Hochdero gnädigste Ver—⸗
wendung zu bewirken, daß einstweilen die den Einwohnern so
unerträgliche, jeder deutschen Gesinnung widerstrebende französische
Behörde abgestellt und die Verwaltung deutschen, mit dem
Charakter, der Sprache und der ehrlichen Gesinnung
der Einwohner vertrauten Personen übertragen werde,
damit die Wahrheit gedeihen, der Vaterlandsliebe Gerechtigkeit
widerfahren und so der französischen Verschmitztheit, dem
Lug und Trug zum Verderben dieser Stadt der Zugang
versperrt werden möge. Die Einwohner finden in dem Glück der
Anwesenheit Ew. hochfürstlichen Durchlaucht eine Vorbedeutung
ihres zukünftigen besseren Schicksals, und in dem unbegrenzten
Vertrauen auf den Mann, den die Vorsehung zur Stütze der
preußischen Monarchie erkor, hoffen wir, dafz die den Preußen
durch Sitten, Sprache, Religion und Gesinnungen so
verwandten Saarbrücker eines allergnädigsten Blicks des
besten der Könige gewürdigt werden.“
Die Abgeordneten, deren Wortführer Böcking und der
Kaufmann Fauth waren, sprachen dem Fürsten den im Schlußsatz
der Adresse bereits angedeuteten Wunsch der Saarbrücker Bürger
aus, mit Deutschland und zwar mit Preußen vereinigt zu werden,
und Fauth wies besonders auf die reichen Kohlengruben des
Landes hin. Der Fürst versprach den Bürgern, seinen Einfluß
für die Erfüllung ihrer Wünsche einzusetzen, und erntete den
lebhaften Dank der Saarbrücker und St. Johanner. „Der Jubel
kannte keine Grenzen, die Häuser wurden mit Laubgewinden und
Blumen geschmückt, das Volk wogte durch die Straßen, sang
vaterländische Lieder, Spott und Hohn den Franzosen, Ehre und
Liebe den Deutschen. Gegen Abend wurde die Stadt erleuchtet;
am hohen Turm (der Ludwigskirche) las man den Namen
Hardenberg in Feuerzügen, die Jungen trugen Lichter und
grüne Zweige und Kränze auf Stangen umher; die ganze Nacht
154 —
hindurch dauerte das Fest und erneute sich am andern Morgen.“
(Varnhagens Denkwürdigkeiten VII. 159.)
Durch Hardenbergs Zusage ermutigt, luden die Abgeordneten
die Bürgerschaft zu einer Zusammenkunft ein. 345 Bürger, der
Mehrzahl nach dem Handwerkerstande angehörend, folgten am
11. Juli dem Rufe und gelobten alle und jeder insbesondere,
mit allen Mitteln für die Lostrennung von Frank—
reich und die Wiedervereinigung mit Deutschland zu
wirken und alles zu tun, was den Umständen nach von ihnen
gefordert werden würde. Sie bestellten die Bürger Böcking,
Laukhardt, H. Eichacker, Chr. Köhl, K. Zimmermann und Ph.
Karcher als Kommissare, um durch Anwendung aller zu Gebote
stehenden Mittel diesen Wunsch der Bewohner durchzuführen.
Infolge dieser Vorgänge legte der Maire Rupied sein Amt
nieder, und durch einen Bevollmächtigten des Generalgouverneurs
wurde eine deutsche Stadtverwaltung eingesetzt. Oberbürgermeister
wurde der Pfarrer Zimmermann, der zugleich Direktor des in
eine 600lo secondaire verwandelten Gymnasiums war, erster
Adjunkt Heinrich Böcking, zweiter Christian Köhl, erster
Stellvertreter Philipp Koch und zweiter Heinrich Eichacker.
32 deutsche Männer bildeten den Stadtrat, dessen Verhandlungen
wieder in deutscher Sprache geführt wurden. Aber damit begnügte
man sich nicht. Obwohl die begründeten Wünsche der Bürgerschaft
dem Fürsten Hardenberg in der Form von Denkschriften zugesandt
worden waren, hielt man es doch für nötig, durch persönliche
Vertretung in Paris die Wünsche der deutschgesinnten Bürgerschaft
den Monarchen und ihren Ratgebern zu Gehör zu bringen.
Deshalb faßte am 27. Juli 1815 der Stadtrat den Beschluß, den
Kaufmann Böcking und den Notar Laukhardt als Abgeordnete
an die hohen verbündeten Monarchen nach Paris zu senden, um
diesen die Gesinnungen und Wünsche der Bürger von Saarbrücken
vorzutragen und sie zu bitten, die Bewohner dieses Landes als
Deutsche zu behandeln.
Die beiden Abgeordneten zeigten sich in Paris außerordentlich
tätig, und sie fanden an Hardenberg einen warmherzigen Fürsprecher.
Er setzte die Ruckgabe des Saarbrücker Landes und der
155 —
Stadt Landau sowie die Abtretung von Saarlouis bei den
Friedensverhandlungen durch. Am 11. November traf die amtliche
Mitteilung von diesem Erfolge in Saarbrücken ein, und am
20. November wurde der Friedensvertrag unterzeichnet. Am
26. November traf Hardenberg auf der Rückreise in Saarbrücken
ein und wurde wahrhaft fürstlich empfangen. Unter stürmischem
Jubel wurde die preußische Fahne auf dem Rathausturm aufgezogen.
Am 30. November 1815 wurde das Saarbrücker Land feierlich
durch den Oberappellationsgerichtsrat Matthias Simon als
preußischen Kommissarius im Namen des Königs von Preußen in
Besitz genommen.
Der festliche Tag wurde durch Kanonenschüsse und Geläute
aller Glochen am Vorabend und am Morgen des 30. November
den Bewohnern von Stadt und Land verkündet. Um 10 Uhr
des Morgens am 30. November begab sich Matthias Simon
in das Rathaus, wo sich die Vorstände der 44 Ortschaften und
Weiler der Kantone Saarbrücken und St. Johann bereits ein—
gefunden hatten. Der Besitzergreifungs- und Huldigungsakt sollte
in der Ludwigskirche erfolgen. Der Zug setzte sich unter Kanonen⸗
donner und Glockengeläute in Bewegung. Voran die städtische
Musik mit der Schuljugend, welche von ihren Lehrern geführt
und mit grünen Zweigen geschmückt war; dann die Sieges- und
Friedensfahne, von der Musik des 1. Pommerschen Landwehr⸗
regiments umgeben, hierauf der Landeskommissarius, der Ober—
bürgermeister, der preußß. Stadtkommandant von Fabian, der
Stadtmagistrat, die Geistlichkeit der verschiedenen Bekenntnisse, die
Gemeindevorstände nebst 80 Bürgern beider Städte. Den Zug
begleiteten zu beiden Seiten die Wehrmänner der Stadt mit ihrem
Banner. Das in Saarbrücken anwesende preußische Militär vom
4. Armeekorps stand auf dem Platze und präsentierte vor dem
Zuge. Der Landeskommissarius wurde von dem Präsidenten des
lutherischen Konsistoriums Pfarrer Hildebrand am Eingang der
Kirche empfangen und die Feier mit dem Choral,, Jehova, deinem
Namen“ begonnen. Nach der Predigt des Pfarrers Hildebrand
hielt der Kgl. Kommissarius zuerst eine Ansprache an die Ver⸗
sammlung, dann verlas er die Vollmacht. Die Gemeindevorstände
156 —
legten nun für sich und im Namen ihrer Gemeinden den
Huldigungseid ab; worüber eine Verhandlung unterschrieben würde.
Der Kommissarius erklärte hierauf die Besitzergreifung im Namen
des Königs für vollbracht. Der Oberbürgermeister Zimmermann
sprach die Empfindungen des Landes und der Städte über das
frohe Ereignis aus, und unter Geschützdonner schloßz der ambrosianische
Lobgesang die Feier, der auch General Graf Bülow von
Dennewitz beigewohnt hatte.
Der Zug ging dann in der vorhin beschriebenen Ordnung
durch die Wilhelmstraße nach St. Johann und zum Schloßplatz
zurück, wo dem Könige ein dreimaliges Hoch ausgebracht wurde.
Die Wehrmänner trugen ihre Fahne zur Kirche zurück, wo sie
mit Segensworten eingeweiht und aufgepflanzt wurde. Abends war
die Stadt erleuchtet, und als man hörte, daß die Ludwigskirche
erleuchtet sei, strömte alles dahin und sang freudig unter Orgel—
begleitung das Lied „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut.“
9. Die evangelische Union.
Durch die schweren Erschütterungen und Umwälzungen, die
unser Volk durchgemacht hatte, war der religiöse Sinn neu belebt
worden, und die im Jahre 1817 bevorstehende 300 jährige
Erinnerungsfeier an die Reformation gab den Anlaß, diesen Sinn
auch äußerlich zu betätigen. Aber der Zwiespalt zwischen
Lutheranern und Reformierten drohte die Stimmung bei dieser
Feier zu stören, und es trat deshalb der Wunsch hervor, eine
Einigung herbeizuführen, die bei dem Religionsgespräch zu
Marburg zwischen Luther und Zwingli (1529) nicht gelungen
war, und die beiden Bekenntnisse zu einer Kirche zusammen—
zuschließen. Im August des Jahres 1817 wurde der folgende
Aufruf der lutherischen und reformierten Pfarrer des Saarbrücker
Landes verbreitet:
157 —
Aufruf und Ermunterung
an die evangelisch-lutherischen und evangelisch⸗reformirten
Gemeinden in den Bezirken Saarbrücken und Ottweiler
zur Wiedervereinigung beider Confessionen zu Einer unter dem Namen
Evangelische Kirche.
Schon im Früuhling dieses Jahres haben sich die evangelisch⸗
lutherischen und evangelisch-reformirten Geistlichen des Saarbrücker
und Ottweiler Bezirks zu einer gemeinschaftlichen Kreis-Synode vereinigt
und dadurch sowohl dem Bedürfnis ihres Geistes und ihres Herzens
als dem Wunsche ihres teuern und geliebten Königs entsprochen,
der aus dieser engen und innigen Vereinigung der evangelischen
Geistlichen den größzten Segen und Gewinn für die
Religion selbst erwachsen sieht. Allein je näher der feierliche Tag
kommt, den jedes fromme, evangelische Gemüt mit dem reinsten
und wärmsten Dank gegen Gott begehen wird, der 300 jährige
Jubiläumstag der Reformation, der Stiftungs- und Gründungstag
der evangelischen Kirche, desto stärker regt sich auch in den Herzen
der Geistlichen, so wie gewiß in den Herzen jedes frommen und
helldenkenden Christen, der Wunsch und die Sehnsucht, daß dieser
Tag uns und unsern Kindern und Kindeskindern bis auf die
spätesten Nachkommen auch dadurch denkwürdig und unvergeßlich
gemacht werde, daß von ihm an aller Unterschied aufhöre, der R
beiden evangelischen Kirchen, die Lutherische und Reformirte, so
lange von einander trennte. Beide stützen ihre Lehre auf das
reine Evangelium Jesu und kennen außer diesem, ihrem Gewissen
und dem freien Vernunftgebrauch keine andern Quellen ihres
Glaubens, ihrer Liebe und Hoffnung. Was die beiden Gemeinden
bisher trennte, betrifft Namen und Worte, aber nicht die Sache
selbst. Gegen die Namen eifert schon der Apostel Paulus, wenn
173
er J. Corinther Kap. J. Vers 10— 13 die Gemeinde tadelt, daß
der Eine spreche: „Ich bin Paulisch“, der Andere: „Ich bin
Apollisch“; der Dritte: „Ich bin Kephisch“. Auch Luther eifert
ganz bestimmt gegen die Benennung Lutheraner, und er selbst will
nicht Lutherisch sein, ohne sofern er die heilige Schrift rein lehret.
Was die Worte betrifft, so ist es doch in der Tai einerlei,
ob der Eine betet: Unser Vater: oder der Andere: Vater unser!
Alle meinen doch dabei den Gott, von welchem Jesu Evangelium
sagt, daß er der rechte Vater sei über Alles, was Kinder heißt
im Himmel und auf Erden. Oder ob der Eine betet: Erlöse uns
von dem Übel! oder der Andere: Erlöse uns von dem Bösen!
Das Böse ist das sittliche Übel; und das Übel, um dessen Ab—
wendung der Eine, wie der Andere zum Ewigen fleht, ist das
einzige Böse, welches den Menschen nur treffen kann. Ob der
Eine bisher sich mehr an die Worte gehalten hat: Also hat Gott
die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß
Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige
Leben haben; denn Gott will, daßz allen Menschen geholfen werde,
und daß Alle zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen; oder ob der
Andere mehr an die Worte: Schaffet eure Seligkeit mit Furcht
und Zittern, denn: Viele sind berufen, aber Wenige sind aus—
erwählt: so haben ja doch Alle — Alle das Evangelium Jesu
und die einigen Worte des Erlösers für sich, und der Eine wie
der Andere weiß es vollkommen, daß nur die Gott schauen werden,
welche reines Herzens sind, und daß Alle und Jede nur dann
ihres Gnadenzustandes gewiß sein und Vertrauen und Zuversicht
zu Gott haben können, wenn sie, bei einem reinem Herzen und
frommen Lebenswandel, mit Überzeugung sagen können: Denn
Gottes Geist gibt unserm Geist das Zeugnis, daß wir Gottes
Kinder sind. — Was endlich das heilige Abendmahl betrifft, ob
da die Einen mit, in und unter dem gesegneten Brot und dem
gesegneten Wein des ganzen vollen Segens glauben teilhaftig zu
zu werden, welchen der Tod Jesu der Menschheit brachte, oder die
Andern das gesegnete Brot und den gesegneten Kelch als Zeichen
des Leibes und des Blutes Christi ehren und so Seiner und seiner
Liebe und seiner großmütigen Aufopferung am Kreutze sich feierlich
und im Geiste erinnern, so ist es klar, die Einen wie die Andern
wollen es doch ganz nach Jesu Geist und Sinn feiern. Und aller
Anstoß wird und muß vermieden werden, wenn wir uns bei der
Austeilung desselben ganz bestimmt an die Worte des Evangeliums
halten: Jesus, heißt es, nahm das Brot (ungesäuertes, weil es
zur Osterzeit geschah) und brach es; so werden wir auch für die
Zukunft ungesäuertes Brot in länglicher Form nehmen, es brechen,
und mit den Worten des Erlösers selbst es den Communicirenden
reichen: Christus spricht: Nehmet hin und esset, das ist mein Leib,
der für euch gegeben wird, solches tut zu meinem Gedächtnis. —
Desgleichen bei Darreichung des Kelches: Christus spricht: Nehmet
hin und trinket, das ist mein Blut, das für euch und viele ver—
gossen wird zur Vergebung der Sünden: solches tut, so oft ihrs
trinket, zu meinem Gedächtnis.
So kann also kein Gewissen beschwert werden. Wer von
Kindheit an gewohnt war, und wenn es noch jetzt Bedürfnis ist
zu beten: Unser Vater! oder Vater unser! erlöse uns vom Bösen,
oder erlöse uns vom Übel, der bete es so fort; nur vergesse er
nicht, daß das Eine dem Andern, dem Sinne nach, vollkbommen
gleich ist, und daß Worte Brüder nicht mit Brüdern entzweien
dürfen, die zu Einem Glauben, zu Einer Liebe, und zu Einer
Hoffnung durch das Evangelium Jesu vereinigt sind. Die Ver—
einigung beider Confessionen, welche wir jetzt vornehmen, ist schon
lange dem Geiste und der Gesinnung nach geschehen. Aber so
wie es Pflicht ist für entzweitgewesene, aber nun wiedervereinigte
Gemüter, es auch zu zeigen und vor der Welt zu bekennen, daß
sie wieder eines sind, so ist es auch die Pflicht dieser beiden, lange
durch Worte getrennten evangelischen Gemeinden, es laut im An—
gesichte Gottes und der Welt auszusprechen, daß keine Trennung
mehr unter ihnen statt finde, und daß beide Eins seien und gestützt
auf das Evangelium Jesu und nur aus diesem und ihrem
freien Vernunftgebrauch und ihrem Gewissen schöpfend, nach der
Lehre des Apostels: Prüfet alles und das Gute behaltet! auch
eins bleiben wollen. Dazu stärke uns Gott! Und so finde uns
alle der lang ersehnte Tag, an welchem wir in einem Geiste beten
werden: Herr Gott, dich loben wir! Herr Gott, wir danken dir!
4 —
Dich, Gott Vater in Ewigkeit, ehret die Welt weit und breit.
Heilig ist unser Gott! heilig ist unser Gott! heilig ist unser Gott,
der Herr Zebaoth! Amen.
Die evangelischen Geistlichen der Confisiorial-Kirchen
zu Saarbrücken und St. Johann-Saarbrücken.
Saarbrücken, den 27. August 1817.
Ludwig Philipp Hildebrand, erster Pfarrer und Präsident des
evangelisch-lutherischen Lokal-Consistoriums in Saarbrücken.
Karl Ludwig Alexander Zimmermann, Präsident des refor—
mierten Consistorii und Prediger zu Saarbrücken.
Philipp Friedrich Gottlieb, Präsident des evangelisch-lutherischen
Consistoriums zu St. Johann-Saarbrücken.
Johann Christian Handel, evangelisch-lutherischer Pfarrer zu
St. Arnual, Güdingen und Bübingen.
Johann Daniel Ludwig Wagner, Evangelisch-lutherischer Pfarrer
zu Bischmisheim und Fechingen.
J. A. Messerer, zweiter Pfarrer Ev.-Luth. zu St. Johann—
Saarbrücken.
Friedrich Gottfried Schwalb, Ev.Luth. Pfarrer zu Karlsbrunn.
Philipp Jakob Mügel, weiter evangelisch-lutherischer Pfarrer
zu Saarbrücken.
L. Chr. Chelius, Ev.Luth. Freiprediger zu Saarbrücken.
Chr. Sorg, Ev.-Luth. Pfarrer in Kölln.
Ludwig Heinrich Schneider, Ev.-Luth. Pfarrer in Heusweiler
und Wahlschied.
Phil.Chr. Herrmann, Ev.Luth. Pfarrer zu Dirmingen.
Wilhelm Daniel Wittich, Ev.⸗Luth. Pfarr-Vicarius zu Neun—
kirchen, Wellesweiler und Wiebelskirchen.
Wilhelm Christian Reinhold, Evb.⸗-Luth. Pfarrer zu Duttweiler
und Scheid.
Friedrich Köllner, Ev.-Luth. Pfarrer zu Mohlstadt und Gersweiler.
Karl Friedrich Zick wolff, Ev.Luth. Pfarrer in Völklingen.
Philipp Jakob Zimmermann, Ev.Ref. Pfarrer in Ludweiler.
161 —
Der Eindruck dieses Aufrufs wurde noch verstärkt durch den
Erlaß vom 27. September 1817, in dem König Friedrich Wilhelm III.
zur Vereinigung der beiden Bekenntnisse aufforderte. Die 300jährige
Jubelfeier der Reformation wurde vom 30. Oktober bis zum
2. November 1817 in beiden Städten einmütig gefeiert.
Im Jahre 1821 wurde durch einen königlichen Erlaß vor⸗
geschrieben, daß zur Bezeichnis der Kirche, ihrer Lehrer und ihrer
Mitglieder das Wort „evangelisch“ statt „protestantisch“ angewendet
werden solle, da das evangelische Glaubensbekenntnis sich lediglich
auf das Evangelium gründe. Die vollständige Einigung der
unierten Gemeinden an der Saar wurde erst im Jahre 1852 gesichert
durch die Sätze über und für die evangelische Union,
wie sie von der evangelischen Pastoralkonferenz zu
Saarbrücken am 3. Juni 1852 angenommen und veröffentlicht
worden sind. (Nitzsch, Urkundenbuch der evangelischen Union.
Bonn 1853 Nr. 140 ff.) Die reformierte Kirche GBild Seite 109)
in Saarbrücken wurde zum Schulhaus umgebaut und diente von
1820 bis 1892 als Gymnasium. Sie ging dann in den Besitz
der altkatholischen Gemeinde über, die ihr den Namen ,Friedenskirche“
gab. Über der Tür stehen die Worte: „Einer ist Euer Lehrer,
Christus.“
Das 300 jährige Jubelfest der Übergabe der Augsburgischen
Konfession wurde am Freitag, den 25. Juni 1830, in allen
preußischen evangelischen Kirchen festlich begangen.
Einer Bekanntmachung des damaligen Bürgermeisters Quien
entnehmen wir nachstehendes: Das Fest wurde am 24. Juni abends
durch Böllerschüsse und einstündiges Geläute aller Glocken der
evangelischen Kirchen beider Städte angekündigt. Von 7—8 Uhr
wurde auf dem Balkon des Stadthauses Musik gemacht. Am
25. Juni, Freitags, morgens 6 Uhr Böllerschiefzen, und dann
wurden von dem Turm der Ludwigskirche die Choräle „Ein feste
Burg ist unser Gott“ und „Wie schön leuchtet der Morgenstern“
geblasen. Um 9 versammelten sich die Geistlichen, die Militär⸗
— VVVDD0
Presbyteriums, die Schüler des Gymnasiums und der Elementar—
schulen, sodann jeder, der sich zur Teilnahme berufen fühlte, vor
11
7
dem Stadthause, um im feierlichen Zuge sich in die Ludwigskirche
zu verfügen. Die drei ersten Bänke waren für die Teilhaber des
Zuges, die Empore zur Rechten der Kanzel für das Militär, der
Orgel Chor für die Musik und Sänger bestimmt. Der Gottesdienst
in der Ludwigskirche, wie in der evangel. Kirche zu St. Johann,
begann morgens um 9 Uhr und nachmittags um 2 Uhr. Beim
Absingen des To Deum wurde wieder mit Böllern geschossen.
Abends um 9 Uhr war die vordere Seite der Ludwigskirche
beleuchtet.“
An diese Feier erinnert eine vom 28. Juni 1830 datierte
Urkunde, welche im Altar der alten Kirche geborgen bei den
Restaurierungsarbeiten aufgefunden wurde. Sie schließt nach ein—
gehenden Mitteilungen und besonderer Erwähnung der Mitwirkung
des Pfarrers Dr. Follenius mit den Worten:
„Möchten unsere Nachkommen im künftigen Jahrhundert
dieses Fest ebenso würdig und herzlich feyern als wir es gefeyert
haben, und sich dabei der Wohlthaten erinnern, welche uns durch
die Wiederherstellung unserer Religion zu Theil geworden sind.“
Die Urkunde trägt die Unterschriften J. F. C. Sartorius,
Cantor, Charlotte Dryander, Philippine Bruch, verwitwete Kling,
Christiane Bruch, verwitwete Bergmann, Henriette Wack, Luise
Sartorius, Henriette Karcher, Wilhelmine Gottlieb, Marie Sartorius,
Amalia Eichacker, Charlotte Gottlieb, Caroline Foertsch, Lottchen
Maurer.
— 163 —
10. Die Revolution von 1848.
An der Volksbewegung, die in dem Jahre 1848 ausbrach,
beteiligten sich die Bürger von St. Johann besonders lebhaft.
Zu dem Vorparlament in Frankfurt wurde der Siadtverordnete
Friedrich Pabst aus St. Johann als Deputierter entsandt. Am
26. März 1848 wurde auf dem Marktbrunnen von St. Johann
(Bild S. 110) eine schwarzrot⸗goldene Fahne aufgesteckt; der Gemeinde—
vorsteher Lucas begrüßte das Banner als das Symbol der Freiheit,
Einheit und Stärke und brachte dem freien Deutschland ein Hoch;
in ähnlichem Sinne sprach der Advokat-Anwalt Bonnet. Landtags—
abgeordneter war der Gutsbesitzer Ludwig Heinrich Röchling aus
St. Johann; an ihn richtete am 31. März eine Bürgerversammlung
eine Adresse, in der Aufhebung der Zensur und Reform des
Wahlrechts (Wahlrecht für jeden Bürger im Alter von 25 Jahren,
Wählbarkeit mit 30 Lebensjahren) gefordert wurde. Am 10. April
fand eine zahlreich besuchte Bürgerversammlung in St. Johann
statt. Diese richtete eine Adresse an das Staatsministerium, in der
freie Wahl für das Frankfurter Parlament gefordert wurde. In
dieser Adresse findet sich der Satz: „Wir sind die Bürger zweier
Städte, die sich bisher von jeder tumultuarischen Bewegung frei⸗
gehalten haben, und deren Streben dahin geht, sich auch ferner
davon freijuhalten.“ In das Frankfurter Parlament wurde
der Anwalt Dietzsch, in die preußische Nationalversammlung der
Landrat Hesse und zu seinem Stellvertreter Dr. Jordan gewählt.
Bei einem Fackelzug, der den Abgeordneten gebracht wurde, hielt
Karl Karcher junior aus St. Johann die Ansprache.
Durch Gemeinderatsbeschlußz vom 22. Mai wurde im Anschluß
an eine kgl. Verordnung die mißliebige Mahl- und Schlachtsteuer
aufgehoben und durch eine Einkommensteuer ersetzt.
164
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit wurde
in beiden Städten eine Bürgerwehr gegründet. Aus dem Zeughaus
in Saarlouis wurden einige Hundert Gewehre geliefert; ein blauer
Waffenrock, eine österreichische Mütze, ein Säbel und eine Patronen—
tasche vervollständigten die Ausrüstung. Frauen und Jungfrauen
beider Städte stichten je eine schwarz-rot-goldene Fahne mit dem
städtischen Wappen. Am Sonntag, den 29. Oktober, fand die
feierliche Fahnenweihe auf der St. Johanner Wiese oberhalb der
Brücke statt. Hier war eine Tribüne errichtet, auf der sich die
feierliche Handlung abspielen sollte. Die Städte waren reich beflaggt,
und herrliches Wetter begünstigte das Fest. Die Bürgerwehr,
über die der Führer des St. Johanner Bataillons, Justizrat
Nöggerath, das Kommando führte, stellte sich in ihren neuen
Uniformen in Parade auf. Bald erschienen unter Vortritt der
Husarenmusik die Frauen und Jungfrauen beider Städte, sodann
kamen in besonderem Zuge in Begleitung der Bürgerwehr-Musik
der Stadtrat und die Behörden, die auswärtigen Abordnungen,
die Offiziere des 9. Husarenregiments, die Landwehr⸗Offiziere, die
Vereine, das Gymnasium, die Turner und eine Deputation sowohl
des Husaren-Regiments wie auch des Landwehrstammes und stellten
sich zu beiden Seiten der Tribüne auf. Darauf begaben sich die
Führer der beiden Bürgerwehrbataillone, Nöggerath und Eduard
Karcher, auf die Tribüne, wo ihnen zwei junge Damen,
Frl. Posth und Frl. Schwalb, die Fahnen mit einer Ansprache
ũberreichten. Es herrschte große Begeisterung, und in festlichem
Zuge wurden die Fahnen zu den Wohnungen der Bürgerwehr—
kommandanten gebracht.
Am 4. November bildete sich in St. Johann unter dem
Vorsitz des Dr. Jordan der Bürgerverein mit 160 Mitgliedern,
zu denen die angesehensten Bürger der Stadt gehörten. Als am
9. November die Berliner Nationalversammlung nach Brandenburg
verlegt wurde und dagegen öffentlich Verwahrung einlegte, stellte
sich der Stadtrat von Saarbrücken und St. Johann auf die Seite
der Volksvertretung und sandte eine Adresse mit 1827 Unterschriften
an die Nationalversammlung. Da diese das Ministerium des
Grafen Brandenburg für nicht berechtigt erklärte hatte, Steuern
135 —
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163
zu erheben und Staatsgelder zu verwenden, so beschloß der Bürger⸗
verein, sich der Zahlung der direkten Steuern zu enthalten, ohne
jedoch ungesetzlichen Widerstand gegen staatliche Zwangsmittel zu
leisten. Viel weiter ging ein Aufruf des Landwehrvereins an die
Landwehr der Kreise Saarbrücken, Saarlouis, Ottweiler und
St. Wendel.
Durch den Erlaß der Verfassung vom 5. Dezember 1848
schuf die Regierung einen Boden der Verständigung. Im Gegen—
satz zu dem Bürgerverein wurde der konstitutionelle Bürgerverein
in Saarbrücken gegründet, der bald 110 Mitglieder zählte, während
der Bürgeroerein durch Austrittserklärungen geschwächt wurde.
Im Anfang des Jahres 1849 fanden die Wahlen zur
zweiten Kammer des preußischen Landtags statt. Am 5. Feb—
ruar 1849 wurden in Ottweiler als Abgeordnete für den Wahl—
kreis Saarbrücken, Ottweiler, St. Wendel Landrat Hesse, Pfarrer
Hansen aus Ottweiler und Rechtsanwalt Riotte aus St. Johann
gewählt.
Nachdem am 28. März 1849 die deutsche Reichsverfassung
von dem Frankfurter Parlament abgeschlossen war, gelobten in
einer Volksversammlung zu St. Johann auf den Antrag von
Gustav Bruch mehrere Hundert Bürger, dieselbe mit allen zu
Gebote stehenden Mitteln zur Geltung zu bringen, freilich wohl
ohne sich über die Möglichkeit der Ausführung klar zu werden.
Mit Freude begrüßten die Konstitutionellen die Wahl des Königs
Friedrich Wilhelm IV. zum deutschen Erbkaiser. Doch der König
lehnte am 3. April 1849 die Kaiserkrone ab, und damit waren
die Hoffnungen der Nation für lange Zeit begraben. Aber die
Gemüter kamen noch nicht zur Ruhe.
Am 16. Mai richtete die Bürgerwehr an den Gemeinderat
die Aufforderung, sie auf die deutsche Verfassung zu vereidigen.
Daraufhin verfügte am 18. Mai der Regierungspräsident Sebaldt
in Trier die Auflösung der Bürgerwehr, weil sie ihrer Bestimmung
des Schutzes der verfassungsmäßzigen Freiheit und der gesetzlichen
Ordnung uneingedenk, sich auf ein politisches Gebiet verirrt habe.
Die Waffen sollten bis zum 20. Mai mittags 12 Uhr an die
Polizei abgeliefert werden.
167 —
Um der Aufforderung Nachdruck zu geben, rückte eine
Abteilung Infanterie und Artillerie in den Städten ein. Die
meisten Bürgerwehrmänner lieferten ihre Gewehre gutwillig selbst
ab oder schickten sie durch ihre Mägde aufs Rathaus; manche
warfen sie voll Wut auf die Straße. In dieser Zeit wurde auch
der Turnverein aufgelöst, der 1848 begründet worden war und
etwas demokratischen Anstrich hatte.
Die St. Johanner Bürger Gustav Bruch und
Rud. Lucas, die sich der politischen Bewegung mit jugendlichem
Feuer hingegeben hatten, hielten für gut, ihrer Vaterstadt eine
Zeitlang den Rucken zu kehren. Am 3. März 1850 löste sich der
Bürgerverein auf, und die Demokratenbärte und Heckerhüte kamen
allmãhlich aus der Mode. Im August dieses Jahres wurde auf
Anweisung des Bürgermeisters die schwarzrotzgoldene Blechfahne
von dem Marktbrunnen in St. Johann entfernt, und mit ihr
verschwand das letzte Wahrzeichen der Revolution.
11. Die wirtschaftliche Entwicklung
der Stadt St. Johann.
St. Johann hatte um das Jahr 1840 noch den Charakter
eines Ackerstädtchens. Frühmorgens bliesen der Kuhhirt und der
Schweinehirt ihre lockenden Weisen; dann stürzte laut grunzend
das Borstenvieh auf die Straße, während die Kühe bedächtigeren
Schrittes mit Gebrüll sich von ihrem Hüter zur Weide führen
liezen. Das Faselvieh war noch immer Gegenstand kommunaler
Fürsorge, und am Sonntag Nachmittag spazierten die Bürger im
schwarzen „Bandel“ wie Spreben (Stare) um ihre Ackerflur,
bevor sie sich zum Kegelspiel begaben. Sie wurden daher auch
die St. Johanner Spreben genannt. Erst im Jahre 1848 wurde
77
—
ein Briefkasten in St. Johann angebracht, — bis dahin
hatten die Bewohner der Stadt ihre Briefe auf die Post nach
Saarbrücken tragen müssen — und dies Ereignis schien wichtig
genug, durch ein Zweckessen in dem Gasthause „jum Bären“1)
gefeiert zu werden; vier Jahre später entstand vor dem Untertor
von St. Johann ein Bahnhof mit stetig wachsendem Versonen⸗
und Güterverkehr. Zu diesem als dem Ursprunge eines neuen
Lebens drängte nun die städtische Entwickelung hin.
Aus dem alten Mauerring (zwischen Fürstenstraße, Gerber⸗
straße, Bleichstraße, Schiller-Allee und Schillerstrafßze) war die Stadt
bis dahin nur wenig herausgewachsen. Unter Fürst Wilhelm
Heinrich waren um das Jahr 1760 die Stadtgräben trocken gelegt,
die Zugbrücken abgebrochen, das Glacis eingeebnet und mit
Kastanien bepflanzt worden, 1763 hatte mit den Häusern von
Thomas Köhl und Samuel Karcher die untere Vorstadt ihren
Anfang genommen, 1792 waren die ersten Häuser in der oberen
Vorstadt an der Straße nach dem Halberg von Friedrich Eichacker,
Ph. Ludwig Bruch („zum Hirsch“) und Jakob Pistorius gebaut
worden. 1810 waren die Stadttore abgebrochen worden, doch
wir haben gesehen, daß noch im Jahre 1815 St. Johann wie
eine Festung verteitigt wurde.
Eine große Umwälzung auf wirtschaftlichem Gebiete trat mit
der Eröffnung der Saarbrücker Bahn am 16. November 1852
ein, die von Stieringen über Saarbrücken und Neunkirchen nach
Bexbach führte und so die französische Ostbahn Paris — Metz —
Stieringen mit der pfälzischen Ludwigsbahn verbindend die
wichtige Verkehrslinie Paris — Saarbrücken — Ludwigshafen bildete.
Es war für die Stadt St. Johann von großer Bedeutung, daß
der Bahnhof auf ihrem Gebiet angelegt wurde. Man erzählt,
daß die Saarbrücker reichen Leute sich die Anlage des Bahnhofs
als zu geräuschvoll verbeten hätten. Sicher ist, daß strategische
Gründe für das rechte Saarufer den Ausschlag gaben, eine Ent⸗
scheidung, die durch die Erfahrungen in dem Kriegsjahre 187071
gerechtfertigt wurde.
1) Später Hotel Guepraite, jetzt das Markthaus.
—
Die Eisenbahnverbindung zwischen dem Saar- und Mosel—⸗
gebiet wurde im Jahre 1856 von der preußischen Regierung in
Angriff genommen und so kräftig gefördert, daß am 16. Dezember 1858
die 40 kmälange Strecke bis Merzig, zunächst auf einem Geleise,
dem Verkehr übergeben werden konnte. Die weitere 47 km
lange Strecke Merzig — Trier konnte wegen des schwierigen Baus
des Mettlacher Tunnels erst am 26. Mai 1860 eröffnet werden.
Fast gleichzeitig mit der Bahn nach Trier trat eine andere
wichtige Verkehrsverbindung ins Leben, die Rhein-Nahebahn von
Neunkirchen nach Bingerbrück, die das Saarkohlengebiet an den
Mittelrhein anschliefzt und zugleich als kürzeste Verkehrslinie von
Paris nach Frankfurt zu internationaler Bedeutung gelangt ist.
Diese drei Eisenbahnlinien wurden der königlich preußischen
Eisenbahndirektion unterstellt, die in St. Johann ihren Sitz erhielt.
Zu der Einweihung der neuen Bahnen erschien am 285.
Mai 1860 der damalige Prinzregent, der spätere Kaiser Wilhelm J.,
und gab auf die Ansprache des Dr. Jordan die Zusicherung,
daß mit seinem Willen eine abermalige Trennung der Städte von
dem deutschen Vaterlande niemals stattfinden werde. In welchem
Maße durch diese Bahnbauten der Verkehr wuchs, können wir
uns heute kaum vorstellen. Die Stadt St. Johann hatte den
Hauptvorteil davon, während Saarbrücken zu veröden drohte.
Während so die Städte an den großen Weltoerkehr an—
geschlossen wurden, fehlte es noch an einer Wasserstraße, auf der
die Kohlen des Saargebiets zu billigem Preise nach den gewerb—
reichen, aber kohlenarmen Gegenden des nordöstlichen Frankreich
verfrachtet werden konnten. Diese Wasserstraße wurde in den
Jahren 1862 bis 1865 durch die Anlage des 65 kmälangen
Saarkanals von Gondersingen bis Saargemünd und die Kanali—
sierung der Saar von Saargemünd zunächst bis Luisental und in
den Jahren 1875 bis 1879 bis Ensdorf hergestellt. Durch die
Zunahme des Frachwerkehrs stieg die Förderung der Kohlengruben
von 1850 bis 1912 auf mehr als das Zwanzigfache. Große
Handels- und Bankhäuser entstanden in beiden Städten, im
70
—
Jahre 1859 wurde eine königliche Bankagentur, seit 1875 Reichsbank—
Nebenstelle, und im Jahre 1862 eine Handelskammer
errichtet. Die Bahnhofstraßze in St. Johann entwickelte sich zu
einer großstädtischen Geschäftsstraße.
12. Die Trennung der städtischen Verwaltung.
Zu derselben Zeit, wo sich der Stadt St. Johann die Aus—
sicht auf eine glänzende wirtschaftliche Zukunft eröffnete, löste sie
das Band, das sie seit mehr als 500 Jahren mit der Schwesterstadt
Saarbrücken zusammenhielt.
Nach der Vereinigung der Städte mit Preußen war die
französische Gemeindeverfassung im wesentlichen bestehen geblieben,
welche die beiden Städte Saarbrücken und St. Johann mit den
Landgemeinden Malstatt, Burbach, Rußhütte und Brebach zu der
Bürgermeisterei Saarbrücken (Samtgemeinde) zusammenfaßte. Daher
hatte St. Johann damals keinen besonderen Bürgermeister, wie
in der Grafen- und Fürstenzeit. Schon im Jahre 1820 forderten die
Bürger von St. Johann von der Regierung in Trier die
Gewährung einer besonderen Verwaltung, wurden aber abschlägig
beschieden. Im Jahre 1831 erneuerten sie diesen Antrag, wurden
aber auf die neue Gemeindeordnung vertröstet. Diese erschien erst
im Jahre 1845 und gestattete den einzelnen Gemeinden eine
besondere Vertretung, doch der Gemeindevorstand war durchaus
von dem Bürgermeister der Samtgemeinde abhängig, der allein die
ausübende Gewalt besaß. So wurde zwar im Jahre 1846
J. Fr. Lucas zum Gemeindevorsteher von St. Johann gewählt,
aber die Bürger wünschten größere Selbständigkeit, die ihnen auch
durch die Gemeindeordnung für den preußischen Staat vom
11. März 1850 ermöglicht wurde. Jeder Gemeinde wurde die
Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten gestattet und die Bildung
1
eines besonderen Gemeinderats und eines Gemeindevorstandes
angeordnet. Bestehende Samtgemeinden konnten getrennt werden,
wenn alle beteiligten Gemeinden einverstanden waren.
Am 18. September 1850 wählte der Gemeinderat von
St. Johann einen kollegialen Gemeindevorstand, nachdem das
nicht pensionsfähige Gehalt des zukünftigen Bürgermeisters auf
450 Taler festgesetzt worden war. Darauf wurde der bisherige
Gemeindevorsteher Friedrich Bentz zum Bürgermeister von
St. Johann gewählt, und der Gemeinderat faßte den einstimmigen
Beschluß, daß die vollständige Trennung der Gemeinde
St. Johann aus der Samtgemeinde Saarbrücken jetzt vollzogen
werden solle. Aber die Regierung verweigerte die Bestätigung
dieses Beschlusses, weil die Gemeinde Brebach sich gegen die
Trennung erklärt hatte.
Der Gemeinderat von St. Johann erneuerte aber noch vor
Ablauf des Jahres seinen Antrag mit der Begründung, daß die
eigentümlichen Verhältnisse der Bürgermeisterei die Trennung
erforderten, da zwei Städte, welche beide eine beinahe gleich großze
Bevölkerung, beide ein nicht unbeträchtliches getrenntes Gemeinde—
vermögen und getrennte Einrichtungen aller Art besäßen, in eine
Bürgermeistereiverwaltung eingezwängt seien, wodurch eine gewisse
Rivalität und damit notwendige Reibungen entständen, welche
bei einer gänzlichen Trennung beider Städte aufhören würden.
Die Durchführung dieses Beschlusses scheiterte abermals an dem
Widerspruch von Brebach, und die Samtgemeinde wurde wieder⸗
hergestellt, zu deren erstem Beigeordneten der Bürgermeister Bentz
von St. Johann gewählt wurde. Bentz behielt aber seine Stellung
als Oberhaupt der Einzelgemeinde St. Johann, und als Bei—
geordneter wurde ihm Friedrich Lucas beigegeben. Zu dem
Samtgemeinderat, der aus 12 Mitgliedern bestand, gehörten
Ferdinand Riotte, Karl Wins weiler und Ludwig Geisbauer
von St. Johann.
Eine neue Wendung nahm die Angelegenheit, als im Jahre
1856 die abgeänderte Gemeindeordnung für die Rheinprovinz und
zugleich die Rheinische Städteordnung nach dem Gesetz vom 15. Mai
1856 eingeführt wurden. Die Regierung schlug vor, die beiden
Städte als ungeteilten Stadtbezirk aus dem Bürgermeistereiverbande
auszuscheiden, die Gemeinde Brebach mit dem benachbarten
Bischmisheim zu vereinigen und die Ortschaften Malstatt, Burbach
und Rußhütte als Landbürgermeisterei Malstatt von dem Bürger⸗
meister der Stadt Saarbrücken verwalten zu lassen.
Die Gemeinderäte beider Städte beharrten aber bei ihrer
Forderung der Trennung. Durch die Kabinetsordre vom 3. Mai 1859
wurde denn auch jeder der beiden Städte die Städteordnung
vom 15. Mai 1856 verliehen, von einer Personaltrennung wurde
jedoch vorläufig abgesehen. Als aber der Bürgermeister Kromayer
im Anfang des Jahres 1862 sein Amt niederlegte, wurde in
Saarbrücken der bisherige Beigeordnete Karl Schmidtborn,
in St. Johann der bisherige Beigeordnete Karl Karcher zum
Bürgermeister gewählt. Beide erklärten, dieses Amt als Ehrenamt
versehen zu wollen. Für seinen Anteil an dem gemeinsamen
Rathaus erhielt St. Johann 7000 Taler ausbezahlt. So endete
die gemeinsame Verwaltung der Städte, nachdem sie 540 Jahre
bestanden hatte. Es stellte sich freilich bald heraus, daßz die
Rivalität beider Städte durch die Trennung nicht beseitigt, sondern
verstärkt worden war.
Aber wenn die Städte auch in der Verwaltung getrennt
waren, so gab es doch Gelegenheiten, bei denen die Herzen diesseits
und jenseits der Saar einmütig zusammenschlugen. Die edlen
Künste und die Vaterlandsliebe waren die unsichtbaren Bande,
die sich von dem einen Ufer der Saar zu dem andern schlangen.
Beide Städte feierten am 10. November 1859 gemeinsam den
100 jährigen Geburtstag des großen Dichters Friedrich Schiller.
In St. Johann wurde damals die erste Linde zu der Schillerallee
gepflanzt und die dorthin führende Straße Schillerstraße
genannt. Auch die 50jährigen Erinnerungsfeiern an die Erhebung
des deutschen Volkes im Jahre 1813 wurden in beiden Städten
einmütig begangen, und am 27. Juli 1865 vereinigten sich die
Stadträte beider Städte zu einer gemeinsamen Erinnerung an den
27. Juli 1815, an dem die Bürger von Saarbrücken und St.
Johann den Beschluß gefaßzt hatten, zwei Abgeordnete nach Paris
7.
zu schicken, um die Trennung der Städte von Frankreich und ihre
Wiedervereinigung mit dem deutschen Vaterlande zu betreiben.
13. Das Kriegsjahr 1870- 71.
Im Anfang der sechziger Jahre wurden die Bewohner der
Städte wiederholt durch Gerüchte von einer bevorstehenden Ab—
tretung des Saargebietes oder wenigstens seiner Kohlenbergwerke
an Frankreich beunruhigt. Wir haben oben (S. 169) erzählt, wie
der Prinzregent Wilhelm im Jahre 1860 von Dr. Jordan als
dem Vertreter der Städte aufgefordert wurde, diese Besorgnis zu
heben, und wie er sein Wort für die Sicherheit unserer Grenzen
einsetzte Der Krieg gegen Dänemark im Jahre 1864 zeigte, daß
Preußens Schwert scharf war, wenn es um Deutschlands Ehre
ging. Bald nachher wurde die deutsche Frage durch den Krieg
von 1866 entschieden, zu dem auch 193 Männer aus St. Johann
auszogen. Nach der Beendigung des Krieges forderte Kaiser
Napoleon III. als Belohnung für seine neutrale Haltung die
Grenze von 1814, d. h. die Abtretung des wertvollsten Teiles des
Saargebietes mit den Städten Saarbrückhen und St. Johann;
aber diese Forderung wurde von Bismarck scharf zurückgewiesen.
Seitdem lag der Krieg mit Frankreich in der Luft, und es
bedurfte nur eines geringen Anlasses, um ihn zum Ausbruch zu
bringen. Dieser Anlaß fand sich bald in der Berufung des
Hohenzollernschen Erbprinzen auf den Spanischen Königsthron,
durch die sich Frankreich auch dann noch bedroht fühlte, als der
Erbprinz auf diese Ehre Verjicht geleistet hatte.
Am Abend des 15. Juli 1870 brachte die verfrühte Nachricht
von der französischen Kriegserklärung die Bewohner unserer Städte
in große Aufregung. Da man einen feindlichen Überfall befürchtete,
so wurde die Kasse der Bergwerksdirektion eiligst nach Koblenz
174
in Sicherheit gebracht; die 69er und die Ulanen setzten Feldwachen
nach der Grenze zu aus. Aber noch in der Nacht wurden die 69er
nach Saarlouis, ihrem Stabsquartier, berufen, und auch die Ulanen
verließzen infolge eines mißzverstandenen Befehles der 16. Division
die Städte, sodaß diese schutzlos dem einbrechenden Feinde preis—
gegeben waren. Am nächsten Morgen wurden die Schiffe, welche
hier zurückgeblieben waren, unbrauchbar gemacht oder versenkt und
alles entbehrliche Bahnmaterial in Sicherheit gebracht. Die Be—⸗
wohner versleckten ihre Wertsachen und richteten sich durch Einkäufe
von Vorräten auf Krieg und schwere Zeiten ein. Die wehrpflichtigen
Männer folgten dem Rufe des Königs und rüsteten sich zur
Abreise; über 3000 Wehrmänner und Freiwillige eilten aus dem
Kreise Saarbrücken zu den Fahnen.
Am Vormittag des 17. Juli kehrten die drei Schwadronen
Ulanen, welche Gegenbefehl erhalten hatten, zurück und übernahmen die
Grenzwacht; zu ihrer Unterstützung traf am Abend desselben Tages
das zweite Bataillon des Hohenzollern'schen Füsilier⸗-Regiments
Nr. 40 hier ein und wurde in den Städten einquartiert. Es
folgten nun aufregende Tage, da am 18. abends die Ankunft
starker französischer Truppenabteilungen bei Forbach gemeldet und
täglich das Vorrücken der Franzosen erwartet wurde. Am 19.
morgens wurden die Zollwächter auf der Folster Höhe von
französischen Chasseurs gefangen fortgeführt, und hier fand der erste
unblutige Zusammenstoß der Ulanen mit dem Feinde statt. Erst
an diesem Tage wurde die französische Kriegserklärung in Berlin
übergeben.
Die Vorpostengefechte und Neckereien, die in den nächsten
vierzehn Tagen sich anschlossen, wurden von den Bürgern mit großem,
zuweilen gar nicht ungefährlichem Interesse verfolgt. Aber die
Bewohner beschränkten sich nicht auf müßiges Zusehen, sondern
suchten den tapferen Verteidigern, die kaum zur Ruhe kamen, ihre
schwere Aufgabe durch gute Verpflegung möglichst zu erleichtern.
Für die Soldaten, die in den Alarmquartieren lagen, wurde in
Saarbrücken in der Prinz Wilhelm- und Mariannen-Anstalt und
in St. Johann in der Bergfaktorei auf städtische Kosten gekocht;
auch viele Privatpersonen erwiesen sich freigebig gegen die Krieger.
175 —
Der Bettag am 27. Juli wurde unter allgemeiner Teilnahme be—
gangen. Am 28. Juli wurde die Feldwache auf dem Exerzierplatz
und die Bellevue von den Franzosen mit Granaten beschossen, und
einige Geschosse flogen bis in die Saarbrücker Vorstadt. Am
2. August unternahm das ganze Korps Frossard einen Angriff
auf die preußischen Stellungen bei Saarbrücken, die von drei
Kompagnien des 40. Regiments verteidigt wurden. Nachdem diese
tapferen Widerstand geleistet hatten, mußten sie sich über die Saar
zurückziehen; auf dem Exerzierplatze fuhren französische Geschütze auf
und beschossen unter den Augen des französischen Kaisers und
seines Sohnes)) die von den Unsern besetzte neue Brücke, den
Bahnhof und die zurückziehenden Truppen. Einige Häuser in
AVV00
Personen verwundet. Auch die evangelische Kirche wurde von
Kugeln getroffen. Als das Gefecht zu Ende war, schlugen die
Franzosen auf den Höhen über Saarbrücken ihr Lager auf.
Truppweise erschienen nun die feindlichen Krieger in der Stadt,
um Lebensmittel, Getränke und Tabak einzukaufen, hier und da
auch, um zu betteln und zu stehlen; doch konnten die Bürger im
ganzen über das Betragen der ungebetenen Gäste nicht klagen.
Am 3. August nachmittags ritt General Frossard mit seinem Stabe
durch Saarbrücken und ließ sich von dem Bürgermeister Schmidtborn
uber die Verhältnisse und die Stimmung in den Städten unter⸗
richten.
Unterdessen rückten die Spitzen unserer Armeen näher und
näher und kündigten sich durch kühne Reiterstückchen an. Am
3. August mittags wurde ein Trupp Franzosen in dem Wirtshause
zur Rose in St. Johann durch eine Abteilung Brandenburgischer
Ulanen gefangen genommen; am folgenden Tage verursachte ein
tollkühner Braunschweiger Husar, der über die alte Brücke sprengte,
unter den Franzosen in Saarbrücken einen panischen Schrecken.
Während zweier Nächte beschossen die Franzosen den Bahnhof in
St. Johann. Aber am Mittag des 5. August verbreitete sich die
1) Die Stelle wurde später durch den mehrmals erneuerten „Lulustein“
bezeichnet.
Kunde von dem Siege bei Weißenburg, und in der folgenden Nacht
zogen sich die Franzosen auf die Spicherer Höhen zurück. Am
Morgen des 6. August rückte die Spitze der Kavallerie-Division
von Rheinbaben in den Städten ein und suchte die französische
Stellung aufzuklären. Die Spicherer Höhen zeigten sich noch von den
Franzosen besetzt; doch schien der Feind im Abzuge. Gegen
11 Uhr kam auf der Lebacher Straße der Vortrupp der 14. Divi—
sion unter Generalleutnant von Kameke anmarschiert: eine Abteilung
15. Husaren, das 39. Infanterie-Regiment und eine Battlerie vom
7. ArtillerieRegiment. Unter den Klängen des Preußenliedes und
der Wacht am Rhein zogen sie durch St. Johann und Saarbrücken
dem Feinde entgegen. Mit Hurra begrüßten die Bürger die
schmucken Krieger, doch sie wußten auch, daß mit Hurra allein es
nicht getan sei. Heiß brannte die Augustsonne; die Truppen
waren erhitzt von dem anstrengenden Marsche und bedurften der
Labung. Als ob ein Wille die Masse beseelte, brachte Jung und
Alt, Reich und Arm, was ein jeder hatte, zur Erquickung der
durstigen Landsleute herbei. Viele Hunderte drängten sich in die
Marschkolonne und reichten Wasser, Wein, Kaffee, Brot und
Zigarren. Im Marsch führten die Soldaten die Becher an die
trockenen Lippen, schoben Brot und Zigarren in den Brotkbeutel,
und unaufhaltsam ging es weiter. So zogen die 39 er den Hahn
hinauf, wo die 6. Kürassiere und die Braunschweiger Husaren
abgesessen auf der Metzer Straße hielten. Kaum hatten die ersten
die Höhe erreicht, so flog donnernd ein feindlicher Gruß von den
Spicherer Höhen herüber, und die Schlacht begann, in der
deutsche Tapferkeit und deutsche Kameradschaft sich glänzend be—
währen sollte.
Während der Donner der Kanonen immer heftiger wurde und
Regiment auf Regiment in steigender Hast die Straßen durch—
zog, erwarteten die Bürger in banger Sorge den Ausgang des
Kampfes, der für sie verhängnisvoll werden konnte. Auf dem
Exerzierplatz und an der Lerchesflur, im Bereich der feindlichen
Geschütze, standen so dichte Gruppen von Zuschauern, daß ein höherer
Offizier sie warnte, der Feind könne sie leicht als Reservetruppen
ansehen, und in der Tat wurden sie mehr als einmal durch Granaten,
177
die in der Nähe einschlugen, verscheucht. Aber das furchtbare
Schauspiel zog viele immer wieder auf die gefährlichen Stellen.
In angstvoller Spannung beobachtete man den wechselvollen Kampf:
wie die Unsern angriffen und zurückgedrängt wurden, wie frische
Bataillone über das offene Feld vorrückten und, noch ehe sie die
Höhe erreichten, Tote und Verwundete zurückließen. Diesen, den
Verwundeten, widmeten sich jetzt die Bürger und ihre Frauen mit
liebevoller Fürsorge. Männer, Frauen, Knaben und Mädchen
kamen mit Wasserbütten, Eimern voll Kaffee und Flaschen mit
Wein und Limonade, um die lechzenden zu laben; in aller Eile
wurden noch Binden gefertigt, Charpie gezupft und alles zur Auf—⸗
nahme der armen Opfer des männermordenden Kampfes vorbe—
reitet. In den Städten wurde ausgerufen: Wer Fuhrwerk hat,
möge es mit Stroh belegen und hinausfahren, um Verwundete
zu holen. Die Witwe Jakob Bruch aus St. Johann war eine
der ersten, die hinauseilten. Sie ließz zwei kräftige Pferde an—
schirren, belud den Wagen mit allerlei Erfrischungen und fuhr selbst
aufs Schlachtfeld. Unerschrocken ging sie in die Gefechtslinie vor,
labte die Verwundeten und nahm schließlich den schwerverwundeten
Hauptmann von Oppen mit nach Hause, den sie bis zu seinem
Tode pflegte. Auf der Metzer Straße und der Spichererbergstraße
bewegte sich der Zug der Verwundeten, die von Bürgern geführt
wurden oder auf Bahren und Wagen lagen, den Städten zu.
Und mit den Männern wetteiferten die Frauen. „Ganze Wagen
voll Frauen und Mädchen“, erzählt der Kriegsberichterstatter Hans
Wachenhusen, „fuhren auf das Schlachtfeld, unbesorgt um die
überall einschlagenden Kugeln, um die Verwundeten verbinden zu
helfen, ihnen Erfrischungen zu reichen und sie aus dem Kampfe
zu tragen. Es war ein rührendes Bild, alle diese teilnahmevollen
Leute zu sehen, wie sie, die eigene Sicherheit verachtend, sich in
den Kugelregen wagten. Ich selbst sah zwei Mädchen, die einen
Schwerverwundeten auf ihren Armen aus dem Kampfe trugen,
ihn mit ihren Tüchern verbanden und dann erst zum Verbands—
platze schafften.“
Die ersten Verwundeten wurden in das Militärlazarett in
Saarbrücken und in die 6G9er-Kaserne auf dem Rodenhof gebracht.
12
7
Doch hier lag bald alles voll. Nun ging der Leidenszug nach dem
städtischen Hospital, das, kaum fertig eingerichtet, schon am 2. August
14 verwundeten 40ern Aufnahme gewährt hatte. Hier standen
ungefähr 70 Betten, aber in kurzem waren mehr als 260 Ver—
wundete untergebracht, und die leitenden Ärzte Dr. Jordan und
Dr. Schmidtborn hatten alle Hände voll zu tun. Selbst die Gänge
und der Hausflur waren mit Verwundeten und Sterbenden bedeckt,
die zum größten Teil nur auf Strohlager gebettet waren. Da
immer noch mehr Hilfsbedürftige ankamen, so wurden in aller
Eile die Ulanen-Kasernen und die Schulsäle ausgeräumt, der Boden
mit Stroh bedeckt und die verwundeten Krieger darauf gelegt.
Doch noch immer reichte der Raum nicht aus, zudem fehlte es an
Ärzten und Pflegern sowie an Verbandzeug. So tätig auch die
Vereine in den Städten gewesen waren, auf solches Massenelend
hatten sie sich nicht einrichten können. Jetzt zeigte es sich, daß die
Saarbrücker und St. Johanner das Herz auf dem rechten Flecke
hatten: sie brachten die Verwundeten, welche kein Obdach hatten,
in ihre Häuser und richteten ihnen bequeme Lagerstätten ein,
während sie selbst und ihre Angehörigen sich aufs äußerste behalfen.
Die ganze Nacht hindurch dauerte der Zuzug der Verwundeten,
da Turner mit Fackeln das Schlachtfeld absuchten; und doch mußten
viele unter Qualen die Nacht unter freiem Himmel zubringen.
Mehr als 3000 Verwundete wurden in den Städten untergebracht;
jedes Haus war ein Spital, jede Frau, jedes Mädchen eine
barmherzige Schwester; einzelne Familien pflegten 8 bis 10 Ver⸗
wundete. Dazu kam die Last der Einquartierung. Am 7. und
8. August war die ganze 5. Division, an 12000 Mann, in den
Städten einquartiert; auf einzelne Häuser kamen 30 bis 40 Mann.
Dabei herrschte große Teuerung, und die Bewohner hatten selbst kaum
etwas zu essen. Immer neue Truppenmassen wälzten sich heran;
vier Armeekorps passierten in den nächsten Tagen unsere Städte.
Außerdem waren an 500 französische Gefangene in die Stadt gebracht
worden, die in der Reitbahn ein vorläufiges Unterkommen fanden.
In den nächsten Tagen trat eine Erleichterung ein, indem
die Leichtverwundeten fortgeschafft wurden und zugleich von allen
Seiten Hilfe kam. Von Trier fuhren noch am Abend der Schlacht
179 —
14 Ärzte mit Lazarettbedürfnissen nach Saarbrücken, und unterwegs
schlossen sich noch einige an. Am 8. August kamen aus Luxem⸗
burg 10 Ärzte mit Krankenpflegern, am 17. August sechs
weitere Ärzte. Bald folgten andere Ärzte aus allen Teilen
Deutschlands, selbst aus Petersburg und Amerika, unter ihnen die
berühmtesten Namen, und wirkten mit den einheimischen Ärzten
zusammen. Johanniter, Diakone und Diakonissen, barmherzige
Brüder und die verschiedensten Ordensschwestern, dazu zahlreiche
freiwillige Krankenpfleger eilten herbei, um an dem Liebeswerk
teilzunehmen. So konnte die Pflege der Verwundeten allmählich
in geordnete Bahnen kommen. In Saarbrücken wurden nicht
weniger als 15 Lajarette eingerichtet; außer dem Garnisonlazarett,
dem Hospital und den beiden Kasernen die Reitbahn, die
Turnhalle, das städtische Schulhaus, das Gymnasium, die Gewerbe⸗
schule, das Zivilkasino, das alte Kasino, das Hafermagazin,
der Rodenhof und zwei Quartierhäuser. In St. Johann
bestanden neun Lazarette, die in drei Schulhäusern und verschiedenen
anderen Häusern und Baracken untergebracht waren. In Privat⸗
pflege befanden sich in St. Johann am 8. August 355 Verwundete,
in Saarbrücken am 13. August, nachdem ein großer Teil schon
in die Lazarette übergeführt war, noch 261. Der Mangel an
Lebensmitteln und Verbandstoffen wurde infolge eines Aufrufes
in den Zeitungen durch hochherzige Spenden aus allen Gegenden
Deutschlands gemildert.
Auch für die geistige Nahrung der Verwundeten wurde
gesorgt. Eine ganze Reihe von Zeitungsverlegern lieferte ihre
Blätter umsonst in die Lazarette, Privatleute und Vereine sandten
gute Zeitschriften und Bücher, die britische und bergische Bibel—
gesellschaft teilten den Trost des Evangeliums an den Stätten des
Elends aus. So gewährten denn allmählich die Hospitäler einen
tröstlicheren Anblick. Reinlichkeit und Ordnung begannen ihre
segensreiche Herrschaft; bald hatte jeder Verwundete ein ordentliches
Lager in einem sauberen Raume, der fleißig gelüftet und desinfiziert
wurde. Verständnisvolle Pfleger und Pflegerinnen nahmen sich
der Armen mit Liebe an, lasen ihnen vor und schickten ihren
Angehörigen briefliche Nachrichten. Die Geistlichen der Städte,
12*
190
viele Bürger und Bürgerinnen beteiligten sich an dieser schönen
Aufgabe. An Anerkennung dieser aufopfernden Tätigkeit hat es
später nicht gefehlt. Verschiedene Ärzte erhielten das eiserne Kreuz
am weißen Bande, und 51 Frauen und Mädchen wurden mit
dem Verdienstkreuz geschmückt. Doch nicht alle konnten berücksichtigt
werden; viele mußten sich mit dem Bewußtsein ihrer erfüllten
Pflicht und der Dankbarkeit ihrer Pflegebefohlenen genügen lassen.
In die Trübsal und Not der Tage nach der Schlacht fiel
ein heller Schein durch die Ankunft des Königs Wilhelm
am 9. August. Gegen 4 Uhr nachmittags kam der oberste
Kriegsherr in vierspännigem Wagen von Homburg an, begleitet
von seinem Bruder, dem Prinzen Karl von Preußen, dem Groß;
herzog von Sachsen-Weimar, dem Prinzen Luitpold von Bayern,
dem Erbgroßherzog von Mecklenburg⸗Schwerin, dem Bundeskanzler
Grafen von Bismarck, dem Schlachtendenker von Moltke, dem
Kriegsminister von Roon, vielen andern hohen Offizieren und den
Beamten des großen Hauptquartiers. Mit Jubel wurde der
König und seine Paladine begrüßt; ein besonderer Empfang konnte
nicht stattfinden, da die Zeit der Ankunft nicht vorher bekannt
war. ) Der König stieg in dem Hause des Kaufmanns und
Beigeordneten Quien ab, Prinz Karl in der Bergwerksdirektion
bei Geheimrat Achenbach, Prinz Luitpold bei dem Beigeordneten
Friedrich Braun im Schloß, der Großherzog von Weimar bei dem
Bankier Ferdinand Schlachter, Graf Bismarck bei Emil Haldy in
St. Johann, General von Mollke in der „Post“ in Saarbrücken.
Am nächsten Morgen ließ sich der König von dem General von
Göben über den Verlauf der Schlacht Vortrag halten und besuchte
dann das Schlachtfeld; er bestieg sogar trotz seiner 73 Jahre den
Roten Berg und äußerte sich voll Anerkennung über die helden—⸗
mütige Tapferkeit seiner Soldaten. Am nächsten Tage besuchte
der greise Herrscher die Lazarette, um seine verwundeten Krieger
zu sehen und ihnen Trost einzusprechen; sodann fuhr er an dem
1) Schon tags zuvor hatten sich die Behörden und städtischen Vertreter
auf eine falsche Nachricht hin an der Mainzer Straße in St. Johann zum
Empfange versammelt. Das Bild Antons von Werner im Rathaussaal von
Alt⸗Saarbrüden stellt den Empfang des Königs so dar, wie er beabsichtigt war.
1
Hause der Frau von Strantz am Ludwigsplatz vor, wo der Oberst
von Reuter vom 12. Regiment, sieben andere verwundete Offiziere
und dazu noch zehn verletzte Soldaten Aufnahme gefunden hatten.
Auch hier ging der König von Bett zu Bett, überall verklärte
Gesichter zurũcklassend.
Nachdem der König von Saarbrücken aus eine Kundgebung
an das französische Volk erlassen hatte, durch die er den Bewohnern
Frankreichs, sofern sie sich nicht feindlich gegen die deutschen
Truppen zeigten, Sicherheit des Eigentums versprach, setzte sich am
11. August mittags 2 Uhr das große Hauptquartier nach Forbach
in Bewegung. Unter den begeisterten Abschiedsgrüßen und
Segenswünschen der Bewohner fuhr der König durch die dicht—
gescharte Menge. Bemerkenswert ist noch, daß von Saarbrücken
aus Graf Bismarck eine Depesche nach Petersburg richtete, in
welcher es hieß, daß Deutschland sich mit dem etwaigen Sturze
Napoleons nicht begnügen werde. So hatten die Tapfern vom
6. August nicht umsonst geblutet.
Kaum waren die Städte durch die Fortschaffung der Leicht—
verwundeten etwas entlastet worden, als aus den furchtbaren
Schlachten vor Metz neue Züge von Schwerverletzten hier ankamen,
die in den hiesigen Lazaretten untergebracht werden mußzten. Um
so willkommener war die Hilfe, die jetzt auch von dem Auslande
geboten wurde. Am 18. August traf aus Holland ein trefflich
eingerichtetes Feldlazarett ein, das unter der Leitung des Barons
von Hardenbrock stand und im Hofe der Kaserne Nr. 1 aufgeschlagen
wurde. Ferner kamen freiwillige Krankenpfleger und Pflegerinnen
aus Belgien, die eine Lazaretteinrichtung mit sich führten, und
später ein englisches Sanitätskorps, das von Herrn Buschmann
aus London geleitet wurde; dasselbe verfügte über die reichsten
—X—
Tausende von durchkommenden Verwundeten Stärkung, Verband,
Bettzeug und Kleidung erhielten.) Der Bahnhof bot in jener
Zeit ein äußzerst bewegtes Bild. Offiziere aller Grade, Soldaten,
1) Den Rest ihrer Bestände machte diese englische Gesellschaft im Jahre
1871 den beiden Städten zum Geschenle.
122 —
Johanniter, Maltheser, Diakone und Diakonissen, barmherzige
Brüder und Schwestern, Verwundete, freiwillige Pfleger und
Schlachtenbummler drängten sich dort in buntem Gewühl. Hier
war Kaffeeküche und Verpflegungsstation eingerichtet, aus der
bald verwundete Krieger, bald aus Frankreich vertriebene Deutsche,
bald französische Gefangene, bald Ersatztruppen, meist Landwehr—
leute, die nach Frankreich nachrückten, gespeist und erquickt wurden.
Dazwischen kamen große Proviant- und Munitionszüge, sodaß der
Privatgüterverkehr eine Zeit lang völlig stockte. Die Saarbrücker
Bahn hat im Jahre 1870 nicht weniger als 624 835 Militärpersonen
und 31 295 Pferde befordert.
Die Verkehrsstockung und der Stillstand vieler Geschäfte
wirkte auf die Bevölkerung der Städte in empfindlichster Weise
zurück. Gerade der kleine Mittelstand hatte in den schweren
Tagen große Opfer gebracht und sah sich nun bei der herrschenden
Teuerung in Not versetzt, ohne doch die öffentliche Mildtätigkeit
in Anspruch nehmen zu wollen. Zudem richteten bösartige
Krankheiten, wie Ruhr, Typhus und Pocken, große Verheerungen
an, und die Zahl der Todesfälle erreichte eine erschreckende Höhe.
Auch kam gar manche betrübende Botschaft von Frankreichs
Schlachtfeldern, sodaß nur wenige Häuser von Trauer verschont
blieben. Doch es war ja eine große Sache, für die man litt, und
die Nachrichten von den glänzenden Siegen hoben die Herzen
wieder. Nachdem die Kunde von dem großartigen Waffenerfolge
bei Sedan sich verbreitet hatte, beschlossen die Stadtverordneten
beider Städte am 10. September, in einer Adresse an den König
den Gefühlen der Dankbarkeit für die rasche Befreiung des
vaterländischen Bodens von dem Feinde und der hohen Bewunderung
für die glänzenden Siegestaten des heldenmütigen Heeres Ausdruck
zu geben.
Die Zahl der Verwundeten in den Städten verminderte sich
allmählich. Mitte September lagen in Saarbrücken in 12 Lazaretten
noch 481 Deutsche und 112 Franzosen; in den Hospitälern des
Kreises, die zusammen 1440 Betten zählten, befanden sich 909
Deutsche und 168 Franzosen. Bei ihrer Pflege waren 54 Ürzte,
143 Diakonissen und barmherzige Schwestern, 10 andere Pflegerinnen,
183
24 Diakone und barmherzige Brüder und 89 andere Pfleger tätig.
An 500 Verwundete und Kranke verlebten hier noch das
Weihnachtsfest, an dem ihnen von edlen Menschenfreunden unter
dem Christbaum Gaben der Liebe beschert und auch der fernen
Frauen und Kinder gedacht wurde.
Nun ging das schwere Jahr 1870 zur Rüste, und das neue
Jahr brachte die schönste Erfüllung der Hoffnungen durch die
Erneuerung der deutschen Kaiserwürde und einen ehrenvollen
Frieden. Am 8. März empfingen die Bewohner der Städte mit
begeisterten Hochrufen den großen Kanzler auf der Heimreise, der
durch Kampf und Sieg mit fester Hand die Dinge zum schönen
Ziele geleitet hatte. Bismarck erwiderte die Begrüßung der Bürger
mit den, Worten: „Ich danke Ihnen allen für den liebevollen,
freundlichen Empfang hier auf der alten Grenze unseres Vaterlandes
und forderte Sie auf, Sr. Majestät unserm allergnädigsten Kaiser
ein Hoch auszubringen.“ Jubelnd stimmten alle ein. Acht Tage
später konnten die Einwohner der Saarstädte den geliebten Herrscher
selbst begrüßen, der im Glanze unerhörter Siege aus Frankreich
zurückkehrte. Die Abgeordneten der rheinischen Städte fanden sich
hier zusammen, um dem deutschen Kaiser in der ersten preußischen
Stadt einen goldenen Lorbeerkranz zu überreichen. Der Bahnsteig
war zu einer großen Festhalle umgewandelt, die Tausende von
Menschen füllten, und nicht endendes Hoch- und Hurrarufen
begrüßte den greisen Herrscher, als er mit dem Kronprinzen, dem
Prinzen Karl und dem Grafen Moltke dem Wagen entstieg.
Zuerst wurde der Kaiser von dem Gouverneur der Rheinlande,
dem General Herwarth von Bittenfeld, sodann von dem Ober—
präsidenten von Pommer-Esche begrüßtt. Danach ergriff der
Beigeordnete von Saarbrücken, Fr. Quien, im Namen der
Bürgerschaft beider Städte das Wort und gab der Freude derselben
über die glückliche Heimkehr des Kaisers aus dem glorreichen
Kriege Ausdruck. Darauf überreichte der Oberbũrgermeister
Bachem von Köln mit einer Ansprache den goldenen Lorbeerkranz
und verlas die Adresse der rheinischen Städte, in welcher die
Dankbarkeit der von dem Feinde bedrohten Provinz ausgesprochen
war. Schließlich begrüßte Fräulein Maria Sarry an der Spitze
184 —
einer Abordnung von Saarbrücker Jungfrauen den Kaiser mit
einem von Konrad Herrmann verfaßten Soneit und überreichte ihm
einen prächtigen Blumenstraußz. Der Kaiser gab zum Danke der
Sprecherin die Hand und unterhielt sich freundlich mit ihr: „Ihr
habt viel hier in Saarbrũcken gelitten,“ fagte er; „ich weiß es wohl.“
—-„Ja, Kaiserliche Majestät,“ erwiderte Fräulein Sarry, „aber
diese Stunde wiegt bei uns allen die Vergangenheit auf.“ — Im
Juni kehrte das bewährte Ulanen-Regiment zurück und wurde
festlich empfangen.
Nach der schweren und doch erhebenden Kriegszeit galt es,
die tapferen Helden, die für das Vaterland gefallen waren, zu
ehren und das Gedächtnis des Geschehenen der Nachwelt zur
Nacheiferung zu überliefern. Nachdem das Alltagsleben wieder in
seine Rechte getreten war, blieben die Ruhestätle der Toten ein
Vermächtnis, das von den Bewohnern der Städte mit treuem
Sinne bewahrt wurde. Auf dem Schlachtfelde, auf den Friedhöfen
beider Städte und im „Ehrental“ sind die sterblichen Überreste
der Helden geborgen, die ihr Herzblut für das Vaterland hingegeben
haben. Auf dem Saarbrücker Friedhofe haben außer zwei Opfern
der Vorpostenkämpfe 10 Offiziere von den Regimentern Nr. 8,
Nr. 40, Nr. 48, Nr. 53 und vom 3. Jäger-Bataillon die letzte
Ruhestätte gefunden, auf dem alten St. Johanner Friedhofe sind
250 Krieger, darunter 15 Offiziere vom 12., 39., 48. 53. und
77. Regiment beerdigt; ihre Grabstätte liefz die Stadt St. Johann
mit einem würdigen Denkmal bezeichnen, das am ersten Jahrestage
der Schlacht feierlich eingeweiht wurde. An diesem Tage beschenkte
die Stadt Saarbrücken 38 Verwundete, die sich noch in Pflege
befanden, mit je 2 Talern.
An den Heldentod von Söhnen der St. Johanner Gemeinde
erinnert eine in der alten Kirche zur Seite der Kanzel angebrachte
Marmoriafel mit der goldenen Inschrift:
„Aus diesem Kirchspiel starben für König und Vaterland:
Phil. Heinrich Mertz, Füs. d. 7. Comp. Garde-Füs.-⸗Reg. F 11.
Juli 1866.
Otto Hoestermann, Prem.Leutn. und Comp.Führer 2. Rh.
Inf.Reg. Nr. 28, 4 9. Dez. 1870.
185
—..1
*
—
Kriegerdenktmal auf dem alten Friedhof GRotenberg) in St. Johann.
455
Ehrental mit Germania-Standbild.
Carl Wöffler, Unt.Off. im 4. Garde-Grenadier⸗Reg. Königin
Augusta, F 27. Aug. 1870.
Rudolf Eichacker, Gren. d.7. Comp. 1. Garde-Reg. z. Fuß,
18. Augꝗ. 1870.
Gustav Engel, Jäger des Rhein. Jäger-Bat. Nr. 8, * 18.
Aug. 1870.
Georg Reckert, Kürassier der 4. Esk. Rhein. Kür.Reg.
Nr. 8. F 3. Jan. 1871.
Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Gott aber sei Dank,
der uns den Sieg gegeben hat. 1. Cor. 15. V. 55-657.
Die städtische Verwaltung von Saarbrücken hatte schon am
7. August den Plan gefaßt, die vom Schlachtfelde in die Stadt gebrachten
5
F
hrental.
Leichen der Offiziere und die an ihren Wunden gestorbenen
Krieger auf einem besonderen Begräbnisplatze beizusetzen. Besonders
geeignet hierzu erschien das Mockental, welches westlich von der
Forbacher Straße in unmittelbarer Nähe des Schlachtfeldes liegt.
Dieses Grundstück, auf dem schon im Jahre 1814 die in Saar—
brücken gestorbenen französischen Soldaten beerdigt worden waren,
wurde von der Stadt angekauft und als Militärfriedhof eingerichtet.
Die Kosten beliefen sich auf ungefähr 6000 Taler; das Kriegs—
ministerium gab einen Zuschufz von 2000 Talern. Schon am
7. August waren drei Offiziere vom 12. Regiment hier begraben
worden; ihnen folgten 26 deutsche und französische Offiziere, unter
ihnen der General von Francois, dessen Grab die erste Reihe eröffnet.
188 —
Der Rote Berg bei Spichern.
Im ganzen sind über 450 deutsche und französische Krieger hier
beerdigt, die meistens in den Lazaretten gestorben sind; außerdem
wurden im Jahre 1890 mehrere auf dem neuen Exerzierplatz
gelegene Gräber geräumt und die Gebeine von ungefähr 80
Soldaten feierlich ins „Ehrental“ übergeführt. Diesen Namen
hatte die Stätte erhalten:
„Wo wir gebettet
Kraft, Jugend und Mut;
Wo nun sie schlafen,
Die vielen Braven,
Die uns entkettet,
Die uns errettet
Ach! durch ihr Blut!“ 1)
1) Aus dem Weihegedicht „Umtaufe“ von Wilhelm Fischer, früherem
Rektor in Ottweiler.
Hier erhebt sich auch das Denkmal des Generals Eduard
von Pestel, des Führers der Wacht an der Saar, welches ihm
von der dankbaren Stadt Saarbrücken gesetzt und am 25. März 1910,
dem Jahrestage von Pestels Tod, feierlich eingeweiht wurde.
Daneben hat der alte treue Hegemeister Bergmann, der in den
Julitagen 1870 den Vierzigern auf ihren Patrouillengängen oft
als Führer diente, seine Ruhestätte erhalten. Außerdem wurden
Veteranen des Krieges, die später in den Städten gestorben sind,
an dieser Stelle bestattet, unter ihnen der Kommandeur des
7. Ulanen-Regiments, Oberstleutnant Roth von Schreckenstein,
dessen Grabstätte ein schönes Denkmal von Robert Cauer ziert.
Auch die unerschrockene Magd, Katharina Weißgerber, nach ihrer
Dienstherrschaft Schultzen Kathrin genannt, die am 6. August, ihres
eigenen Lebens nicht achtend, die Verwundeten erquickte, hat hier
den verdienten Ehrenplatz gefunden. Der Friedhof und seine
Umgebung ist aufs schönste und würdigste hergerichtet: Trauer—
weiden und Zypressen beschatten die Gräber, und auf einem mit
Rosen bewachsenen Hügel steht das eherne Bild der Germania,
die den Gefallenen den Ehrenkranz von Eichenlaub reicht, ein
Werk von Gustav Bläser. Den französischen Offizieren und
Soldaten ist ein großes Sandsteinkreuz errichtet.
Auch die Regimenter, welche auf dem Schlachtfelde mit
—
am ersten Jahrestage der Schlacht wurde auf dem Roten Berge
das Denkmal des 74. Regiments eingeweiht; ihm folgten im
nächsten Jahre die Denkmäler der 53er (im Ehrental), der 39er
und A0er (auf dem Roten Berge) und der 77er (bei Stieringen).
Später haben auch das 48. und das 12. Regiment ihren Gefallenen
Ehrensäulen auf den Spicherer Höhen errichtet. Ein Denkmal
des 7. Ulanen-Regiments, welches so treu die Wacht an der Saar
gehalten hatte, ist auf dem Schloßplatz in Saarbrücken errichtet
worden. Die Kosten wurden von dem Regiment und seinen
ehemaligen Angehörigen, den „alten 7. Ulanen“, aufgebracht; die
Stadt gab einen Zuschußz von 10000 Mark. Der Verferliger
des Denkmals, der bekannte Bildhauer Klimsch in Berlin, hat
auf hohem Sockel einen galoppierenden Lanzenreiter in antiker
190 —
Art dargestellt, der in der erhobenen Rechten einen Eichenzweig
als Siegeszeichen schwingt. Das Denkmal wurde am 1. Juni 1913
feierlich eingeweiht.
Schon bald nach dem Friedensschlusse wurde der Gedanke
angeregt, ein Denkmal zu errichten, das an weithin sichtbarer Stelle
an die Gesamtheit der großen Ereignisse des Jahres 1870771
erinnern sollte. Ein Anzahl patriotischer Männer aus beiden Städten
und der Umgegend unternahm es, diesen Gedanken zu verwirklichen.
Kaiser Wilhelm spendete 2000 Taler zu den Kosten, und von
überall her, wo Deutsche wohnen, flossen so reiche Gaben zusammen,
daßz der Bau bald in Angriff genommen werden konnte. Als
Standort wurde der Winterberg gewählt, der in den Kämpfen
der Augusttage 1870 eine so wichtige Rolle gespielt hatte und eine
prächtige Aussicht auf die beiden Städte und zugleich auf das
Schlachtfeld bietet. Hier steht der stattliche von dem Regierungsrat
Lieber in Düsseldorf (früher Bauinspektor in Saarbrücken) ent—
worfene Bau: auf einem künstlichen Erdhügel eine nach dem
Vorbilde des Königsstuhles zu Rhense errichtete 5 m hohe, zehn—
seitige, von ebensovielen gotischen Bogen durchbrochene Halle, in
deren Mitte ein 20 m hoher, mit einem steinernen Helm gedeckter
Turm sich erhebt. In halber Höhe umgibt ihn ein breites Band,
auf dem die an den Juli- und Augustkämpfen bei Saarbrücken
beteiligten Truppen verzeichnet sind. Darüber ist auf der den Spicherer
Höhen zugewandten Seite eine Tafel angebracht mit der Inschrift:
„Deutschlands Helden 1870 —1871“, die Seite nach den Städten
ziert der deutsche Reichsadler. Gerade unter diesem befinden sich
die Namen des 7. Ulanen- und des 40. Regiments, welche die
Wacht an der Saar hielten, während unter der Widmungstafel
das Niederrheinische Füsilier-Regiment Nr. 89, das den Kampf
am 6. August begonnen, und das Grenadier-Regiment Nr. 12, das die
stärksten Verluste erlitten hat, verzeichnet sind. Am 9. August 1874
wurde das Denkmal in Gegenwart des Kriegsministers General
von Kameke, des Oberpräsidenten von Bardeleben, des Regierungs—
präsidenten von Wolff, des Generals von Rex, und vieler anderer
Offiziere, unter der Teilnahme der gesamten Bevölkerung der
—
141
⸗
Winterbergdenkmal.
Umgegend, von 69 Kriegervereinen und vielen Abordnungen von
aus wärts feftlich eingeweiht.
Bei der Einweihung des Denkmals verlas der Regierungs⸗
präsident ein kaiserliches Handschreiben aus Gastein, durch welches
Se. Majestät den Städten Saarbrücken und St. Johann „zur
Erinnerung an ihre patriotische und opferwillige
Haltung während des letzten Krieges“ fortan die
preußischen Farben zu führen gestattete. Nach längeren
Verhandlungen mit dem Heroldsamte wurde des Näheren bestimmt,
daß die Städte als großes Wappen den heraldischen preußischen
Adler mit dem früheren Wappen als Brustschild, als kleines
Wappen aber den bisherigen Schild mit schwarz-silbernem Rande
führen durften.
Doch damit war die Gnade des Kaisers und sein Wohlwollen
für die Städte noch nicht erschöpft. Am 13. März 1874 erging
aus dem Ministerium die Anfrage an die städtische Verwaltung,
ob in der Nähe von Saarbrücken die Aufstellung eines auf die
Ereignisse des letzten Krieges sich beziehenden Werkes monumentaler
Malerei sich ermöglichen lasse. Darauf beschloß die Stadtverordneten⸗
versammlung von Saarbrücken, an der Stelle des an das Rathaus
anstoßenden Hauses einen Sitzungssaal zu bauen und diesen zur
Aufstellung der Gemälde zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot
wurde höheren Orts angenommen; die Stadt Saarbrücken stellte
nach dem Plane des Kommunalbaumeisters Benzel den Rohbau
des Saales nebst Verputz, Parkettfußboden und Heizvorrichtung
her, während die Regierung die Ausschmückung übernahm, für
welche die Summe von 65 000 Mark ausgeworfen wurde. Der
Saal wurde mit Eichenholz getäfelt, die Decke in prächtiger
Stuckaturarbeit ausgeführt und die Wände mit drei größeren
und vier kleineren Bildern geschmückt. Die Ausführung der
Bilder übernahm der Direktor der Berliner Akademie der Künste,
Anton von Werner, und wählte als Gegenstände der Dar—
stellung das Vorgehen des Generals von François beim Sturm
auf die Spicherer Höhen, den Einzug König Wilhelms in Saar—
brücken und die siegreiche Verbrüderung von Nord und Süd.
Diese Gemälde wurden von dem Meister, der im September 1876
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in unseren Städten seine Studien machte, in vortrefflicher Aus—
führung hergestellt und daneben die Bilder des Kronprinzen
Friedrich Wilhelm, des Prinzen Friedrich Karl von Preußen, des
Fürsten Bismarck und des Generalfeldmarschalls Moltke angebracht.
Über den Türen fand der Aufruf König Wilhelms vom
19. Juli 1870 und die Kaiserproklamation von Versailles Platz.
Auf der einen Türe befinden sich als Medaillons die Bildnisse
der Generäle von Göben, von Albensleben, von Kameke, von
François, des Obersten von Reuter vom 12. Regiment, der an
seiner Wunde in Saarbrücken starb, und des Oberleutnants
Hildebrand vom 3. Artillerie-Regiment, welcher, nachdem seine
Geschütze den Roten Berg erklommen hatten, dort die Todeswunde
erhielt. An der anderen Türe sind in derselben Weise die
Bildnisse verdienter Bürger und Bürgerinnen beider Städte
angebracht, des Bürgermeisters Schmidtborn, des Beigeordneten
Fr. Braun, der Damen des Luisenordens, Fräulein Ida Schmidt
(Saarbrücken) und Frau Ida Röchling (St. Johann), und der
praktischen Ärzte Dr. Jordan und Dr. Schmidtborn. Auf
den Fenstern sind die Wappen von Nassau-Saarbrücken und den
beiden Städten ausgeführt. Die Mitte der kassetierten Decke
nimmt ein mächtiger Reichsadler ein, der von einem Bande mit
folgender von Viktor von Scheffel verfaßten Inschrift umgeben ist:
Erwecktt durch Blitz und Kampfgefahr
Und treuer deutscher Helden Tod.
Sah siegreich hier der Kaiseraar
Des Reiches blutig Morgenrot.
Von den sonstigen Sprüchen, die sich zwischen Wappenschildern,
Lorbeerkränzen und Schlachtennamen hinziehen, erwähnen wir die
für das Liebeswerk von 1870 bezeichnenden Worte:
Zu helfen, wo tut Hilfe not,
Ist hier zu Land ein alt Gebot.
Am 8. August 1880 fand die Einweihung des Rathaus⸗
saales und die Übergabe der Wandgemälde durch den Oberpräsidenten
von Bardeleben in Gegenwart der Spitzen der Militär⸗- und
Zivilbehörden und des Abkademiedirektors Anton von Werner
statt. Dieses kaiserliche Geschenk bildet einen äußerst wertvollen
—194
—
Schmuck unserer Städte und ein wirkungsvolles Vermächtnis an
die Nachwelt. Die Erinnerung an die ruhmreiche Zeit von 1870
ist in unsern Städten allezeit treu festgehalten worden. Besonders
lieen sich die Kriegervereine die Pflege der nationalen Erinnerungen
angelegen sein. Der 1872 begründete Kriegerverein der Städte
Saarbrücken und St. Johann hielt zuerst am 6. August 1873
eine Gedenkfeier im Ehrental ab; später übernahm diese schöne
Pflicht der 1874 gestiftete Saarbrücker Kriegerverein, während
der erstere Verein sich auf dem St. Johanner Friedhof alljährlich
an dem gleichen Tage zu einer erhebenden Feier versammelt. Das
25 jährige Erinnerungsfest an die Schlacht wurde am 6. August 1895
in großartiger Weise zugleich als Kriegerverbandsfest gefeiert. Der
Großherzog von Baden beehrte an diesem Tage als
Vertreter des Kaisers die Städte mit seinem Besuche und wurde
als einer der Begründer des Deutsches Reiches mit Jubel begrüßt.
Tausende von alten Kriegern besuchten damals die Städte und
das Schlachtfeld und verlebten hier schöne Tage des Wiedersehens
und der Erinnerung an die große Zeit.
Auch in dem heranwachsenden Geschlechte wird das Gedächtnis
der drangvollen und erhebenden Zeit wach gehalten und in den
jungen Herzen das heilige Feuer der Vaterlandsliebe geschürt.
Die Schulen unserer Städte zogen früher alljährlich am 6. August
auf das Schlachtfeld und in das Ehrental hinaus, um die Gräber
der Gefallenen zu schmücken und der Jugend die Erinnerung
an Deutschlands große Zeit immer wieder einzuprägen. Und noch
immer kommen von nah und fern Vereine und einzelne zum
Besuche der weihevollen Stätten, die den Namen Saarbrücken
und St. Johann einen weitbekannten historischen Klang verliehen
haben.
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14. Neues Leben in Stadt und Kirchengemeinde
St. Johann.
Die Verwaltung der selbständigen Gemeinde St. Johann hatte
in sehr bescheidenen Verhältnissen begonnen. Als Sitz der Ver—⸗
waltung wurde das alte Schulhaus in der Nähe der evangelischen
Kirche eingerichtet, welches außerdem das Friedensgericht beherbergte;
das frühere Friedensgericht wurde zum Polizeiamt, das Spritzen⸗
haus zur Polizeiwachtstube umgebaut und im Hirtenhofe ein Lösch—
gerätemagazin hergestellt. Das Vermögen der Stadt bestand in
einigen Schulgebäuden und anderen Häusern, in beinahe 3000
Morgen Wald und ungefähr 60 Morgen Wiesen⸗-, Garten⸗ und
Ackerland. Kapitalvermögen hatte die Stadt nicht, aber 21367
Taler Schulden für Schulbauten (Gewerbeschule und neues Schul⸗
haus). Dementsprechend beschränkte man sich auf die notwendigsten
Ausgaben, Kanalisierung der Straßen, Beseitigung der offenen
Dungstätten, Verbesserung der Wohnungen für die ärmere Klasse
und Herstellung von Bürgersteigen. Die jährlichen Einnahmen
beliefen sich 1864 auf 19835 Taler, die Ausgaben auf 17678
Taler; diese Summen erhöhten sich auch in den nächsten Jahren
nur wenig. Die Gemeindeeinkommensteuer betrug 80 Prozent
der Grund⸗-, Klassen- und Einkommensteuer.
Gegenüber der sparsamen Verwaltung, die sich nur schwer
zu kostspieligen Neuerungen entschloß, wurden schon damals Wünsche
nach einer schnelleren Entwickelung laut. In einer Flugschrift
„St. Johann Dorf oder Stadt?“ mahnte ein „Hergeloffener“
(A. Bonnet) mit satirischen Anspielungen auf die Partei der Alt—
bürger, der „Spreben“, ) zu energischerem Vorgehen. Er forderte
1) Vgl. S. 167. Man unterschied damals die Altbürger von, Altdahiesigen“
von den Zugezogenen oder „Hergeloffenen“.
197
Beseitigung der Stadtmauer und anderer Hemmnisse des Verkehrs,
Trockenlegung der Bruchwiesen durch Kanäle, um hier Bauplätze
zu schaffen, Anlage eines neuen Wasserwerkes, eines Schlachthauses
und eines Hospitals, und mahnte, nicht an den veralteten Ein—⸗
richtungen und einem verkehrten Sparsystem festzuhalten, damit
St. Johann nicht ein Zwitterding zwischen Dorf und Stadt bleibe.
Die Partei der Neuerer setzte wenigstens durch, daß vom 1. April
1868 an das Austreiben der Kühe und Schweine unterblieb; im
Herbst 1873 wurde die Faselviehanstalt aufgehoben. Im übrigen
machte sich der Gegensatz zwischen Alten und Jungen noch lange
in dem öffentlichen Leben bemerkbar.
Von neuen Straßenanlagen entstanden damals die Bahnhof—
ftraßze, die Verlängerung der Schillerstraße nach dem Platze am
neuen Schulhaus hin (jetzt Bismarckstraße und Bismarckplatz),
ferner zur Verbindung dieses Platzes mit der Mainzerstraße die
Karlstraße; auch die Erweiterung der Lauerfahrt und die Ver—
bindung der mittleren Dudweilerstrafze mit dem Bahnhof (Richtung
der jetzigen Kaiserstraße) wurden erstrebt, doch diese Pläne
wurden durch große Entschädigungsforderungen der Grundeigen—
tümer gehemmt.
In der Zeit von 1868 -1872, während der Amtszeit des
Bürgermeisters Rumschöttel, der als erster Berufsbürgermeister
die Leitung der städtischen Geschäfte von Karl Karcher übernommen
hatte, machte sich eine lebhafte Bautätigkeit bemerkbar. 21 Wohn⸗
häuser und 18 Nebengebäude wurden im Jahre 1869 aufgeführt;
trotzdem war dem Bedürfnis an Wohnungen noch nicht genügt,
sondern die Aufschließuung neuer Straßen sehr erwünscht. Die
Verbindung der Dudweilerstraße mit dem Bahnhof näherte sich
jetzt, da die Grundbesitzer zur Einsicht ihres eigenen Vorteils ge—
kommen waren und das Straßenbaugelände unentgeltlich hergaben,
der Verwirklichung; die Überwölbung des Sulzbaches wurde ins
Auge gefaßt, die Sulzbach-i) und die Futterstraße angelegt,
1) Jetzt Friedrich-Ebert-⸗Straße genannt. Die Futterstraße erhielt ihren
Namen von den hier durchgehenden Heufuhren von den St. Johanner Wiesen,
die Betzenstratße von den St. Johanner Betzen oder Gärten.
198 —
auch die Verbindung der Dudweilerstraße mit dem Friedhofsweg
beschlossen. Die städtische Einnahme war 1869 auf 38091 Taler,
die Ausgabe auf 37715 Taler gestiegen.
Der Bürgermeister Rumschöttel schloß seinen Verwaltungs—⸗
bericht für das Jahr 1869 mit den Worten: „Überall in unserer
Stadt nehmen wir ein frisches, reges Leben wahr; die gewerbliche
Tätigkeit steht nach allen Richtungen hin in Blüte, infolgedessen
hebt sich der Wohlstand, das Interesse und die Teilnahme der
Bürgerschaft an den städtischen Angelegenheiten wächst, ebenso die
Erkenntnis der allerdings vielfach noch vorhandenen Mängel, ver⸗
bunden jedoch mit dem Streben, dieselben zu beseitigen, kurz überall
zeigen sich Tatsachen, die unwiderleglich das sichere Aufblühen und
Voranschreiten unserer Stadt dartiun.“
Das nächste Jahr brachte die Eisenbahnverbindung mit
Saargemünd und Straßburg, die mit vielen schönen Reden
und Friedensversicherungen gefeiert wurde. Doch im Sommer
1870 brach der große Krieg aus, welcher die Entwickelung der
Stadt auf einige Zeit unterbrach.
Die Zahl der Einwohner belief sich am Ende des Jahre 1871 auf
9143 Seelen; sie hatte sich seit 1861 um 65 Prozent vermehrt.
Nach dem Tode Rumschöttels fiel die Wahl auf den Bürger—
meister von Meisenheim, Falkenhagen, der die Verwaltung
der Stadt 16 Jahre, von 1872 bis 1888, geleitet hat. Es war
dies, trotz des zeitweiligen geschäftlichen Niedergangs, eine Zeit
des weiteren Aufblühens für die Stadt. Die Bevölkerung ver⸗
mehrte sich von 9143 auf 13634 Einwohner; die Zunahme betrug
49 Prozent. Das Straßennetz wurde um nicht weniger als 31
Straßen vermehrt, die teils erst in Fluchtlinien gelegt, teils maka—
damisiert oder gepflastert wurden.
In dieser Zeit entstanden auch einige größere städtische
Anlagen. Ende des Jahres 1874 wurde der Bau des öffentlichen
Schlachthauses begonnen und zu Anfang des Jahres 1876
vollendet. Das Gaswerk, welches die Firma Raupp & Ko.
1857 gebaut hatte, ging, nachdem die Konzession abgelaufen war,
1887 für 240 000 Mark in den Besitz der Stadt über. Da die
alte Wasserleitung aus dem Meerwieser Tal und vom Bruch—
brunnen nicht mehr genügte, so wurden neue Leitungen am
Kaninchenberg und an Krämers Häuschen angelegt und 12 neue
Brunnen hergestellt. Um später eine allen Anforderungen
genügende Hochdruckleitung anlegen zu können, kaufte die Stadt
in den Jahren 1872-1875 in dem Scheidter Tale Quellen mit
reicher Wasferfülle für 12000 Mark an. Damit der städtischen
Leitung auf jeden Fall eine ausreichende Wassermenge gesichert
würde, wurde 1886 mit Malstatt-Burbach ein Vertrag auf 10 Jahre
wegen Benutzung der dortigen Hochdruckleitung eingegangen. Der
1846 geschlossene evangelische Friedhof an der Gerberstraße wurde
1877 zu einem öffenilichen Platze umgewandelt. 1883 mußte auch
der Friedhof auf dem Rotenberg geschlossen werden; auf dem
Bruchhügel wurde ein 4,25 Hektar großes Gelände angekauft
und ein neuer Friedhof hergerichtet, der 37614 Mark kbostete.
Da das städtische Verwaltungsgebäude den Anforderungen in
keiner Weise entsprach, so wurde ein Bauplatz für ein neues
Rathaus für 67820 Mark erworben. Die Vermehrung der
Bevölkerung erforderte den Bau zweier neuer Schulhäuser an der
Nauwieserstraße; den Erweiterungsbau und die Unterhaltung der
Gewerbeschule in Saarbrücken übernahm die Stadt St. Johann
mit der Schwesterstadt und dem Kreise gemeinschaftlich.
Wir sehen also, wie die städtische Verwaltung mit der Zeit
fortschritt und bedeutende Kosten bei der Hebung des Gemeinwesens
nicht scheute.
Die Bedeutung von St. Johann verlangte die Einrichtung
einer Stadtpost. Diese war 1861 in der Stadt eingerichtet,
aber 1873 nach dem Bahnhofe verlegt worden. Auf den lebhaften
Wunsch der Bürgerschaft wurde am 1. Juli 1883 eine Post-
annahmestelle in der Fürstenstraße eingerichtet.
Das Eisenbahnnetz wurde in dieser Zeit durch die Anlage
der Bahn nach St. Ingbert und der Fischbachbahn erweitert;
doch erlitt die Stadt am 1. April 1880 durch die Verlegung der
Königlichen Eisenbahndirektion nach Frankfurt am Main
einen grofzen Verlust. An deren Stelle wurde ein Eisenbahn⸗
betriebsamt eingerichtet, und die Zahl der Beamten wurde erheblich
2
vermindert. Einen Ersatz für diese Einbuße fand die Stadt in
der Verlegung der Königlichen Bergwerksdirektion von
Saarbrücken nach St. Johann, die am 1. Juli 1880 stattfand.
Das neue Bergamt war an der Ecke der Trierer und der Reichs⸗
straße unter Zugrundelegung eines Entwurfes des Architekten
Warth in Karlsruhe nach dem Plane der Architekten Gropius
und Schmieden in Berlin von 1877 bis 1880 mit einem Kosten—⸗
aufwand von 635 000 Mark erbaut worden.
Auf die Verschönerung der Stadt und ihrer Umgebung
wurde jetzt auch von Seiten der Bürgerschaft mehr Wert gelegt.
Hatte der Bürgermeister Falkenhagen in dem Verwaltlungsbericht
für das Jahr 1872 den mangelnden Schönheitssinn der Bevölkerung
mit den Worten des Dichters beklagt:
„Vor lauter Arbeit fehlt dem Volt die Muße,
Und Blumen pflanzt es nicht an seinen Wegen,“
so war es seitdem besser geworden. Nachdem der Halberg, der
früher einen beliebten Zielpunkt für Spaziergänger geboten hatte,
im Jahre 1876 in den Besitz des Freiherrn von Stumm
übergegangen war, wurden umsomehr die schönen städtischen
Waldungen geschätzt. Zu der Anlage am Saatkamp, welche die
Stadt hergestellt hatte, schuf der Verschönerungsverein, dessen
Begründer und langjähriger Vorsitzender der Fabrikdirektor
Hermann Willing war (* 1913), weitere anziehende Punkte
und fand mit seinen Bestrebungen mehr und mehr Anerkennung. Als
besondere Zierde der Stadt entstand 1882 der „Volksgarten“,
der durch eine Abktiengesellschaft auf dem fiskalischen Gelände an
der „Volzenmühle“ hergestellt wurde.
Im Anfange des Jahres 1888 schied Bürgermeister
Falkenhagen aus dem Amte. Zu seinem Nachfolger hatten die
Stadtverordneten einstimmig den Dr. jur. Paul Alfred Neff
gewählt, der, 18533 zu Freiberg in Sachsen geboren, sich der
juristischen Laufbahn gewidmet hatte und seit 1884 erster Stadtrat
in der sächsischen Industriestadt Glauchau war. Dr. Neff hat sich
besonders um die Hebung des mittleren Erwerbsstandes verdient
gemacht. Er hat die Kreditbank für Handwerker ins
Leben gerufen, die sich im Laufe der Zeit zu einer Spar- und
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Darlehnskasse mit beschränkter Haftpflicht entwickelte und als
städtische Sparkasse von der Verwaltung übernommen wurde.
Für die städtischen Beamten und Arbeiter wurde eine Pensions—
kasse gegründet. Daßz Dr. Neff die Entwickelung der Stadt
mit voller Hingabe und großem Geschick geleitet hat, haben die
Vertreter der Bürgerschaft durch ein besonderes Vertrauensvotum
im Jahre 1894 und durch die Wiederwahl im Jahre 1900
anerkannt.
Das Wachstum der Stadt in dem letzten Jahrhundert ergibt
sich aus folgenden Zahlen. Die Seelenzahl betrug:
1815. 2500
1840: 3379
1855. 4452
1864: 6500
1871. 9143
1875: 10689
1885: 13634
1890: 14357
1895: 16788
1900: 21 266 (darunter 660 Militärpersonen).
Die Einwohnerzahl hat sich somit seit 1815 auf mehr als
das Achtfache erhöht, seit 1890 ist sie um die Hälfte gestiegen.
Bei der Volkszählung 1900 wurden gezählt: Evangelische
10 337, Katholiken 10 340, Israeliten 567.
Die Zahl der Wohngebäude betrug im Jahre 1793: 184,
im Jahre 1872: 508, im Jahre 1887: 829, im Jahre 1900:
1237. Im Jahre 1864 wurden 18 neue Häuser erbaut, 1898
wurden 181 Bauerlaubnisse ausgefertigt.
Die bebaute Fläche war im Jahre 1870 42 Hektar, im
Jahre 1900 95 Hektar groß.
In den nächsten Jahren wurde die neue Hochdruck—
wasserleitung aus dem Scheidter Tale mit einem Kostenaufwand
von mehr als 400000 Mark hergestellt. Durch diese Leitung,
deren Anlage besonders Albrecht Bonnet empfohlen hatte, wurde
der Stadt nicht nur vortreffliches und reichliches Trinkwasser zu⸗
geführt, sondern auch die Sicherheit gegen Feuersgefahr bedeutend
203
erhöht. Im Jahre 1862 hatte ein gräßliches Brandunglück, bei
dem sechs Menschen ihren Tod fanden, die Begründung einer
freiwilligen Feuerwehr veranlaßt, die sich vortrefflich bewährte,
doch wurde die ungenügende Wasserzuführung bei jeder Gelegen—
heit beklagt. Jetzt wurden die Wasserleitungsrohre durch die
ganze Stadt gelegt und zahlreiche Hydranten eingebaut, durch welche,
da sie eine Strahlhöhe von 30 merzielen, die wirkbsame Bekämpfung
jeder Feuersgefahr ermöglicht wird.
Um die Ausbildung eines kräftigen jungen Geschlechtes zu
fördern, liefz die städtische Verwaltung 1897 am Landwehrplatz
eine neue Turnhalle für 120000 Mark errichten, die mit einer
vortrefflichen Einrichtung ausgestattet wurde und auch einen durch
drei Tore zugänglichen Geräteraum für die Feuerwehr enthält.
Der Ertüchtigung im Freien dient ein großzer Spielplatz am Wald—
haus. Die Volksgesundheit soll auch das prächtig ausgestattete
Kaiser Friedrich-Bad fördern. Den Anforderungen der Zeit
entspricht das Elektrizitäts werk, das für 450 000 Wik. hergerichtet
wurde; außerdem wurde auf Erweiterung des Gas- und Wasser⸗
werkes die Summe von 500000 Mark verwendet. Es gelang
den Bemühungen der städtischen Verwaltung, die Errichtung eines
Bezirkskommandos in St. Johann herbeizuführen, indem
die Stadt sich zum Bau eines Mietdienstgebäudes verpflichtete, das
51000 Mark kostete. Auch eine Königliche Eisenbahndirektion
erhielt im Jahre 1894 wieder ihren Sitz in St. Johann, nach—
dem die Stadt einen Zuschuß von 40000 Mark zu den Ein—
richtungskosten zugesagt hatte. Der Verkehr der Stadt mit den
Nachbarorten Malstatt-Burbach, Louisenthal und Brebach hob sich
außerordentlich durch den Bau einer Dampfstraßenbahn, die im
Jahre 1899 in eine elektrische Bahn umgewandelt wurde. Die
Linien derselben erweiterten sich durch die Fortführung der Geleise
einerseits nach Saarbrücken, andererseits nach Dudweiler, Sulzbach
und Friedrichsthal. Der Verkehr nach dem Köllertal zu wurde
außerordentlich gehoben durch die elektrische Straßenbahn nach
Riegelsberg und Heusweiler, eine Anlage, die besonders dem
tatkräftigen Wirken des Oberbergrats Jahns in Grube von der
Heydt zu verdanken ist.
204
Nachdem frühere Verhandlungen über eine Garnison zu
keinem Ergebnis geführt hatten, wurde 1887 die Verlegung eines
Kavallerie-Regiments nach St. Johann angeregt, und die Ver—
handlungen gediehen diesmal zum Abschluß, da die Stadt den
Grund und Boden, 8 Hektar an der Mainzerstraße, zum Bau
der Kasernen und Nebengebäude unentgeltlich hergab. Zur be—
sonderen Befriedigung gereichte es der Bürgerschaft, dafz das 7.
Ulanen-Regiment Großherzog Friedrich von Baden,
welches von 1852 bis 1878 in Saarbrücken gelegen und sich im
Jahre 1870 so hervorragend bewährt hatte, nach St. Johann
verlegt wurde. Das Regiment zog am 27. September 1896 in
die Stadt ein und wurde nicht nur hier festlich begrüßt, sondern
auch bei dem Durchzuge durch seine alte Garnison Saarbrücken
von der dortigen städtischen Vertretung bewillkommnet. Bei dieser
Gelegenheit hatten die Bürger beider Städte die besondere Freude,
ihren Ehrenbürger General von Pestel, den Führer der Wacht
an der Saar im Jahre 1870, in ihren Mauern zu sehen. Das
Jubiläum des 7. Ulanen-Regiments im Jahre 1902 führte auch
den Großherzog Friedrich von Baden als Chef des Regiments
wieder in unsere Städte, wo die allgemeine Verehrung des greisen
Fürsten den entsprechenden Ausdruck fand.
Eine Stadtgemeinde von der Bedeutung St. Johanns mußte
es als eine Ehrensache ansehen, auch eine höhere Schule zu be—
sitzen. Hierzu bot sich eine Gelegenheit, als die Gewerbeschule in
Saarbrücken in eine Oberrealschule umgewandelt wurde. Der
Staat erbot sich, diese Anstalt, die bisher von den beiden Städten
und dem Kreise gemeinschaftlich unterhalten worden war, zu über—
nehmen, falls die Städte und der Kreis angemessene Zuschüsse
leisteten und ein neues Schulgebäude errichtet würde. Die Stadt
St. Johann erklärte sich darauf bereit, den Neubau auf ihrem
Gebiet auszuführen; das nach dem Entwurfe des Stadtbaumeisters
Wilhelm Franz im modernen Barochstil aufgeführte stattliche
Gebäude ist am 8. Januar 1904 seiner Bestimmung übergeben
worden. Die Baukosten betrugen rund 400000 Mark; den
Hauptanteil der Kosten bestritt die Stadt St. Johann mit
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leistete einen Zuschuß von 27500 Mak., der Kreis Saarbrücken
gab 70000 Mk., der Staat 152500 Màk.
Der Ausbau und die Verschönerung der Stadt machte seil—
dem große Fortschritee. Der Sulzbach wurde völlig überwölbt
und die nach ihm benannte Straße ausgebaut; zur weiteren Ver—⸗
bindung der Bahnhof- und der Kaiserstraße wurde die Passage
angelegt. Straßendurchbrüche brachten Luft und Licht in die alten
Stadtteile; am Markt wurde von Gustav Schmoll der Hallen—⸗
bau des Markthauses angelegt, in dem das Saarmuseum für
Kunstgewerbe und Industrie, sowie eine Lesehalle eingerichtet wurden.
Jetzt befindet sich hier das Heimatmuseum der Stadt Saarbrücken,
in dem die Sammlungen des Saarmuseums und des historischen
Vereins für die Saargegend sowie zahlreiche Neuerwerbungen ver—
einigt sind. Die Kaiserstraße wurde durch die Verlegung der
Fabrik von Dingler und Karcher wohnlicher gemacht und zugleich
wertvolles Baugelände gewonnen; diese Straße, an der ansehnliche
und geschmackvolle Häuser, unter ihnen die von F. Mertz 1889/90
erbaute Synagoge, sich erheben, muß zur Entlastung der Bahn⸗
hofstraße dienen, die sich zu einer großartigen Geschäftsstraße ent—
wickelt hat. In der nach dem Volksgarten führenden Königin—
Luisenstraße entstanden anmutige Häuser in Villenstil. Auch die
Triererstraße wurde ausgebaut, sodaß die Häuser von St. Johann
und von Malstatt jetzt dicht aneinanderstießen; hier wurde 1902
das neue Knappschaftsgebäude im romanischen Stil und
1906 die Bergschule vollendet.
Gleichzeitig wurde die Stadterweiterung fortgeführt. Nach
dem von Baurat Kreyssig in Mainz entworfenen Stadterweiterungs⸗
plan soll im Norden und Osten der älteren Stadt ein neues
St. Johann mit teilweise offener Bebauung in einem Umfange
von 140 Hektar entstehen, sodaß die Vergrößerung der Stadt um
das Anderthalbfache ihrer bisherigen Ausdehnung ermöglicht ist.
Im Norden entstand zur Verbindung der Königin-Luisen⸗ und
der Dudweilerstraße die Mozartstraße, deren Fortsetzung die Schu—⸗
mannstraße bildet, ferner die Richard Wagner⸗ und die Beethoven⸗
straße; die Karcherstraße wurde angelegt und weitere Straßen in
der Fluchtlinie entworfen. Durch die Niederlegung der Roth- und
207
Schüler'schen Fabrik wurde der Beethovenplatz geschasffen und mit
prächtigen Anlagen geschmückt. Am Heimgarten hat die gemein—
nützige Baugenossenschaft hübsche Wohnhäuser hergestellt. Für
Kleinwohnungen stellte die Stadt Gelände zu billigem Preise zur
Verfügung. Im Osten wurde die Bismarckstraße verlängert und
durch Seitenstraßen, von denen die Goethestraße, Uhlandstraße,
Heinestraße, Lessingstraße und Hellwigstraße bereits ausgebaut sind,
mit der Mainzerstraße in Verbindung gesetzt. Hier sind schöne
Häuser in vornehmem Geschmack entstanden, die der Stadt zur
großen Zierde gereichen. Die Mainzerstraße ist bis zur Ulanen—
kaserne ausgebaut; mit ihr läuft weiter nördlich die mehr als einen
Kilometer lange Großherzog Friedrichstraße parallel; von den Ver—
bindungsstraßen ist die Paul-Marienstraße (nach dem von der Familie
Haldy begründeten Paul-Marien-Stift benannt) schon ausgebaut; an
der Saar bietet die Staden-Anlage einen herzerfreuenden Anblick.
Staden.
208
Lange hatte sich die Verwaltung dieses blühenden Gemein—
wesens mit einem dürftigen Amtssitz in dem alten Schulhause
begnügt; aber je länger, desto mehr wurde dieser Zustand als
unwürdig befunden, und im Jahre 1896 wurde der Beschluß
gefaßt, auf dem bereits erworbenen Bauplatze ein Rathaus zu
bauen, das den Bedürfnissen der Gegenwart genügen und den
kommenden Geschlechtern von dem Wohlstand und dem Gemein—⸗
sinn der Bürgerschaft zeugen könnte. Der Stadtbaumeister Franz
lenkte selbstlos die Blicke der städtischen Verwaltung auf den Er—
bauer des Münchener und Wiesbadener Rathauses, Professor
Hauberrisser in München, und begnügte sich mit der Leitung
des Baues. Am 22. März 1897, dem hundertjährigen Geburts—
tage Kaiser Wilhelms J., wurde der Grundstein zu dem neuen
Rathause gelegt, und am 27. Januar 1900, dem Geburtstage
Kaiser Wilhelms II., ertönten zum ersten Male als Festgruß
schmetternde Fanfaren von der Zinne des Turmes. Am Samstag,
den 23. Juni, am Tage vor dem St. Johannisfest, fand die
feierliche Einweihung des Baues statt.
Die Kosten des stolzen Bauwerkes beliefen sich im ganzen
auf etwa 800 000 Mark. Jetzt ist in der Kaltenbachstraße nach
dem Entwurf des Baurats Dr. Ammer ein stattlicher Anbau
hergestellt worden, in dem sich auch der Sitzungssaal für die
Stadtvoerordneten befindet.
Vor dem Westflügel des Rathauses befindet sich ein schöner
Brunnen, der von dem früheren Beigeordneten Geheimen
Kommerzienrat Emil Haldy gestiftet worden ist. Auf dem mit
Frauengestalten verzierten Brunnenstock, aus dem das Wasser
durch sechs Ausläufe in ein rundes und dann durch die Mund—
öffnungen von sechs Masken in ein sechseckiges Becken fällt,
steht das vielbesprochene Marmorbild des mit dem Schwerte sich
gürtenden Telemachos, ein tüchtiges Werk des Bildhauers
Ludwig Cauer.
Diesem Mittelpunkt des städtischen Lebens gegenüber hat
die evangelische Gemeinde ihre neue Kirche gebaut.
Die Zahl der Gemeinde-Mitglieder war auf beinahe 10000
angewachsen. Für diese große Gemeinde konnte die alte Kirche
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nicht mehr genügen; eine neue geräumige Kirche war daher ein
dringendes Bedürfnis. Sie sollte nach Johannes dem Täufer,
dem die Stadt ihren Namen verdankte, Johanneskirche genannt
werden. Im Jahre 1892 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben,
der den Eingang von 58 Entwürfen zur Folge hatte. Unter
diesen wurde der Entwurf des Architekten Heinrich Güth, der
einer St. Johanner Familie entstammte, mit dem zweiten Preise
ausgezeichnet und nach dem Vorschlag des Geheimen Regierungs—
rates und Professors Raschdorff in Berlin zur Ausführung
Architekt Heinrich Güth.
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gewählt. Am 3. September 1894 wurde mit den Erdarbeiten
begonnen und am 21. April, dem Sonntag Quasimodogeniti
1895 um 3 Uhr nachmittags feierlich der Grundstein, der in einer
kupfernen Kapsel die Gründungs-Urkunde enthält, an der Stelle
gelegt, wo sich jetzt die Kanzel erhebt. Die gottesdienstliche
Handlung leiteten die Pfarrer Ilse und Lichnock. Die
Einweihung der Kirche sollte am Johannistag (24. Juni) 1898
stattfinden, aber wegen der auf diesen Tag festgesetzten Stichwahl
zum Deutschen Reichstag mußte die Feier auf den 6. Juli ver⸗
schoben werden. Am Vorabend und am Morgen des festlichen
Tages wurde das Fest mit allen Glocken eingeläutet und um
6 Uhr morgens Choräle von der Turmgalerie geblasen. Um
91)0. Uhr ordnete sich der Festzug an der alten Kirche und setzte
sich gegen 10 Uhr nach der neuen Kirche in Bewegung. Den Zug
eröffneten die Konfirmanden und Kofirmandinnen mit den evangelischen
Lehrern und Lehrerinnen, dann folgte der Kirchenchor, eine Musik—
Kapelle, das Presbyterium, die Baukommission und die größere
Gemeinde⸗Vertretung, der Baumeister, die Bauführer, Unternehmer
und Meister, die Geistlichen, die Ehrengäste, die Stadtwerordneten,
der evangelische Arbeiter-Verein, der evangelische Männer- und
Jünglingsverein und die übrigen Gemeindemitglieder.
Am Portal der Kirche übergab der Baumeister Güth den
Kirchenschlüssel dem Generalsuperintendenten Umbeck, der die Kirche
durch den Pfarrer Ilse öffnen liefz. Die Feier in der Kirche
begann mit Orgelspiel, dann sang der Kirchenchor die Motette
von Silcher „Wie heilig ist diese Stätte“. Daran schloß sich die
Weiherede und die Weihehandlung des Generalsuperintendenten und
nach einem abermaligen Gesang des Kirchenchors „Singet dem
Herrn ein neues Lied“ eine Ansprache des stellvertretenden Vor—
sitzenden der Rheinischen Provinzialsynode, des Superintendenten
Schürmann aus Mörs. Nach dem Gesang der Gemeinde „Jehova,
Deinem Namen“ hielt der Superintendent der Synode St. Johann,
Pfarrer de Wyl, die Lithurgie, an die sich der Gesang der Gemeinde
„O heil'ger Geist, kehr bei uns ein“ anschloß. Dann folgte die
Festpredigt des Pfarrers Lichnock, der Gesang des Kirchenchors
aus dem Oratorium „Paulus“ von Mendelssohn „Wie lieblich
14*
212 —
Evangelische St. Johanniskirche.
213 —
sind die Boten, die den Frieden verkündigen“. Pfarrer Ilse hielt
die Schlußliturgie, dann sang die Gemeinde stehend unter Glocken⸗
klang und Posaunenschall „Nun danket alle Got!“ Um 2 Uhr
fand ein Festmahl in dem Saal der städtischen Turnhalle und um
8 Uhr abends eine Nachfeier im Saale des „Tivoli“ mit Gesängen
und Ansprachen statt.
Die Johanniskirche ist im gotischen Stil gebaut und wird
von dem schlanken 74 Meter hohen Turm überragt, der vier von
K. F. Ulrich in Apolda aus französischem Kanonenerz gegossene,
nach dem Kaiser, der Kaiserin, dem Fürsten Bismarck und
dem heiligen Johannes benannte Glocken erhielt. Über der
Vierung erhebt sich der kleinere Dachreiterturm. Die Längenachse
der Kirche fällt mit der Achse der Kaiserstraße zusammen, so daß
von dieser aus sich ein schöner Ausblick auf die Kirche bietet.
Die Kirche ist nicht genau orientiert, sondern der Chor ist nach
Südosten gerichtet. Vor dem Hauptportal steht zur Linken die
lebensgroße Bildsäule Johannes des Täufers, der das Lamm
Gottes auf dem Arm trägt, zur Rechten der Bischof Arnulf von
Metz (612-627) als Gründer der St. Johanniskapelle. Doch
liegt hier eine Verwechselung mit dem Vorgänger Arnulfs, dem
heiligen Arnualdus, vor. Unter der Gestalt befindet sich das Bild
eines Fisches, der einen Ring im Maule hält, eine Anspielung
auf eine von Arnulf erzählte Legende, die einen ähnlichen Inhalt
wie Schillers Ballade, Der Ring des Polykrates“ hat. Über dem
Portal steht eine Christusgestalt mit einladender Gebärde, ein
Geschenk des Herrn Justus Arnold. In der Vorhalle waren
zur Linken zwei Bronzetafeln angebracht. Auf der einen stehen
die Namen der evangelischen Pfarrer von St. Johann mit einigen
auf die Geschichte der Gemeinde bezüglichen Nachrichten, auf der
andern die Namen der damaligen Mitglieder des Presbyteriums,
der Baukommission, des Baumeisters, der Bauführer und der am
Bau beschäftigt gewesenen Künstler und Handwerker. Diese Tafeln
befinden sich jetzt im Innern der Kirche; an ihrer Stelle befindet
sich jetzt eine Ehrentafel mit den Namen der im Weltkrieg
1914 — 1918 gefallenen evangelischen Gemeindemitglieder von
St. Johann. In der Rosette über dem äußeren Eingang ist
—14
Gedenktafel in der Johanniskirche.
215 —
das Bild des guten Hirten angebracht, eine Stiftung des Herrn
Gustav Bruch (f 7. Januar 1899). In der Südostecke der
Halle sieht man den Porträtkopf des Erbauers der Kirche
Heinrich Güth.
Die innere Eingangstür führt uns in die hochgewölbte
weite Kirchenhalle. Vor uns, im Chorraum, sehen wir die von der
Firma Voit & Söhne in Durlach erbaute Orgel in ihrem prächtigen
Gehäuse, das von zwei Posaunen blasenden Engeln, einem Tiroler
Kunstschnitzwerk, gekrönt ist. Die Orgel, welche 30 klingende
Register mit mehr als 2000 Pfeifen enthält, wird durch einen
elektrischen Motor angetrieben.
Unter der Orgelempore befindet sich der auf zwei schwarzen
Marmorsäulen ruhende Altar, der von der Familie Gustav
Schmoll gestiftet ist. Zwischen diesen Säulen sehen wir das Bild
des guten Hirten, in dem dreieckigen Altaraufsatz, der von Fialen
umgeben und mit einem Kreuz gekrönt ist, das symbolische Lamm
Gottes. Die silbernen vergoldeten Altarleuchter sind von dem
St. Johanner Goldschmied Thomas Brems verfertigt und von
Herrn J. H. Müller gestiftet. Die schöne Altarbibel ist ein Geschenk
des Beigeordneten Okonomierats August Klein (5 1921).
Die Kanzel, eine Stistung der Familie Karcher, ruht auf einem
von 6 rotgelben Marmorsäulen umgebenen Sockel. In die Brüstung
sind die Brustbilder von vier Vertretern christlicher Beredsamkeit
eingelassen: der Apostel Paulus, der Kirchenvater Augustinus, Dr.
Luther und Geiler von Kaisersberg. Die große Kanzelbibel ist
ein Geschenk von Herrn Karl Lohmeyer. Der Kanzel gegenüber
befindet sich der Taufstein, eine Stiftung der Frau Joh. Deeß.
Die von Herrn Ernst Schubert geschenkte bronzene im Innern
versilberte und vergoldete Taufschüssel zeigt in getriebener Arbeit
die Taufe Jesu. Neben dem Taufstein steht das von den Fräulein
Luise und Berta Bruch gestiftete Lesepult, ein schönes Erzeugnis
der Schmiedekunst, in dem die St. Johanner Rose zu einem
Blumenkorb verarbeitet ist. Der schmiedeeiserne Taufkannenständer
ist ein Geschenk von Herrn Karl Knipper junior. Die von
Gabriel Hermeling in Köln verfertigte Abendmahlskanne nebst
Kelch und Brotteller ist von der Familie Theodor Sehmer,
2116 —
Inneres der Johanniskirche.
217 —
Kanzel in der Johanniskirche.
218 —
die von Thomas Brems gearbeitete Taufkanne und Hostien⸗
dose von den Herren K. Knipper senior und junior geschenkt.
In der unter der Orgelempore liegenden Sakristei sind auf
dem dreiteiligen Fenster die Bilder Luthers, Melanchthons und
Calvins zu sehen, auf dem einteiligen Fenster ist der segnende
Christus dargestellt. Die vier Bilder sind eine Stiftung der
Familie Adolf Doermer, der in Eichenholz geschnitzte Altar ist
ein Geschentk des Herrn W. Wüllenweber. Hier stehen die
Modelle der Bildsäulen des Petrus und Johannes, die in der
Größe von 2,10 Metern auf dem Südgiebel des Querschiffs neben
dem Kreuz stehen. Dort hängt auch die künstlerisch ausgeführte
Urkunde über die Einweihung der Kirche am 6. Juli 1898.
Die Altarbekleidungen sind von Frau Ledig in Malstatt gestickt
und von Frau Pabst, geb. Mühlhaus, Frau Otto Mügel,
Herrn Gustav Ottensmeier und der Familie Daniel Rausch
gestiftet. Die kupfernen Opferbüchsen sind von Gaben der Fräulein
Helene Hartung und Ida Karcher, eine Anzahl Bücher und
sonstige Gebrauchsgegenstände von den Erben der Frau Martens
und des Herrn K. Michler beschafft.
Die Ausmalung der Kirche ist von Valentin Martin ent—
worfen und von den Dekorationsmalern Ledig und Rauh, die
Ausmalung der Sakristei, der Vorhalle und der Treppentürme
von Chr. Woytt junior ausgeführt.
Die Fenster des Querschiffs und des Chors sind von Prof.
Linnemann in Frankfurt a. M. gemalt und gebrannt. Sie
enthalten wegen der Nähe der Orgel Beziehungen zur Musik:
Mirjam mit der Pauke, gestiftet von der Familie Fritz Francke,
und David mit der Harfe, gestiftet von Familie F. Reinhold.
Auf den Fenstern des nördlichen Armes des Querschiffes
sind die Geburt und die Taufe Jesu dargestellt. Das erstere Bild
ist von Kommerzienrat Emil Haldy und Frau, das letztere von
den Fräulein Julie und Ernestine Köhl gestiftet. In den kleinen
Fenstern unter der Empore ist die Arche Noah und der Hahn als Sinn⸗
bild der Wachsamkeit dargestellt. Das erste Bild ist von Fräulein
Luise Bruch, das andere von Herrn Ed. Brenner und Frau
219 —
geschenßkßt. Auf den Fenstern in dem südlichen Arm des Quer⸗
schiffes ist die Kreuzigung und die Auferstehung Jesu abgebildet.
Das Bild „Kreuzigung“ ist von Frau Lina Pabst geb.
Hartung, die „Auferstehung“ ist von den Familien Georg und
Fritz Heckel gestiftet. Das kleinere Bild, „Der Pelikan“ als
Symbol der christlichen Liebe, ist von der Familie Hermann
Willing, das „Lamm Gottes“ von den Konfirmanden, die
Palme von Herrn L. Silbereisen und der „Phoenix“ von
Herrn und Frau F. Westmeier geschenkt. Die kleinen Fenster
im südlichen Seitengange stellen die vier großen Propheten und
die vier Evangelisten dar. Die Bilder der ersteren sind von
Herrn F. Korn, Familie Chr. Burgemeister, Herrn H. Hafner
und den Familien Wack und K. Hartung, die letzteren von
Herrn Ed. Knipper, Herrn H. Güth senior und Frau, Herrn
und Frau David Wüllenweber und Frl. Lina Lucas gestiftet.
Der nördliche Seitengang enthält folgende Bilder aus dem alten
Testament: Der Sündenfall, gestiftet von der Familie Konrad
Mehl, Abrahams Verheißung, gestiftet von Herrn und Frau
L. H. Schmidt, Jakobs Traum, geschenkt von Herrn und Frau
F. Wildberger, Moses mit den Gesetzestafeln, Stiftung von
Herrn und Frau Chr. Kiefer, David mit der Harfe, geschenkt
von Herrn und Frau K. Jacob, David und Nathan, gestiftet
von der Familie F. Dill, Elias und die Witwe zu Zarpath,
geschentt von den Herren Gebr. Krämer und Purper und
Johannes der Täufer, gestiftet von dem evangel. Arbeiter-Verein.
Die großen Fenster des Langschiffes zunächst der Vierung im Süden
zeigen unter einem reich verzierten Baldachin Luther und Melanchthon,
gestiftet von Herrn Kommerzienrat Karl Roth und Frau, im
Norden Calvin und Zwingli, gewidmet von Herrn Oskar Neu—
fang und Frau. Beide Fenster sind von W. Schell in Offen—
burg angefertigt, die sechs übrigen Fenster des Langschiffs, die
ein mildes hellbraunes Licht in die Kirche werfen, sind von der
Firma Adolf Wagner in Mariannental (Schnappach) geliefert
worden. Die Stifter sind Herr K. Till in Sulzbach, Herr und
Frau K. Schultheiß, Familie Peter Wildberger, Herr und
Frau Heinrich Lampert, Herr und Frau Gustav Eglinger
220 —
und Herr Ludwig Heinrich Röchling. Die kleinen Fenster
und die Schlußsteine des Gewölbes sind mit symbolischen Bildern,
Wappen und Sprüchen verziert. Die mit eingeschnitzten Rosen
(Wappen der Stadt St. Johann) und Lilien (Sinnbild der
Reinheit) verzierten Kirchenbänke bieten über 1200 Sitzplätze.
Die Kirche wird durch drei elektrische Bogenlampen inmitten viel—
farbiger Kronen und zahlreiche Glühlampen erleuchtet.
Auch der Humor kommt in den unter der Turmgalerie an—⸗
gebrachten Gestalten einer Frau mit dem Hausschlüssel und eines
Mannes mit wehmütigem Antlitz und drohender Geberde zu seinem
Rechte. Außer diesen Gestalten sind nach der Kaiserstraße zu ein
Wächter und ein Schildknappe, nach Dudweiler zu ein Bergmann
und ein Hüttenmann und nach der Hauptpost zu ein Steinmetz
und ein Zimmermann an den Ecken der Turmgalerie angebracht.
Die Gesamtkosten des Baues und des Bauplatzes beliefen sich
auf 560000 Mark. Die Kirche ist ein schönes künstlerisches
Bauwerk, das dem Baumeister wie dem heimischen Gewerbe alle
Ehre macht, zugleich ein Denkmal evangelischer Frömmigkeit und
opferfreudigen Bürgersinnes. Rasenplätze mit Blumenbeeten ziehen
sich um das Gotteshaus und bilden für das Auge einen ange—
nehmen Gegensatz zu dem ernsten Kirchenbau.
Der dritte hervorragende Bau dieses Stadtviertels ist das
Haupt-Postamt, welches der Johanniskirche gegenüber die
Ecke der Dudweiler- und Stephanstraße bildet. Da die Post⸗
annahmestelle in der Fürstenstraße schon längst dem Zeitbedürfnis
nicht mehr genũgte, so knüpfte die Reichspostverwaltung im Jahre 1896
Verhandlungen mit der Stadt über den Bau eines Mietpostgebäudes
an, die 1898 zum Abschluß kamen. Nachdem der Rohbau im
Jahre 1899 nach dem Plane des Stadtbaumeisters Franz
vollendet worden war, konnte das neue Postamt gleichzeitig mit
dem Rathause seiner Bestimmung übergeben werden. Das in den
Formen des Barockstiles aus rotem Kaiserslauterner Sandstein
mit einem Aufwand von 400000 Mark ausgeführte Gebäude ist
mit reicher Steinhauerarbeit geschmückt, die jedoch die einfachen
und schönen Verhältnisse des Baues keineswegs verdeckt. An den
beiden Frontseiten sind die Wappen der deutschen Bundesstaaten,
241 —
Das Haupt-Postamt in St. Johann.
299
soweit sie damals zum Reichspostverbande gehörten, angebracht.
Über dem Hauptportal erhebt sich die schöne Kuppel, welche als
Abspanngerüst der Telegraphen- und Telephonleitungen dient
und 600 Drähte trägt, aber für die doppelte Anzahl eingerichtet ist.
An allen diesen Bauten hat sich das einheimische Kunsthandwerk
in hervorragender Weise betätigt.
So wenig sich die Bürgerschaft von St. Johann dem Fortschritt
verschliefzt, so hängt sie doch noch treu an dem Althergebrachten,
wie der alljährliche Bannbegang beweist, der nach längerer Unter—
brechung jetzt wieder aufgenommen worden ist. Um den Nachteilen
der großstädtischen Entwickelung zu begegnen, durch welche im Jahre
1903 auch die Errichtung einer Königlichen Polizeidirektion
in Saarbrücken herbeigeführt wurde, hat die städtische Verwaltung
von St. Johann einen unentgeltlichen Arbeilsnachweis ein—
gerichtet.
Als Beweis der Dankbarkeit gegen das preußjische Herrscher—
haus und besonders gegen den ersten Kaiser des neuen deutschen
Reiches haben beide Städte auf der alten Brücke das Denkmal
Kaiser Wilhelms J. errichten lassen. Dieser Plan reicht bis
ins Jahr 1888 zurück. Als der alte Kaiser entschlummert war,
regte sich auch hier der Wunsch, den geliebten Herrscher im Bilde
der Nachwelt zu überliefern. In demselben Jahre beschloß man
auf einer Versammlung im „Tivoli“ zu St. Johann, zu diesem
Zwecke einen Aufruf an die Bürgerschaft zu erlassen. Aber wenn
auch die Gaben zunächst reichlich einliefen, so stellten sich der Absicht
doch solche Hindernisse in den Weg, daß sie vorerst nicht ausgeführt
werden konnte. Die Angelegenheit kam dann wieder in Fluß,
als der Ingenieur Friedrich Rexroth die Summe von
20000 Mark fur ein von beiden Städten gemeinsam zu errichtendes
Denkmal Kaiser Wilhelms zur Verfügung stellte. Daraufhin erhielt
der Plan immer mehr greifbare Gestalt, zumal da sich die Städte
seiner mit Eifer annahmen.
Die Frage, welcher Platz dem gemeinsamen Denkmal anzu⸗
weisen sei, war nicht leicht zu lösen; man einigte sich auf die alte
Brücke, über die im Jahre 1870 König Wilhelm und seine Truppen
ins feindliche Land gezogen waren. Nun galt es, durch einen
223 —
Kaiser Wilhelm-Denkmal auf der alten Brücke.
Ausbau den nötigen Raum für eine würdige Aufstellung des
Denkmals zu schaffen. Hier stiefz man auf unvorhergesehene
Schwierigkeiten. Der Untergrund konnte erst nach mühsamer
Arbeit, und nachdem Taucher zu Hülfe gezogen waren, hergerichlet
werden. Vom März bis zum November des Jahre 1903 dauerten
die Arbeiten. Der Ausbau nahm in einer Breite von 17,5 Metern
und einer Tiefe von 8,4 Metern das Denkmal auf und bietet
noch genügend Raum, es zu umgehen. Die Kosten beliefen sich
auf 140000 Mark, die, abgesehen von dem Beitrage des Herrn
Rexroth und einem namhaften Beitrag des Geheimrats Karl
Röchling, auf beide Städte verteilt wurden.
Der Entwurf zum Denkmal stammt von Adolf Donndorf,
demselben Meister, der auch das Standbild des Fürsten Bismarck
auf dem Schloßplatz zu Saarbrücken geschaffen hat.
Zur großen Freude der Einwohnerschaft folgten Kaiser
Wilhelm II. und die Kaiserin Auguste Viktoria der Einladung
zu der Einweihung des Denkmals. Am 14. Mai 1904 nach⸗
mittags 4 Uhr kamen der Kaiser und die Kaiserin in Begleitung
der elfjährigen Prinzessin Viktoria Luise von Metz in Saarbrücken
an. Auf dem reichgeschmückten Bahnhofe wurden die Majestäten
von dem kommandierenden General von Deines, dem Ober—
präsidenten von Nasse, dem Regierungspräsidenten Bake und
dem Landrat Bötticher empfangen. Während die Prinzessin
in dem Hofzug zurückblieb, bestiegen die Majestäten den vierspännigen
Wagen und fuhren, geleitet von je einer Schwadron des 7.
Dragonerregiments und des 7. Ulanenregiments, durch die im fest—
lichen Schmucke prangenden Straßen (Reichsstraßze, Bahnhofstraße
und Dudweiler Straße), in denen 10000 Bergknappen Spalier
bildeten und eine gewaltige Menschenmenge den hohen Gästen zu⸗
jubelte, zu dem Rathause in St. Johann. Auf dem Rathausplatze
standen 3000 Mitglieder von Kriegervereinen, und der Vorsitzende
des Kreiskriegerverbandes, Geheimer Bergrat Hilger, stattete den
Frontrapport ab. Dann wurde das Kaiserpaar am Eingange des
Rathauses von Bürgermeister Dr. Neff und seiner Gemahlin be⸗
grüßt; die letztere überreichte der Kaiserin einen Strauß von roten
225 —
und weißen Rosen, welche die Stadtfarben von St. Johann dar—⸗
stellten. Im Rathaussaal hielt Dr. Neff eine Ansprache an das
Kaiserpaar und bot dem Kaiser den Ehrentrunk in edlem Saar—
wein. Der Kaiser nahm den Pokal, sprach seine Freude und
seinen Dank über den schönen Empfang aus, bei dem ihn besonders
der Anblick der Bergleute und der alten Krieger erfreut habe,
und leerte den Becher auf das Wohl der Stadt St. Johann, in⸗
dem er die Hoffnung aussprach, daß auch das kommende Ge—
schlecht alle Zeit für Kaiser und Vaterland bereit sein werde.
Dann ließ er sich die Rathausbilder erklären und die Stadtver—
ordneten vorstellen, sprach den Ehrenbürger der Stadt St. Johann,
Oberpfarrer Ilse, und den Beigeordneten Klein, einen Kämpfer
von Sedan, an und zeichnete sich mit seiner Gemahlin in das
Goldene Buch der Stadt St. Johann ein. Darauf bewegte sich
der Zug nach der alten Brücke, wo er von den städtischen Ver—
tretungen und den Ehrengästen erwartet wurde. Der Kaiser ver⸗
ließ vor der Brücke den Wagen und schritt die Front der dort
aufgestellten Ehrenkompagnie des 70. Infanterie-Regiments ab,
die Kaiserin fuhr im Wagen bis zu dem in der Mitte der Brücke
dem Denkmal gegenüber errichteten Pavillon. Ein Chor von
600 Sängern unter Leitung des Musikdirektors Scholz stimmte
die von dem Chorleiter in Musik gesetzte Hohenzollernhymne
„Neéc soli cedit“ (Nicht weicht der Sonne der Zollernaar) an.
Nachdem der Gesang beendet war, trat Bürgermeister Feldmann
vor und hielt die Begrüßungsansprache, in welcher er zunächst der
großartigen Entwicklung gedachte, die das Saargebiet unter dem
Szepter der Hohenzollern genommen habe, dann die Dankbarkeit
hervorhob, von der die Bewohner gegen Kaiser Wilhelm J. beseelt
seien, weil er die Zugehörigkeit ihres Landes zum Deutschen Reiche
für immer gesichert habe, und schließlich das Denkmal als eine
Mahnung zur Treue gegen Kaiser und Reich bezeichnete. Auf
die Bitte des Bürgermeisters gab der Kaiser das Zeichen zur
Enthüllung des Denkmals, indes die Kanonen vom Winterberg
herabdonnerten. Darauf besichtigte der Kaiser das Denkmal, zog
einige Ehrengäste, besonders den Künstler Donndorf, ins Gespräch
und wünschte von dem Chor auch ein Volkslied zu hören, worauf
15
223 —
dieser das Lied „Ein Sträußel am Hute“ vortrug. Dann erfolgte
der Parademarsch der ganzen Garnison vor dem obersten Kriegs—
herrn, der am Fuße des Denkmals stand, und schließlich besuchten
die Majestäten das Saarbrücker Rathaus, wo das Stadtverord—
neten-Kollegium, die Pfarrer, die Diakonissen und die Vorstands—
damen des Saarbrücker Frauenvereins versammelt waren. Die
Tochter des Bürgermeisters, Toni Feldmann, begrüßte mit einigen
von Frl. Alwine Lentze verfaßten Versen „die Höchste unter
Deutschlands Frauen“, die Tochter des Stadtverordneten Rahfeld
überreichte der Kaiserin einen Strauß von Marschall NiebRosen,
Frl. Gertrud Ebeling dem Kaiser einen Strauß von lila Orchideen.
Ein für die Prinzessin bestimmter Rosenstrauß wurde ihr von den
jungen Mädchen an den Bahnhof gebracht. Darauf hielt Bürger⸗
meister Feldmann eine Ansprache, in welcher er den Kaiser als
den Hüter des Friedens und der nationalen Wohlfahrt pries,
worauf der Kaiser dankte und, auf die Geschichte der Grenzstadt
Saarbrücken hinweisend, seinen festen Willen betonte, den Frieden
zu wahren, sofern nicht frecher Übermut ihn herausfordere.
Dann unterhielt sich das Kaiserpaar mit einzelnen Herren
und Damen, ließ sich die historischen Gemälde erklären und zeichnete
sich auch hier in das Goldene Buch der Stadt ein. Die Rückfahrt
zum Bahnhofe erfolgte unter den Jubelrufen der Bevölkerung.
Beim Abschied sprach der Kaiser dem Landrat Bötticher seinen
wärmsten Dank für die herzliche Aufnahme in den Saarstädten
aus. Abends fand ein Festmahl der Ehrengäste und der Vertreter
der Bürgerschaft im Zivilkasino statt. Diese Feier war eine glück—
liche Vorbedeutung für die Zukunft, da sie von den beiden Städten
in einmütigem Sinne veranstaltet worden war.
Die beiden Städte hatten sich in erfreulicher Weise entwickelt.
Die Verheißung, die Georg Hans, Pfalzgraf zu Veldenz und
Lützelstein, im Jahre 1591 aussprach, daß Saarbrücken eine
„gewaltige Kaufstadt“ werden sollte, war in Erfüllung gegangen.
Gewerbe und Handel in unseren Städten standen in großer Blüte,
und neben den materiellen Gütern waren auch die geistigen Interessen
zur Werischätzung gelangt. Eine arbeitsame und patriotische Be—⸗
völkerung verbürgte das fernere Gedeihen der Städte.
Mittlerweile aber war neben den beiden Städten eine dritte
emporgewachsen, die sich an die älteren Schwestern dicht angeschlossen
hatte, die Stadt Malstatt-Burbach. Damit stand die städtische
Entwicklung vor einer neuen Frage.
15. Die Vereinigung der drei Saarstädte.
Der Gedanke, daß die so eng miteinander verwachsenen Saar—
städte ihre Interessen am besten fördern könnten, wenn sie unter
einer Verwaltung vereinigt würden, lebte schon lange in der
Bürgerschaft der drei Städte, doch es war auch bekannt, daß
besonders in Saarbrücken und St. Johann einflußreiche Kreise der
Vereinigung widerstrebten, durch die sie das Interesse ihrer eigenen
Stadt gefährdet glaubten. Andererseits traten an die Städte
wichtige wirtschaftliche und kulturelle Aufgaben heran, welche zu
bewältigen die einzelnen Städte nicht imstande waren, so die Kanali—
sation und die Klärung der Abwässer, die Großkanalisierung der
Saar und der Bau eines Industriehafens, die Aufstellung eines
einheitlichen Bebauungsplanes, der Bau weiterer Brücken über die
Saar, die einheitliche Versorgung der Städte mit Wasser, Gas
und Elektrizität, die Errichtung eines den modernen Anforderungen
genügenden Schlacht und Viehhofes, die Gründung einer dritten
höheren Knabenschule, die von der Regierung als eine Pflicht der
Städte bezeichnet wurde, der Bau eines Theaters u. a.
Den Anstoß zu ernster Erwägung dieser Frage gab der
Umstand, daß die Stadt Malstatt-Burbach nahezu 40000
Einwohner zählte und demnach in absehbarer Zeit berechtigt war,
ihr Ausscheiden aus dem Landkreise Saarbrücken und die Bildung
eines eigenen Stadtkreises Malstatt-Burbach zu beantragen. In
diesem Falle hätten die Städte Saarbrücken und St. Johann allein
15*
—
die Kreisabgaben aufbringen müssen und wären vor der zur Großstadt
entwickelten jüngsten Schwester wenigstens nach außen jurück—
getreten. In der Erkentnis, daß ein solches Vorgehen dem ge—
meinsamen Interesse der drei Städten nicht entspreche, faßte die
Stadtverordneten-Versammlung von Malstatt-Burbach am
1. August 1905 den Beschluß, bei der Stadt St. Johann anzu—
fragen, ob sie bereit sei, mit der Stadt Malstatt-Burbach über die
Frage der Vereinigung der zwei Städte auf dem rechten Saarufer,
eventuell unter Einbeziehung der Stadt Saarbrücken, zu verhandeln.
An die Stadt Saarbrücken erging keine Anfrage, weil es bekannt
war, daßz Bürgermeister Feldmann aus Besorgnis vor der
Steigerung der Schul- und Armenlasten sich wiederholt gegen die
Vereinigung Saarbrückens mit Malstatt-Burbach ausgesprochen
hatte.
Die Anfrage von Malstatt-Burbach wurde durch den Landrat
Bötticher, der seit dem Jahre 1904 den Kreis Saarbrücken
verwaltete, lebhaft unterstützt. Dieser richtete am 23. Oktober 1905
ein Schreiben an die Bürgermeister der drei Städte, in welchem
er die Vereinigung dringend empfahl.
Trotz dieser warmen Fürsprache lehnte die Stadtverordneten⸗
Versammlung von St. Johann in der geheimen Sitzung vom
9. November 1905 mit 14 gegen 9 Stimmen (unter den letzteren die
des Bürgermeisters) aus grundsätzlichen Bedenken ab, zur Zeit in
nähere Verhandlungen über den Antrag der Stadt Malstatt-Bur—
bach einzutreten. Die Bedenken lagen wohl ausschließlich auf
finanziellem Gebiet; die Mehrheit der Stadtverordneten von St.
Johann befürchtete von der Vereinigung eine stärkere Steuer—
belastung der Bürgerschaft. Eine beifällige Aufnahme fand der
Vereinigungsgedanke bei der Eisenbahndirektion, den Justizbehörden
und bei der Kgl. Bergwerksdirektion, die auch nach der Verlegung
nach St. Johann die alte Bezeichnung „Kgl. Bergwerksdirektion
Saarbrücken“ beibehalten hatte und besonders die Vereinigung der
drei Postämter wünschte. Auf besonders günstigen Boden aber
fiel der Gedanke bei der Handelskammer Saarbrücken, welcher
der Landrat Bötticher ebenso wie den Behörden sein Schreiben
an die Städte zur Kenntnisnahme und Äußerung übersandt hatte.
229
Diese Körperschaft faßte nach eingehender Beratung am
21. November 1905 folgenden Beschluß:
Die Handelskammer Saarbrücken hält die baldige Vereinigung
der drei Saarstädte zu einem einzigen städtischen Gemeinwesen unter
dem alten geschichtlichen Namen Saarbrücken vom wirischaft—
lichen, sozialen und Verkehrsgesichtspunkte aus für eine dringende
Notwendigkeit und spricht sich daher mit allem Nachdrucke für
sie aus.“
Wenn auch dieser Beschluß keine zwingende Kraft hatte, so
verschwand doch diese Frage nicht mehr aus der öffentlichen
Erörterung, sondern wurde in der Presse und in Versammlungen
lebhaft und zwar meistens zustimmend besprochen. Ein energischer
Vorkämpfer der Vereinigung war der Syndikus der Handelskammer
Dr. Tille. Bald erschien ein Aufruf zur Gründung eines Vereins
zur Vereinigung der Saarstädte. Am 28. Oktober 1906
wurde im „Tannhäuser“ zu St. Johann die erste Versammlung
dieses Vereins abgehalten, in der Landrat Bötticher den Vorsitz
führie, Dr. Tille über die wirtschaftliche Stellung der Saarstãdte
in Südwestdeutschland, Direktor Tormin über die Ersparnisse der
Städte durch die Vereinigung ihrer Betriebswerke, Architekt
Weszkalnys über die wirtschaftlichen Aufgaben und Professor
Ruppersberg über die Kulturaufgaben der Saarstädte sprach. Der
Verein zählte anfangs 770, nach Jahresfrist 1053 Mitglieder
(434 in Saarbrücken, 408 in St. Johann und 211 in Malstatt⸗
Burbach). Die Versammlung beschloß, die Stadwerordnetenkollegien
der drei Saarstädte zu bitten, dieselben möchten an die Kgl. Staats—
regierung den Antrag auf Ernennung eines Kgl. Beamten richten,
welcher die Vermögens- Schuld⸗ und Einkommensverhältnisse der
drei Saarstädte feststellen und einen öffentlichen Bericht darüber
erstatten sollte.
Darauf wurde von den drei Stadtverordneten⸗Versammlungen
der Beschluß gefaßzt: „Zur Beseitigung der in der Bürgerschaft
verbreiteten falschen Zahlen und Gerüchte über die Vermögens- und
Schuldverhältnisse der drei Städte den Herrn Regierungspräsidenten
zu Trier zu bitten, einen Königlichen Beamien als Kommissar zu
ernennen, der in Gemeinschaft mit einer Kommission von je drei
230 —
Stadwerordneten aus den drei Städten die von den Gemeinde—
Vertretungen aufzustellenden Verzeichnisse ihrer Vermögens⸗, Schuld⸗
und Einkommensverhältnisse prüfen und begutachten sollte“,
in St. Johann mit dem Zusatz: „alles dies jedoch unter
dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß durch diesen Beschluß zur Ver—
einigungsfrage der drei Städte in keiner Weise Stellung genommen,
und daß dem zu erstattenden Gutachten des Regierungskommissars
eine weitere als lediglich zur Aufklärung dienende Bedeutung nicht
beigelegt werden solle.“
Daraufhin wurde von dem Regierungspräsidenten der damalige
Kommunaldezernent Dr. Schmidt mit der Leitung der Verhand—
lungen beauftragt, und von den drei Stadtverwaltungen wurden
ausführliche Nachweise über ihre Vermögensverhältnisse dem
Regierungskommissar zur Prüfung übersandt. Da jedoch Dr. Schmidt
bald in ein anderes Amt versetzt wurde, so kam es zu keinem end⸗
gültigen Gutachten über diese schwierigen Fragen; immerhin trug
die Zusammenstellung des Materials wesentlich zur Klärung der
Frage der Vereinigung bei. Nachdem endlich die Stadtverordneten
von St. Johann am 7. November 1907 grundsätzlich ihr Ein—
verständnis zur Vereinigung der Saarstädte erklärt hatten, begannen
am 23. Januar 1908 die Verhandlungen der Vereinigungs—
kommission. Diese Kommission hielt bis zum 1. Dezember 1908
teils in voller Besetzung, teils in einer besonderen Unterkommission
zur Prüfung der Vermögensverhältnisse der städtischen Betriebswerke
14 Sitzungen ab, in denen nach eingehender Prüfung der vor—⸗
gelegten Unterlagen die Bedingungen, unter denen die Vereinigung
den drei Stadtverordnetenversammlungen empfohlen werden sollte,
beraten wurden. Als die Beratungen bei der genauen Erörterung
der städtischen Vermögenswerte sich in die Länge zogen, stiellte ein
Stadwerordneter von Saarbrücken, Theodor Vogel, den Antrag,
daß man den Regierungspräsidenten Dr. Baltz zu Trier einladen
möge, die Verhandlungen zu leiten. Nachdem dieser Antrag an⸗
genommen war und der Regierungspräsident sich bereit erklärt
hatte, gelang es dessen geschickter Vermittlung, die Verhandlungen
zu einem gedeihlichen Ende zu führen. So kam der Ver—
einigungsvertrag zustande, der, nachdem die einzelnen
231 —
Stadtwerordneten-Kollegien ihre Zustimmung gegeben hatten, am
5. Dezember d. J. 1908 in einer gemeinsamen Sitzung der drei
Stadtverordnetenversammlungen im Festsaale des Rathauses zu
St. Johann endgültig angenommen wurde. In dieser denk—
würdigen Sitzung wurden folgende Beschlüsse gefaßt:
Die 3 Städte Saarbrücken, St. Johann und
Malstatt-Burbach werden zu einer einzigen Stadt—
gemeinde unter dem Namen „Saarbrücken“ vereinigt.
Der Sitz der Verwaltung ist der Stadtbezirk
St. Johann. In Malstatt-Burbach verbleiben ein Standesamt,
eine oder mehrere Steuerannahmestellen, eine Abfertigungsstelle für
Steuerveranlagung, Krankenkassen, Invaliditätssachen u. a. In Saar—
brücken sollen ein Standesamt und eine Steuerannahmestelle verbleiben.
Das Vermögen wird mit Ausnahme des Stiftungsver—
mögens vereinigt. An demselben haben, soweit dieser Vertrag nicht
ein anderes bestimmt, alle Einwohner dieselben Rechte und Pflichten.
Aus dem Walde von St. Johann und dem Erlöse für ver—
äußertes Waldgelände einschließzlich des bereits von der Stadt
St. Johann vereinnahmten Erlöses aus dem Verkauf von Wald—
besitz wird eine besondere Vermögensmasse gebildet, die getrennt
verwaltet, und über deren Einnahmen und Ausgaben getrennt
Rechnung geführt wird. Der Reinertrag dieser Vermögensmasse
soll ausschließlich zum Nutzen, insbesondere zur sozialen und wirt—
schaftlichen Förderung der Einwohner von St. Johann verwendet
werden. Der in einem Jahre nicht verwendete Reinertrag kann
auf die nächsten Jahre übertragen werden. Diese Vermögensmasse
wird von einer außer dem gesetzlichen Vorsitzenden aus sechs Mit—
gliedern bestehenden städtischen Deputation verwaltet.
Für den der Stadt Saarbrücken gehörigen Wald gelten die
Bestimmungen des 8 4 in sinngemäßer Anwendung.
Für die Stadt Malstatt-Burbach gilt das Gleiche in Bezug
auf den Stadtpark Ludwigsberg.
Die drei Stadtbezirke bilden in Zukunft besondere Wahl—
bezirke der vereinigten Stadt. Jeder Wahlbezirk wählt aus seinen
Einwohnern die gleiche Anzahl von Stadtverordneten. Verlegt
ein Stadtverordneter seinen Wohnsitz in einen anderen Stadtbezirk,
so erlischt sein Stadtverordneten-Mandat.
Ebenso wird jedem Bejirk die gleiche Anzahl von unbesoldeten
Beigeordneten entnommen.
Für jeden Bezirk beträgt die Zahl der Stadtverordneten 15,
die der unbesoldeten Beigeordneten 2.
In dem Stadtausschuß. muß jeder Stadtbezirk vertreten
sein.
Die erstmalige Wahl der Stadtverordneten der vereinigten
Stadt erfolgt alsbald nach Veröffentlichung des Vereinigungsgesetzes
auf Grund der letzten berichtigten Listen der stimmfähigen Bürger.
Die neuen Stadwerordneten werden auf sechs Jahre gewählt.
Zur Deckung des durch Gemeinde-Einkommensteuer aufzu⸗
bringenden etatsmäßigen Bedarfs werden die Steuerpflichtigen der
vereinigten Stadt mit gleichen Prozentsätzen herangezogen. Dazu
werden im Stadtbezirk Saarbrücken in den ersten 10 Jahren 5000,
dann 2 Jahre lang 3712 90 und dann 3 Jahre lang 2500 vom
umlagefähigen Steuersoll erhoben.
Am 29. März 1909 erhielt der Vereinigungsvertrag durch
Königliche Verordnung mit Zustimmung der beiden Häuser des
Landtags Gesetzeskraft, und am 1. April 1909 konnte die neue
Verwaltung ins Leben treten.
Es war eine überaus wichtige Frage, wer an die leitende
Stelle treten sollte. Da zwischen den früheren Stadtverwaltungen
scharfe Gegensätze hervorgetreten waren, so einigte man sich dahin,
daß an die Spitze der neuen Großstadt auch neue Männer treten
sollten, die den Verhältnissen ganz unbefangen und unparteiisch
gegenübertreten könnten. So schieden denn außer Bürgermeister
Feldmann auch Bürgermeister Dr. Neff und Bürgermeister
Schmook aus. Die beiden ersteren traten in den Ruhestand und
erhielten für ihre Verdienste von Sr. Maj. dem König den Titel
Oberbürgermeister; Feldmann zog sich nach Freiburg i. B.,
Dr. Neff nach München zurück. Bürgermeister Schmook er—
hielt für seine Gehalts- und Pensionsansprüche eine Ablösungs—
summe und wurde zum Regierungsrat in Marienwerder ernannt.
2.
*3
Zum Bürgermeister der vereinigten Stadt Saarbrücken wurde
Herr Emil Mangold berufen, der, 1867 zu Wiesbaden geboren,
sich der juristischen Laufbahn gewidmet und bereits im Dienste
der Städte Wiesbaden und Düsseldorf, zuletzt als Erster Beigeord⸗
neter dieser Stadt, sich besonders auf dem Gebiete der städtischen
Finanzpolitik bewährt hatte. Er trat am 17. Juni 1909 sein
Amt an. Zum Ersten Beigeordneten wurde Herr Heinrich
Schlosser gewählt, geb. 1876 zu Gießen, ebenfalls juristisch ge⸗
bildet, seit 1902 Beigeordneter in Duisburg-Meiderich. Als zweiter
(technischer) Beigeordneter trat den Genannten Herr Rudolf
Hobohm zur Seite, geb. 1859 zu Schermke, der früher 5 Jahre
Stadtbauinspektor in Hannover und 10 Jahre Stadtbaurat in
Altona gewesen war. Der bald nachher gewählte Beigeordnete
R. Paehler fiel im Weltkrieg auf dem Felde der Ehre, ebenso
der Justiziar Dr. Greiner. Die Namen der gefallenen Beamten
und Angestellten sind im Rathaus auf einer Ehrentafel vor dem
Festsaal verzeichnet.
Das erste monumentale Zeichen der Städte-Vereinigung war
der Bau der Kaiser Friedrichbrücke, die im Zuge der
Dudweilerstrafze nach dem Saarbrücker Neumarkt angelegt wurde,
die erste Brücke, die von den Städten Saarbrücken und St. Johann
gemeinsam, und zwar noch vor der Vereinigung beschlossen worden
ist. Besonders erfreulich war es, daß der eiserne Überbau (Sichel⸗
bogen), der in einer Länge von 81,77 Metern ohne Pfeiler die
Saar überspannt, von der einheimischen Firma B. Seibert her⸗
gestellt werden konnte. Die Baukosten beliefen sich auf 375 000 Mark,
die Offenlegung und Anlegung der Zufahrtstrafzen auf 400000
Mark. Die Brücke wurde am 15. Dezember 1910 in Gegen—
wart des Oberpräsidenten Freiherrn von Rheinbaben und des
Regierungspräsidenten Dr. Baltz dem Verkehr übergeben. Eine
neue Verbindung im Ostoiertel wurde durch die im Zuge der
Paul⸗Marienstraße erbaute Bismarckbrücke geschaffen, die in
Eisenbeton mit Sandsteinverkleidung hergestellt und im Jahre 1915
dem Verkehr übergeben wurde.
Die vereinigte Stadt erhielt nun auch ein Wappen, das die
Symbole der drei Städte, den Löwen von Saarbrücken, die Rose
234 —
von St. Johann und Schlägel, Eisen und Zange von Malstatt⸗
Burbach vereinigte.
Von besonderer Bedeutung war die Beteiligung der Stadt
an größeren wirtschaftlichen Unternehmungen. Am 31. Januar
1911 beschloß die Stadtoerordnetenversammlung auf den Vorschlag
der Verwaltung, sich an einer zu gründenden Aktiengesellschast zu
beteiligen, welche unter dem Namen „Saarbrücker Klein-— und
Straßenbahn-⸗Aktien-Gesellschaft“ die Herstellung und den Betrieb
einer Kleinbahn von Saarbrücken über Brebach, Fechingen und
Eschringen nach Ens heim mit einer Abzweigung von Eschringen
nach Ormesheim sowie den Bau von Anlagen für elebktrische
Kraftübertragung und Beleuchtung auf dieser Linie bezweckte.
Die Kleinbahn wurde im Oktober 1913 in Betrieb gesetzt. Damit
verschwand ein Rest der alten Zeit, der Kgl. Bayrische Postwagen,
der bis dahin den Verkehr von Saarbrücken nach Ensheim ver—
mittelt hatte.
Nicht minder wichtig war die Beteiligung der Stadt an der
Aktiengesellschaft „Gesellschaft für Straßenbahnen im
Saartal“. Da der Betrieb der Straßenbahn zu lebhaften
Klagen Anlaß gab, andererseits die genannte Gesellschaft durch
langfristige Verträge (bis zum 1. April 1934, bezw. 1937) sich
den Alleinbetrieb ihrer Linien gesichert hatte, so erschien es für
die Stadt, um den maßgebenden Einflußz auf die Verwaltung
der Straßenbahn zu gewinnen, am vorteilhaftesten, 51 00 des
Aktienkapitals zu übernehmen, nachdem dieses zur Abstoßung
schwebender Schulden und zum Ausbau des Unternehmens von
4000000 auf 6000000 Mark erhöht worden war.
Für die Verschönerung der Stadt und ihrer Umgebung
ist viel geschehen, wenngleich die Pflege des Schönen zunächst
hinter dem Nötigen und Nützlichen zurücktreten mußte. Die
öffentlichen Anlagen werden durch eine besondere Stadtgärtnerei
sorgfältig gepflegt und weiter entwickelt. Besonders die Staden—
anlage in St. Johann und die Rosenanlage in Alt-Saarbrücken
können als mustergültige Schöpfungen bezeichnet werden. Der
schöne und ausgedehnte Stadtpark Ludwigsberg ist in den Besitz
und die Pflege der Gesamtstadt übergegangen, der zum St. Johanner
235 —
Sondergut gehörige Kaninchenberg wird zu einem Stadtpark
umgewandelt. In den Straßen der Stadt, auf den öffentlichen Plätzen
und Schulhöfen stehen mehr als 6000 Bäume, Spiel⸗ und
Sportplätze sind angelegt worden, damit ein gesundes und kräftiges
Geschlecht heranwachse.
Die vereinigte Stadt Saarbrücken ist jetzt in ganz anderer
Weise geeignet, Gäste bei sich zu empfangen und Repräsentations—
pflichten zu erfüllen, als früher die drei Einzelstädte. Sie entwickelt
sich mehr und mehr zu einem Brennpunkt des Verkehrslebens in
Südwestdeutschland. Saarbrücken ist in den letzten Jahren vor
dem Krieg geradezu zu einer Kongreß- und Ausstellungsstadt
geworden. Im Jahre 1910 feierten die beiden Garnisonregimenter,
das Westfälische Dragonerregiment Nr. 7 und das 8. Rheinische
Infanterie-Regiment Nr. 70 ihre 50 jährigen Jubiläen; bei dieser
Gelegenheit wurde das Denkmal für die im Kriege 1870771
gefallenen Angehörigen des 70. Regiments im Ehrental enthüllt.
Vor allem aber fand in diesem Jahre die 40 jährige Erinnerungs⸗
feier der Schlacht bei Spichern, zugleich mit der 16. Tagung
des Verbandes deutscher Kriegsveteranen statt, die ungefähr 2000
Veteranen, etwa 140 Vereine und Abordnungen und gegen 14000
Gäste nach Saarbrücken führte. Im folgenden Jahre am
12. Oktober landete unter allgemeinem Jubel das Zeppelin—
Luftschiff „Schwaben“ auf den St. Arnualer Wiesen, und bald
nachher führten die von' der Stadt veranstalteten Saarbrücker
Flugtage Tausende von Menschen nach Saarbrücken. Im Mai
1912 fanden abermals Flugtage dus Anlaß des 2. deutschen
Zuverlässigkeitsfluges am Oberrhein statt, und die Stadt hatte die
Ehre, den Prinzen Heinrich von Preußen, den Herzog Adolf
Friedrich von Mecklenburg und den Prinzen Wilhelm von
Sachsen-Weimar als Gäste in ihren Mauern zu sehen. Im Juli
fand der dritte Rheinische Städtetag, im September die 79. Provinzial⸗
Ausstellung des Landwirschaftlichen Vereins für Rheinpreußen
und im Obtober die 25. Generalversammlung des Evangelischen
Bundes in Saarbrücken statt, endlich im März und Oktober 1913
die begeisterten Jahrhundertfeiern zur Erinnerung an Preußens
Erhebung im Jahre 1813.
236 —
16. Der Weltkrieg und seine Folgen.
Die günstige Entwicklung der Stadt wurde durch den Welikrieg
jäh unterbrochen. Bei dem Ausbruch des Krieges im August 1914
waren die Gefühle und Stimmungen, die ganz Deutschland be—
wegten, hier in dem vom Feinde abermals bedrohten Grenzlande
besonders lebhaft. In ernster, aber zuversichtlicher Stimmung folgien
die waffenfähigen Männer dem Rufe des Vaterlandes, von den
sorgenvollen Blicken und Gedanken ihrer Angehörigen geleitet.
Aber die Saarbrücker Frauen und Mädchen blieben nicht
untätig.
Der Hauptbahnhof Saarbrücken bot nach dem Ausbruch
des Krieges ein äußerst bewegtes Bild, das an das Jahr 1870
erinnerte. Zug auf Zug lief ein, die Wagen mit Eichenlaub und
Tannenreisern bekränzt. „Die Wacht am Rhein“ und andere
Vaterlandslieder ertönten hundertstimmig aus dem Munde der
Krieger, die auf dem Bahnsteig und in Baracken von Saarbrücker
Frauen und Mädchen mit Speise und Trank erquickt wurden
und dann unter begeisterten Zurufen und Segenswünschen nach
der Grenze weiterfuhren. Es waren die Mitglieder des Vater—
ländischen Frauenvereins und des Kreisvereins vom
Roten Kreuzs, die diesen Liebesdienst mit großer Aufopferung
leisteten. Und dann kamen von der andern Seite als trauriges
Gegenbild die Lazarettzüge mit Verwundeten, die mit besonderer
Liebe und Opferwilligkeit empfangen wurden. Vom Beginn des
Krieges bis Ende Dezember sind 37221 Verwundete durch Saar⸗
brücken gekommen, deren Verbände auf dem Bahnhof von Saar—⸗
brücker Aerzten und Samaritern nachgesehen und im Bedarfsfalle
erneuert wurden. In demselben Zeitraum wurden 9303 Ver—
wundete den hiesigen Lazaretten zugeführt. Drei Lajzarettzüge
waren von den erwähnten beiden Vereinen eingerichtet; 17 Sanitäts⸗
kolonnen mit 709 Mitgliedern aus den Bewohnern der Stadt
und des Landkreises Saarbrücken waren schon in Friedenszeiten
ausgebildet worden. Zur Aufnahme und Pflege der Verwundeten
standen in Stadt und Landkreis 34 Pflegestätten, die zu
7 Reservelazaretten vereinigt wurden, mit 4150 Betten bereit.
Da zahlreiche Lazarette in der Stadt untergebracht waren,
so ergab sich schon bald die Notwendigkeit, für eine würdige Ruhe—
stätte verstorbener Krieger zu sorgen. Auf dem neuen Zentral⸗
friedhof an der Metzer Straße wurde deshalb ein Ehrenfriedhof
angelegt und eine Einsegnungshalle in würdiger Form errichtet.
Zahlreiche Nähschulen wurden eingerichtet, in denen fleißige
Frauen und Mädchen Wäsche für Verwundete anfertigten. An
die im Felde siehenden Krieger wurden, besonders zu Weihnachten,
Liebesgaben gesandt. Auch der in Kriegsgefangenschaft geratenen
Soldaten wurde mit Liebe gedacht.
Im Januar 1915 wurde von dem Stadtverordneten Dr.
Bretschneider der Kriegerfürsorge-Verein gegründet zur Unter⸗—
stützung der vom Kriege betroffenen Bürger. Viele Kriegsbe—
schädigte wurden in besonderen Schulen zur Tätigkeit in anderen
Berufen angeleitet. In Genesungsheimen fanden erholungsbedürftige
Krieger freundliche Aufnahme. Auf diesen Gebieten machten sich Berg⸗
rat Flemming und Konsistorialrat Müller besonders verdient.
So haben die Saarstädte ihrem alten Ehrenkranz von 1870
ein neues Ruhmesblatt eingefügt. Der Krieg wurde bald auch
für alle Kreise der Bevölkerung fühlbar, da die ausbleibende
Zufuhr an Brotgetreide zur Beschränkung des Brotwwerbrauchs und
zur Einführung besonderer Brotkarten nötigte, einer Maßregel,
die zwar unangenehm empfunden wurde, aber in der Folge sich
als sehr segensreich erwiesen hat, indem sie uns das „Durchhalten“
während der englischen Nahrungsmittelsperre ermöglichte. Für jede
erwachsene Person wurden wöchentlich 1750 Gr. Brot oder 1200
Gr. Mehl, für Kinder, die nach dem 1. April 1914 geboren waren,
die Hälfte dieses Gewichts bestimmt und die Bereitung der Back⸗
waren genau geregelt. Durch besondere Kriegsämter wurde auch
3
in Saarbrücken die Sorge für Nahrungsmittel und Bekleidung
in die rechte Bahn geleitet. Einfachheit der Lebenshaltung war damit
für alle Kreise geboten im Gegensatz zu der reichlichen Nahrung
und gewählten Kleidung der höheren Stände während der letzten
Friedenszeit. Freilich trat bei den Minderbegüterten auch vielfach
Mangel ein und machte Abhilfe von Seiten der Stadt notwendig.
Bei dem Fehlen der männlichen Arbeitskräfte traten an
vielen Stellen Frauen und Mädchen ein, so im Dienste der Post,
der Eisenbahnen und Straßenbahnen. Die weiblichen Schaffner
und Briefträger in der Dienstmütze boten ein eigenartiges Bild.
Eine wohltuende Wirkung des Krieges war die Stärkung
des deutschen Nationalgefühls. Französische Worte wie „Adieu“
und „Pardon“ wurden verpönt. Als Gruß bürgerte sich beim
Abschied „Guten Tag!“ oder „Auf Wiedersehen!“ ein.
Der Krieg stellte auch an die Kirche als die Trösterin der Ver—
lassenen und Trauernden erhöhte Anforderungen. Am 10. August
1914 beschloß das Presbyterium, an zwei Wochentagen Kriegs⸗
andachten abzuhalten und die Johanniskirche tagsüber für den
Besuch der Gemeindemitglieder offen zu lassen. Zugleich wurde
die Unterstützung notleidender Familien von Kriegsteilnehmern in
die Wege geleitet, indem ihnen zunächst die Kirchensteuern erlassen
wurden. Beim Nahen des Weihnachtsfestes konnten an 78 Familien
kleine Geldbeträge verteilt werden, obwohl der Ausfall an Kirchen—
steuern auf etwa 20000 Mark sich belief. Die Ueberschüsse der
Einnahmen wurden in Kriegsanleihe angelegt. Die Tãtigkeit der
Geistlichen wurde in erhöhtem Maße in Anspruch genommen, und
dieser Anspruch war schwer zu befriedigen, da der Pfarrer Lic.
Ulrich als freiwilliger Feldgeistlicher auf den Kriegsschauplatz ging
(er wurde im Jahre 1916 als Divisionspfarrer der 119. Infanterie—
Division angestellt) und Pfarrer Halke zum Dienst mit der Waffe
eingezogen wurde. So fielen alle Amtspflichten dem Pfarrer
Reichard allein zu, der noch dazu von Gemeindemitgliedern zu
Reisen an die Front zur Heimführung gefallener Angehörigen in
Anspruch genommen wurde. Seine Tätigkeit wurde durch die
Verleihung des Oldenburgischen Friedrich⸗ August-Kreuzes am Kriegs⸗
bande anerkannt. In dankenswerter Weise wurde er von Vikar
»Eybisch unterstützt. Pfarrer Halke wurde auf die Reklamation
des Presbyteriums eine Zeitlang beurlaubt, aber erst im Oktober
1917 endgültig entlassen, nachdem er zum Reserveoffizier befördert
worden war. Seine Rückkehr war besonders erwünscht, da
Pfarrer Lic. Ulrich zwar auf den Wunsch der Gemeinde vom
Felddienst befreit, aber zum 1. Oktober 1917 in ehrenvoller Weise
nach Berlin berufen worden war.
Am 9. August 1915 erfolgte der erste Fliegerangriff auf
die Stadt, durch den zwei Einwohner getötet und 23 verwundet
wurden. Im ganzen haben unsere Feinde 253 Fliegerangriffe
gegen die Stadt Saarbrücken unternommen, durch die 61 Leute
getötet, 77 schwer und 115 leicht verwundet wurden. Den Sach—
schaden berechnet man auf 2770000 Mark. Durch Abwehrge—
schütze, durch abendliche Verdunkelung der Straßen, durch Blendung
der Fenster und durch Flucht in die Kellerräume suchte man der
Gefahr zu begegnen oder ihr zu entgehen. Infolge dieser Angriffe
mußten die Kirchengebäude gegen Fliegergefahr versichert werden;
in der Tat wurde die Johanniskirche durch eine Fliegerbombe
beschädigt.
Im weiteren Verlauf des Weltkrieges folgte in Saarbrücken
wie überall in Deutschland, schwere seelische und wirtschaftliche Not.
Wohl jubelte man über die Siegesnachrichten und gab sich der
Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang des Krieges hin; aber
die meisten Familien zählten Angehörige zu den Opfern des Krieges;
manche Eltern beklagten den Tod des einzigen Sohnes oder aller
Söhne, aber die Herzen blieben ungebeugt: „in stolzer Trauer“
meldeten die vom Leid getroffenen ihre Verluste. 452 Mitglieder
der evangelischen Gemeinde St. Johann sind im Weltkrieg gefallen,
darunter 12 Brüderpaarei)y. Dazu kam die Not der Entbehrung
infolge der englischen Blokade. Alle möglichen Ersatzmittel mußzten
üher den Mangel an Rohstoffen hinweghelfen. Im Winter
1916,17 blieben sogar die Kartoffeln aus, und Rüben wurden
1) Die Namen sind von dem Presbyter Julius Beder zusammengestellt
und im Jahre 1825 in einer Liste mit Nachtrag veröffentlicht worden.
—
das Hauptnahrungsmittel. In langen Reihen sah man Frauen,.
und Kinder bei Wind uud Wetter vor den Verteilungsftellen
stundenlang ausharren, um ein kleines Stückchen Fleisch zu er—
halten. Viele ältere Leute starben an Entkräftung, und die
Säuglingssterblichkeit nahm in erschreckendem Maße zu, da es an
der notwendigen Milch fehlte. Alle goldenen Schmucksachen und
kupfernen Geräte wurden eingefordert und gegen geringes Ent—
gelt abgegeben. Die Gemeinde mußte ihre Bronzeglocken bis auf
die kleinste, ihre zinnernen Orgelpfeifen und die Kupferdrähte der
Blitzableitung abliefern.
Aber alles dies hätte man gern ertragen, wenn die Opfer
nicht vergeblich gewesen wären. Am 9. November 1918 wurde
der Waffenstillstand geschlossen, der Deutschland wehrlos machte
und der Willkür seiner Gegner auslieferte.
Am 23. November 1918 zogen französische Truppen in
Saarbrücken ein, nachdem zwei Tage vorher die letzten zurück⸗
ziehenden deutschen Krieger in der flaggengeschmückten Stadt
herzlich begrüßt worden waren. Das Saargebiet wurde zunächst
der französischen Militärgewalt unterstellt, die der Herrschaft des
Arbeiter- und Soldatenrates ein Ende machte. Der Mangel an
den notwendigsten Lebensbedürfnissen führte im Oktober 1919 zu
Plünderungsszenen, die zusammen mit einem Bergarbeiterausstand
die Verhängung des Belagerungszustandes, die Aufhebung aller
Krieger⸗ und Militärvereine und die Ausweisung vieler ange—
sehener Bewohner zur Folge hatte.
Am 10. Januar 1920 wurde der Friedensvertrag von
Versailles unterzeichnet, der für die Bewohner des Saargebietes
besonders schmerzlich war. Nicht zufrieden mit der Wiederge⸗
winnung des deutschen Reichslandes Elsaß-Lothringen, dessen Be—
wohner trotz des feierlich verkündeten Selbstbestimmungsrechtes der
Völker nicht um ihre Meinung gefragt wurden, eigneten die Franzosen
sich den Reichtum unseres Landes, die Kohlenbergwerke, an,
schnürten uns durch eine willkürliche Zollgrenze von dem Deutschen
Reiche ab und suchten auf jede Weise die Verbindung mit unserm
Vaterlande zu zerschneiden. Wenige Wochen nach dem Friedensschluß
trat die Regierungskommission ihr Amt an, die im Namen des
211 —
als Treuhänder geltenden Völkerbundes die Verwaltung des
Saargebietes führen sollte, aber unter dem vorwiegenden französischen
Einfluß steht. Nach 15 Jahren (1835) soll die Bevölkerung des
Saargebietes ũber ihre Staatsangehörigkeit abstimmen. Die Tausend⸗
jahrfeier der Zugehörigkeit des Rheinlandes zum Deutschen Reich
hat bewiesen, daß die deutsche Gesinnung der Bevölkerung des
Saargebietes durch alle Verlockhungen und Zwangsmittel nicht zu
erschüttern ist, und daß wir der Abstimmung mit Zuversicht ent⸗
gegen sehen können.
17. Die Pfarrer.
Die ersten evangelischen Pfarrer in St. Johann sind oben
(S. 23) genannt worden. Auf Johann Ruß folgte im Jahre
1602 Ambrosius Bingel, der aus dem überrheinischen Lande
kam. Die Herrschaft ließz ihn bis Göllheim (in der Pfalz)
geleiten, die Stadt „cum protestatione“ von dort hierher.
Er wurde im Jahre 1612 nach Bockenheim (jtzt Saarunion)
berufen. Ihm folgte Georg Keller junior, der Sohn des
Superintendenten. Er war vorher Diakonus in Saarbrücken
gewesen und starb im Jahre 1628. An seine Stelle trat
M. Wilhelm Götz, der im Jahre 1634 an der Pest starb. Am
Ende dieses Jahres kam Johann Ludwig Rüdinger als
Pfarrer nach St. Johann. Er war vorher Pfarrer von Güdingen
und Bübingen gewesen und hatte in St. Arnual gewohnt. Sein
Vater war Johann Rudinger, der früher Pfarrer in Saarbrücken
gewesen war. Ludwig Rüdinger ward zuletzt Inspektor (Super⸗
intendent) und starb im Jahre 1664. Das Wirken Rüdingers
fiel in die schlimmste Zeit des 30jährigen Krieges. Durch die
16
242
Pest wurde St. Johann so verödet, daß in den folgenden
20 Jahren nicht mehr als 115 Kinder geboren wurden, „allerlei
fremder Knechte Kinder, die sich des Holzhandels wegen hier
aufgehalten, mit eingerechnet.“
Auf Rüdinger folgte im Jahre 1665 Joh. Ludwig
Schlosser, ein Bruder des Pfarrers Georg Bartholomäus
Schlosser in Saarbrücken. Er stand vorher in Sötern, dann in
Bischmisheim. Seine Frau hiefß; Elisabeth Katharina Zilles. Er
starb 1679 und wurde ohne Sang und Klang bei Nacht beerdigt,
weil damals 20 000 Mann Franzosen hier standen. Da Saar—
brücken und die Schloßkirche fast ganz verbrannt waren, so wurde
Gottesdienst und Taufen in St. Johann gehalten. Auch Malstatt
wurde von St. Johann aus bedient.
Kurz vor seinem Ende war dem Pfarrer Schlosser sein
Sohn M. Johann Philipp Schlosser beigegeben worden,
der ihm nun als Seelsorger folgte. Unter ihm wurde die evangelische
Gemeinde St. Johann ihrer Kirche beraubt, wie oben (S. 78)
erzählt worden ist.
In den nächsten fünf Jahren hatte die Gemeinde St. Johann
keinen eigenen Pfarrer, sondern wurde von den Saarbrücker
Pfarrern bedient.
Als im Jahre 1689 der Inspektor Georg Bartholomäus
Schlosser zu Saarbrücken gestorben mar, blieb in beiden Städten
als einziger evangelischer Pfarrer Friedrich Reuß übrig. Im
Jahre 1691 wurde Georg Friedrich Mülhausen von
St. Arnual von der Herrschaft berufen, um mit Pfarrer Reuß
zusammen den Gottesdienst zu versehen. Er sollte aber in St. Johann
wohnen. Mülhausen, der nur zur Aushilfe berufen war, ging
Ende 1694 nach St. Arnual zurück, und nun versorgte Inspektor
Beer von Saarbrücken zusammen mit Pfarrer Reuß die beiden
Gemeinden. Reuß zog nach St. Johann, wurde aber 1698 wegen
seines Lebenswandels abgesetzt; an seine Stelle trat M. Andreas
Jakobi, der aus Wertheim am Main stammte und vorher
Pfarrer in Völklingen gewesen war. Er starb im Sommer 1709.
Sein Nachfolger war Ludwig Georg Schlosser, der Sohn
des vertriebenen Pfarrers Johann Philipp Schlosser. Er wurde
*
24
bereits im nächsten Jahre als Inspektor nach Weinheim berufen.
Ihm folgte Johann Jakob Knapp, der früher Diakonus
in Saarbrücken und dann Pfarrer in St. Arnual, Bübingen und
Güdingen gewesen war. Er kam im Jahre 1721 als Super—
intendent nach Pfeddersheim bei Worms. Sein Nachfolger Hirsch
aus der Grafschaft Hohenlohe blieb nur ein Jahr. Eine längere
Amtszeit (1727 -1751) war dem Pfarrer Johann Mathias
*5*
—
— —
—*
7
Altes Pfarrhaus in St. Johann (Vorderansicht).
Lichtenberger beschieden, unter dem die Gemeinde St. Johann
wieder eine Kirche erhielt. Er war seit 1731 Assessfor beim
Konsistorium und starb im Jahre 1751. Zugleich mit ihm wirkte
als zweiter Pfarre Johann Ehrhard Rupp aus Idstein,
der seit dem Jahre 1718 Konrektor am Gymnasium zu Saarbrücken
und bis 1727 zugleich Pfarrer in Karlsbrunn gewesen war. Er
wurde 1738 Rektor des Gymnasiums. Seine Gattin war eine
Tochter des Pfarrers Georg Albrecht Belzer zu Bischmisheim.
16*
244
Nach dem Tode des Pfarrers Lichtenberger wurde die Pfarrei
St. Johann 4 Monate lang von dem Pfarrer Joh. Christian
Barthels zu Saarbrücken versehen.
Im Mai 1751 wurde Ludwig Karl Schmidt (geboren
1716 zu Ottweiler) auf die Stelle des verstorbenen Lichtenberger
berufen und am 1. Sonntagen. Tr. durch den damaligen Super—⸗
intendenten Rollé (1742 bis 1780) der Gemeinde vorgestellt.
Altes Pfarrhaus in St. Johann, vom Garten aus.
Er war vorher Vikar zu Dirmingen (1739 — 41), dann Pfarrer
von Völklingen (1741 -5 43) und 2. Pfarrer zu Saarbrücken
(1743 —51) gewesen und wurde später Generalinspektor. Er war
verheiratet 1) mit Anna Luise Wittich, Tochter des Kammer—⸗
rates Wittich in Gießen, die Kammerjungfer in Saarbrücken
gewesen (f 13. Jan. 1773, 57 J. 1 M. alt), 2) mit Karoline
Dorothea Handel, Tochter des Pfarrers Joh. Lor. Handel
von St. Arnual (1762 -1782). Er starb den 30. Mai 1793,
76 J. 6 M. 20 T. alt.
Mit ihm amtierte an der Gemeinde als zweiter Pfarrer
Friedrich Jakob Belzer, ein Sohn des Pfarrers B. in
Bischmisheim, also Rupps Schwager. Er hatte in Gießen studiert
und war vorher in der Pfalz als Hauslehrer und als Pfarrer
tätig gewesen. Er wurde 1745 Prorektor und 1759 Rektor des
Gymnasiums. Belzers Nachfolger war M. Joh. Nik. Kiefer
von Oberlinxweiler. Er war geboren 14. Januar 1734, wurde
1759 Prorektor des Gymnasiums und 2. Pfarrer in St. Johann,
1767 Rektor des Gymnasiums, 1780 Konsistorialrat, 4 1808.
Er war ein hervorragender Schulmann. (Ueber Belzer und Kiefer
vergl. die Geschichte des Saarbrücker Gymnasiums S. 68ff.) In
1. Ehe war er mit Sophie Dorothea Rollé verheiratet,
kop. 9. Novbr. 1760, * 1767; in 2. Ehe mit Anna Mar.
Böcking, geb. 1740, kop. 1768, * 1817.
Sein Nachfolger wurde im Jahre 1781 Michael Fuchs
aus Straßburg, Prorektor des Gymnasiums und 2. Pfarrer in
St. Johann. Ihm folgte 1790 Thomas W. Kiefer, Sohn
des Joh. Nik. Kiefer, geb. 7. Aug. 1761, 1790 bis 1804
Konrektor des Gymnasiums, F 29. Jan. 1804.
L. Stocky war vom 10. Mai 1792 bis 19. August 1794
Pfarrvikar in St. Johann. Er bezog 100 GEld. Gehalt und 88
Gld. von dem Pfarrer Schmidt.
Im Jahre 1794, am 5. Sept, wurde Georg Ludwig
Schmidt, geb. 1754, Sohn des Pfarrers Ludwig Karl
Schmidt (1782-1787 Konrektor, 1787 -1802 Prorektor am
Gymnasium zu Saarbrücken), mit Versehung der durch den
Tod des Vaters erledigten Pfarrei St. Johann betraut; im Jahre
1805 wurde er 1. Pfarrer und Konsistorialpräsident. F 1808 den
11. Septbr. Er war verheiratet mit Luise Henriette Handel,
* 1806.
Zweiter Pfarrer war 1805 und 1806 Christ. L. Schmidt,
28. Oktober 1806.
F
215
1807-29 Johann Adam Messerer, geboren den 19.
Dezember 1760 zu Finstingen, 1792 - 1804 Pfarrer in Saar⸗
werden und Meisenheim, 1804 zum 2. Pfarrer in St. Johann
erwählt, verheiratet mi Sophie Dor. Reuter, starb am 23.
Juni 1829 zu Völklingen infolge eines Sturzes mit dem Pferde
und wurde zu St. Johann am 26. Juni 1829 beerdigt.
1809- 1827 Philipp Friedrich Gottlieb, geboren 15.
März 1776, Pfarrer von Birkenfeld, am 31. Oktober 1808 zum
Pfarrer von St. Johann und Präsidenten des Konsistoriums ge⸗
wählt, 4 29. April 1827. Er war verheiratet mit Sophie
Christiane Altinger.
Die äußeren Verhältnisse des ersten Pfarrers von St. Johann
im 18. Jahrhundert ergeben sich aus der Besoldung des Pfarrers
Ludwig Karl Schmidt im Jahre 1762. An Geld aus dem
Stift 175 fl. Weizen 4 Malter je 62 fl. Korn 20 Malter
je 6 fl. Gerste 4 Maller je 423 fl. Hafermehl 15 Malter je
3 fl. Total an Geld-Anschlag 210 fl. 10 Albus. Den halben
kleinen Zehnten zu St. Johann, angeschlagen zu 32fl. 15 Albus.
20 Klafter Holz frei aus dem Stadtwald zu 21. fl. Die Klafter
angeschlagen, tut 46 fl. 20 Alb. Hirtenlohn frei, taxiert mit I fl.
20 Alb. 1 Morgen Kirchen-Grasgarten zu St. Johann, je
1 Millier Heu zu 64 fl. angeschlagen. 515 Morgen Wiesen zu
St. Arnual vom Stifte St. Arnual, 10 Morgen Wiesen zu Saar—
brücken, die sogenannte Rahm-Saar, vormals Eigentum der Pfarrei
Malstatt und dieser entzogen. 17 Morgen Wiese auf der Wörth zu
Malstatt (ebenfalls eine zur Pfarrei Malstatt früher gehörige Kirchen⸗
wiese). Alle 18 Morgen Wiesen zusammen angeschlagen zu 153 fl. 15
Albus. Amtswohnung. Garten zu St. Johann Morgen
2222 Ruten. Accidenzien 175 fl. Total des Anschlags 800 fl.
(Vergl. das Gehalt von 1581 auf S. 25.) Im Jahre 1793 bezog
er aus dem Stift 266 fl. außer den erwähnten Fruchtlieferungen
und Wiesen-⸗Nutzungen. Während der französischen Herrschaft be—
lief sich das Gehalt der Pfarrer nach dem Dienstalter auf 500
bis 1500 Franken. Der erste Pfarrer bezog seit dem 1. Oktober 1805:
1) als Präsident des Lokalkonsistoriums von St. Johann 1500 Fr.
247 —
2) 18 Morgen Wiesen, an Wert
3) Amtswohnung, Kasualien, Holz etct. an Wert
720 Fr.
500 Fr.
2720 Fr.
Der zweite Pfarrer bezog 1000 Franken Bargehalt, Wohnung,
Gehalt als Gymnasiallehrer und Accidenzien 600 Fr., zusammen
1600 Fr.
1829 -50. Dr. W. K. Gottlieb Ernst Follenius, ge—
boren 1794 zu Wetzlar als Sohn des dortigen Konsistorialrates
Ernst L. Follenius (* 1826), besuchte das Gymnasium seiner
Vaterstadt, studierte zu Giefzen und Marburg, wurde freiwilliger
Jäger und trat in das österreichische Südkorps ein, das nach
Lyon marschierte. Die Kriegsdenkmünze schmückte seine Brust
bis zu seinem Tode. 1816 hielt er eine Gedächtnispredigt der
Schlacht bei Leipzig in der Stadtkirche zu Wetzlar. 1818 war er
Brigadeprediger in Coblenz, einige Jahre danach Divisionsprediger
zu Trier. Als Lehrer an der Divisionsschule verfaßte er ein Lehrbuch
der Geschichte und erhielt dafür von der Universität Gießen die
philosophische Doktorwürde. 1827 wurde er als Oberpfarrer nach
Ottweiler versetzt und kam 1828 als erster Pfarrer nach St. Johann.
Er wurde 1842 Superintendent, starb auf der Provinzial⸗
synode in Duisburg am 3. November 1850 und wurde dort beerdigt.
D. Nitzsch aus Berlin hielt ihm die Gedächtnisrede über Hebr. 11,
13: „Wir sind Gäste und Fremdlinge.“ Seine Gattin hieß
Karoline Stoll.
1831-50. Christ. Theod. Messerer, Sohn von Joh.
Adam Messerer (1807-29), geboren 28. Aug. 1799, wurde
am 8. November 1850 suspendiert wegen Unfügsamkeit und am
20. November 1851 nach langer Verhandlung aus dem geistlichen
Dienst entlassen; F unverheiralet 23. Januar 1881 als Gymnasial⸗
oberlehrer. Er war der letzte Gymnasiallehrer, der zugleich Pfarrer
von St. Johann war.
185259. F. Petersen, geboren am 18. August 1807
zu Hoyer (13 kKmevon Tondern) in Schleswig als Sohn des
Pfarrers Christian Petersen, besuchte das Gymnasium zu
Flensburg und die Universität Kiel, war von 183138 Kandidat
und Hauslehrer, kam 1838 als Pfarrer nach Uck (30 kmme östlich
von Tondern), 1846 als Pfarrer nach Rottmark auf der Insel
Alsen: wegen seiner deutschen Gesinnung von den Dänen 1848
gefangen genommen, war er 26 Wochen in Faaborg auf der
Insel Fünen Gefangener, dann freigelassen, wurde er von der
provisorischen Regierung 1849 als Pfarrer in Ulderup auf Sundewitt
angestellt, aber zu Anfang 1850 entlassen, wurde er Feldprediger
im schleswig⸗holsteinschen Heere, mußte dann sein Vaterland verlassen
und reiste für den schleswig-⸗holsteinschen Hilfsverein durch Deutschland.
In Saarbrücken fand er mit seinen Reden solchen Anklang, daß
er nach Follenius Tode an dessen Stelle gewählt wurde. Er wurde
am 15. Februar Erster Pfarrer zu St. Johann und starb hier am
14. Mai 1859. Seine Frau stammte aus Heide in Ditmarschen.
Er hat seine Erlebnisse als Schleswigscher Prediger (1838 — 1850)
und verschiedene Schriften über die schleswig-holsteinsche Sache
herausgegeben.
Am 15. Januar 1854 wurde Gustav F. Leopold Ilse
in das Amt als 2. Pfarrer eingeführt. Derselbe war geboren
am 16. November 1821 zu Prenzlau. Seine Eltern waren
Leopold Ilse, Kreisbauinspektor, und Karoline Langwell.
Er besuchte die Gymnasien zu Prenzlau und Koblenz, wo er
1843 die Abiturienten-Prüfung bestand. Er besuchte die Uni—
versitäten Tübingen, Berlin und Bonn und bestand die erste
theologische Prüfung 1847, die zweite 1849, wurde 1849 Pfarr⸗
vikar in Andernach, ordiniert am 15. Mai 1851, wurde am
15. Januar 1854 zweiter Pfarrer und am 11. April 1850 an
Petersens Stelle 1. Pfarrer in St. Johann. Das Provinzial⸗
Schulkollegium übertrug ihm am 15. Mai 1854 den Religions—
unterricht am Gymnasium zu Saarbrücken und 1878 auch denselben
an den beiden oberen Klassen der Oberrealschule. 1868 wurde er
Berings-(Kreis) schulinspektor über einen Teil der evangelischen
Schulen des Kreises Saarbrücken (bis 1897). 1884 erhielt er
den Roten Adlerorden IV. Klasse und bei seinem 50 jährigen
Amtsjubiläum den Roten Adlerorden III. Klasse mit der Schleife.
Am 15. Januar 1904 wurde ihm der Ehrenbürgerbrief der Stadt
St. Johann überreicht.
249 —
Am 28. Dezember 1853 trat er in den Ehestand mit Marie
Eilers, Tochter des Geheimen Regierungs-Rates Dr. Eilers
in Freyenfelde bei Halle a. d. Saale, mit der er am 28. Dezember
1903 goldene Hochzeit feierte und die er am 24. Januar 1904
verlor. Er ließ sich am 1. Oktober 1905 emeritieren und starb
Pfarrer Ilse.
am 14. Dezbr. 1906 an Altersschwäche. Am 17. Dezember wurde
er von der geschmückten Kirche aus beerdigt. Ilse war ein Mann
von großer Herzensgüte und sehr wohltätig.
Dr. Gustav Fr. Hunrath, geboren zu Horchheim am
10. Dezbr. 1828, besfuchte das Gymnasium zu Koblenz und die
F
Universitäten zu Bonn, Halle, Berlin 1847 -51, bestand 1851
die 1. theol. Prüfung, 1853 die philologische Prüfung und die
2. theol. Prüfung, legte das Probejahr an den Gymnasien zu
Emmerich und Mörs 1853 —1854 zurück, wurde am 25. Mai 1855
Rektor in Simmern und Pfarrer von Ohlweiler, kam nach Petersens
Tode am 8. September als zweiter Pfarrer nach St. Johann und
ging 1868 als Pfarrer der 16. Division nach Mainz, machte als
Feldprediger den Feldzug gegen Frankreich mit, wurde 1872 Pfarrer
der 22. Division mit dem Wohnsitze in Mainz wo er am 24.
Febr. 1884 starb. Er besaß das Eiserne Kreuz II. Klasse und
den Kronenorden IV. Klasse. Im Jahre 1866 gab er zwei
Predigten über, Heidentum und Christentum“ heraus. (Saarbrũcken
bei Chr. Möllinger.)
1869 - 1888 Georg Dörmer, geboren 2. Oktober 1828
als Sohn des Pfarrers Dörmer zu Niederhausen bei Münster
am Stein, besuchte das Gymnasium in Kreuznach und die Uni—
versität Bonn, war Vikar in Weinsheim und Rüdesheim, wurde
1853 Pfarrer in Altwied und am 11. April 1869 an Hunraths
Stelle zweiter Pfarrer in St. Johann. Bei der Einführung ins
Amt sprach der Superintendent Schirmer über Phil. 4, 13:
„Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.“
Dörmer predigte über 2. Kor. 4, 5257: „Wir predigen nicht
uns selbst, sondern Jesum Christ, daß er sei der Herr, wir aber
seine Knechte um Jesu willen. Dörmer zeigte seine rheinische
Natur in freundlich heiterem Wesen. Er starb am 8. Dezbr. 1888.
Er war verheiratet mit Sophie Peltzer von Krefeld, geboren
am 6. Juni 1831, * am 14. Aug. 1879. Seit Sohn Adolf
war Rechtsanwalt und ein tätiges Mitglied des Presbyteriums( 1898).
1890 - 1909 Wilhelm Lichnock, geboren am 2. Mai
1838 in Köln, studierte in Halle und Bonn, wurde am 25. Okt.
1863 ordiniert und Synodalvikar der Kreissynode Saarbrücken.
Von 1865 bis 1869 war er Pfarrer in Kappeln (Hunsrück),
von 1869 — 1890 Pfarrer in Dudweiler, kam 1890 an Dörmers
Stelle nach St. Johann, wurde nach Ilse erster Pfarrer und 1907
Superintendent der Synode St. Johann. In demselben Jahre
erkrankte er und trat am 1. Juli 1909 in den Ruhestand. Er
251 —
zog nach Kreuznach, wo er im nächsten Jahre starb. Seine
Gattin war Lina Ulrich von Ballenstedt. Lichnock war ein
vortrefflicher Verwalter des Kirchenvermögens. Auch beschäftigte
er sich gern mit der Geschichte der Saargegend. Im Jahre 1907
gab er eine Geschichte der evangelischen Gemeinde St. Johann
Pfarrer Dörmer.
heraus. Um die Gemeinde St. Johann hat er sich auch durch die
Gründung des evangelischen Krankenhauses und durch den Prozeß
gegen das Stift St. Arnual verdient gemacht.
Seit 1904 Wilhelm Reichard, geboren am 6. Januar
1871 zu Kempfeld (Hunsrück), besuchte das Gymnasium zu Trier
und die Universitäten Bonn, Heidelberg, Berlin und Tübingen,
war vom 15. Mai 1896 bis 1. Oktober 1897 Vikar in Berlin,
wurde am 1. November 1898 ordiniert und war von da bis zum
30. November 1904 Pfarrer in Grumbach. Im Jahre 1909
wurde er nach Lichnock erster Pfarrer. Er ist seit 1904 mit
Pfarrer Lichnod.
Else de Wyl von Bonn verheiratet. Reichard wird als vor—
trefflicher Redner bei vaterländischen Festen auch außerhalb der
Gemeinde sehr geschätzt.
1909 -1917 Friedrich Ulrich, geb. am 13. April 1870
in Klein-Gartz bei Salzwedel, studierte in Berlin, Halle und
253
Göttingen von 1888 bis 1891, bestand 1894 die erste und die
zweite theologische Prüfung, wurde Pfarrer in Beirut (Syrien)
und 1909 zweiter Pfarrer in St. Johann. Von seinen Reisen
im Orient berichtete er in mehreren Vorträgen. Im Jahre 1913
Evangelisches Pfarrhaus in der Lessingstraße. *
sollte er nach Jerusalem als Mitarbeiter und Dozent am deutschen
Institut für Altertumswissenschaft der heiligen Länder berufen
werden, lehnte aber diesen Ruf mit Rücksicht auf seine St. Johanner
Gemeinde ab. Am Anfang des Weltkrieges trat er als freiwilliger
254
Feldgeistlicher in den Heeresdienst und wurde im Jahre 1916
Divisionspfarrer der 119. Infanteriedivision, kehrte im Jahre
1917 auf Verlangen der Gemeinde zurück, wurde aber noch in
demselben Jahre in den Zentralausschuß für innere Mission in
Berlin berufen und erhielt die Würde eines Doktors der Theologie.
1909 - 1912 Richard Wick. Im Jahre 1909 wurde
eine dritte Pfarrstelle gegründet und Richard Wick in die—
selbe gewählt. Er war im Jahre 1883 in Naugard (Pommern)
geboren, besuchte das Gymnasium in Siegburg und das Marzellen⸗
gymnasium in Köln, studierte in Leipzig, Berlin, Marburg und
Bonn, wurde 1908 Synodalvikar in Bonn, 1909 ordiniert und
in demselben Jahre nach Saarbrücken berufen, nahm aber schon
im Jahre 1912 einen Ruf als Pfarrer an die Deutsche Gemeinde
in Buenos Aires an.
Seit 19183 Gustav Halke, geboren zu St. Johann am
16. Januar 1877, besuchte die Gymnasien zu Kreuznach und Bonn
und die Universität Bonn, bestand 1901 die 1. Prüfung, diente
vom 1. Oktober 1901 bis 1. Oktober 1902 beim 160. Inf.Regt.
zu Bonn, war dann Lehrvikar in Dieringhausen, bestand 1903
die 2. Prüfung, war vom 1. Januar 1904 bis 1. Mai 1904
Hilfsprediger und Hafenmissionar in Ruhrort, vom 1. Juni
bis 31. Oktbr. 1904 Synodalvikar in Mülheim an der Mosel,
vom 1. Novbbr. 1904 bis 1. Juni 1905 Hilfsprediger und
Krankenhausprediger in Barmen, ordiniert am 27. November 1904
in Barmen, am 1. Juni 1905 Synodalvbikar in Friedrichsthal
und heiratete dort Anna Marie Halke. Im Jahre 1907
trat er als Vertreter des erkrankten Pfarrers Lichnock ein,
wurde dann Pfarrer in Sulzbach bei Grumbach und im Jahre
1913 als dritter Pfarrer nach St. Johann berufen.
Bei Beginn des Wellkrieges wurde er zum Heeresdienst
einberufen, erhielt das Eiserne Kreuz 2. Klasse und wurde zum
Reserveoffizier ernannt. Im Jahre 1917 kehrte er auf Verlangen
der Gemeindevertretung zurück und wurde 1918 zweiter Pfarrer.
Er verfaßte „Lebensfragen für Konfirmanden“ und hielt auch
religionswissenschaftliche Vorträge.
255 —
Evangelisches Pfarrhaus in St. Johann, Rotenbergstraße.
256 —
Seit 1918 Franz Schmitt, geb. 1881 in Dortmund,
studierte in Leipzig, Bonn und Jena, arbeitete in Bethel bei
Bielefeld und in Berlin an der inneren Mission, wurde Hilfsprediger
in Jena, 1906 ordiniert, dann Pfarrer in Taupadel, 1901 Pfarrer
an der reformierten Gemeinde in Braunschweig, 1917 nach Saar—
brücken berufen und am 30. Juni 1918 als dritter Pfarrer
eingeführt.
Als Wohnung der Pfarrer von St. Johann diente in den
letzten hundert Jahren das alte Pfarrhaus in der evangelischen
Kirchstrafze. Hier wohnte der erste Pfarrer, während der zweite
Pfarrer, solange er auch Lehrer am Gymnasium war, seine Dienst
Wohnung in Saarbrücken in einem der Stiftshäuser (zwischen
Ludwigsplatz und Eisenbahnstraße) hatte. Später wohnte der
zweite Pfarrer in dem Pfarrhaus an der Mainzerstraßze, das im
Jahre 1909 für 50000 Mark an die Stadt verkauft wurde. Da
das alie Pfarrhaus an der evangelischen Kirche sehr verwohnt war,
hatte die Gemeinde schon vorher für den ersten Pfarrer ein Haus
in der Lessingstraße erworben, das Pfarrer Reichard als Dienst⸗
wohnung erhielt. Nachdem der Prozeß gegen das Stist St. Arnual
einen günstigen Ausgang genommen und die Berufung eines
dritten Pfarrers sich als notwendig erwiesen hatte, beschloß die
Gemeinde, zwei neue Pfarrhäuser zu erbauen oder zu erwerben.
Für den zweiten Pfarrer wurde ein Haus mit Garten an der Ecke
der Rotenbergstraße und der Brentanostraße erbaut, das zuerst Pfarrer
Lic. Ulrich bezog und das jetzt Pfarrer Halke bewohnt. Für den
dritten Pfarrer wurde ein Haus in der Seilerstraße erworben, in
dem jetzt Pfarrer Schmitt wohnt. Die Wohnräume des alten
Pfarrhauses in der evangelischen Kirchstraße sind vermietet. Die
ehemalige Scheuer ist für das Gemeindeamt ausgebaut, dessen erster
Rendant Heinrich Gimbel war (f 1926). Die Büro-Geschäfte
der Gemeinde werden jetzt von Frl. Anna Groß besorgt.
Nachdem so die drei Seelsorger der Gemeinde Wohnungen
erhalten hatten, die den neuzeitlichen Ansprüchen genügen, wurde
der Bau eines Gemeindehauses, der schon längst als notwendig
erkannt war, ernstlich in Aussicht genommen. Als Bauplatz
wurde ein der Gemeinde gehörendes Grundstüchk an der
257 —
Evangelisches Pfarrhaus in St. Johann, Seilerstraße.
—
*
Nauwieserstraße bestimmt. Diese Bauten und Erwerbungen nahmen
natürlich bedeutende Mittel in Anspruch. Es erscheint deshalb
angebracht, die Entstehung und die Entwicklung des Kirchenver⸗
mögens zu verfolgen.
18. Das Kirchenvermögen von St. Johann.
In St. Johann gab es vor der Reformation keine Kirchen⸗
güter, da die Gemeinde keine selbständige Pfarrei bildete, wohl
aber hatte die St. Johannis-Bruderschaft schon um das Jahr 1400
Güter und Einkünfte, die zum Unterhalt des Frühmessers sowie
zur Bestreitung der inneren Kirchenbedürfnisse bestimmt waren.
Sie bestanden aus Gärten, Wiesen, Ackerland, Haus- und Hof—
stätten, die tells auf dem Bann von St. Johann, teils auswärts
lagen, oder aus Bodenzinsen. Die baren Überschüsse wurden auf
Zins ausgeliehen.
Diese Güter und Einkünfte der St. Johannis-Bruderschaft
gingen bei der Einführung der Reformation in den Besitz der
evangelischen Gemeinde St. Johann über. Die Brudermeister
wurden nun Kirchenschaffner genannt und liehen ebenfalls ihre
Barüberschũsse aus.
Die Bodenzinsen mögen teils geschenkte Renten, teils durch
Abgabe von Kirchengütern zu Bauplätzen entstanden sein. Im
Jahre 1606 wurde dem Kirchenschaffner befohlen, Gärten von
den St. Johanner Kirchengütern zu verkaufen. Damals sind laut
Rechnung für 1350 Gulden Kirchengüter verkauft worden, vermutlich
zum Kirchenbau.
In den Kirchenrechnungen von 1672 und 1678 wird bemerkt,
daß wegen des Krieges beinahe gar nichts eingekommen sei.
7
2
)
Der größte zusammenhängende Besitz der Gemeinde war das
Eschringer Kirchengut. Es bestand aus 88 Morgen Wiesen
und 7396 Morgen Ackerland. Wie es in den Besitz der Gemeinde
gelangt ist, sieht nicht fest.
Im Jahre 1789 brachte die Pacht 44 Quart, im Jahre 1795
34 Quart Frucht. Im Jahre 1820 wurde das Gut versteigert
und der Erlös — 2849 Taler 14 Silbergroschen dem Stifts—
fond überwiesen.
19. Der Prozeß gegen das Stift St. Arnual.
Für die Vermögenslage der Gemeinde St. Johann war
der Prozeß gegen die Stiftsverwaltung von St. Arnual von großer
Bedeutung. Er hat sich nicht nur vor Gericht abgespielt, sondern
auch umfangreiche rechtsgeschichtliche Schriften 9) hervorgerufen.
Über den Verlauf dieser Rechtstreites kann ich nur kurz berichten.
Nach der Einführung der Reformation (1575) wurden die
Verhältnisse der Pfarreien nach dem Bericht des Superintendenten
M. Gebhard Beilstein neu geordnet, und die gräfliche
Regierung faßte am 21. Januar 1576 folgenden Beschluß: „Nachdem
man befindt, daß die Pfarrhäuser allenthalben in Abgang und
Baufall geraten, also dieselbigen fast schwerlich zu bewohnen, hält
man für notwendig und ratsam, daßz zu Wiederaufbauung und
1) Dr. Muth. Das Kollegialstift St. Arnual, die Generallirchen⸗
schaffnei der Grafschaft Saarbrüden und die Bruderschaftsgüter der Ortskirche
St. Johann. St. Johann a. d. Saar 1904.
Derselbe. Das evangelische Stift St. Arnual in Saarbrüden. Straß⸗
burg 1908.
Dr. Dumes nil, Konsistorialrat in Koblenz. Das Stift St. Arnual
bei Saarbrücen in seiner Rechtsentwicklung. Bonn 10911.
170
)
Verbesserung derselben alle Fabriken (Kirchenbauvermögen) der
Grafschaft in ein corpus gebracht und je eine der andern zu
Steuer (Beihilfe) kommen solle.“
Diese Vereinigung der Kirchenfabriken begegnet uns erst
im Jahre 1601 unter dem Namen „Saarbrücker Landeskirchen—
schaffnei'. Neben ihr bestanden die kirchlichen Bruderschaften von
St. Nikolaus, St. Johann und St. Georg fort und lieferten ihre
Überschüsse an die Landes- oder General-Kirchenschaffnei ab.
Nachdem die Verwaltung der Kirchengüter während der
Kriegszeiten des 17. Jahrhunderts in Unordnung geraten war,
wurde im Jahre 1700 die General-Kirchenschaffnei wiederhergestellt
und ihr die Verwaltung sämtlicher außerhalb des Stiftspatronats
fallenden Zehnten übertragen; mit der Führung der Rechnungen
wurde der Stiftsschaffner von St. Arnual betraut, der zugleich
auch die Einnahmen des Hospitals und der Armenstiftungen ver—
waltete. Die Verwaltung stand unter der Oberaufsicht der Landes—
herrschaft, die über die Einkünfte des Stifts ziemlich willkürlich
verfügte und dem evangelischen Konsistorium nur wenig Einfluß
ließ. Zwar wurden die Rechnungen des Stifts und der General⸗
kirchenschaffnei besonders geführt, aber das Stift machte für seine
Ausgaben Anleihen bei der Kirchenschaffnei, die dadurch ein großes
Guthaben bei dem Stift erhielt. Diesem Uebelstand suchte Fürst
Ludwig im Jahre 1783 dadurch abzuhelfen, daß er die Ver—
einigung oder Konsolidation beider Vermögen verfügte, die jetzt
unter dem gemeinsamen Namen „Stift St. Arnual“ geführt wurde.
In der Zeit der französischen Herrschaft wurde die Stifts—
verwaltung der Commission bénévolo administrative de la
fondation d'Arnual unterstellt. Der Ober-Konsistorialpräsident
Pietsch zu Mainz gab am 12. Mai 1806 folgenden Bescheid
über das Stift St. Arnual: „Das Stift begreift zweierlei Arten
von Gütern und Einkünften unter sich, die wohl von einander zu
unterscheiden sind: Lokaleigentum von einzelnen Kirchen- und
Pfarreien und dann für das allgemeine kirchliche Wohl bestimmtes
Vermögen. Erstere Gattung ward nur durch das Band gemein—
samer Verwaltung mit der Fundation verbunden, hat aber dadurch
seine ursprüngliche Eigenschaft nicht verloren, und es könnte deren
231
Absonderung und eigene Nutznießzung und Verwaltung von den
einzelnen Eigentümerm zurückgefordert werden.“
Diese Auffassung wurde durch das kaiserliche Dekret vom
11. Juni 1806 bestätigt, welches den Protestanten das unbeschränkte
Eigentumsrecht an ihren Kirchen⸗ und Stiftungsvermögen zusicherte
und diese Güter aus der Staatsverwaltung in die kirchenverfassungs—
mäßig verordnete Verwaltung der zuständigen Ortskonsistorialkirchen
verwies.
Trotz dieser Entscheidungen blieb sowohl unter der französischen
wie unter der preußischen Herrschaft die Vereinigung und gemein—
same Verwaltung der beiden Vermögensmassen bestehen und
wurde dem Stiftsverwaltungsrat unterstellt.
Aber die Vertretung der Gemeinde St. Johann hatte ihr
Eigentumsrecht nicht vergessen. Am 26. Oktober 1886 wurde in
dem Presbyterium darauf hingewiesen, daß das Stift in den letzten
25 Jahren Güter der Gemeinde im Werte von mindestens
200 000 Mark verkauft habe, und in einem Schreiben an die
Stiftsverwaltung darüber Klage geführt. Am 1. November
desselben Jahres beschloß das Presbyterium, daß die Gemeinde
von dem Stift eine Abfindung fordern und im Falle der Abweisung
den Rechtsweg beschreiten solle. Da die Stiftsverwaltung auf das
Schreiben vom 26. Oktober antwortete, daß das Stift keine Un—
gerechtigkeit begehe, sondern alle beteiligten Gemeinden in gleicher
Weise behandele, stellte der Kirchmeiste Johann Huppert in
der Sitzung vom 29. November 1886 den Antrag, daß die Ge⸗
meinde von dem Stift die Herausgabe der Kirchengüter und des
Erlöses der verkauften Grundstücke fordern solle. Rechtsanwalt
Adolf Dörmer beantragte, bei dem kgl. Konsistorium die Zahlung
einer einmaligen Abfindungssumme von 200000 Mark von Seiten
des Stifts oder die Genehmigung zur Beschreitung des Rechtsweges
zu fordern.
Am 15. Februar 1887 wurden die Presbyter Bürgermeister
Falkenhagen und Rechtsanwalt Dörmer mit zwei von ihnen
verfaßzten Gutachten an das Konsistorium geschickt. Das Konsistorium
legte beide Gutachten dem Stiftsverwaltungsrat vor und versprach
222
weiteren Bescheid. Am 25. September 1888 wohnte der Konsistorial⸗
präsident Snethlage einer Sitzung des Stiftsverwaltungsrates bei
und gab dem Wunsche nach einem friedlichen Ausgleich
Ausdruck. Das Presbyterium forderte und erhielt auch von zwei
erfahrenen Rechtsanwälten, Justizrat Boltz und Dr. Zillessen
günstige Gutachten. Bei der Anlegung des Grundbuches von
St. Johann im Jahre 1889 wollte nun der Superintendent
Zillessen die bis dahin in allen Katastern als Kirchengut der
evangelischen Gemeinde St. Johann bezeichneten Grundstücke als
Eigentum des Stiftes St. Arnual eingetragen wissen. Da er
dasselbe nicht beweisen konnte, wurde er auf den Rechtsweg ver⸗
wiesen. Das Landgericht Saarbrücken sprach am 18. März 1896
der Gemeinde das Eigentumsrecht zu. Auf Berufung des Stiftes
erkannte das Oberlandesgericht zu Köln am 26. Mai 1903 der
Gemeinde nur das nackte Eigentumsrecht zu, das Reichsgericht aber
gab durch Erkenntnis vom 17. Juni 1904 der Berufung der
Gemeinde statt und verwies die Sache zur nochmaligen Verhandlung
an den 5. Senat des Oberlandesgerichts zurück. Dasselbe erklärte
am 7. April 1906, die Gemeinde St. Johann sei völlige Eigen—
tümerin der streitigen Grundstücke; das Stift müsse der Gemeinde
alle seit 3Z0 Jahren vor Erhebung der Widerklage von dem Stift
gewonnenen Erlöse aus dem Verkauf von Grundstücken der Gemeinde
nebst 500 Zinsen bis zum 31. Dezember 1899 und 400 seit dem
1. Januar 1900 zahlen. Auf die von dem Stifte eingelegte
Revision erkannte das Reichsgericht am 29. Januar 1907, unter
Zurückweisung der Revision des Stiftes, dasselbe für schuldig zur
Rechnungslegung, zur Rückzahlung der aus dem Verkauf von
streitigen, seit 30 Jahren vor der Widerklage verkauften Grund—
stüchen nebst den Zinsen seit der Zeit. Das Landgericht Saar—⸗
brücken sollte den Betrag festsetzen.
Mit dieser Entscheidung hatte die Gemeinde den Prozeß ge—
wonnen. Das Hauptverdienst an diesem günstigen Ausgang hatten
außer dem scharfsinnigen und erfahrenen Sachwalter der Gemeinde,
Justizrat Dr. Muth, der Rechtsanwalt Adolf Dörmer
(k 1898). der Pfarrer Lichnock (f 1910) und der Kirchmeister
Jakob Huppert. Die Stiftsverwaltung gab zunächst nur
263 —
5 Grundstücke zurück; die Gemeinde aber verlangte 276500 Mark
bar und ebensoviel in liegenden Gütern. Schließlich wurde die
Forderung auf 447553 Mark festgesetzt. Das Stift bot
400 000 Mark, die Gemeinde aber beharrte auf ihrer Forderung.
Das Vermögen der Gemeinde wurde durch den günstigen Ausgang
des Prozesses ungefähr um den Wert von einer Million Mark
vermehrt.
20. Verlust und Ersatz der Kirchenglocken.
Als der französische Kommissar Ehrmann im Jahre 1793
die drei Glocken der alten Kirche weggenommen hatte, wurde die
eine der beiden kleinen Glocken, die auf dem Turm des Deutschen
Hauses hingen, der evangelischen Gemeinde St. Johann überlassen,
Doch dies war ein ungenügender Ersatz. Wohl bemühte sich im
Jahre 1802 Georg Ludwig Firmond im Namen der Ge—
meinde, von dem Präfekten des Saardepartements Rückgabe
oder Ersatz der geraubten Glocken zu erhalten, aber vergebens.
Nur der Eingang seines Schreibens wurde ihm bescheinigt, doch
dabei blieb es. Die Gemeinde mußte sich 60 Jahre lang mit der
einen kleinen Glocke behelfen.
Erst als im Anfang der fünfziger Jahre wieder einiger
Wohlstand in St. Johann eingekehrt war, konnte man daran
denken, diesem unwürdigen Zustande ein Ende zu bereiten. Die
Gemeinde bestellite bei dem Glockengiefzer Lindemann in Zwei—
brücken drei neue Glocken, die 1522 Taler und 4 Groschen
kosteten. Die Gesamikosten beliefen sich auf 2573 Taler 25
Groschen und 10 Pfennige. Durch Sammlung in der Gemeinde
wurden 277 Taler 10 Groschen aufgebracht. Die kleine alte
Glocke wurde an die Gemeinde Adenau für 50 Taler verkauft.
Der Seiler Ludwig Mertz gab ein Darlehen von 855 Talern
11 Groschen, das mit den übrigen Kosten durch 3 Jahresumlagen
in den Jahren 1855 —1857 gedeckt wurde.
Diese Glocken wurden ebenso wie das Geläute der Johannis—⸗
kirche ein Opfer des Weltkrieges. Nur die kleinste Glocke der
Johanniskirche blieb der Gemeinde erhalten; der Metallwert der
anderen wurde mit 21020 Mark bezahlt.
Das Presbyterium trat alsbald mit dem Bochumer Guß,—-
stahlwerk über die Beschaffung von Gußstahlglocken in Verbindung,
die auch im nächsten Jahre geliefert wurden. Sie tragen alle die
Aufschrift: „Gegossen im Kriegsjahr 1918.“ Von den für die
alte Kirche bestimmten Glocken erhielt die größte den Namen
Lutherglocke zum 400jährigen Gedächtnis der Reformation
mit der Inschrift: „Ein' feste Burg ist unser Gott“, die zweite
wurde Kaiserglocke genannt und erhielt die Inschrift: „Ihr
seid zu Stahl geworden“ zur Erinnerung einerseits an den Aufruf des
Kaisers an das deutsche Volk nach der Ablehnung des Friedens—
angebotes durch die Feinde im Jahre 1917, andererseits mit Be—
ziehung auf die Tatsache, daß die einstigen Bronzeglocken in der
Not des Vaterlandes durch Stahlglocken ersetzt werden mußten.
Die kleinste Glocke erhielt den Namen Friedensglocke und
soll der Sehnsucht unseres Volkes nach dem Ende des Krieges
und der Wiederkehr des Friedens Ausdruck geben durch die
Inschrift: „Friede sei ihr ers' Geläute'. Das neue Geläute der
Johanniskirche erhielt die Tonfolge des — -—as, das
Geläute der alten Kirche — as — des. Der hölzerne Glocken—
stuhl der alten Kirche wurde durch einen eisernen ersetzt.
An die Stelle der zinnernen Orgelpfeifen traten aluminierte
Zinkpfeifen.
Die neuen Glocken der Johanniskirche erhielten folgende
Namen und Inschriften:
1) Die Jesajas-Glocke von 1919 (statt der Kaiserglocke):
„Tröstet, tröstet mein Volk!“
265 —
2) Die Paul-Gerhard-Glocke (statt der Auguste-Viktoria—
Glocke): „Mach' End', o Herr, mach' Ende mit aller
unsfrer Not!“
3) Die Christusglocke (statt Bismarckglocke): „Kommet
her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“
Name und Inschrift der Johannesglocke blieben un—
verändert: „Mit Ernst das Herz in euch bestellt, es naht
der wunderstarke Held.“ Die kleine Bronzeglocke der
Johanniskirche wurde der Filialgemeinde Jägersfreude
abgegeben.
Am ersten Pfingsttage 1920 wurden die neuen Glocken
der Johanniskirche eingeweiht, am folgenden Sonntag, den 30.
Mai, die Glocken der alten Kirche. Für die Glocken beider Kirchen
wurde ebenso wie für die Orgel der Johanniskirche elektrischer
Antrieb eingerichtet.
21. Kirchliche Ordnung und kirchliches Leben.
Die kirchliche Ordnung der evangelischen Gemeinde beruht
auf der nassauischen Kirchenordnung von 1574 und auf der
„Ordnung und Reformation“ des Grafen Ludwig aus
dem Jahre 1609, die oben Seite 27 ff. besprochen worden ist.
Diese Ordnung enthält freilich manche Bestimmungen, die durch
humanere Anschauungen später beseitigt worden sind, wie die Be—
strafung von Ehebrechern mit dem Henkerschwert oder mit Landes—
verweisung, die öffentliche Kirchenbußze von gefallenen Mädchen
und der Kirchenzwang mit obrigkeitlichen Mitteln. Das einmütige
Zusammenwirken der Pfarrer wurde durch die Synoden oder
conventus ministeriales gefördert, das sittliche Leben
der Gemeinden durch Kirchenvisitationen überwacht. Über
die Synoden bestimmte die Kirchenordnung folgendes:
266 —
„Bei solchen Synoden, deren jährlich je nach Gelegenheit
und Notdurft der Kirchen zween anzustellen, soll fürs erst eine
Predigt gehalten und danach ein freundlich Gespräch und Collation
angestellt werden von einem vornehmen loco communi oder
capite christlicher Lehr, fürs dritte von dem übrigen Kirchenwesen,
so zur Erhaltung reiner Lehre, Ceremonien und Fortpflanzung
christlicher Zucht gehörig, item von Gleichheit in Ceremonien und
Kirchengebräuchen, und was sonsten dem Kirchenwesen mehr an—
hängig: was auch ein oder ander Kirchendiener von Gravamina
(Beschwerden), Mängel und Gebräuchen anzuzeigen, die bei seiner
oder benachbarten Kirchen vorfallen und darvon zu deliberieren nötig,
Unterred gepflogen, letzlich eensura morum zwischen den Kirchen⸗
dienern vorgenommen und bei diesem allen, wo es Verbesserung
bedarf, solche verfügt und angeordnet werden.“
Von diesen Synodi oder conventus ministeriales, die noch
heute gehalten werden, sind uns aus dem Anfang des 17. Jahr⸗
hunderts Niederschriften erhalten.
Jeder neu eintretende Pfarrer mußte eine Erklärung über
das evangelische Glaubensbekenntnis unterschreiben. Besonders
die Augsburger Confession wurde bei diesen Versammlungen be—
handell. Neben wissenschaftlichen Vorträgen, meist in lateinischer
Sprache, brachten Prüfungen der Kandidaten Abwechselung in
diese Versammlungen; auch wurden die Verfügungen des Konsis—
toriums hier zur Kenntnis der Geistlichen gebracht. Von den
Räten des Grafen pflegte der eine oder andere zugegen zu sein.
An die Besprechung schloß sich ein Mahl, zu dem auf jeden Teil—
nehmer ein halber Taler (16 Albus) aus der Stiftskasse ausge—
worfen wurde. Im Jahre 1731 wurde dieser Beitrag auf einen
halben Gulden (13 Albus) ermäßigt. Im Jahre 1742 vermachte
die Gräfin Sophie Eleonore, eine unvermählt gebliebene
Tochter des Grafen Gustav Adolf (geboren 1669, gestorben 1742),
den evangelischen Gemeinden 400 Gulden, von deren Zinsen die
Kosten zweier jährlicher Zusammenkünfte bestritten werden sollten.
Später wurde die Bewirtung auf einmal jährlich beschränkt und
die übrige Summe zur Vermehrung der Bücherei des Ministerial⸗
konvents verwendet, die jetzt mit der Stadtbibliothek vereinigt ist.
7
Die Inflation nach dem Wellkrieg hat auch die Mittel der
Eleonorenstiftung verschlungen.
Unter dem Grafen Ludwig Kraft (1713 -1723) wurden
die Synoden wieder eingeführt und bis zum Jahre 1743 viermal
jährlich abgehalten.
Am 2. November 1617 wurde das Jahrhundert⸗-Jubiläum
der Reformation gefeiert, und 1618 kam infolgedessen eine neue
Ausgabe der Kirchenordnung heraus. Außerordentliche Buß und
Bettage setzte der Graf Ludwig im Anfang des 30jährigen
Krieges in den Jahren 1619 und 1622 an. Graf Wilhelm Ludwig
(1627 — 1640) verordnete einen Buß⸗ und Bettag auf den
6. Februar 1628 „zur Abwendung göttlichen Zornes, Linderung
obliegender Landplagen und zu mehrerer Beförderung wahrer Buße,
wie zur Erneuerung zu inbrünstigem Gebet und Andacht“.
Das Jahr 1631 wurde abermals mit einer Betwoche be—
gonnen und am Samstag, den 8. Januar, ein großer Bettag mit
Fasten abgehalten.
Ueber die verheerenden Wirkungen des 30 jährigen Krieges
auf das Kirchenwesen schrieb der Pfarrer und Inspektor Joh.
Ludwig Rüdinger im Jahre 1657: „Man sehe nur an das
Kirchenwesen. Dasselbe ist, wie männiglich bekannt, also fein und
löblich in hiesiger Grafschaft bestellt gewesen, mit so vielen feinen,
in Gott gelahrten Männern, daß keine Kirche, will sagen, die aller—
geringste gewesen, welche nicht ihren eigenen Pfarrer und Seel
sorger gehabt, aber leider nunmehro nächst Gottes Verhängnis
durch vergangene Teuerung und Hungersnot, durch Krieg und
Unruhe im Land mit der Armut und bittern Hungers sich zu
erwehren und größerer vor Augen schwebender Gefahr zu entgehen
sich in das betrübte Exilium (Verbannung), begeben müssen oder
anderwertlichen Dienst und Unterhalt suchen müssen. Es sind auch
viel in solchen vergangenen Troubel mit Schwermut und täglichen
Anfechtungen geplagt, hingefallen und gestorben und daher noch
auf den heutigen Tag eine solche Armut und Mangel die Kirchen
hin und wieder trifft, daß 5, 6 mehr und weniger Kirchen sich
mit einem Pfarrer müssen bedienen lassen“.
268 —
Bald nach 1648 zogen Katholiken in die Grafschaft, welche
„wegen Mangels an anderen Unterthanen geduldet wurden“; ihre
Religion durften sie öffentlich nicht ausüben. Als 1665 der
Katholik Peter Brosius starb, wurde er von dem lutherischen
Geistlichen beerdigt und seine Kinder wurden sogar in der evangelischen
Kirche getauft.
Zur Winterszeit wurde zweimal gepredigt, morgens um 8
und mittags um 12 Uhr. In der Zeit von Ostern bis Michaelis
wurde nur einmal des Morgens gepredigt, des Nachmittags wurde
ein Kapitel samt einer kurzen Erklärung verlesen. Darauf folgte
die Kinderlehre und der Segen. Wöchentlich waren zwei Betstunden
und zwar des Dienstags und Donnerstags morgens um 7 Uhr.
In denselben wurde nicht gepredigt außer an Feier- und Bußlagen,
sowie an den Tagen der Vorbereitung zum heiligen Abendmahl.
Letztere wurde wie die Beichte des Samstags abgehalten. Das
heilige Abendmahl wurde alle sechs Wochen gefeiert.
Am 28. September 1755 wurde das 200jährige Gedächtnis
des Augsburger Religionsfriedens gefeiert. Über die Ordnung
in der Kirche berichtet der Pfarrer Ludwig Karl Schmidt:
„In der neuen Kirche wurde nach mancherlei Versuchen und
Streitigkeiten dieselbe Ordnung eingeführt, die auf gnädigster Herr—
schaft Befehl in Saarbrücken besteht, die Ordnung nach dem Alter.
Die Stühle Nr. J linker und rechter Hand vor dem Altar für
die Konfirmanden, Nr. II linker Hand für konditionierte (ange—
sehene) Personen, besonders für die von Saarbrücken, welche
kommen, Nr. II aber rechter Hand für der Herren Geistlichen
Familien bestimmt sein und bleiben. Nr. III linker und Nr. III
rechter Hand sollten die Familien der Herren Gerichtsschöffen sitzen.
Nr. IV linker und Nr. IV rechter Hand sollten hierauf die Weibs—
personen nach ihrem Alter folgen. Der hierauf folgende Stuhl
Nr. V linker Hand wurde aus besonderen Ursachen der Karcherischen
Familie mit der Bedingung angewiesen, daß nur sie, die damals
Lebenden, allein darin ihren Sitz haben und solch beneficium
(Wohltat) sich nicht auf ihre Kinder und Nachkommen erstrecken
sollte.“
— 259
„Diese beliebte Ordnung wurde dann zu Papier gebracht und
von dem hochfürstlichen Konsistorium am 2. Oktober 1732 genehmigt.“
Diese Sitz- Ordnung wurde streng eingehalten, und Sere—
nissimus selbst erließ höchsteigenhändige Verfügungen darüber. So
erhielt am 4. Januar 1753 der Gerichtmann Konrad Fürmund
folgendes fürstliche Dekret:
„Des Supplicanten Schnur Gitistellers Schwiegertochter)
wird bewandten Umständen nach der Sitz in demjenigen Kirchen—
stuhl, worinnen ihre Schwiegermutter dermalen ihren Stand hat,
gebotener Maßen, jedoch gegen Erlegung von 10 Reichstalern in
dasige Brudermeisterei und ohne Konsequenz vor andere, hiermit
verstattet.“
W. H. F. 3. N. S.
Wilhelm Heinrich, Fürst
zu Nassau-Saarbrücken.)
In demselben Jahre bekam des Stadtkapitäns Mügel
Frau ein Konsistorialdekret des Inhalts, daß sie in der Kirche
im Gerichtsweiber⸗-Stuhl sitzen solle.
Mit dem Übergang des Saarbrücker Landes an Preußen
waren auch wichtige Veränderungen in der Kirchenverfassung ver⸗
bunden. Die Entstehung der evangelischen Union ist oben
S. 156 ff. erzählt worden. Die Angelegenheiten der Gemeinde
wurden von jetzt an von dem aus Geistlichen und Laien zusammen—
gesetzten Presbyterium verwaltet.
Im Jahre 1835 wurde die Agende und die Kirchen—
ordnung für die evangelischen Gemeinden der Provinz Westfalen
und der Rheinprovinz eingeführt. Über die Einführung der
Agende in St. Johann lesen wir folgende Eintragung in dem
Presbyterialprotokoll:
„Nachdem das Presbyterium von Saarbrücken und St.
Johann in gemeinsamer Sitzung vom 13. April 1835 unter
Vorsitz des Superintendenten Zimmermann (der mit Hildebrand
von Saarbrücken und Gottlieb von St. Johann in der Leitung
der Geschäfte der Synode abwechselte) beschlossen hatten, daß die
Agende sorgfältig beachtet und der vorgeschriebene Altarschmuck
sofort beschafft werde, dafz die Sängerchöre unverzüglich eingeübt
270 —
und bei Beerdigungen das Bewerfen mit Erde beachtet werde,
lehnte die Repräsentation am 4. Oktober 1835 mit 20 gegen 16
Stimmen den Altarschmuck ab.“ Und so ist es noch heute in der
alten Kirche, wo es keine Altarleuchter und kein Kruzifix gibt,
während Saarbrücken den Beschluf; vom 13. April 1835
ausgeführt hat.“
Die Kirchenordnung machte die presbyteriale Organisation
der Gemeinden zum eigentlichen Grundstein der Kirchenderfassung.
Während bis dahin das Presbyterium die einzige Gemeinde—
vertretung war, wurde durch die neue Kirchenordnung für jede
über 200 Seelen zählende Gemeinde eine größere Gemeinde—
vertretung (Repräsentation) geschaffen, welche zwischen dem
Presbyterium und der Gemeinde steht. Dieser Gemeindevertretung
erteilte die Kirchenordnung die Befugnis, gemeinschaftlich mit dem
Presbyterium 1) den Pfarrer zu wählen, 2) über Erwerbung
oder Veräußerung von Grundeigentum zu beschließen, 3) Gehälter
und Gehaltszulagen für Pfarrer oder Kirchenbeamte festzusetzen
und 4) bei Unzulänglichkeit des Kirchenvermögens über die
Beschaffung der nötigen Mittel zu beraten und nötigenfalls eine
Umlage auf die Gemeindeglieder zu beschließen und der Regierung
zur Bestätigung vorzulegen. Das Presbyterium in St. Johann
besteht mit Einschluf; der 3 Geistlichen aus 11, die größzere
Gemeindevertretung aus 48 Mitgliedern, unter denen 3 Frauen sind.
Außerdem werden Kreissynoden berufen, die aus den
Pfarrern des Kreises und je einem weltlichen Mitglied für jede
Gemeinde bestehen. An der Spitze jeder Kreissynode steht ein
auf 6 Jahre gewähltes Direktorium, das aus dem Superintendenten
als Vorsitzenden, dem Assessor und dem Schriftführer (Scriba)
besteht. Im Jahre 1907 wurde die Kreissynode Saarbrücken in
die Synoden Saarbrücken und St. Johann geteilt. Die Super—⸗
intendenten der Synode St. Johann waren Pfarrer de Wyl in
Friedrichsthal, Pfarrer Holthöfer in Wellesweiler, Pfarrer Lichnock
in St. Johann und Pfarrer Imig in Sulzbach. In ähnlicher
Weise ist die kirchliche Vertretung der Provinz, die alle 3 Jahre
zusammentretende Provinzialsynode, zusammengesetzt. Die Auf—
sicht über alle milden Stiftungen und das Kirchenvermögen steht
271 —
den Staatsbehörden zu. Seit dem Jahre 1826 ist die rheinische
evangelische Kirche dem Konsistorium in Koblenz unterstellt.
Im Jahre 1846 wurde zum ersten Male eine Landessynode
(Generalsynode) berufen. Im Jahre 1848 wurde zur einheit⸗
lichen Verwaltung der kirchlichen Einrichtungen das Oberkonsistorium
in Berlin begründet, an dessen Stelle im Jahre 1850 der
evangelische Oberkirchenrat trat.
Im Jahre 1893 wurde an Stelle des alten nassauischen
Gesangbuches das evangelische Gesangbuch für Rheinland und
Westfalen eingeführt.
Die nach der Einsetzung der Regierungskommission drohende
Gefahr einer Abtrennung der Saarländischen Kirche von der
preußischen Landeskirche wurde durch das Festhalten der evangelischen
Geistlichkeit an ihrem verfassungsmäßigen Rechte glücklich abgewendet.
Eine wichtige Veränderung wurde durch das kirchliche Ge—
meindewahlgesetz vom 19. Juni 1920 herbeigeführt, das allen
männlichen und weiblichen Mitgliedern der Kirchengemeinde, die
am Wahltage mindestens 24 Jahre alt sind, zu den kirchlichen
Gemeindelasten beitragen und wenigstens drei Monate in der
Gemeinde wohnen, das Wahlrecht für die Kirchenvertretung verleiht.
Wählbar für die Gemeindevertretung sind nach diesem Gesetz alle
Wahlberechtigten, für das Presbyterium aber nur, wenn sie das
dreißigste Lebensjahr vollendet haben. Die Wahl erfolgt nach
dem Grundsatz der Verhältniswahl.
Am 5. Dezember, dem 2. Advent 1920, fand ein allgemeiner
Volkskirchentag statt, an dem in allen Kirchen des Saargebietes
über den Neuaufbau der evangelischen Kirche gepredigt wurde.
In der Ludwigskirche predigte der Generalsuperintendent der Rhein—
provinz D. Klingemann. Am Nachmittag fand ebenda eine große
kirchliche Versammlung statt, in der Ansprachen mit Gesangsvor—⸗
trägen wechselten. Die erhöhte Teilnahme an dem kirchlichen Leben
zeigte sich auch im Oktober 1924 auf dem Kölner Kirchentag, der
von so vielen Teilnehmern aus dem Saargebiet besucht wurde,
daß ein Sonderzug zur Hin- und Rückfahrt genommen werden
konnte. Am 1. Oktober 1924 wurde die neue preußische Kirchen—
verfassung eingeführt, die sich eng an die rheinische Synodal- und
Presbyteralverfassung anschließt.
Der Veredlung des Gottesdienstes dient der im Jahre 1874
gegründete Kirchenchor.
Das Rheinische Kirchengesangfest wurde am 11. und 12.
Juli 1897 in St. Johann-Saarbrücken abgehalten. Am Sonn—
tag, den 11. Juli, predigte um 10 Uhr in liturgisch ausgestaltetem
Gottesdienst Pfarrer Kremers von Malstatt. Um 4 Uhr wurde
in der Ludwigskirche zu Saarbrücken das Oratorium von Haydn
„die Schöpfung“ aufgeführt und um 72, Uhr eine Festversammlung
im Tivoli abgehalten, in der verschiedene Ansprachen gehalten und
von den Kirchenchören Lieder gesungen wurden.
Am 7. Juli 1912 hielt der Rheinische Kirchengesangverein
sein 26. Jahresfest in Saarbrücken ab, zu dessen Kosten die Ge—
meinde St. Johann beitrug.
Im Jahre 1923 am 18. Mai, dem Sonntag Cantate,
wurde das 400jährige Jubiläum des evangelischen Kirchenliedes
festlich begangen. Der Kirchenchor von St. Johann wurde in den
letzten Jahren von dem Musikdirektor Hans Wolff, dann von
dem Gesanglehrer Otto Schrimpff und zuletzt von dem Ober⸗
lehrer Ludwig Sick geleitet. Als Organisten waren die Lehrer Roos
und Seegmüller, dann 20 Jahre lang der blinde Orgel—
spieler Philipp Schmeer tätig (4 1927), jetzt Fritz Lösch aus
Sulzbach. In der Filiale Jägersfreude wird alle drei Wochen
Gottesdienst in einem Betsaal abgehalten. Ein Bauplatz zu einer
Kirche ist bereits erworben. Die Pfarrei St. Johann ist in drei
Seelsorgebezirke eingeteilt. Von Zeit zu Zeit finden Gemeinde—
abende mit musikalischer Unterhaltung und Ansprachen der Geist—⸗
lichen statt. Im Sommer wurden wiederholt Waldgottesdienste
im St. Johanner Stadtwald am „Römerbrünnchen“ abgehalten,
bei denen statt der Orgel ein Posaunenchor mitwirkte. Das
Küsteramt an der alten Kirche wird schon in der dritten Generation
von einem Mitglied der Familie Löw versehen.
273 —
Mit der evangelischen Gemeinde St. Johann stehen
folgende Vereine in Verbindung:
1. Evgl. Bürgerverein, gegründet am 1. Januar 1924 durch
Pfarrer Reichard, welcher zur Zeit auch den Vorsitz führt.
2000 Mitglieder.
Gesangverein für Kirchenmusik. Im Jahre 1874
gegründet als „Eogl. Kirchenchor“ durch Kaufmann Rudolf
Weinig und Lehrer Karl Kablé. Zur Zeit ist Karl
Bender Vorsitzender; der Verein zählt 100 Mitglieder.
Evgl. Bund. 1919 durch Pfarrer Halke wieder neu ins
Leben gerufen, der zurzeit auch noch den Vorsitz führt.
250 Mitglieder.
Evgl. Frauenhilfe. Die schon unter Pfarrer Ulrich be—
stehende Frauenhilfe, die während des Krieges eingegangen
war, wurde 1919 durch Pfarrer Schmitt neu belebt. Vor—⸗
sitzende ist Frau August Baldes. Mitgliederzahl 120.
Evgl. Jungfrauenverein. Gegründet im Obtober 1918
durch Pfarrer Schmitt, der auch jetzt noch den Vorsitz führt.
65 Mitglieder.
Deutsch-Evangelischer Jugendbund (B. D. J. Am
19. Juli 1893 gegründet durch Pfarrer Lichnock als „Eogl.
Männer⸗ und Jünglingsverein“. Am 15. Mai 1924 trat
der Verein dem „Bund Deutscher Jugendvereine“ bei und führt
—AVVo
zur Zeit Pfarrer Halke. Mitgliederzahl 70.
B. K. GBibelkreis von Schulern höherer Lehranstalten). Den Vor⸗
sitz übernahm, nachdem der frühere Leiter, Studienrat Zimmermann
aus Forbach, gefallen war, im Jahre 1919 Pfarrer Schmitt,
der zur Zeit noch den Vorsitz führt. 40 Mitglieder.
18
274 —
22. Das evangelische Krankenhaus.
Der Gedanke, ein evangelisches Krankenhaus in St. Johann
zu erbauen, wurde im Jahre 1891 durch den Aufruf zur Erbauung
eines katholischen Krankenhauses mit Waisen⸗ und Allersver⸗
sorgungshaus (Langwid'sches Stift) angeregt. Der Gedanke fiel
auf fruchtbaren Boden. Zwei evangelische Frauen, die Witwe
Gustav Wack und ihre Tochter, Frau Lina Hartung, über—
wiesen einen namhaften Geldbetrag für diesen Zweck dem Pfarrer
Lichnock, der nun im Verein mit dem Pfarrer Ilse und den
Mitgliedern des Presbyteriums Landesbauamtssekretär Alsdorf
und Brunnenmacher Huppert es unternahm, den Plan auszu—⸗
führen. Es wurde ein Ausschuß gewählt, in der außer den ge—
nannten Herren Regierungsrat Daub, Rechtsanwalt Dörmer,
Fabribant Karl Hartung, Dr. Leonhardt und Maurer—
meister Adolf Wolff eintraten. Auch Bürgermeister Neff und
zahlreiche andere evangelische Bürger bewiesen sich dem Plane
geneigt. Dieser wurde in erfreulicher Weise durch Frau Lina Pabst,
geb. Hartung, gefördert, die für den Bau des Krankenhauses
ein Grundstück schenkte, dessin Wert auf 4000 Mark geschätzt
wurde. Da dieses Grundstück aber wegen seiner Lage (auf
Malstatter Bann) und wegen seiner Beschaffenheit als Bauplatz
nicht geeignet erschien, so wurde es für 13 156 Mark 75 Pfennige
wieder verkauft und damit ein Grundstock für das Bauunternehmen
geschaffen.
Durch einen Aufruf an die evangelischen Bürger und eine
Haussammlung wurde die Summe von 17000 Mark zusammen⸗
gebracht, aber erst im Jahre 1894 wurde der Baugedanke dadurch
neubelebt, daß der Kommerzienrat Emil Haldy und seine
Gemahlin Marie, geb. Sello, das Paul-Marienstift der evangelischen
Gemeinde schenkten. Es erschien wünschenswert, das Krankenhaus
in der Nähe dieser Stiftung zu bauen, und es wurde deshalb der
nahegelegene Thomä'sche Garten für 8000 Mark erworben.
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Nachdem im nächsten Jahre die größere Gemeindevertretung
eine Kommission für den Bau des Krankenhauses, aus den Herren
Alsdorf, Amberg, Joh. Huppert, Jakob Huppert, Kanzleirat
Kriene, L. Reiß, David Wüllenweber, Jak. Zembrod und Herm.
Willing gewählt und nachdem Herr Kriene deren Vorsitz übernommen
hatte, wurde der Garten der Witwe Schaidt für 7200 Mark und
der Garten des Herrn Schwarz für 15502 Mark gekauft. So
stand mit Einrechnung eines Teils der Grundfläche des Paul—
Marien⸗Stiftes ein Bauplatz von etwa 100 Ar zur Verfügung,
der für 2 zweigeschossige und 2 eingeschossige Pavillons mit 70
Betten Raum zu bieten schien. Von Herrn Willing wurde eine
Bauskizze entworfen, die von dem Stadtbaumeister Franz
geprüft und weiter ausgeführt wurde. Die Kosten des Baues
und der inneren Ausstattung wurden auf 75000 Mark geschätzt,
die teils durch Sammlungen, teils durch eine Anleihe aufgebracht
werden sollten. Zunächst sollte ein zweigeschossiger Pavillon für
25 Betten unter Verwertung der neuesten Erfahrungen auf dem
Gebiete des Krankenhausbaus errichtet werden. Im Jahre 1897
wurde beschlossen, das Krankenhaus nach dem Plane des Archi⸗-
tekten Brugger zu erbauen, und nachdem ein Gutachten des
Oberingenieurs Wallraff von Nürnberg eingeholt worden war,
bewilligte die größere Gemeinde-Vertretung am 5. Mai 1899 die
Bausumme von 150000 Mark. Die Straßenbaukosten im Betrag
von 12790 Mark wurden von der Stadt auf 10 Jahre gestundet.
Am 28. Mai 1902 fand die Grundsteinlegung statt. Am 15. März
1904 wurde das Haus feierlich eröffnet. Im nächsten Jahre
stiftete Kommerzienrat Karl Roth einen Aufzug zum Preise von
12000 Mark und Frau Roth 2000 Mark für die Waschküche.
Der Rentner Hartung vermachte dem Hause letztwillig 3000 Mark.
Bald nachher trafen die Krankenpfleger Schulze und Mornhinweg
von Witten ein, die von der Gemeinde freie Wohnung erhielten.
4 Schwestern waren im Krankenhaus tätig. Die ärztliche Ver⸗
sorgung übernahmen Dr. Schüller und Dr. Martens, der letztere
war 22 Jahre als leitender Arzt in dem Hause tätig. Jetzt
ist De. Bergmann Leiter der chirurgisch-gynäkologischen Abteilung
und Chefarzt; die innere Abteilung leitet Dr. Schack aus
277 —
Haus der evangelischen Schwestern in St. Johann,
Paul⸗Marienstraßze.
Magdeburg. Der Haushalt des Krankenhauses belief sich im
Jahre 1905 auf 67191 Mark.
Eine weitere Zuwendung machten 1907 Komm.Rat Roth
und Frau Schüler im Betrag von 1750 Mark. In demselben
Jahre wurden 3 weitere Gärten zum Gesamtipreise von 26889 Mark
angekauft. Das Krankenhaus hatte damals 50 Betten. Im
Jahre 1910 wurde der Umbau des Isolierhauses mit Neubau
der Waschküche beschlossen. Zur Pflege wurde eine fünfte Schwester
von Speier erbeten. Im Jahre 1912 wurde das Krankenhaus
erweitert und 2 Schwestern des Krankenpflegervereins übernommen.
Im Jahre 1912/13 wurden 987 Kranke an 19912 Tagen von
10 Krankenschwestern unter der Leitung von 4 Ärzten gepflegt. Die
Anstalt verfügt jetzt über 88 Betten. Als Schwesternheim wurde
ein Haus in der Paul-Marienstraße erworben. Das St. Johanner
Waldreservat schenkte 500 Mark, Frau Deeßz 2000 Mark,
Frau Komm.-Rat Roth einen Sterilisator, Kommerzien-Rat Roth
2000 Mark. So konnte eine Kältemaschinen-Anlage eingerichtet
werden. Die Firma Gebr. Röchling schenkte 400 Zentner
Kohlen. Im Dienst des Hauses sind 6 Schwestern tätig.
Frau Elisabeth Roth stiftete 100000 Mark für das Kranken—
haus und zur Erholung der Schwestern. Frl. Kuhn schenkte
25000 Mark. Im Jahre 1921 wurden im ganzen 15000 Mark
von verschiedenen Seiten geschenkt. Die im Treppenhaus be—
findlichen gemalten Glasfenster sind von Frau Kommerzienrat
Karl Karcher, Herrn Edgar Böcking, Herrn Ernst Karcher
in Antwerpen und Herrn Pfarrer Lichnock gestiftet.
279 —
23. Die Friedhöfe zu St. Johann.
Seit dem Bau der St. Johannes-Kapelle wurden die Ver—⸗
storbenen in und um dieselbe beerdigt. Aus dem Vertrage von
1453 (0gl. S. 8, Absatz 4) ergibt sich, daß auch zuweilen Bürger
von Saarbrücken hier eine Ruhestätte fanden. Noch bis zum
Jahr 1574 fand dies manchmal statt; als aber damals eine pest⸗
artige Krankheit ausbrach, ließ Graf Johann für beide Städte den
Kirchhof an der Kreuzkapelle (an der Stelle des Hauptzollamtes)
zu Saarbrücken anlegen. Im Jahre 1600 wurde ein neuer Kirch⸗
hof außerhalb der Stadt St. Johann beschafft, wozu 5 Garten⸗
stücke hinter der Kirche, welche der St. Johannes-Bruderschaft ge⸗
hörten, verwendet wurden. Dieser Platz neben dem Gerbergraben
diente den Evangelischen zum Beerdigungsplatz bis zum Jahre
1846. — Am 24. Juni 1846 wurde der neue Friedhof auf dem
Rotenberg eingeweiht. Die Teilnehmer versammelten sich nachmittags
314 Uhr am 24. Juni in der evangelischen Kirche zu St. Johann.
Um 4 Uhr begab sich die Versammlung unter Glockengeläute und
Musikbegleitung nach dem außer Gebrauch zu setzenden Friedhof
an der Gerberstraße. Hier wurde zunächst gesungen: „O wie
selig seid ihr doch, ihr Frommen“, dann hielt der Pfarrer Dr.
Follenius eine Rede, auf welche der astimmige Gesang: „Wie
sie so sanft ruhn“ und Gebet und Segen folgte. Der 4stimmige
Gesang: „Auferstehn wirst du“ schloß die Feier, und der Friedhof
war für seine bisherige Bestimmung geschlossen. Hierauf zog die
Versammlung unter Glockengeläute und Absingen des Liedes:
„Es ist noch eine Ruh vorhanden“ mit Musikbegleitung nach dem
neuen Gottesacher auf dem Rotenberg. Hier wurde zuerst von
der Gemeinde gesungen: „Die auf der Erde wallen.“ Darauf
folgte eine Festliturgie mit 4stimmigem Chor und Gebet und Predigt.
) —
So wurde der neue Gotlesacker eingeweiht, und die ganze Feier
mit dem 4stimmigen Chorale: „Jesus, meine Zuversicht“ und dem
Segen geschlossen.
Der alte Friedhof wurde im Jahre 1877 zu einem öffent⸗
lichen Platz, dem Gerberplatz, umgewandelt.
Der Friedhof auf dem Rotenberg wurde als erster gemein—
schaftlicher Begräbnisplatz für die beiden christlichen Bekenntnisse
der Stadt St. Johann angelegt, nachdem bis dahin die Leichen
der evangelischen Bewohner auf dem jetzigen Gerberplatz, die der
Katholiken anfangs an ihrer Pfarrkirche und später auf dem
Friedhof an der Mainzerstraße beerdigt worden waren. So ist
dieser Friedhof ein nicht zu unterschätzendes Denkmal einträchtigen
Bürgersinnes, während an anderen Orten um dieselbe Zeit die
Einrichtung konfessionell getrennter Friedhöfe verlangt und durch—
gesetzt wurde.
Auch in Kunstgeschichtlicher Beziehung ist der Friedhof be—
merkenswert, vor allem durch die nach dem Entwurf des Bau—
meisters Hild erbaute Friedhofskapelle, das jetzige Wärter⸗
haus, mit ihren dorischen Säulen, ein Denkmal Klassizistischer
Baukunst. Unter den Grabmälern fällt eine schöne Urne auf, die
den Namen des angesehenen St. Johanner Bürgers Georg
Ludwig Firmond tnaägt.
Die übrigen jetzt beseitigten Grabmäler waren, soweit man
dies aus den Resten erkennen kann, zwar keine hervorragenden
Kunstwerke, aber sie waren doch beachtenswert für die Kenntnis
des Zeitgeschmacks; sie erinnerten an alte gute Bürgerfamilien von
St. Johann, die zum Teil ausgestorben sind. Ein Denkhstein weckt
eine besonders traurige Erinnerung: das Grabmal der sechs
Kinder der Eheleute Brenner, die im Jahre 1862 bei dem furcht⸗
baren Brandunglück am Obertor in den Flammen umgekommen
sind, ein Ereignis, das die Gründung der freiwilligen Feuerwehr
von St. Johann herbeiführte.
Eine besondere Weihe erhielt der St. Johanner Friedhof
dadurch, daß im Jahre 1870,71 die Leichen von 25 deutschen
Offizieren und etwa 250 deutschen Soldaten, die teils in der
Schlacht am 6. August gefallen, teils in den Lazaretten der Stadt
281
gestorben waren, hier beigesetzt worden sind. Zu ihrer Ehre ließ
die Stadt St. Johann ein würdiges Denkmal errichten, das am
ersten Jahrestage der Schlacht feierlich eingeweiht wurde. (Bild S. 185.)
Am Fuße des Denkmals befinden sich die Gräber der 25
deutschen Offiziere und ein Massengrab, das die Gebeine der 250
deutschen Soldaten enthält. Hier ist das Grab des Hauptmanns
Kapelle auf dem alten Friedhof (Rotenberg) in St. Johann.
v. Manstein, der nach der Schlacht in der Nähe von Stieringen,
wo er gefallen, bestattet worden war, und den sein Vater, der
General der Infanterie v. Manstein, auf dem St. Johanner
Friedhof beisetzen ließ, damit sein Sohn sicher in deutscher Erde ruhe.
Erhalten sind nur die Inschriften auf den Gräbern des
Premierleutnants und Kompanieführers Kirsten vom 5. Regiment,
des Leutnants und Regiments-Adjutanten von Hobe vom 12.
Regiment, des Premierleutnants von Beaulieu und des Unter—
ofsiziesrs Spiecker vom 39. Regiment, des Premierleutnants
282
Hoestermann vom 28. Regiment und des Leutnants Großcurth
vom 55. Regiment. Außer ihnen sind nach den Friedhofsakten
hier bestattet: der Major v. Klingguth, die Hauptleute Werner
und Groß und der Portepeefähnrich v. Randow vom 48. Regiment,
die Premierleutnants und Kompagnieführer v. Rappard und Meyer
vom 53. Regiment, Hauptmann v. Oppen und Vizefeldwebel
Haverbeck vom 12. Regiment, die Leutnantis Schmitz, Morgenroth
und Vaupel vom 39. Regiment, der Leutnant der Reserve Cramer
vom 40. Regiment, die Hauptleute Pütter und Trützschler v.
Falkenstein, der Premierleutnant v. Hollwede, die Leutnants Strauß
und Nietschmann und der Portepeefähnrich v. Gallera.
Im Jahre 1883 wurde der Friedhof auf dem Rotenberg
geschlossen; er ist jetzt zu einer Parkanlage umgeschaffen, an deren
Südwestseite sich die neuerbaute katholische St. Michgelskirche
erhebt. Nachdem auf dem Bruchhübel ein 4,25 Hektar großes
Gelände angekauft war, wurde hier ein neuer Friedhof eingerichtet.
Die Kosten beliefen sich auf 37614 Mark.
Nachdem auch dieser Friedhof ganz besetzt worden war, wurde
ein großes Gelände an der Metzer Straße angekauft und als
Zentralfriedhof für die Stadtteile All-Saarbrücken und St. Johann
eingerichtet. Hier wurde ein Ehrenfriedhof für die Opfer des
Weltkrieges angelegt.
283 —
Grabmal auf dem alten Friedhofe (Rotenberg) in St. Johann
der verbrannten Kinder der Eheleute Brenner.
—
284 —
24. Stiftungen und Vermächtnisse.
a) Die Almosen-Stiftung von St. Johann.
Über die Entstehung dieser Stiftung berichtet eine alte Hand⸗
schrift im Stadtarchiv folgendes:
„Der ernvest Wolffgang Philips Hesinger, Königl. Würden
aus Schweden oberst Rat Kämmerling hat in anno 1596 durch
seinen Schwagern Herrn Veit Klein, Schmied und Gerichts⸗
schöffen zu St. Johann, so ab zweyen Wiesenplätzen zu Sarprucken
in Molstetter Weg bey oder ums die Loyswiese) gelegen, ge⸗
löset und Heinrich Bannbäckern verkauft worden, in dieses
Almusen zum ersten legiert (gestiftet). Solches Kaufgeld tut vierzig
sechs Gulden Sarpr. Währung. Der Allmächtige wölle diese
Guttat zeitlich und ewig belohnen.“
„Herr Philips Koch 1596, Kantengießer und Gerichtsschöff
zu St. Johann, den Armen Capitalis legiert, Unterpfand seine
Nahrung, tut ... 20 Gulden
Item Hans Müller, auch Gerichtsschöff auch daselbst,
legiert. .. 20
Item Veit Klein, Gerichtsschöff. 10
Item Casper Taixon, jetzt Burgenmeiste .10
Summa Capitalis 106 Gulden
Von solchem versprochenen Geld in die immerwährende
Almusen gehörig ist von den Debitoren (Schuldnern) obgenannt
bewilligt, zugesagt und versprochen worden, solches bis zur Ablösung
jedes Jahrs uf Joannis Baptistae (24. Juni) von 20 Gulden
Capital einen Gulden davon zu verzinsen.
1) Sie gehörte wohl der Loys⸗ oder Eligius⸗-⸗Zunft der Metallarbeiter.
205
Anno 1597.
Von gemeltem Capital hierüber gesetzt an Zins empfangen
worden. . 5 Gulden 7 Albus 6 Pfennige
Anno 1598 desgleichen. . 5 Gulden 7 Albus 6 Pfennige
Summa 10 Gulden 151 Albus.
Ausgabgeld 1598.
Den Armen 4 Faß Rogken kauft, jedes Faß 12 Albus
und davon das Brot ausgespendet, tut. . 1 Gulden 22 Albus
Item den Lumpen vor ein Faß Korn bezahlt 12 Albus
Item den letzten Augusti ausgeteilt 2 Faß
Korn an Brot, kost ..
20 Albus
Ausgab tut 3 Gulden 2 Albus
Gegen die Einnahme⸗Zinsen abgerechnet bleibt
Gulden 13 Albus 4 Pfennige.“
Diese Almosenstiftung „für hausarme Leut“ wurde im Jahre
1600 von dem Grafen Philipp III durch folgende Urkunde bestätigt:
„Wir Philips Grave zu Nassau, Sarbrucken und zu
Sarwerden, Herr zu Lahr u. s. w. thun kund und bekennen
— C
unser Pfarrherr Johannes Ruß, Bürgermeister und Gericht unsrer
Stadt St. Johann uns unterthänig haben anbringen und vorzeigen
lassen, welchergestalt etliche fromme gottesfürchtige Leut aus sonder⸗
lichem christlichem und mitleidigen Eifer und umb Gottes willen
eine Pfründ und Almusen vor benöthigte Hausarme ) Leut
in berührter unserer Stadt St. Johann gestiftet und noch—
mehr zu solchen mild- und gutthätigen Sachen, da dieselben
nützlich angewendet, zu steuern und zu geben gedachten,
auch andere durch dieser gut Exempel und Vorhaben bewegt und
angereizt werden möchten; dernwegen unterthänig gesunnen und
gebeten: Wir als die hohe Obrigkeit jetztgedachter unserer Stadt
St. Johann und patronus ptochotrophorum (Armenpfleger)
et piarum causarum GBeschützer frommer Stiftungen) diese
1) Zum Unterschied von Spitalarmen.
286 —
und folgende beneficia als ein ewig immerwährend Almusen also
befreien und versichern wöllen, damit dieselbe jetzt und inskünftig
nirgends anders wohin und zu keinen andern Sachen als zu
Unterhaltung der armen Hausleuten zu St. Johann, denen dann
solche begabet, verwendet und gebrauchet, auch damit ufrichtig und
redlich umbgegangen werden möchte. Welches ihr wohlmeinendes
Suchen und Begehren dann wir nicht vor unerheblich, ja ganz
notwendig erachtet. Setzen dernhalben und ordnen hiermit und
in Kraft dieses Briefes, daß über alles dasjenige, so allbereit von
etlichen vor Hausarme Leut in St. Johann gestiftet oder noch vor
sie umb Gottes willen gegeben und verordnet werden möchte, ein
Schein aufgerichtet und deshalben ein gewisses beständiges Register
verfertigt, auch darzu eine Kisten mit zweyen Schlossen, deren
Schlüssel einer dem Pfarrhern jederzeit, der andere den Gerichten
zu St. Johann zugestellt und darin alle verbriefte Unterpfänd und
Gutbrief verwahrlich behalten, gleichergestalt, da deren einer abgelöst,
solch Hauptgeld wiederumb auf gewisse Unterpfänder mit beides
——
diese Almusen treulich und zum Besten unter die armen Hausleute
ausgeteilt werden, sollen solche jederzeit mit Vorwissen des Pfarrherrn
und der Gerichte beschehen und hierinnen keine Freundschaft oder
Gunst, sondern allein uf das bloße Armut und Notdurft angesehen
werden. Befehlen auch allen unsern Oberamtmann, Räten, Schult⸗
heißen, Meyern, Bürgermeistern und Gerichten ernstlich und festiglich
hierüber und was einmal vor die Hausarmen Leut in St. Johann
gewidmet und gestiftet oder noch gestiftet und verordnet werden
möchte, als einen ewigen unwiderruflichen immerwährenden Al—
musen zu haben und dieselbige Pfrund oder Gaben zu nirgends anders,
wie dasselbige auch erdacht werden könnte, als zu Unterhaltung
und Ernährung der Hausarmen Leut zu Sanct Johann zu ge—
brauchen und anzuwenden. Dessen zu wahrer Urkund, Bebkräftigung
und Bestätigung vor uns, unsere Erben und Nachkommen haben
wir uns mit eigenen Händen unterschrieben und unser Canzleysecret
(Geheimsiegel) wissentlich vordrucken lassen. Geschehen zu Sarprucken
den letzten Tag des Monats Augusti im Jahr eintausend und
sechshundert.
7
37 —
Also unterschrieben:
Philips Graf zu Nassau.“
„Bald hernach ward gesteuert von einem guten Freund
20 Gulden.“
„Von einem begüterten Bürger anno 1606 60 Gulden.“
Unter diese Nachricht hat Pfarrer Johannes Ruß geschrieben:
„Gott störe das Böse und mehre das Gute!“
Von Zuwendungen zu dieser Almosenstiftung lesen wir in
dem alten St. Johanner Almosenbuch folgendes: 1611,Weiland
der ehrenfeste und hochachtbare Herr Georg Aichelberger,
gewesener Ratsschöff und Wadgassischer Propst zu Saarbrücken,
und Frau Maria (Köhl) von Dirmstein, gewesene Eheleute selig,
haben den Hausarmen laut ihres hinterlassenen Testaments zu
Saarbrücken, St. Johann und Ensheim an Capitalgeld legiert
und an Herrn Thomas Bruch, jetzigen Propst und Gerichtsschöffen
zu empfahen angewiesen, tut 400 Gulden, welche Jahrs uff
Joannis Baptistae zinsen 24 Gulden; tut allhier zum dritten
Teil Jahrs 8 Gulden.“
1684 Nach geendigtem langwierigem Krieg hat man diese
Kapitalien wieder zusammengesucht, welche mehrenteils verloren ge—
wesen. Da haben sich durch große Muhe wieder zusammengefunden
ohngefähr 1264 Gulden, 37 Kreuzer und sind wieder aufs neu
Herrschaft wegen verbrieft worden.
1751 stiftete Herr Johann Philipp Karcher, hiesiger Bürger
und Handelsmann, 500 Gulden.
1757 Herr Gerichtsmann Magnus Schellenberger,
Bürger und Bäckermeister dahier, 20 Gulden.
1776 Herr Philipp Schmidtenborn und dessen Schwester
von St. Johann haben der Stadtarmenkasse ein Kapital von 100
Gulden vermacht durch Übertragung einer Handschrift von Jakob
Silbereysen, 100 Gulden.
1780 Johannes Anton Zix, Bürger und Handelsmann
dahier, 250 Gulden.
1785 ist mir Ansteti-Müller die Armen-Kassenrechnung über⸗
tragen worden; da war der ganze, Funz“ (Fonds) sowohl in Obligationen
209
und Receß nebst den ausstehenden Interessen, Summa 2860 Gulden
52 Kreuzer 2 Pfennige.
1787 den 23. September hat Herr Ludwig Firmond,
Bürger und Handelsmann von hier, nach Absterben seiner Mutter
ein Kapital von 110 Gulden in diese Armenkasse vermacht,
welche Summe mir von Herrn Generalinspektor Schmidt mündlich
gehändigt worden und ich habe sie sogleich auf Interessen aus—
gelehnt, welches in der 1789er Armenkassen-Rechnung zu ersehen.
1831, 9. Juni, Herr Wilhelm Heinrich Dern von Saar—
brücken, Königlich preußischer Landrat des Kreises Saarbrücken,
überwies der Armenkasse von St. Johann bei Gelegenheit seiner
bOjährigen Dienstjubilarfeier als Erkenntlichkeit für die ihm von
seinen Mitbürgern erzeigte Liebe und Hochachtung die Summe
von 140 Talern preußisch Courant, welche unter dem Namen
Dernische Stiftung zu Kapital angelegt worden.
Die Armenkommission von St. Johann:
L. F. Dryander, Nöggerath, Friedr. Firmond.
Am 11. Juli 1840 stiftete Herr Kaufmann Johann Thomas
Röchling in St. Johann zum Vorteil der St. Johanner Armen
ein Kapital von 250 Talern preuß. Courant, welche Summe ver—
zinslich angelegt wurde, und werden die Zinsen alljährlich durch
die Armenkommission unter die Armen verteilt werden.
Die Armenkommission:
L. F. Dryander.
Nöggerath, Phil. Mühlhaus,
Friedr. Firmond, W. Förtsch,
L. H. Röchling, Heinrich Gottlieb, F. Lucas.
289 —
246) Das Paul-Marien-Stift.
In St. Johann machte sich am Ende der sechziger Jahre
das Bedürfnis eines Versorgungshauses geltend, da das Land—
armenhaus in Trier nicht Raum genug bot. Durch freiwillige
Beiträge aus der Bürgerschaft wurde ein kleines Kapital aufgebracht,
so daß 1869 eine Versorgungsanstalt für arme kranke und arbeits—
unfähige Personen weiblichen Geschlechtes zunächst in einem ge⸗
mieteten Hause begründet werden konnte. Um die Einrichtung
desselben machten sich Frau Pfarrer IIse und Frau Ferdinand
Schlachter besonders verdient; mit diesen Damen zusammen
bildeten Ftau Ida Röchling, Fräulein Lina Bruch und Frau
Dryander den ersten Vorstand. Die Aufsicht führte eine
Diakonissin aus dem Mutterhause in Speier. Im Jahre 1872
waren 12, 1874: 8, 1875: 6, 1877: 9 Pfleglinge im Hause.
Die Einnahme betrug
1872: 916
1874: 1316,
1875: 27808
1876: 3426,
Dem Bedürfnisse eines eigenen Hauses wurde durch eine
Stiftung des Geh. Kommerzienrats Emil Haldy und seiner Gemahlin
Marie, geb. Sello, in freigebigster Weise entsprochen. Das
Ehepaar Haldy erlebte den Schmerz, zwei Kinder in dem blühenden
Alter von 22 und 24 Jahren zu verlieren. Die einzige Tochter
Maria, geb. am 12. Juli 1851, war mit dem späteren General—
leutnant von Voigt vermählt und starb am 5. Juli 1873. Der
jüngere Sohn Paul, geb. am 8. Juni 1853, starb in Berlin als
studiosus juris am 14. Dezember 1877. Zur Erin—
nerung an diesen schmerzlichen Verlust liesz das Ehepaar
Haldy im Jahre 1879 für das St. Johanner versorgungshaus
19
2
9 —
Geheimer Kommerzienrat Emil Haldy und Frau.
291 —
einen stattlichen Neubau errichten, gab ihm den Namen
Paul-Marien-Stift und bestimmte dasselbe zum Alters⸗
versorgungs und Waisenhaus. Im Jahre 1894 schenkten
Herr und Frau Haldy das Haus mit einem Kapital von
60 000 Mark der evangelischen Gemeinde St. Johann. Diese
Schenkung wurde im folgenden Jahre von der Regierung als
Paul-Marien⸗Stift (Altersheim), Großherzog⸗Friedrich⸗Straße.
milde Stiftung anerkannt, und die vorbeiführende Straße, in deren
Zug jetzt die Bismarckbrücke hinüber nach Alt-Saarbrücken führt,
erhielt den Namen Paul-Marien⸗Straße. Alte Leute erhielten hier
für 27 Mark monatlich Wohnung und Verpflegung. Für Kinder
betrug der Beitrag monatlich 18 Mark. Am 15. September 1903
befanden sich 25 junge und 9 alte Pfleglinge in der Anstalt.
Während früher die jugendlichen Pfleglinge überwogen, hat
sich während des Weltkrieges ein Pflegebedürfnis für viele alte
19*
292
— M
Leute herausgestellt. Deshalb wurde die Kinderpflege aufgegeben
und fortan nur alte Leute aufgenommen. Jetzt haben 43 alte
Männer und Frauen hier ein Altersheim. Der Pflegesatz beträgt
für Selbstversorger 500 Franken im Monat, während für städtische
Pfleglinge 15 Franken für den Tag vergütet werden. Diese
Pfleglinge erhalten ein monatliches Taschengeld von 25 Franken.
Drei Schwestern sind in der Anstalt tätig. Im Jahre 1924 wurde
das Haus aufgestockt und mit Zentralheizung versehen.
240) Haus Rotenbühl.
Eine weitere erfreuliche Zuwendung wurde der Gemeinde
durch Herrn Fritz Heckel und Frau Johanna, geb. Scheer, ge⸗
macht. Dieselben überließen ihr an der Scheidterstraße gelegenes
Grundstüch „Landhaus Rotenbühl“ der evangelischen Gemeinde
zum Preise von 60000 Mark mit der Maßgabe, daß der Kauf—
preis ohne Berechnung von Zinsen im Laufe von 20 Jahren
durch jährliche Ratenzahlung von je 3000 Mark abgetragen werden
solle, und mit der Bedingung, daß der Besitz einem sozialcharita—
tiven Zwecke dienstbar gemacht werde. Der Besitz sollte,
solange die Eheleute Heckel lebten, unveräußerlich sein. Da der
Wert des Grundstücks und des Landhauses den Kaufpreis um
mindestens 40000 Mark überstieg, so vollzog das Presbyterium
und die größere Gemeindevertretung den Kaufvertrag unter dank—
barer Anerkennung der hochherzigen Gesinnung, mit der dieses
Anerbieten gemacht worden war, und beschloß, das Landhaus zu—
nächst zu einem Genesungsheim für kranke und verwundete Soldaten
einzurichten. Das Presbyterium bewilligte für die Einrichtung
3000 Mark, wozu noch durch Pfarrer Reichard gesammelte
2953
Erholungsheim Rotenbühl.
294
Zuwendungen von Privatpersonen im Betrage von beinahe 5000
Mark kamen. Der Regierungspräsident von Baltz in Trier
spendete 500 Mark aus Kriegswohlfahrtsmitteln.
Es wurde mit der Intendantur des 21. Armeekorps ein
Vertrag geschlossen, wonach diese die Möblierung des Hauses
übernahm und sich zu einem Pflegesatz von 8,50 Mark für Tag
und Bett verpflichtete. Da man aber Bedenken trug, das Haus
mit Militärbetten auszustatten, so übernahm die Gemeinde die
Möblierung aus den von Pfarrer Reichard gesammelten Mitteln.
Die Eröffnung des Genesungsheimes fand am 20. Juli 1916 in
Gegenwart der kirchlichen Vertretungen, der in Betracht kommenden
Behörden und der Spender von Gaben statt. Das Grundstück
wurde an die städtische Wasserleitung angeschlossen und das Vorgelände
von den Frl. Berta und Luise Bruch teils durch Kauf, teils durch
Schenkung erworben. Nach dem Kriege wurde das Haus Roten—
bühl zu einem Erholungsheim für körperlich schwache Kinder be—⸗
stimmt und eine Schutz- und Spielhalle erbaut, zu der die Stadt
das Holz umsonst gab. Im Jahre 1923 wurde der Rotenbühl
zu dem gleichen Zwecke auf 10 Jahre an die Stadt verpachtet.
20 Kinder werden hier jedesmal auf 6 Wochen untergebracht und
verpflegt.
295 —
24d) Die Marienkrippe.
Auch den Kleinsten und Hilfsbedürftigsten hat sich die christliche
Nächstenliebe zugewendet. Zur Entlastung der ihrer Arbeit nach—
gehenden Frauen dient die von Frau Theodor Sehmer, Marie
geb. Schues, gestiftete Marienkrippe. Hier werden Kinder
solcher Frauen schon im zartesten Alter gegen geringes Entgelt
oder unentgeltlich aufgenommen, gebadet, sauber gekleidet und ge—
wartet. Die Krippe war in den ersten zwei Jahren ihres Be—
stehens im Erdgeschoß des Paul-Marien-Stifts untergebracht.
Da sich die Räume als zu klein erwiesen und auch ihrer
ursprünglichen Verwendung wieder zugeführt werden sollten, suchte
der Vorstand der evang. Krippe, Frau Bergrat Jordan, Frau
Theodor Sehmer und Frau Rechtsanwalt Dörmer, nach einem
eigenen Heim. In der Bismarckstraße 42 wurde ein geeignetes
Haus gefunden und durch Kauf für die Krippe erworben. Ein
Teil der Kaufsumme wurde durch Beiträge des evangel. Kranken—
pflege-Vereins und durch einmalige Stiftungen aufgebracht. Einen
Teil schenkbte Frau Sehmer, und der Rest von 12000 Mark
blieb als Hypothek, die Frau Bergrat Jordan zinslos übernahm,
auf dem Hause stehen. Frau Jordan schenkte nach einigen Jahren
der Krippe, die nach dem Tode der Haupfstifterin Frau Marie
Sehmer „Marienkrippe“ genannt wurde, die ganze Summe von
12000 Mark, und damit war das Grundstück restlos in den Be—
sitz der evangel. Krippe St. Johann übergegangen.
Im Jahre 1924 schied Frau Jordan aus dem Vorstand
der Krippe aus, nachdem Frau Dörmer schon vor Jahren ihr
Amt niedergelegt hatte. Die Krippe wurde nun durch die evangel.
Gemeinde, die sie schon seit einigen Jahren finanziell gestützt
hatle, übernommen. Die Krippe wird jetzt von Frl. Lina Kiessel
mit Hilfe von 3 Schwestern geleitet.
203 —
Evangelische Marien-Krippe in der Bismardstraß'.
297 —
25. Gemeinnützige wohltätige Stiftungen von
Mitgliedern der evangelischen Gemeinde.
a) Die Christianen-Anstalt zu St. Johann.
Eine Kleinkinder-Bewahr-Anstalt wurde in St. Johann im
Jahr 1849 durch eine Vereinigung von Bewohnern der Stadt
ins Leben gerufen, um Kinder, deren Eltern durch ihre Beschäftigung
an der Aufsicht verhindert wären, vom zweiten Lebensjahre bis
zum schulpflichtigen Alter zu bewahren, die Kinder dadurch nicht
nur vor Unfällen, sondern auch vor geistiger Verrohung zu hüten
und die Keime der Ordnung und guten Sitte in ihnen zu entwickeln.
Die erste Anregung zur Gründung dieser Anstalt gab der Bürger
Louis Rolle dadurch, daß er einen Neujahrswunsch in 200
Exemplaren drucken und verteilen ließz, in dem er die Notwendigkeit
einer Kinder-Bewahr-Anstalt darlegte und zur Beteiligung an
diesem Werke aufforderte. Diese Anregung fiel auf fruchtbaren
Boden. Es wurden 150 jährliche Beiträge gezeichnet, es fand
sich eine geeignete Lehrerin, und am 1. Oktober 1849 wurde die
Anstalt mit ungefähr 60 Kindern eröffnet, die täglich von 8512
und von 146 Uhr beschäftigt und unterrichtet wurden. Die Fest—
setzung des Schuldgeldes wurde der Selbsteinschätzung der Eltern
überlassen. Der wöchentliche Beitrag schwankte zwischen drei
Pfennigen und drei Silbergroschen. Der Zimmermeister Schmidt
überliefz der Anstalt seinen großen Garten in der Gerberstraße
nebst dem darin befindlichen Gebäude zu einem geringen Preise
unter der Bedingung, daß die Anstalt nach seiner Frau Christiane
Geisbauer Christianen-Anstalt heißen sollte. Bürger—
meister Karcher und Frau, geb. Katharina Geisbauer, schenkten
1867 der Anstalt 1500 Taler, Justizrat Riotte, der fast 50 Jahre
Vorstandsmitglied war, vermachte 1000 Mark, das Handels—
ministerum bewilligte jährlich die unentgeltliche Lieferung von
298 —
200 Zentnern Kohlen. Die Anstalt, welche 1875 Korporations—
rechte erhielt, wurde durchschnittlich von 200 Kindern besucht, die
früher von Schwestern aus Kaiserswert und Nonnenweier unter—
richtet wurden. Nur im Jahre 1870 war sie mehrere Monate
geschlossen, und die Räume dienten damals zahlreichen Kranken—
schwestern zum Obdach.
1899 konnte die Anstalt ihr 50jähriges Bestehen feiern.
1905 blickten Frau Förtsch und Fräulein Köhl auf eine
25 jährige tätige Mitarbeit im Vorstand zurück. Frau Förisch und
Frau Muügel vermachten der Anstalt je 1000 Mark. Eine
Wendung in ihrer Geschichte bedeutet das Jahr 1910, in dem der
langgehegte Wunsch eines Neubaus verwirklicht wurde. Im Stil
der katholischen Kirche und dem Pfarrhaus angepaßt, erhebt sich
jetzt am Gerberplatz ein stattlicher Bau, zu dessen großen Kosten
zahlreiche Spenden aus der Bürgerschaft beitrugen; insbesondere
stifteten Herr Ernst Karcher zweimal 20000 Mark, Herr
Ingenieur Rexroth 7500 Mark, die Fräulein Julie und Ernestine
Köhl je 1000 Mark. Bei der Niederlegung des alten der
Anstalt gehörenden Hauses an der Großherzog Friedrich-Straße ge—
währte die Stadt einen Zuschuß von 2000 Mark. Der Besuch
der Anstalt ging bis 1909 auf 176 Kinder zurück, ist aber seit
dem Neubau wieder gewachsen. Die Zahl der in der Anstalt seit
ihrem Bestehen unterrichteten Kinder übersteigt gegenwärtig das
zehnte Tausend.
Während des Weltkrieges richtete Fräulein Maria Röchling
aus Saarbrücken in der Christianen-Anstalt einen Kinderhort ein
zur Beaufsichtigung und zum Schutz von evangelischen Kindern
zwischen 6 und 14 Jahren, besonders von solchen, deren Väter
im Felde standen, und deren Mütter außerhalb des Hauses ar—
beiteten. Die Kinder erhielten Mittagessen und um 5 Uhr noch
einmal eine Suppe, beides aus der städtischen Suppenküche. Die
Kinder von Kriegsteilnehmern bezahlten wöchentlich je 25 Pfennige,
die andern Kinder 1,75 Mark.
Die evangelische Gemeinde hat den Kindern den alten Pfarr⸗
garten als Spielplatz eingeräumt und zahlt der Anstalt einen jähr—
lichen Zuschuß von 12000 Franken. In der Anstalt werden jetzt
4
J —
—
—
—
Z
—
*
*
—2
*
3
—
Z
—2—
——
2
300 —
Schülerinnen der Frauenschule des Auguste-Victoria⸗Lyceums und des
Kindergärtnerinnen-Seminars der Cecilienschule durch eine Jugend⸗
leiterin und eine Kindergärtnerin in der Jugendpflege ausgebildet.
b) Die Kleber-Dryander-Stiftung.
Die Eheleute Samuel Kleber und Wilhelmine Dorothea
Luise Dryander stifteten im Jahr 1840 ein Kapital von
4276 Talern mit der Bestimmung, daß dasselbe zu einem Kapital
für alte Leute aus beiden Städten verwendet werden sollte, sobald
die Zinsen den Betrag von 1000 Talern erreicht hätten. Dies
trat im Jahre 1874 ein. Da nun die evangelische Gemeinde
Saarbrücken bereits im Jahre 1851 auf Grund einer Schenkung
des Rentners Georg Philipp Korn ein Altersversorgungshaus
eingerichtet hatte, so wurde die Summe geteilt, und St. Johann
erhielt seinen Anteil, 33000 Mark ausbezahlt.
c) Die Rumpel-Röching-Stiftung.
Diese Stiftung für die Stadt St. Johann ist durch das
Testament des Hofrates Heinrich Rumpel in Mannheim vom
7. April 1879 und durch Nachtragstestament vom 29. Mai 1886
begründet worden mit der Bestimmung, daß von den Zinsen des
stets mündelsicher anzulegenden Kapitals von 25000 Mark würdige
alte gebrechliche oder unbemittelte Einwohner der Stadt St. Johann
a. d. Saar, in erster Linie daselbst geborene, unterstützt, bezw.
unterhalten werden sollen.
Die Stiftung hatte nicht den Zweck, Aufgaben der öffent—
lichen Armenverwaltung zu übernehmen, sondern sollte verschämte
Arme und solche unterstützen, welche sich scheuen, die öffentliche
Armenpflege anzugehen, und welche durch die zu gewährenden
Unterstützungen von dem Anheimfallen an die öffentliche Armen—
pflege noch bewahrt werden können.
d) Die Karcher-Stiftung.
Zum Besten von erkrankten Armen der Stadt St. Johann
dient die Karcher-Stiftung, die von den Erben des früheren
Ehrenbürgermeisters Karl Karcher und seiner Frau geb. Geisbauer,
nämlich von der Frau Mathilde Keßler, geb. Karcher, und den
301 —
Herren Dr. med. Keßler, Karl, Ernst und Julius Karcher, im Jahre
1891 gemacht worden ist. Das Kapital betrug 25000 Mark. Zwei
Drittel der Zinsen wurden zur Beschaffung von Pflege⸗, Heil- und andern
Hilfsmitteln besonders für solche arme Kranke verwendet, die nicht
durch die öffentliche Armenpflege Unterstützung fanden. Das letzte
Drittel sollte solange zum Kapital geschlagen werden, bis dieses
die Höhe von 50000 Mark erreicht hätte. Alsdann sollte der ge⸗
samte Zinsenertrag für den erwähnten Zweck verwendet werden.
Die Erben der am 6. Juni 1922 verstorbenen Frau
Kommerzienrat Emma Karcher überwiesen dem städtischen
Wohlfahrtsamt 200000 Mark und zwar 100000 Mark für die
Christianenanstalt, die Waldschule und die Marienkrippe und
100 000 Mark für die Karcherstiftung.
e) Die Georg Heckel-Stiftung.
Die Kinder des verstorbenen Fabrikanten Georg Heckel
und seiner Ehefrau Elise geb. Garelly, schenkten im Jahre 1910
der Stadtgemeinde Saarbrücken ein Kapital von 25000 Mark,
dessen Zinsen zur Beschaffung von Pflege-, Heil- und Hilfsmitteln
für erkrankte Kinder würdiger und bedürftiger Eltern im Stadt—
bezirk St. Johann verwendet werden sollten.
k) Die Röchling-Stiftung
Zum Andenken an den verstorbenen Herrn Ludwig Heinrich
Röchl ing haben seine Erben, Frau Ida von Gustedt geb. Braun,
und Frau Maria Leybold, geb. Braun, der Stadt St. Johann
im Jahre 1902 die Summe von 50000 Mark geschenkt mit der
Bestimmung, daß von den Zinsen des mündelsicher anzulegenden
Kapitals würdige und bedürftige evangelische Bürger oder Ein—
wohner der Stadt St. Johann, welche mindestens 5 Jahre un—
unterbrochen in ihr gewohnt haben, in Fällen notwendiger Kranken⸗
pflege in dem evangelischen Krankenhaus zu St. Johann unter—
gebracht und behandelt werden. Die Dauer der Unterbringung
soll in der Regel 13 Wochen nicht überschreiten; in Ausnahme—
fällen kann sie auf 20 Wochen ausgedehnt werden. Unheilbare
Kranke finden keine Aufnahme.
302 —
g) Die Germann-Stiftung.
Frau Germann (* 1912) hat der Gemeinde ihr Haus,
dem evangelischen Krankenhaus und dem Paul-Marienstift je
1000 Mark und dem Kirchengesangverein 500 Mark vermacht.
h) Die August Klein-Stiftung.
Der im Jahre 1921 verstorbene Beigeordnete und stellver⸗
tretende Bürgermeister der Stadt Saarbrücken Obonomierat
August Klein schenkte durch letztwillige Verfügung der Stadt
Saarbrücken ein 6050 qm großes Grundstück mit der Bestimmung,
daß dieses Grundstück in etwa 800 - 400 qm große Baustellen
aufgeteilt und an minderbemittelte Personen, die am Wellkrieg
teilgenommen haben, besonders an solche, die kriegsbeschädigt sind
und vor dem Krieg in Saarbrücken, vornehmlich aber im Stadt⸗
bezirk St. Johann ihren längeren Wohnsitz hatten, ohne Anrechnung
des Grund- und Bodenwertes abgegeben werden solle. In erster
Linie sollen solche Kriegsbeschädigte berücksichtigt werden, die infolge
erlittener Kriegsschäden nicht imstande sind, normale Arbeitslöhne
zu verdienen.
i) Die Bruchstiftung.
Das am 4. Juni 1920 verstorbene Fräulein Luise Sophie
Bruch hat ihr ganzes Vermögen der Stadt Saarbrücken zu Gunsten
der Kriegsbeschädigten-Fürsorge vermacht.
k) Die Kuhn-Stiftung.
Christian und Margarete Kuhn schenkten im Jahre 1924
25 000 Mark für das Krankenhaus. Die Erben erklärten sich
bereit, diese Schenkung, die durch die Inflation entwertet war,
auf 2500 Franken aufzuwerten. Diese Stiftung ist daher die einzige
Barstiftung, welche die Inflation überdauert hat.
1) Die Ilse-Stiftung.
Aus Anlaß des 50jährigen Dienstjubiläums des Ober⸗
pfarrers der protestantischen Gemeinde St. Johann a./S. Herrn
Gustav Ilse ist von Bürgern der Stadt St. Johann a.S. und
von angesessenen der näheren Umgebung ein Kapital von 13000 Mark
zwecks Begründung einer wohltätigen Stiftung zur Erinnerung an das
segensreiche Wirken des Genannten zusammengebracht worden.
303 —
Die Zinsen des mündelsicher anzulegenden Kapitals fließen
dem Herrn Oberpfarrer Ilse, nach dessen Ableben den Kindern
des Genannten, Gustav, Käthe und Marie, zu gleichen Teilen,
beim Ableben eines der Vorgenannten den Überlebenden zur Hälfte
bezw. allein zu. Nach dem Tode sämtlicher Vorgenannten sollen
von den Zinserträgnissen alte, verlassene, würdige und bedürftige
protestantische Einwohnerinnen der Stadt St. Johann a. Saar,
welche mindestens 5 Jahre ununterbrochen in ihr gewohnt haben,
in der Weise unterstützt werden, daß die Kosten ihrer Unterbringung
und Verpflegung im Paul-Marien-Stift oder in einer ähnlichen
Zwecken dienenden und unter protestantischer Leitung stehenden
Anstalt in St. Johann ganz oder zum Teil getragen werden.
Nach dem Ableben der vorgenannten Kinder des Ober—
pfarrers Ilse soll das Vermögen der Stiftung in die Verwaltung
der Stadt St. Johann mit der Bestimmung übergehen, daß die
Verwendung der Zinserträgnisse nur nach Maßgabe des Stiftungs—
zweckes erfolgen darf und daß der jeweilige Bürgermeister der
Stadi St. Johann Vorsitzender des Stiftungsausschusses sein soll.
Die meisten dieser Stiftungen sind in die städtische Verwaltung
übernommen und zu einem Stock „Vereinigte Stiftungen zu
Wohltätigkeits- Unterstützungs -und gemeinnützigen Zwecken“ ver⸗
einigt worden. Die Barbestände wurden während des Wellkrieges
in Kriegsanleihe angelegt und durch die Inflation, welche dem
Weltkrieg folgte, entwertet. Das Vermögen der Stiftungen ging
dadurch fast ganz verloren.
Die Stadt Saarbrücken wendet aber reiche Mittel für die
Armen- und Wohlfahrtspflege auf. Der Haushalt der städtischen
Verwaltung für Armen-, Kranken- und Wohlfahrtspflege beläuft
sich im Jahre 1927 auf mehr als 16 Millionen Franken.
Diese Übersicht über die Stiftungen der evangelischen Ge—
meinde zeigt, daß von altersher hier der Spruch betätigt wurde:
„Zu helfen, wo tut Hilfe not,
Ist hier zu Land' ein alt Gebot.“
304 —
26. Zur Statistik der evangelischen Gemeinde.
A. Statistische Tabelle der Einwohner von St. Johann:
—
Jahr
Evangelische
Katholische
1846
1855
1858
1861
1871
1875
1880
1885
1890
1895
1900
1905
1908
1910
1925
2789
3118
3295
3673
5097
5825
6246
7077
7682
9965
10026
10236
11600
13201
14950
Einwohner der Gesamtstadt:
47071
51363
922
1327
1531
1819
3850
4437
5612
6047
6585
—9655
9845
10059
11834
13858
1910
1922
56133
62743
Saarbrücken:
18249
Malstatt-Burbach:
15621 29991
Im Jahre 1910 bestanden in der Gemeinde 1245 Misch—
ehen, und zwar 524 mit evangelischer und 1313 mit katholischer
Kindererziehung.
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27. Die jetzige Gemeindevertretung.
A. Die Pfarrer:
1. Herr Pfarrer Wilhelm Reichard, Praeses presby terii
2. Herr Pfarrer Gustav Halke
3. Herr Pfarrer Franz Schmitt.
B. Mitglieder des Presbyteriums:
Kirchmeister 1. Herr Rentner Philipp Burgemeister
Kirchmeister 2. Herr Großkaufmann Ferdinand Metzger
3. Herr Großkaufmann Max Sauer
Herr Ober-Studiendirektor Professor Hans
Meinardus
5. Herr Kaufmann Karl Engel
b6. Herr Kaufmann Albert Hauck
7. Herr Bäckermeister Friedrich Mayländer
8. Herr Glasermeister Julius Becker
C. Mitglieder der größeren Gemeindevertretung:
Herr Rentner August Baldes
Herr Oberlehrer Karl Bohrer
Herr Kaufmann Wilhelm Schmitt
4. Herr Ober-Bahnhofsvorsteher Hans Hahn
5. Herr Prokurist Friedrich Schmidt
6. Herr Eisenbahn-Sekretär Franz Groß
7. Herr Oberlehrer Ludwig Sick
8. Frau Erna Schmidt
9. Herr Eisenbahn-Assistent Ferdinand Hauch
10. Herr Sattlermeister Rudolf Wildberger
11. Herr Bürovorsteher Franz Friedrich
12. Herr Bäckermeister August Franz
13. Herr Drechsler Karl Brandt
307 —
14. Herr Ober-Lokomotivführer Wilhelm Paege
15. Herr Schreinermeister August Reiß
16. Herr Maurerpolier Ludwig Müller
17. Herr Gärtnereibesitzer Karl Storb
18. Herr Rittmeister a. D. Richard Vopelius
19. Herr Landmesser Karl Conrad
20. Herr Güterverwalter Georg Johann
21. Herr Metzgermeister Ludwig Köhl
22. Herr Lokomotioführer Philipp Deutsch
23. Frau Margarete Eichacker
24. Herr Kaufmann Christian Appel
25. Herr Kaufmann Karl Bender
26. Herr Hoch- und Tiefbau⸗Unternehmer Heinrich Lenhard
27. Herr Postassistent Ludwig Rech
28. Herr Elektro⸗Inst.“Meister August Bentz
29. Herr Gärtnereibesitzer Georg Pecheur
30. Herr Postsekretär Hans Krah
31. Herr Metzgermeister Gustav Kurz
32. Herr Lokomotivführer Karl Morche
33. Herr Schreinermeister Simon Reith
34. Herr Fabrikant Dr. ing. Emil Purper
35. Herr Oberingenieur Friedrich Haarbeck
36. Herr Ober⸗Lokomotivführer Julius Dreyer
37. Herr Oberhallenmeister Peter Birkenbeul
38. Herr Ober⸗-Regierungsrat Gustav Benkelberg
39. Frau Berta Becker
40. Herr Katasterbeamter Otito Augustin
41. Herr Rentner Martin Hauenstein
42. Herr Rentner Friedrich Schöppel
43. Herr Prokurist Karl Rostert
44. Herr Anstreichermeister Peter Claus
45. Herr Kaufmann Wilhelm Bergmann
46. Herr Rentner Friedrich Buddensick sen.
47. Herr Ober⸗Telegraphen⸗Sekretär Paul Ohler
48. Herr Rentner Ernst Schubert.
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— —
28. Die evangelischen Schulen zu St. Johann.
Die Stadt St. Johann hatte anfangs keine eigene Schule,
sondern die Kinder besuchten die Schule in Saarbrücken. Ein
Schulzwang bestand noch nicht; viele Leute konnten deshalb weder
lesen noch schreiben.
Während des 30jährigen Krieges kam der Jugendunterricht
ganz zum Stillstand. Erst durch den Grafen Gustav Adolf
(1659 bis 1677) wurde er neubelebt und nun auch auf die
weibliche Jugend ausgedehnt. Der Graf ließ eine Statistik der
schulpflichtigen Kinder aufnehmen. In Saarbrücken fanden sich
34 schulpflichtige Knaben und 38 schulpflichtige Mädchen; in St.
Johann 24 schulpflichtige Knaben und 20 Mädchen. Aus dem⸗
selben Jahre wird berichtet, daßz 20 „teulsche Schüler“, nämlich
10 Knaben und ebensoviele Mädchen, aus St. Johann nach Saar—
brücken in die Schule gingen.
In der Reunionszeit wurde von den Franzosen eine Schule
gegründet, in der die Kinder in der katholischen Religion und in
der französischen Sprache unterrichtet wurden. Den Katholiken
und den „Neubekehrten“ wurde geboten, bei 10 Franken Strafe
monatlich ihre Kinder in diese Schule zu schicken. Graf Ludwig
Kraft seinerseits wandte sich an die evangelischen Eltern mit dem
Gebot, ihre Kinder vom 6. bis zum 15. Jahre in die (deutsche)
Schule zu schicken, da sonst in Zukunft niemand unter der
Bürgerschaft beider Städte werde gefunden werden, der zur Be⸗
setzung eines Stadtamtes oder zu anderen öffentlichen Diensten
tauglich sei.
Erst um das Jahr 1700 wird eine besondere Schule zu
St. Johann erwähnt, deren Lage nicht bekannt ist. In den Jahren
1727 bis 1735 wird Johann Georg Stählinger als Schullehrer
zu St. Johann genannt. Im Jahre 1730 wurde des ehemaligen
Weißgerbers Sixt Haus zu einem Pfarr- und Schulhaus von der
Stadt angekauft, und im Jahre 1740 neben dasselbe das (alte)
Pfarrhaus in der evangelischen Kirchstraße gebaut, worauf ersteres
299 —
völlig dem Schulunterrichte überlassen wurde. Die Fürstin Charlotte
Amalie (1728 -1738) verordnete, daß die Eltern, wenn sie die
Kinder nicht zur Schule schicken, doch das vierteljährliche Schulgeld
bezahlen sollten, und daß die Kinder nicht zur Konfirmation zuge⸗
lassen werden sollten, wenn sie nicht ordentlich lesen und schreiben
könnten. Fürst Wilhelm Heinrich hielt streng auf regelmäßigen
Schulbesuch. Unter seinem Nachfolger, dem Fürsten Ludwig, wurde
im Jahre 1783 eine neue Schulordnung herausgegeben (abgedruckt
in der Geschichte der Stadt Saarbrücken II S. 367). Der
Unterricht dauerte von 7 —10 Uhr und von 12-3 Uhr. Mittwochs
und Samstags war der Nachmittag frei. Die Schüler waren nach
dem Alter in drei Ordnungen verteilt, die gleichzeitig von einem
Lehrer unterrichtet wurden. Nach dem Bericht des Schulinspektors
und Rektors Belzer bestanden im Jahr 1759 in St. Johann
zwei Schulen, eine Knabenschule mit 77 und eine Mädchenschule
mit 79 Besuchenden. Im Jahr 1765 wurde ein neues Mäãdchen⸗
schulhaus neben der Knabenschule erbaut, das 1243 Gulden kostete.
Die Arbeiten an dem Bau wurden in „Steigung“ vergeben.
Laut Bericht des Pfarrers G. L. Schmidt bestanden in St.
Johann im Jahre 1798 zwei Schulen, nämlich eine mit 102
Knaben und eine mit 90 Mädchen.
Im Jahre 1818 erwarb die Gemeinde als drittes Schulhaus
das Haus des Kaufmanns Christian Friedrich Köllner in der
evangelischen Kirchgasse, das dieser von Katharine Maria Kleber
für 9000 Franken oder 2362 Taler 12 Groschen gekauft hatte.
Da die Stadt nicht die erforderlichen Mittel besaß, entlieh sie mit
Genehmigung der Kgl. Regierung bei verschiedenen Bürgern 8000
Franken. Bei der Verhandlung vor dem Notar Philipp Christian
Karcher war die Gemeinde durch den Beigeordneten Johann
Christian Köhl vertreten.
Im Jahre 1827 befanden sich in St. Johann 378 evangelische
Schulkinder; daher wurden die Klassen auf vier vermehrt und
außerdem ein katholisches Schulhaus für zwei Klassen gebaut.
In den Jahren 1836— 1838 wurde ein neues Schulhaus in den
Stadtgraben (Schillerstrafze) gebaut. Im Jahre 1864 wurde das
Schulhaus am Bismarckplatz eingeweiht, nachdem das alte Schulhaus
J
zum Rathaus umgewandelt worden war. Im Jahre 1872
waren 3 städtische Schulhäuser (an der Bismarckstraße, am Gerber—⸗
platz und in der Schillerstraße) in St. Johann vorhanden. In den
Jahren 1872 -1874 wurde ein neues Schulhaus auf den Bleichwiesen
(Nauwieserstraße) mit 8 Schulsälen erbaut, 1879 —80 ein Stock—
werk mit 4 Schulsälen auf dieses Haus aufgesetzt und 1886 ein zweites
Schulhaus mit 12 Schulsälen an derselben Straße erbaut. In Jägers—
freude wurde 1872- 1873 ein neues Schulhaus gebaut. Im Jahre
1875 wurden die Stadtschulen dem Rektor Dr. Fröhlich unter—
stellt und Simultanklassen eingerichtet; doch im Jahre 1887
wurde infolge des Einspruches vieler Eltern die konfessionelle
Schulteilung wiederhergestellt. Nach dem Rücktritt des Rektors
Fröhlich (1898) wurden 2 evangelische und 2 katholische Rektoren
angestellt. In St. Johann gab es im Jahre 1864: 9 Schul⸗
klassen, darunter 3 katholische, mit 707 Kindern (222 schulgeldfrei)
im Jahre 1908: 53 Schulklassen mit 3624 Kindern
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„1927: 71 „2641 ,„
von denen 1204 evangelisch und 1437 katholisch sind. Der Rück—
gang der Zahl ist durch die Gründung der Mittelschulen und den
Einfluß des Weltkrieges zu erklären.
Außer dem gewöhnlichen Unterricht wird Handfertigkeitsunter⸗
richt, für die Mädchen auch hauswirtschaftlicher Unterricht erteilt.
Seit der Städtevereinigung ist das Volksschulwesen der
Schuldeputation unterstellt und wird von einem evangelischen und
einem katholischen Stadtschulrat geleitet. Für schwachbegabte Schüler
ist eine Hilfsschule eingerichtet. Im Jahre 1913 wurde, nachdem
Herr Ernst Karcher der Stadt 60000 Mark zur Errichtung
eines Walderholungsheim für Kinder geschenkt hatie, eine Wald—
schule für schwächliche und unvermögende Kinder am Rodenhof
eingerichtet, die jetzt auf den Rotenbühl übergesiedelt ist. Auch der
Jugendpflege wird die gebührende Beachtung geschenkt.
Die Stadt Saarbrücken hat für das Schulwesen im Jahre
1927 14485 600 Mark in den Haushalt eingestellt. Als
mustergültiger Schulbau kann das Rotenbergschulhaus gelten,
das für evangelische und katholische Schüler eingerichtet ist. In
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der im Jahre 1888 begründeten Kablé'schen Schule waren im
Jahre 1902 194 Schülerinnen evangelisch, 18 katholisch, eine
altkatholisch und 18 israelitischh. Die Schule ist als Lyzeum II
in die städtische Verwaltung übergegangen.
Druckfehler.
Seite 33, Zeile 5 von oben lies „Verweis“ statt „Beweis“.
Seite 51, Zeile 3 von oben lies „gemalte“ statt „gemelte“.
Seite 78: Die Anmerkung gehört in die 1. Zeile von oben und
bezieht sich auf Pfarrer Schlosser.
Seite 83: Anmerkung Zeile 2 von unten lies „Fronfuhren“ statt
„Fronverfahren“.
Seite 145, Zeile 13 von oben fehlt hinter „10000“ das Wort
„Mann“.
Seite 240, Absatz 2 am Ende lies „hatten“ statt „hatte“.
Seite 256, Zeile 4 von oben lies „1910“ statt „1901“.
Nachtrag zu Seite 100.
In der Kirche, die am Johannistage (24. Juni) des Jahres
1727 in Gegenwart des Grafen Friedrich Ludwig, des Kirchen⸗
bauers, eingeweiht wurde, liegen bei dem Altar die beiden Pfarrer
begraben, die zur Zeit der Einweihung der Kirche im Amte waren,
Johann Matthias Lichtenberger (7 1751) und Johann
Ehrhard Rupp(f 1759).
Anhang.
Die Festfeier am Sonntag, den 26. Juni 1927.
Als Einleitung zu der Festfeier brachte die Saarbrücker
Zeitung am 23. Juni folgenden Aufsatz:
200 Jahre Alte evangelische Kirche St. Johann.
Von Pfarrer Reichard.
Wir gehen durch eine raschlebige Zeit. Nach den Stürmen
des Weltkrieges und dem Zusammenbruch alter Staatsordnungen
und Lebensformen sind Volk und Menschen im Wiederaufbau
ihres Daseins begriffen, und Neugestaltung aller Verhältnisse be—
herrscht die Stunde. Wer hat noch Zeit, im ungeheuren Drang
der Tagesarbeit Vergangenem nachzusinnen? Wen treibt es
heute noch, beim Suchen nach sicheren Grundlagen für die künftige
Lebensgestaltung den Blick rückwärts zu wenden und bei längst
Vergangenem zu verweilen? Und dennoch sollten wir es nicht
vergessen, welch ein Ruhemoment in die nervöse Hast der Gegenwart
der nachdenkliche Blick auf die Zeiten unserer Väter bringt, und
wie viel Zuversicht und Vertrauen in unsere zukünftige Entwicklung
wir aus der Wahrnehmung schöpfen können, daß Volk und Land,
einst klein und eng gewesen, doch im Laufe der entschwundenen
Menschenalter sich zu Blüte und hoher Bedeutung entwickelt haben.
So schaut denn heute die evangelische Gemeinde St. Johann in
dankbarer Freude auf jenen Johannistag vor 200 Jahren zurück,
an dem zum ersten Male sich die Pforten ihres eigenen Gottes—
hauses zu feierlichem Gottesdienste öffneten und zum ersten Male
vom Turm der eigenen Kirche ihre Glocken läuteten. Es ist ein
schlichtes, in seiner äußeren Gestalt bescheidenes Gotteshaus, das
314 —
die Alwworderen errichtet haben; in seiner Erscheinung der Ausdruck
der Einfachheit des ganzen damaligen Lebens und der bescheidenen
Verhältnisse, in denen damals die Tage verliefen. Wenn man
freilich auf die prächtigen Barockkirchen schaut, mit denen nicht
allzulange nach der Erbauung der Alten Kirche die geniale Kunst
des fürstlichen Hofbaudirektors Stengel die Städte Saarbrücken
und St. Johann beschenkte, möchte fast ein leiser Neid im Herzen
erwachen und ein schmerzliches Bedauern, daß an Sielle der so
überaus einfachen Alten Kirche nicht auch ein Bauwerk von der
Schönheit Stengelscher Architektonik emporragt; und wenn man
in die gotischen Hallen der Johanniskirche eintriit und unter dem
Eindruck der erhabenen Schönheit dieses Gotteshauses steht, dann
möchte unsere Alte Kirche fast wie ein Stiefkind unter soviel Formen⸗
reichtum erscheinen. Aber es ist ja nicht die äußere Gestalt eines
Gotteshauses, woran die Herzen der Menschen hängen, sondern
der Gedanke, daß in seinem geweihten Raume ewige Wahrheit
verkündet wird und Gottes Frieden wohnt. Und wenn die
Johanniskirche unserer Gemeinde gewiß durch ihre Schönheit Herz
und Sinne erhebt, so hat doch die Alte Kirche das eine Bedeutungs—
volle vor ihr voraus, daß in ihr, längst ehe die nach innen und
außen erstarkte Gemeinde an den Bau eines zweiten Gotteshauses
denken konnte, fast zwei Jahrhunderte hindurch schon das Evangelium
gepredigi wurde, und daß sie durch viele Menschenalter hindurch die sicht⸗
bare Erscheinung und der heilige Sammelpunkt des religiösen Lebens
der Gemeinde gewesen ist. So ist es denn wohl zu verstehen, daß
bei dem stark ausgeprägten Sinn des Volkes an der Saar für
seine Heimatgeschichte und Vergangenheitsentwicklung die Evange—⸗
lischen in St. Johann mit großer Liebe und tiefem Pietätsgefühl
gerade an ihrer Alten Kirche hängen, und daß auch ihre stattliche
Schwester am Rathausplatze ihr Bild nicht aus den Herzen der
Gemeinde zu verdrängen vermochte.
Nun sind 200 Jahre seit Erbauung der Alten Kirche ver⸗
gangen. Als man sich damals entschloß, der Gemeinde, die bis
dahin, ihrer eignen Kultusstätte durch fremden Eingriff verlustig
gegangen, die Gastfreundschaft der Saarbrücker Schloßkirche hatte
in Anspruch nehmen müssen, ein eigenes Gotteshaus zu schaffen,
—315 —
war das kein kleines Unternehmen. Aber die opferwillige Treue
der Gemeindeglieder, die tätige Mithilfe der Stadt St. Johann,
der Kirchenschaffnei und anderer Freunde und Gönner, insbesondere
des Grafen Friedrich Ludwig und der Gräfin Philippine Henriette,
Witwe des Grafen Ludwig Krafft, halfen durch alle Nöte hindurch.
Am 4. April 1725 wurde der Grundstein der Kirche gelegt und
am Johannistag, dem 24. Juni 1727, zwei Jahre später, konnte
die Kirche in feierlichem Gottesdienste, an welchem auch der Graf
Friedrich Ludwig von Nassau-Saarbrücken teilnahm, ihrer Bestimmung
übergeben werden. Bis zum Jahre 1898, in welchem die Ein—
weihung der Johanniskirche stattfand, hat die Alte Kirche als
einzige Kultusstätte die Gemeinde versammelt, und mannigfaltige
Schicksale des Volkstums an der Saar sind an ihren ehrwürdigen
Mauern vorübergebrandet. In Zeiten friedlicher Stille, erst recht
aber in Not und Drang haben die Evangelischen von St. Johann
in dieser Allen Kirche Trost und Kraft gesucht und ihre Anliegen
vor Gott gebracht. Es würde an dieser Stelle zuweit führen, alle
Einzelphasen in den wechselvollen Erlebnissen der Städte Saarbrücken
und St. Johann in den letztvergangenen Jahrhunderten zu schildern.
Es sind bewegte Zeiten gewesen, die unserem Grenzlande beschieden
waren, und das Schicksal, das auch heute in unseren Tagen schwer
auf unserem Grenzland lastet, hat ja auch schon in der vergangenen
Zeit mehr denn einmal mit rauher Hand in den Frieden und die
ruhige Entwickelung unseres Volkslebens eingegriffen. Immer
wieder sind die Städte Saarbrücken und St. Johann der
Schauplatz blutiger Ereignisse gewesen, Kampf und Hader haben
oft genug die lodernde Brandfackel in unsere Städte geworfen.
Das alte Schloß ging in Flammen auf, und die Schrecken des
furchtbaren Jahres 1793 ließen die Bürgerschaft nicht zur Ruhe
kommen. Die Gedanken der französischen Revolution suchten im
Saarland Boden zu fassen; falsch verstandene Freiheitsideen ver—
wirrten auch hier manchen Menschen eine Zeit lang den Kopf.
Aber durch feindliche Gewalt und harte Bedrückung, durch Not
und schwere Kriegsbedrängnis rettete sich das Volk mit tapferem
Herzen und starker deutscher Vaterlandsliebe in glücklichere Zeiten
und politisch gesicherte Zustände hinüber. Wir wissen, wie es im
316 —
Jahre 1815 der Treue und Beharrlichkeit unserer Bürgerschaft und
ihrer unverzagten Führer gelang, das Saarland französischer Herr⸗
schaftssphäre zu entziehen und an Preußen anzugliedern. Es folgten
Zeiten ruhiger Entwicklung; dann kam der Krieg mit Frankreich.
Saarbrücken sah den alten König und den Grafen Bismarck in
seinen Mauern. Siegesjubel nach dem glorreichen Feldzug scholl
durch die Städte, und ein bis dahin ungeahntes mächtiges Auf—
blühen von Handel und Gewerbe führte die Städte einer glänzenden
Zukunft entgegen. Dann brach der Weltkrieg herein. Was wir
in jenen Jahren an Leib und Seele gelitten haben, lebt noch zu
frisch in der Erinnerung der Zeitgenossen, als daß es an dieser
Stelle noch besonders gesagt werden müßte. Heute sind wir durch
feindliche Gewalt vom alten Vaterlande getrennt und führen einen
schweren, aber verheißungsvollen Kampf um unseren Lebensbestand
und um die Wiedervereinigung mit unserem alten Vaterlande. In
allen Schicksalen aber, freudigen wie leidvollen, hat wie ein ehr—
würdiges Wahrzeichen die Alte Kirche gestanden. In ihr haben
vergangene Geschlechter in heiliger Freude und hohen Lebens—
momenten ihre Herzen zu Gott erhoben, sie hat die Siegesfeiern von
1870 und die gewaltigen Feierstunden großer Ereignisse des Welt
krieges gesehen. Die Totenklage um die Gefallenen von Spichern
hat ihren heiligen Raum erfüllt, und die großen Erschütterungen des
eben erst vergangenen Kriegsschickssals sind in unvergeßlichen Gottes—
diensten in dieser alten Kirche zum sichtlichen Ausdruck gekommen.
Sie hat ihre alten Glocken hergeben müssen, als des Vaterlandes Not
aufs höchste gestiegen war, und tränenden Auges haben die Menschen
vor des Gotteshauses altem Portal gestanden, als die ehernen
Zeugen kirchlicher Vergangenheit zerbrochen vom Turm herabgelassen
wurden und die Stunde begann, von der ab Jahr und Tag kein
Glockenmund mehr vom Turm der Alten Kirche redete. Aber sie
hat auch mit feierlichem Orgelklang und festlichem Gottesdienst ihre
neuen Glocken wieder grüßen dürfen, und lebendig steht noch in der
Erinnerung der Trinitatissonntag des Jahres 1920, als feierliche
Weihehandlung die Glocken ihrer Bestimmung übergab.
Daß es eine uralte Kirche war, an der die zersetzenden
Witterungseinflüsse nicht spurlos vorübergegangen waren, das war
21—
in den letzten Jahrzehnten nur zu deutlich sichtbar geworden.
Vor allem in ihrem Innern war die Kirche wirklich überaltert.
Aber die Liebe der Gemeinde gerade zu diesem Gotteshaus gab
ihr im Jahre 191213 ein zwar den alten Formen angepaßtes,
aber doch schöneres, neuzeitliches Gewand. Lange haben die
inneren Erneuerungsarbeiten gedauert, aber als dann dank der
großen Opferwilligkeit der Gemeinde und der Tüchtigkeit der mit
den Erneuerungsarbeiten betrauten Handwerksberufe das Werk
vollendet und die Kirche in traulichem Schmuck neu erstanden war,
ward sie den Herzen der Gemeinde aufs neue besonders lieb.
Und es war ein bedeutungsvoller Tag, als am 4. Mai des
Jahres 1913 in Anwesenheit der kirchlichen Behörden der erste
Goltesdienst in dem so prächtig geschmückten erneuerten Gottes—
hause stattfand. Nun gedenken wir in Freude und Dankbarkeit
der vergangenen 200 Jahre am kommenden Sonntage bei der
Jubelfeier der Alten Kirche. Es ist kein Name unter den
alteingesessenen Geschlechtern der Gemeinde St. Johann, der nicht
in mannigfaltiger Weise mit der Geschichte der Alten Kirche ver—
bunden wäre. Höhen und Tiefen des Lebens, Freude und Leid,
haben an dieser Stätte ihren Widerhall gefunden, und manches
altgewordene Glied der Gemeinde, mancher Greis und manches
Mütterlein, die im Silberhaar den denkwürdigen Gedächtnistag
noch miterleben dürfen, denken daran zurück, wie alle wichtigen
Stadien ihres Lebens von ihrer Taufe an bis zur heutigen
Stunde mit der Alten Kirche verknüpft gewesen sind.
Möge der Tag des 200jährigen Gedächtnisses ein Markstein
werden in der Geschichte der Gemeinde. Die neuzeitlichen Ent—
wicklungen haben das innere und äußere Leben der Gemeinde
über den engen Rahmen einstiger vergangener Zeit hinaus geweitet
und zu hoher Bedeutung geführt. Den gewachsenen Bedürfnissen
der Gemeinde entsprechend, wird sie sich bald einen neuen Sammel⸗
punkt ihrer gesamten Lebensbetätigung schaffen. In weniger denn
Monatsfrist wird mit dem Bau des in großen Maßen gedachten
Gemeindehauses begonnen werden, und der Tag ist nicht mehr fern,
an dem dieses Haus vollendet dastehen und in festlicher Form
in den Dienst der Gemeinde gestellt werden wird. Aber über
310
allem Neuen, das die fortschreitende Zeit mit sich bringt, wird die
Alte Kirche nicht vergessen werden. Sie wird das Herzstück
unserer Gemeinde bleiben, und so gewiß Pietät und Treue gerade in
den Herzen unseres Volksteiles eine Stätte haben, so gewiß wird
die Anhänglichkeit der Gemeinde an ihre Alte Kirche fortleben von
Geschlecht zu Geschlecht.
Dasselbe Blatt brachte das folgende Gedicht von Fräulein
Emma Soinsés:
Die Alte evangelische Kirche zu St. Johann.
Vom schlichten Turm am alten Gotteshaus
Tönt festlich froher Glockenklang hernieder,
Und weithin über Flußz und Stadt hinaus
Der Feiertag der trauten alten Lieder.
Sie dürfen heut gestimmt zu Lob und Dank
Zum Jubelfest der Kirche uns nicht fehlen
Und sollen mit der Freude hellem Klang
Ein Echo wecken in den Menschenseelen.
Du, unsre Kirche, stehest fest erbaut
Hochragend in der alten Gasse Enge;
Auf zwei Jahrhunderte hast du geschaut:
Das deuten heut die Festtagsglockenklänge.
Ein Zeichen du von echtem Bürgersinn,
Und fester, oft erprobter Glaubenstreue;
Ja, jede Notzeit brachte dir Gewinn,
Und jeder Kampf, er stärkte dich aufs Neue!
Als Heiligtum zum Segen einst geweiht,
Gabst Heimat du dem ew'gen Gottesworte,
Hältst seiner Gaben Fülle du bereit
Und öffnest jedem Suchenden die Pforte.
Und wenn man heute Einlaß uns gewährt
Zu dir, die oft in Andacht uns vereinte,
So fühlen alle wir, was dir gehört:
Die Liebe in den Herzen der Gemeinde.
Am Sonntag, den 26. Juni, fanden unter Mitwirkung des
Kirchenchors zwei Festgottesdienste in der von Frauen und
19 —
Mädchen der Gemeinde schön geschmückten alten Kirche statt. Bei dem
ersten Gottesdienst predigte Pfarrer Schmitt, bei dem zweiten
Pfarrer Reichard. Die Kirche war beide Male bis auf den
letzten Platz besetzt, und viele Gemeindemitglieder mußten stehend
der Feier beiwohnen. Der Kirchenchor brachte Beethovens Fest—⸗
gesang „Die Himmel rühmen des ewigen Ehre“ prachtvoll zu
Gehör. Mittags fand ein Festmahl statt, das durch ernste und
heitere Reden gewürzt wurde. Am Abend fanden sich viele
Gemeindemitglieder zu einem Familienabend im Saalbau zu
Saarbrücken zusammen, bei dem Musikvorträge mit Gesängen und
Ansprachen wechselten. Pfarrer Reichard leitete die Versammlung,
Frau Huppert verschönerte den Abend mit ihrer klangvollen
Stimme. Die Reihe der Vorträge wurde durch den folgenden
von Herrn Paul Heinrich verfaßten Prolog eröffnet.
Zur 200 Jahrfeier der Einweihung der alten
evangelischen Kirche zu St. Johann.
Nun steh'n wir an des Jahres Wenden,
In seiner schönsten, höchsten Zeit,
Da noch mit übervollen Händen
Der Lenz die letzten Gaben streut.
Ein Blütenregen geht hernieder,
Die Rose steht in Duft und Pracht,
Und sehnsuchtsvoll schluchzt ihre Lieder
Die Nachtigall in stiller Nacht.
Noch einmal geht auf seinen Spuren
Der Frühling durch die weite Welt
Und segnet scheidend seine Fluren,
Den stillen Hain, das Ährenfeld.
Prolog
Was er geweckt zur Maienwonne,
Zur Blüte in der Tage Flucht,
Das wandelt nun des Sommers Sonne
In heißem Kuß zur reifen Frucht.
320 —
Die alten Eichenwipfel rauschen
Auf grauer Vorzeit Felsenrest.
Sie neigen flüsternd sich und lauschen
Der Sonnenwende Frühlingsfest.
Schon röten sich die reifen Beeren
Im sonnenheißen jungen Schlag,
Und kannst den Vogelgesang du hören,
So jubelt's rings: „Johannistag!“ —
„Johannistag“ ward auch gesungen
In jenem segensreichen Jahr;
Als neuer Glockenton erklungen,
Ein voller Chor, im Tal der Saar.
Als um die Pforten leicht sich wanden
Der Tanne Grün, der Rose Strauß,
Als weit die Türen offen standen
Im neuerbauten Gotteshaus.
Und über breite Brückenbogen,
Die einst des Kaisers Wille schlug,
Kam Friedrich Ludwig selbst gezogen,
Der greise Graf, im Feierzug.
Er hat den Grundstein fromm errichtet
Zu Gottes Ehr und Luthers Preis,
Und Stein um Stein ward aufgeschichtet
Durch Opfersinn und Bürgerfleiß.
Nun ragte über Stadt und Mauer
Das Kirchlein trutziglich empor,
Daß es Jahrhunderte durchdauer
Mit festem Turm und lichtem Chor.
Und aus des Gotlteshauses Toren
Ein reicher Strom des Segens rann,
Durch alle Zeiten unverloren
Auf unser liebes St. Johann.
Wie auch des Schicksals wechselnd Walten
Der Städte Glück und Glanz bedroht,
Das Kirchlein hat die Treu' gehalten
In Weitersturm und Kriegesnot.
Es sah des Schlosses Trümmer glühen,
Es sah des Freiheitsbaumes Wahn,
Es sah den greisen König ziehen
Ins Frankenland die Siegesbahn.
Es hörte Spicherns Donner dröhnen
Und barg die Helden stumm und bleich,
Es grüßt mit hellen Jubeltönen
Das neu erstandne Deutsche Reich.
Und was in langen Friedensjahren
An Glück und Freude uns beschert,
Was wir an Schmerz und Leid erfahren,
Das Kirchlein hat sein Teil begehrt.
Es grüßte der Geschlechter Werden
Mit Gotteswort und Orgelklang,
Ihm galt der erste Gang auf Erden,
Sein Scheidegruß dem letzten Gang.
Und wenn in Liebe sich verbunden
Ein hochbeglücktes Menschenpaar,
Hat Gottes Segen es gefunden,
Am reich geschmückten Traualtar.
So recht, wie Küchlein sich verstecken
Im mütiterlichen Federkleid,
Des Städtleins schmucke Häuser strecken
Sich um die Kirche weit und breit.
Die ruft mit ihrem Glockenmunde
Den ersten Gruß dem Morgen zu
Und lockt zur Feierabendstunde
Die Küchlein all' zur sanften Ruh.
21
Und ward auch in dem Lauf der Zeiten
Zu schlicht das Kleid, zu eng der Raum,
Und dehnte sich nach allen Seiten
In Eile aus des Städtleins Saum,
Daß weithinragend, vielgestaltig
In reichbegabtem Festgewand
Als neuer Mittelpunkt gewaltig,
Die Schwester jugendschön erstand:
Du bleibst im schlichten Kleid nicht minder,
Fernab der Straße Lärm und Streit,
Die traute Wiege deiner Kinder,
Ein liebes Stück Vergangenheit.
Du hast um Gottes Wort gestritten,
Um Martin Luthers reine Lehr,
Du hast im Welltkrieg viel gelitten,
Gabst willig deine Glocken her.
Du hast des Landes Wehr gesegnet,
Als stolz sie zog zum Kampf hinaus,
Bist ihr mit stillem Trost begegnet,
Als wund und siech sie kehrt' nachhaus.
Du sollst noch manch' Jahrhundert stehen,
Dem Alter trotzend, stark und fest,
Wie über Werden und Vergehen
Ein Eichbaum breitet sein Geäst.
Und unter deinem Schatten wohne
Noch manches glückliche Geschlecht,
Das dankbar, fromm und deutsch dir lohne
Nach altem Brauch und gutem Recht.
Das liebevoll in Ehren halte,
Wie es die Väter stets getan,
Das liebe, schlichte, traute alte
Haus unseres Herrn zu St. Johann.
3283
Der Humor und die St. Johanner Mundart kamen in den
beiden folgenden von Frl. Emma Soins verfaßten dramatischen
Zwiegesprächen zu ihrem Rechte:
Die alte und die neue Zeit.
Neue Zeit (allein) Do wär ich jetzt im Sundasstaat
Zum Jubiläum ingelad!
Dann die Gemään vun Sangehann
Halt viel uf mich, das muß ich saan.
Bin nit vun gischter, bin vun heit,
Mr nennt mich nur „die neue Zeit“,
Die jetzig Zeit, so flott un fix!
(Blickt kopfschüttelnd seit—
wärts, wo die „alte Zeit“
eintritt, knixt und ängstlich
stehen bleibt.)
Wer kummt dann do un macht e Knix!
Grad aus der gäle Postkutsch här?
Das do kummt nit vun ungefähr!
Mr mennt, die wär aach ingelad!
Na, ich hätt ball ebbes gesaad.
E Klääd vun anno dozumol,
Mr wääß nit, was mrü denke soll.
Doch menn ich grad, ich mißt se kenne,
Un wääß se nur noch nit se nenne. —
Doch halt, aweil grad fallts mräin:
Die gudd alt Zeit, die muß es sinn!
Zur alten Zeit Was fählt dr dann? Geh, kumm doch här!
Alte Zeit Ach, wie isch mr mei Herz so schwer!
näher kommend Hie ich jo alles annerscht wor
Als wie vor so un so viel Johr;
E Läwe hie, s' is nimmeh scheen!
Wär' der alt Kirchturm nit gewään,
Mei Poschtkutsch mär vorbei gerennt,
Ich hätt mich nimmeh ausgekennt.
27
Neue:
Alte:
Neue:
Alte:
Neue für sich:
1
2*
3*7*
Und häit gesucht die kreiz un quär. (sieht kopf—
schüttelnd die neue an)
Doch saa, wie kummscht dann du dehär,
So ebbes hie in Sangehann? Jetz saa mr doch,
wer bischde dann?
Du siehschd mr aus zu wunnerlich.
„Die Neuzeit“, jo, so nennt mr mich,
Bin nit so langsam, nit bequäm.
Wammer dich sieht, do schauderts ääm!
Das hätt ich nit bei dir gesucht.
Isch das noch Ehrbarkeit un Zucht!
Die Strimp, die Schuh, so kurz das
Wo bleibt do die Schenierlichkeit?
Wie ich noch war am Regiment,
Hat mr so ebbes nit gekennt!
Mei gudd alt Zeit, duh nur nit so,
Mr sin dich los, was simmer froh!
Dei Leit die ware doch aach emol jung,
Han die geturnt? sin die gesprung?
Han die gesunde Sport getrieb?
Die Mäde sin dehemm geblieb,
Die Mudder hatse alles gelehrt,
Was sich for Haus und Hof geheert,
Un gudde Fraue sin das wor,
Annerscht wie heit, das isch doch klor.
Sowie die Mäde heit erum gehn,
Das saan ich dr, isch nimmeh scheen,
Das sin allään die Eltre Schuld.
Bei mir hädde se's nit geduldt.
Der Bub hat nit sei Geld verpafft,
Frieh ging er uff die Wannerschafft,
Als durch die halwe Welt zu Fuß,.
Do hatt mr noch kenn Autobuß,,
Kenn D-Zug un kenn Motorrad!
Nur immer langsam, immer stad!
325 ——
Alte:
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Hat dann sei Handwerk gudd verstann
Un war e braver Ehemann.
Do will ich aa nix driwer saan,
So gudde Birjer muß mr han,
Die ham mrü heit aa grad noch so,
Der gudde Stamm, der isch noch do.
Doch äwe fallt mr ebbes in:
Du muscht doch mied vum Fahre sin,
Vun 1700 aan bis heit,
War allerhand; die Rääs is weit.
Do werd mr mied; kumm, ruh' dich doch!
Ausruhen, jo, das kinnt ich noch! (beide
nehmen Platz)
Wo warschde dann heit iwwerall?
Wie hat dr dann die Stadt gefall?
Mei Sangehann vun dozumol
Isch nimmeh do, das siehn ich wohl,
Die alde Gasse stehn jo noch,
Die Leit sin awer annerschd wor.
's geht nimmeh langsam zu aweil,
Das isch e Hetzijagd un e Eil,
An so me neimodische Waan,
Do isch ke Pärd meh voredrahn;
Das saust un kracht un lärmt un pufft,
Nit unne nur, aach in der Luft!
Die Mensche fliee schun erum!
Nä, ich han gleich Reißaus genomm.
Es Hemmweh krieht mer jo bei Eich!
Wo willschde dann hin? Verzähl's doch gleich!
—ãAV
Bin ingelaad vun der Gemään,
Zum Jubiläum? Grad wie ich!
Das gebbd ee Feschd! Wie frei' ich mich!
Jetz sinn's doch grad zweihundert Johr,
Daß die Alt Kirch gebaut isch wor.
326
Neue:
Alte:
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Alte:
Die Sangehanner ware lang
Eniwer in die Schloßkirch gang,
Se han ihr Kirch härgewe misse,
An wääne, na, das wirschde wisse!
Do war doch noch der Firschd im Land?
E Graf, der hatt' kenn freii Hand;
Es war e beesi Zeit gewään,
Ihr kinnes heit jo gudd verstehn.
Es war e rechti großi Not,
Un mancher hat no Gott gefroht,
Un no der Kirch, die gebbt ääm Halt,
Wann alles um uns her zerfallt.
So ging, wer evangelisch war,
Sunndas eniwer iwwer die Saar,
Das war for Manches doch e Laschd,
Drum han se sich e Herz gefaßt
Un han sich's iwerleht mitnanner,
Der Graf mit seine Sangehanner,
Ob e nei Kirch nit meeglich wär!
Der Graf der gebbt sei Gulde här,
Die Gräfin und die Birjersleit,
Es war e knappi armi Zeit,
Es Darler Stift gebbt, was es kann,
Un so isch dann die Kirch entstann.
Mit Orjel, Kanzel un Altar
Geweiht am Sankt Johannisdah! GBeide stehen
dann indessen auf)
Du gudd alt Zeit, du krieschd am Feschd
Vun alle Plätz de allerbeschd,
Du haschd uns jo die Kirch geschenkt,
Un mancher dankbar an dich denkt.
Was ging vun unserm Gotteshaus
For die Gemään viel Säe aus.
Un alleweil? Wie stehschd dann du?
Ich menn, du heerschd nimmeh dezu?
327 —
Neue:
Alle:
Neue:
Alte:
Neue:
Wammer dich sieht so flott un fix,
Denkt mer, die Kirch, die gilt dr nix.
Du därfschd mich um mei Klääd nit schelde,
Denkscht du, die Kirch dät mir nix gelde!
Durch schwäre Dage simmer gang
Mit Land un Volk viel Johre lang,
Wär do nit unser Kirch gewään,
Mr ständ in aller Not allään,
Aach die Moderne vun Sangehann,
Die wisse, was se an ihr han,
Guck du vum neie Klääd eweg,
Un froh, obs Herz uffem rechte Fleck,
Das is noch grad, wie's domols war,
E Herz vum gudde alte Schlag.
Dann ischs jo gudd, — uffs Herz kummts aan,
Aehn duhn, was mer for Klääder traan.
Jetz wird's aa Zeit zur Kirch ball sin,
Mr gehn mitnanner heit dehin,
Un wann du Gott vun Herze ehrschd
Un unser alde Lieder heerschd,
Dann findschde ball de rechte Troscht,
Dei Hemmweh is wie fortgeblost!
Jo, wääschde, mir sinn doch verwandt,
Un dodruf reich ich dir die Hand.
Mr sin zwei echte Sangehanner,
Zweihundert Johr nur ausenanner!
Un noh zweihundert Johr, ihr Leit,
Do kumm ich als die alte Zeit.
328 —
Etwas von der Alten Kirche
und dem was drum herum.
Ein Zwiegespräch.
Dorche: Saa, Malche, haschde's schun geheert?
Heit wird jo die alt Kirch geehrt!
Die steht aweil zweihunnert Johr,
Mir häddes nit gewußt, niwohr?
Nä, ich hanns nit gewißt gehatt,
Mr läbt so hin do in der Stadt,
Mr denkt an's Koche un an's Kaafe
Un hat so viel do rum ze laafe,
Do kummt mr auf so ebbes nit;
Awer wann se feiere, mache mr mit.
Wie die alt Kirch gebaut is wor,
War drowe noch es Owerdor,
Jo, drum erum um Sangehann
E Mauer mit vier Dore draan,
In Meischders Ecke, guck nure hin,
Is noch e Stick vun der Mauer ze siehn.
Jo, jo, mei Mudder saats als schun,
Ich glaab, die wäß noch meh devun,
Die kinnt uns aa, wammer se quäle,
Viel vun der alte Kirch verzähle.
Das glaaw ich, unn mei Vadder erscht!
Du wunnerscht dich, wann de ne heerscht,
Der hat die Glocke als gelitt,
Die Buwe han sich drum gestritt,
Das war for die e Kinnerspiel,
Em alde Leeb war's als ze viel.
Dorche:
Malche:
Dorche:
329 —
Malche: Ich han ne selwer noch gekennt,
Wieviel is der erum gerennt
Mit seiner schwarze Schnabbekapp,
Die nahm er immer heeflich ab,
Wann er so kam zum Kollektiere.
Jo, for de Leit es Herz zu riehre;
Un in der Kirch, do reicht er här
De Klingelbeidel, der war schwer,
Dann domols ware in der Gemään
Die Sammelbichse noch nit gewään.
Die han ich gäre erum gereicht,
Ball ware se schwär, ball ware se leicht,
Ob viel Leit in die Kirch gang sin,
Das hat mr an denne Bichse gesiehn.
Un ob se sich vum Geld kunnde trenne,
Das war die Hauptfsach, sollt ich menne;
Ich stelle mr die Kirch als vor,
Die is aweil doch annerscht wor,
Als wie se innewendig war;
Nei is die Deck for de Aldar.
Die Kanzel hat e neii Deck,
Der alde Debbich kam e weck.
Der braune mit dä Muschdere drin,
E neier Debbich kam dehin.
Das wääs ich aa so gudd wie du,
Die Kirch war jo e halb Johr zu,
s war vor em Krieg, es mußt jo sin!
Was alde Ewe ware drin!
Die han die Luft mit'm Gas verpescht,
Un dann es war es allerbescht,
Die enge Bänk han eraus gemißt,
Dann das hat mrü jo längscht gewißt:
Se han nirjends so uffenanner gestann
Als wie in der Kirch vun Sangehann.
Jo, Jo, nadierlich wääs ich's noch,
Scheen ware se nit, un doch, un doch
330 —
Die Birjerschleit sin gäre kumm
Un han kenn Anstoß dran genomm.
Do kam de Vadder im schwarze Rock
Met'm steife Hutt un ohne Stock,
Sei groß Gesangbuch in dr Hand.,
Das Nassau-Saarbrückche war's genannt.
Ganz groß gedruckt un ohne Node.
Die alde Biecher ware scheen
Un manches war e „Preis“ gewään,
Griene hat mr gehatt un rote!
Wann die Kinner aus der Schul kumm sin
Un ware brav un fleißig drin,
Hat manches so e Gesangbuch krieht,
Wie mr se als noch in de Heiser sieht,
„Fors Lerne“ oder die „gudde Sitte“.
Mei Großmudder hat mr ihr's gewies,
Die weist dir's aa, wammer se drum bitte,
So wie e Heiligtum halt die's.
Ich kumme emolse Nomiddag.
Un wääschde, was noch Mode war!
Das kam noch aus der Firschdezeit.
Aus jeder Familie, vun alle Leit
Hat Aener Sunndahs in die Kirch misse gehn. —
Ich menn die Mode, die war scheen!
Malche: — So e bische Zwang, der dät nix schade —
Se ware jo als mied geschafft.
Un mancher hätt gar gäre geschlooft.
Hat strack in der enge Bank geseß
Un alles um sich här vergeß.
Er hat gemennt, 's hätts nimmand gesiehn.
So ging die Predigt dann dehin.
Er hat nix geheert, 's war sei eijener Schade.
Jo, in die Kirch kame allerhand Leit,
Un so wie domols, so mache se's heit.
Die Fraa, die kam im Sunndahsstaat,
Dorche:
Dorche:
231 —
Malche:
Dorche:
Malche:
Dorche:
Malche:
Dorche:
Wo Aehn als johrelang schun hat.
Die Dochder hat e leichter Sinn
Un geht wäe em neie Klääd dehin,
Daß aa die Nachberin es sieht:
„'s hatt widder ebbes neies krieht.“
Ach, Dorche, Geh, du spottschd zu gäre,
Die Leit kumme, for ebbes Guddes ze here,
Ob ald ihr Klääder odder nei,
Se sinn aa mit'm Herz debei.
So bees menn ich's jo aa nit grad,
Ich han's nur so dehin gesaad.
Kumm, stell dr's Herrestibche vor
Dort owwe uf der links Empor.
Dort saße die Honoratione,
Der Platz dort, der war nit so ohne.
Der war allään for die Herre gebaut,
E jeder hat nit dehin getraut.
Un drunner an der Seit die Gäng,
Die hadde frieher aa noch Bänk,
E Orginal hie aus der Stadt,
Der hat dort sei Platz gehatt.
Ach, was hat der so laut gesung!
Do is aehm ball es Ohr versprung
Der Herr Kablé, der Organischd,
Der hat als gar nimmeh gewißt,
Wie er die Stimm sollt iwerteene,
Er hat sich misse dran gewehne.
Do muß mr heit noch driwer lache
Und kann sich so e Bild devun mache,
Was in der Kirch erläbt is wor.
Denkschde noch an de Kirchechor!
Mir ware beim Lehrer Kablé drin,
Wie mr grad aus der Schul kumm sinn.
Streng war er als un das nit schlecht!
Er war wohl streng, awwer gerecht.
Mir han ne jo schunn lang gekennt.
332 —
Malche:
Dorche:
Malche:
Dorche:
Malche:
Er hatts vun Herze gutt gemennt.
No ihm is der Herr Seegmüller kumm,
Hat's Orgelspiele iwernomm,
Un hat in seiner feine Art
Uns aa die Kirch so lieb gemacht.
Wie der Herr Schmeer! Ach dem sei Spiel!
Was war mr immer voll Mitgefiehl,
Weil er gebrechlich war un blind.
Awwer spiele hat er gekinnt!
Sei Vorspiele vor eme jede Choral,
So heert mr's lang nit iwwerall.
Wie mr die Glocke han hergewe misse,
Wie hat der die Orjel ze spiele wisse!
Ach wann ich an die Zeit noch denke!
Mr maan's nit, 's tut em zu viel kränke. —
Saa, wann aweil Kinddaafe sin,
Werfe se noch Zuckerklickere dehin?
Das glaaw ich nit, 's war frieher so,
Do ware als die Kinner froh,
Wann aa die Gazß nit sauwer war.
's war als e großi Kinnerschar
Beim Balche um die Zuckerbohne
Un manchmol wollt sich's garnit lohne.
Die Moode, nää, die war nit scheen.
Die alde Mode, die vergehn,
Nur ään halt mit der Zeit ihr Schritt,
Rot emol well, das rotscht de jo nit:
Die Mode, daß dort Wirtsheiser stehn,
Grad wo die Leit aus der Kirch enaus gehn.
So e änfach Dier in der Kronestroß
Die laßt die Leit als nimmeh los,
Do gehn se Sunndahs Morjens hin
Un Omends han se Sitzung drin
Un trinke fein ihr Schöppche Wein.
Ich han aach schun geheert devun:
Herre vun der Repräsentation,
333 —
Dorche:
Malche:
Dorche:
Malche:
Dorche:
Malche:
Die wäre dort als beienanner,
Was ääner nit wißt, das wißt der Anner,
Awwer nit nure in dem ääüne Haus,
Dort ebbes iwwer de Marktplatz enaus,
Im Eckhaus an dem klääne Gäzzce,
Dort sitze se un trinke ihr Gläsche.
Der Stammdisch, der wär immer besetzt.
Un was kummt debei eraus deletzscht?
Daß alles do wird revediert,
Was so in der Gemään passiert.
Do saan se als, e Frauezimmer,
Das schwätzt ze viel, ei die sin schlimmer!
Jetzt gebbt's jo ball's Gemeindehaus.
Dann wär's vielleicht mit denne aus,
Dort wird's ne so behaglich sinn,
Do gehn se nimmeh wo annerscht hinn.
Ich glaab, das dauert noch sei Zeit!
Wammer gement hat, 's wär so weit,
De annere Daah wars nimmeh wor,
Do hat mr aa de Mut verlor.
Jo, hätte mr unser eije Haus.
Dann säh die Sach ganz annerscht aus,
Han mir emolse Fescht dojiwe,
Wo feire mr's? nadierlich driwwe!
Kumm Dorche, ich will dr ebbes saan:
Sie fange jetz ball se baue aan!
Wahrhaftig? Ach, das wär e Freid!
's is awwer aa die heechschde Zeit.
Dann wär die Froerei aach aus:
„Kriehn mr ball es Gemeindeh aus?“
Wann se jetz draan geh'n, dann werd's wohr,
Dann sinn se fertig iwwers Johr,
Uns nächschde Jubiläum, wo mr hann,
Das feiere mr in Sangehann.
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