Saarkalender für das Jahr 1930
Läden empfingen ihn. Der Sanitätsrat war eben erſt aus dem nächſten Dorf
heimgekommen, hatte ſich einen Punſch gebraut und ſich dann ſchlafen gelegt,
als ihn dröhnende Schläge an die Haustür weckten und lang anhaltendes Geläut
der Hausglocke. Mißmutig ſteckte die alte Wirtſchafterin ihren mit einer Nacht-
müße bekleideten Kopf heraus und verkündete: „Da unne ſteht e Tirk mim
e große Säwel.“ Offenbar ein Verrückter, der den Herrn Sanitätsrat zu
ſprechen verlange.
„Schick den Kerl zum Deiwel,“ knurrte der Sanitätsrat und drehte ſich
auf die andere Seite. Der Türke donnerte gegen die verſchloſſene Tür und
ſprach von Menſc<henpflichten, er ſchellte ſo fürchterlich, daß der Sanitätsrat
ſic) aus ſeinem warmen Bett fluchend erhob. Er ſprach kein Wort unterwegs
und der Türke auch niht. Sie ſtolperten über die erfrorenen Kohlköpfe des
Binzſc<hen Gartens, fanden die Haustür, die dunkle Treppe. In einem erleuch-
teten Zimmer auf dem Sofa ſaß die jammernde Polin, die verzweifelt ihren
Fuß in den Händen hielt.
„Endlich,“ rief ſie, „das hat ja gedauert! J< bin ſchon faſcht geſchtorb.“
Aber der Türke blieb erſtarrt auf der Schwelle ſtehen: die Dame hatte
doh vorhin weißes Haar gehabt und ein roſa Atlaskleid? Vor ihnen ds eine
Mohrin mit ſchwarzem Haar, ſchwarzen Händen, ſchwarzem Kleid und ſchwarzen
Stiefeletten, auf ihren Wangen hatten die Tränenſpuren lange ſchwarze Striche
gezogen und das Zimmer ſah aus wie ein Bergwerk, es war erfüllt vom dunklen
Rauch der qualmenden Lampe, die er zu hoch geſchraubt hatte.
„Die Lamp blakt wie dortig.“ Die Polin wies mit ihren ſchwarzen
Händen nach dem rauchenden Schlot der kleinen Lampe. „Ja, guck Sie nur,“
wandte ſich die Polin an den Türken. „Wie Sie mich zugericht han!! Und ich
kann mich nit bewege. O Jeſſes, wann ſo ein Mann ebbes macht! Mei jchrene
Möwel, meine gutte helle Seſſel, wie ſieht das aus! Kohlſchwarz geblakt von
der Lamp... .. die Decke, Tapete, Kille ...“
Als die Polin abgewiſcht und geſäubert war, unterſuchte der Sanitätsrat
den verſtauchten Fuß. Sie trugen die Polin gemeinſam zu Bett, der Türke
ſchürte das Feuer, hielt die Lampe, holte Waſſer aus der Küche, trug Schnee
aus dem Garten herbei, rollte Bandagen auf und lief in die Apotheke En
eilte, um eine T-Sciene zu holen, nach dem Lazarett, und muſte den Wärter
aus dem Schlaf trommeln. Als er, die T-Schiene unter dem Arm, durch den
Garten ſtürmte, bemerkte er, daß er den Weg bereits kannte, er ſtolperte nicht
mehr über Kohlköpfe und Buchsbaum.
Der Wintermorgen dämmerte. Es war Aſchermittwoch, Tag der Buße
nach fröhlich durhwachter Nacht, als der Sanitätsrat das Haus verließ, auch
das tanzluſtige Mädchen war nun heimgekehrt. Die Polin lag, befreit von
Schmerzen, ſanft entſc<hlummert von den Aufregungen ihres Karnevals in dem
Alkoven, den Fuß in der Sciene, die Lampe blakte nicht mehr, und der Türke
konnte nun auch nach Hauſe gehen.
Den mit falſchen Edelſteinen beſetzten Säbel an der Seite, ſchritt er
dur< die morgenſtillen Gaſſen, in naſſen Schuhen, einen feuchten, ſchiefſigenden
Turban auf dem Haupt . . . Alle Häuſer hatten die Augen geſchloſſen, auch im
„Löwen“ war die Tanzmuſik und das Johlen der Masken verſtummt, die
Lichter wurden eben gelöſcht, eine bunte Konfettiſpur zog ſich durch den Schnee
über die Treppe, und die letzten Masken verließen eben das Haus. Als ſie dann
den langen Türken in ſeinen ſeidenen Pluderhoſen die Straße entlang kommen
ſahen, ſchwenkten ſie ihre Hüte: „Hurrah, es lebe der Großmogul! Ein herr-
liches Feſt! Wir danken auch ſchön, wir haben uns ausgezeichnet unterhalten.
Gute Nacht, gute Nacht!“
: Der Türke warf ihnen einen wilden Blick zu, aber er mußte ſo oft hinter-
einander nieſen, daß man ſeine Antwort nicht mehr verſtand . ..
“ü
)