Saarkalender für das Jahr 1928
Erinnerungen an die alte preußiſche Bergwerksdirektion
Saarbrücken.
Von Ernst Paul-Saarbrücken.
Der Spuk in der Haupt-
regiſtr a t u r.
Seit Jahr und Tag waltete der prächtige
Rechnungsrat P in t sch o v i u s als Vor-
steher der Hauptregiſtratur im Expedilions-
raum neben dem Bergbotenzimmer in ruhi-
ger freundlicher Art seines Amtes. Eines
Vormittags vernahm er in seiner nächsten
Nähe ein klägliches Wimmern, das ab und
zu unterbrochen wurde von undefinier-
baren Fauchtönen und krampfhaftem Ge-
rumpel. – Er horchte auf. ~ H errgott,
was iſt denn das? –~ Da wimmerte und
jaulte es ſchon wieder, direkt hinter seinem
Rücken. Sich umsehend, gewahrte er nichts
Verdächtiges. Ernst und würdig ragten bis
unter die Decke die Aktenschränke, fest ver-
ankert in den Wänden. Gerade als der
Bergbote Gales von Luisenthal seine Mappe
durch das kleine Verbindungsfenster herein-
reichte, hub das jämmerliche Gewimmer
wieder an. – Pintschovius und Gales er-
schraken. – „Ei, ei Herr Rat, eich menn
als bei Ihne is es nit recht juſchd?“ fragte
Gales. –~ „Ja, ich weiß nit, was das is;
das geht schon ein paar Tage, aber ich
achtete nicht drauf, weil ich dachte, es käme
aus dem Keller. So laut, wie heut wars
noch nich“, antwortete der Gefragle. Dar-
auf Gales: „Ei mir kumme emol lue!“ (Er
ruft seine Kameraden.) „Schorsch un Lui,
kumm'’n emol emit zum Herrn Rat!“
Sofort sprangen der Dörrſchorſch aus Von
der Heydt und Vetter Lui Eisenbeiß aus
Neunkirchen auf und folgten dem Gales.
Im Zimmer nebendran fanden sie neben
dem beunruhigten Rechnungsrat Pintſcho-
vius noch dessen jüngeren Kollegen Boldt.
Mit vereinten Kräften gingen sie den un-
heimlichen Tönen nach und ſtellten fest, daß
sie von hinter dem großen Aktenschrank an
der Türe links herkommen. An Arbeiten
war nicht zu denken. Wer kann denn
arbeiten, wenns bei hellem lichten Tage
ſpukt? ~ Ratlos standen die Herren da;
neue gesellten sich hinzu. Wie ein Lauf-
feuer gings durch den Bau: In der Haupt-
regiſtratur ſpukt's! – Und wer es hören
wollte, konnte es hören, das unheimliche
Gepolter, Gefauche, Gepruſte, Gewimmer.
~ Endlich kam ein Baufachmann, der techn.
Sekretär Ed. Haas. Der beſsſah sich die
unheimliche Ecke bis hinauf zur Decke
ruhig, nachdenklich. ~ „Das Ding is awwer
spassig! Ich glaube, es geht in dieser Wand
ein Luftschacht vom Keller bis aufs platte
Dach und in dem Schachtſumpf huckt was
drin –~ ein Viehch,“ war ſein Urteil.
„Was für ein Viehch?“ fragte es von allen
Seiten. – „Weiß ichs? Vielleicht iſt's ein
Marder, ein Iltis, vielleicht auch ein
Kater,“ antwortete dieser. In der Zeit
war der Heizer Borſt mit ſeiner Kolonne
angerückt, und der hohe Aktenschrank
wurde mit vieler Mühe von der Wand ge-
wuchtet. Und richtig, Haas kannte seinen
Bau. Ein versſtaubtes gußeisernes Türchen
erschien in der Wand, seit Jahrzehnten von
dem Aktenschrank verdeckt. Aber dahinter
tobte und wirbelte es, daß die Rußwolken
hervorquollen. Die Spannung hatte ihren
Höhepunkt erreicht; der kritiſche Moment
kam. – Das Fenſter nach der Triererſtraße
wurde weit geöffnet, alle Türen dagegen
zugemacht. Kurz entschlossen riß Borst mit
einem langen Haken durch einen ener-
gischen Ruck das geheimnisvolle Türchen
auf. In demselben Moment stob aus der
Oeffnung eine dichte schwarze Wolke Staub
und Ruß und aus dieser floh mit Blitzes-
ſchnelle , ſchwarz wie der leibhaftige Satan,
ein rapp eld ürr er gro ß er Kater.
Wie das Donnerwetter war er, wie von
Furien gepeitscht, zum offenen Fenster hin-
aus. Herr Haas gab auch gleich die nötige
Erklärung: „Das dumme Viehch hat owwe
uffm platte Dach in der Schachtmündung
noh Fledermeiſs’ und Spatze gehokelt un is
dabei erunnergeborzelt!‘ ~ Und so wars
auch.
Di e Fuch sj ag d.
In der Bergwerksdirektion führt eine
breite gußeiſerne Treppe in die o b e ren
Stockwerke. Nach etwa 20 Stufen
aufwärts teilt sie ſich von einer geräumi-
gen Plattform aus nach rechts und links.
~ Auf dieser Plattform, hart an die Wand
gekauert, lag eines Morgens in einer Ecke,
zusammengerollt wie ein Muff, ein junger
F u ch s. ~ Nichtsahnend stieg, in Gedanken
verſunken, die Treppe empor der techniſche
Direktionsſekretär H a a s. Noch ein paar
Schritte und Fuchs und Haas ſtanden
gegenüber, ersterer ſehr erschreckt, sich in
Kampfstellung setzend, und letzterer ver-
blüfft ob der seltenen Erscheinung in diesen
heiligen Hallen. ~ ,, Lumpeſtickvieh, ver-