Saarkalender für das Jahr 1927.
heiterſten Epiſoden aus unserer Theater-
gqeſchichte. Bürgerſchaft und Fürſt ſind im
Streit, ein geschickt inszeniertes Poſsſen-
* spiel auf der Bühne, und „in den Armen
liegen sich beide und weinen vor Schmer-
zen und Freude“. Der Alutokrat lebt in
seiner tollen Weise weiter, und die fried-
fertigen Untertanen zahlen still mit dem
Anschein freiwilliger Begeiſterung die
drückende, erdrückende Steuerlaſt.
Mit der Knüppelmuſik iſt es aber 1789
nicht mehr wie noch 1773 getan. In einem
mir liebenswürdig zur Verfügung geſtell-
ten, gewissenhaft geführten Wirtschaftsbuch
des damaligen Drechſlermeiſters Georg
Jakob Reuther leſe ich viel über Ausbesse-
rungen von Instrumenten der Hofkapelle
und der „Gnädigsten Herrſchaft“. Nur hin
und wieder heißt es: „Ein Dromel ſtock
gemacht, thut 48 Krz., den Hufmusikandten
2 Köpf auf ein Clarinet, 3 Claben gefüttert
und drei Federn darunter gemacht, thut
40 Krz.“ Die fuürſtliche Familie ſelbſt
scheint, wie Friedrich der Große das Flöten-
ſpiel geliebt zu haben. So heißt es: „Was
Gnädigster Herrſchaft an arbeit gemacht,
für den Erb Prinß ein Fehler an ein Flöt
6 Krz. Ein neu F = Flöt mit Helfenbein
garniert, thut 4 Gld. 7 Krz.“ Ich erwähne
dies, weil hier zum erſten Male von einem
Orcheſter in Saarbrücken die Rede iiſt.
Musik und Gesang haben hier ſchon früh
eine gute Heimſtätte gefunden. Nach dem
Ende welſcher Unterdrückung durch die Be-
freiungskriege lebt ſchon in Tagen großer
wirtſchaftlicher Not um 1820 der Sinn für
die Pflege dieſer Künste wieder auf. Im
Jahre 1843 leiſtete ſchon ein Direktor Neu-
feld mit 32 Sängern und Sängerinnen
Tüchtiges auf dem Gebiete der Oper. Ge-
sangvereine tauchen auf, deren heute noch
erhaltenen Programme von dbegeiſtertem
Wollen und ernster Arbeit zeugen. Nur das
Schauſpiel blieb das unerlöſte Dornröschen,
denn es brauchte hun dert Jahre,
u m hie: zur Kulturbühne heran-
zur eifen.
Wie ein zerſtörender Orkan fuhr die
französiſche Revolution über die Anfänge
der ſsaarländiſchen Kunſstbestrebungen da-
hin. Das kleine Hoftheater verſchwand,
und mit ihm ging 1793 durch welſche Zer-
ſtörunggewut das große Schauspielhaus
rbenfalls in Flammen auf. Bittere Nah-
rungsnot verhinderte es auch noch 1815, das
Theater als eine edle Volksbildungsanſtalt
zur Entfaltung zu bringen. Es lebte wie
ein krankes Kind und lernte es nur mühsam,
sich dem verehrten Publiko über ſseinen
Zweck und sein Ziel versſtändlichr zu machen.
III
Sonst wäre es unmöglich, daß noch vor 30
Jahren ein Pferdehändler in Saarbrücken
Schirm und Hort Thalias war und die Miſs-
sion übernahm, der Schauſpielkunſt hier
Weg und Steg zu öffnen.
Eine Kunst, die gütig lächelt, die unsere
Seele befreit, ſprach nur zu selten zu den
Altvorderen. In dem ganzen Zeitraum von
1820-1860 kam Schiller nur dreimal zu
Wort (Die Räuber, Kabale und Liebe,
Maria Stuart), Goethes Geiſt wurde nur
einmal zitiert (Fauſt 1. Teil). Geboten
wurde immer wieder Lum paz ivaga-
bund es o der Das liederliche
Kleeblatt“, „Zu ebener Erde und
im erſten Sto c war ebenſo beliebt.
Diese Stücke bedeuten schon einen Fort-
schritt, es sind des beliebten Neſstroyg
Wiener Spritzer, die Humor zeigen. Was aber
sonst geboten wurde, war troſtloſer Kitsch.
Ich laſsſe hier einige Titel von Theater-
stücken folgen, schlagenden Erfolg hatte
„Di e Schu bk arr en pr om en a d e“, ein
Werk, das als vorzügliches Luſtſpiel an-
gekündigt wurde. „Di e ſchön e Athe-
ni ens er in“ machte Aufsehen. „Z i m-
ba bo pitiko wſky, d er Zauberer
von Oſstoroſt od er Die gefoppten
Liebes h eld en“ erregte beſonders das
Wohlgefallen der Damenwelt. „Treff-
könig. od er Spieler und Toten-
gräber mit Gesang und Tanz-,,
„Je d er f eg e vor sein er Tür e“ wird
wiederholt gegeben wie „D er Nacht-
wächter von Bo cks d or ſ“. Mit letz-
terem Schmarren rivalisiert „De r Vieh-
händler aus Ober-Oeſterre i ch“,
der sich unverwüstlich in der Gunſt der
Theaterbeſucher erhielt von etwa 1845 bis
1870. Mehrere bejahrte Alldahieſige er-
zählen mir, daß sie in ihrer Jugend oft von
dem Stück gehört hätten und einige er-
innern sich, es ſelbſt noch gesehen zu haben.
Hin und wieder wird ein „großer Schlager“
verſucht, die „Theaterdirektion“ gibt mit
prahleriſchen Worten bekannt, daß etwas
überraſchend ſs<{<önes geboten werde:
„Rinaldo Rinald ini, das furch t-
bare Ober h aupt d er Banditen
in Italien, Schaufpiel in vier
Akten .von Barth, zum S4achluß
transparente Erleuchtung und
Feuerw er k“. Goethes Schwager Vul-
pius schrieb einen seinerzeit viel geleſenen
Roman „Rinaldo Rinaldini“. Man geht
wohl nicht fehl anzunehmen, daß Barth
den Schauerroman, eine Verherrlichung des
Banditen und seiner Roſa dramatisierte.
Die Schickſale des Helden kannten alle aus
der Arbeit des Vulpius, die Gestalten ſselbſt
auf der Bühne zu sehen, lockte damals, wie
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