Sprache, ihrer Freizügigkeit, ihrer Gerichts-
barkeit und ihrer sozialen Rechte ſichergeſtellt
(§8$ 12 Abſ. 2, 22 Abf. 3, 23, 24, 25 Abf. 1, 27
Abſ. 1, 28 Abs. 1, 29 und 30 Abſ. 2 des Saar-
tt). cs nicht genug; um
„Jenügend Bürgschaften gegen jeden Miß-
brauch der der Regierungskommiſssion an-
vertrauten Macht“
zu geben, iſt die Verantwortlichkeit der Regie-
rungskommiſssion gegenüber dem Völkerbund
feſtgeleat (vgl. Antwort der alliierten und
assoziierten Mächte vom 16. Juni 1919 und
Artikel 1 der Anlage zu dem Beſchluß des
Völkerbundsrates vom 13. Februar 1920).
Vie hat nun die Regierungskommiſsion dieses
von ſo hohen Geſichtspunkten getragene Statut
angewandt? Sie hat ſich ſeinen Geiſt nicht zu
eigen gemacht; ihre Praxis läßt ihn sogar voll-
kommen vermiſſen: :
1. Heute noch ſteht zahlreiches französisches
Minitär im Saargebiet. Erst durch wiederholte
Inſtruationen des Völkerbundsrates mußte die
Regierungskommisſsion gezwungen werden, die
lokale Gendarmerie zu entwickeln. Dies ge-
ſchieht aber mit der größten Langsamkeit; dabei
erklärte die Regierungskommission 4000 Mann
Gendarmerie für erforderlich, während für das
kleine Gebiet der vierte Teil vollauf genügen
würde! Im Gegensatz zu den Anordnungen des
Völkerbundsrates, das franzöſiſche Militär zu
vermindern, hatte sie es noch vor kurzem zeit-
weiſe verdoppelt.
2. Eine große Gelegenheit, sich in den Dienſt
der Gerechtigkeit und der Völkerverſöhnung zu
ſtellen, bot der Regierungskommission der
Lohnkampf zwiſchen der franzöſiſchen Berg-
verwaltung und der landſässigen Arbeiterſchaft.
Statt aber in vertrauensvoller Zuſammenarbeit
mit der Bevölkerung, die vergebens darum bat,
eine Löſung des 100tägigen Kampfes zu ſuchen,
hat sie einseitig Partei ergriffen und sogar,
wenn auch vergeblich, verſucht, den Streik mit
Gewalt niederzuſchlagen. Die Bergleute sollten
mit franzöſiſchem Militär geſchreckt werden. Die
Regierungskommissien hob das anerkannte
Recht des Streikpoſstenstehens auf und erließ die
in der ganzen Welt berüchtigte Notverordnung,
welche das Saargebiet zur Grabſtätte jeglicher
Freiheit machen ſollte. Die Regierungs-
kommission mußte wissen, daß das Aufgebot
französischen Militärs eine Provokation der ge-
ſamten Bevölkerung bedeutete und daß es
obendrein zum Schutze der Gruben völlig wert-
los war. Die Bergleute selbſt haben in ihrem
eigenſten Intereſſe die Gruben – die Quelle
!hres öaliche Brotes – vor dem Ersaufen
3. Im Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit
verpflichtet der Versailler Vertrag die Regie-
rungskommisſion (§ 23 Abs. 4 des Saarſstatuts)
„Das Recht des zvſanenſhtyfer zu allen
nicht dem Geſetze zuwiderlaufenden Zwecken
sowohl für die Arbeitnehmer als auch für
die Arbeitgeber“
(Vertrag von Versailles Art. 427 Abſ. 3 Ziffer 2)
unangetaſtet zu laſſen. Trotzdem ſchreckte der
Präsident der Regierungskommiſsion nicht davor
Saarkalender für das Jahr 1924.
zurück, mit der Auflöſung der Arbeitergewerk-
Ihaſtez und der Beſchlagnahme ihrer Kaſſen
zu drohen.
Derselbe engherzige Geiſt zeigt ſich auch darin,
daß die Regierungskommission es trotz mehr-
facher Bitten unterließ, für Arbeitsſtreitigkeiten
Schlichtungsverfahren nach bewährten Muſtern
einzurichten. Auch das am 12. Dezember 1921
verſprochene Arbeitskammergesetz hat ſie nicht
eingebracht. Ueberhaupt hat sie das soziale und
das Arbeitsrecht nicht weiterentwickelt.
4. Die Sorge um den Schutz der Intereſſen
der Bewohner des Saargebietes im Ausland hat
die Regierungskommission in die Hände Frank-
reichs gelegt (Verordnung vom 7. Juli 1920).
Die rein deutſche Bevölkerung konnte dieser
Vertretung begreiflicherweiſe kein Vertrauen
entgegenbringen, und die Praxis hat ihr leider
recht gegeben. Zwar war die Regierungs-
kommission offenbar der Ansicht, daß Frank-
reich ſich ganz beſonders beſtrebt zeigen werde,
den Schutz der ſaarländiſchen Interessen so
wirkſam wie möglich zu gestalten; sie war wohl
auch der Meinung, daß sie selbſt gerade bei einer
Vertretung durch Frankreich ihren Einfluß am
leichteſten zur Geltung bringen könne. Das
gerade Gegenteil iſt eingetreten; denn bisher
ſind Differenzen, die eine energische Wahrung
saarländischer Intereſſen im Auslande forderten,
faſt ausſchließlich mit Frankreich eingetreten.
In den meisten dieſer Fälle hat die von der
Regierungskommission geschaffene Auslands-
vertretung versagt.
Die krasseſten Beiſpiele der faſt völligen Ein-
flußloſigkeit der Regierungskommission auf die
Auslandsvertretung sind einmal die lange Zeit
vergeblichen Einsprüche gegen die drakoniſchen
Urteile frangöſiſcher Militärgerichte in den
Fällen Burger und Sakraſchinsky, ferner die Ab-
lehrnung jeder Entschädigung durch die franzö-
ſiſchen Militärbehörden, nachdem ſſaarländiſche
Bürger durch Verſchulden französischen Militärs
!! ode. yehounen waren (Fälle Walter und
ennewein]).
Weiterhin verſagte die Auslandsvertretung in
den häufigen Interessengegenſäten gzwiſchen
Saargebiet einerſeits und französischer Zoll-
verwaltung und JInteralliierter Rheinlandkom-
mission andererseits, wie sie ſich gerade in den
letzten Monaten aus den Eingriffen Frankreichs
in die deutſche Zollverwaltung und in das ge-
samte Verkehrswesen der. beſetzten Rheinlande
ergeben haben.
Nach der Note der alliierten und assoziierten
Mächte vom 24. Mai 1919
„ſichert der Vertrag den Einwohnern des
Saargebietes die Aufrechterhaltung aller
ihrer gegenwärtigen Freiheiten zu“.
Zu diesen Freiheiten gehört unbestreitbar auch
die Freizügigkeit überall in Deutschland sowohl
für Personen wie für die Güter der Saargebiets-
bewohner jeder Art. Dieses Recht iſt nochmals
ausdrücklich feſtgelegt im § 22 Abſ. 3 des Saar-
ſtatuts. Nach demselben genießen Personen,
Güter, Postsendungen uſw.
„im Verkehr aus und nach dem Saargebiet
alle Rechte und Vorteile, die . . . .. in
Feil 4 des Vertrages im einzelnen aufge-
ührt sind“
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