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sungskriterien - statt 1933 das Beitrittsjahr 1937 als auch die Durchführung der
Kontrollratsdirektive Nr. 24 abgelehnt. Dadurch konnte der totale Zusammenbruch
der Wirtschaft und Verwaltung, der Ende 1945 in den Ländern der amerikanischen
Zone eintrat, und der daraufhin dort einsetzende radikale Umschwung zu einer mil
den Entnazifizierung verhindert werden.
Das französische Entnazifizierungsverfahren wurde durch zwei grundlegende Direk
tiven im Herbst 1945 festgelegt. Der Schwerpunkt lag auf dem individuellen Über
prüfungsverfahren für die Masse der politisch geringer belasteten Nationalsoziali
sten. Für sie wurde die Alternative Entlassung oder provisorische Weiterbeschäfti
gung durch ein abgestuftes Sanktionensystem ersetzt. Deutsche Organe wurden zur
selbstverantwortlichen Mitarbeit herangezogen. Der Charakter eines politischen
VerwaltungsVerfahrens wurde durch die Vertretung aller gesellschaftlich relevanten
demokratischen Kräfte (Parteien, Gewerkschaften und Kirchen) verstärkt. Durch die
Mitarbeit von Vertretern der betroffenen Berufsgruppen in den Organen sollte ver
hindert werden, daß die Entnazifizierung ohne Rücksicht auf die sachlichen Notwen
digkeiten durchgeführt wurde. Ein zweiinstanzliches Verfahren unter französischer
Kontrolle sollte dem jeweiligen Einzelfall gerecht werden. Die Einrichtung eines
Einspruchs Verfahrens, das vor allem für die automatisch entlassenen NS-Aktivisten
geplant war, sollte erst nach Abschluß der laufenden Verfahren eingerichtet werden.
Ziel war es, die Überprüfungen möglichst schnell durchzuführen, um sich danach
ungestört dem Wiederaufbau widmen zu können. Die öffentliche Verwaltung und die
Führungskräfte in der Großindustrie wurden zuerst entnazifiziert. Für andere wich
tige gesellschaftliche Bereiche wie Kirchen, Presse und Kulturwesen wurde nach und
nach ein den jeweiligen Bedingungen angepaßtes Verfahren entwickelt. Die damit
beginnende zweite Phase verlief trotz der zentralen Richtlinien aus Baden-Baden in
den untersuchten Ländern unterschiedlich. Während in Hessen-Pfalz und im Saar
land die Verfahren zügig durchgezogen wurden, verzögerte sich die Einrichtung der
Organe in Rheinland-Hessen-Nassau; dort wurden auch die Sanktionen nur mit
großer Verspätung durchgeführt. Zwei Faktoren waren dafür ausschlaggebend: die
unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in den einzelnen Ländern - bereits vorhan
dene politische Infrastrukturen oder Neuaufbau der Verwaltung - sowie der Stellen
wert, den die jeweilige Militärregierung und die deutsche Verwaltung der Entnazifi
zierung beimaßen. Als besonders effektiv erwies sich dabei die Zusammenarbeit
zwischen den Entnazifizierungsorganen der Pfalz und dem Service Epuration in
Neustadt. Die Situation im Saarland war durch eine enge Kooperation der saarländi
schen und französischen Beteiligten gekennzeichnet, wie sie besonders im Conseil
Superieur d'Epuration bestand. In diesen beiden Ländern räumte die Militärregierung
der deutschen Verwaltung aufgrund der weit vorangeschrittenen Entnazifizierung das
Recht ein, eine Art Einspruchsinstanz zu schaffen.
Die Umsetzung der Kontrollratsdirektive Nr. 38 und die gleichzeitige Erweiterung
der Kompetenzen der deutschen Verwaltungen brachten einen grundlegenden Wan
del in der Entnazifizierung. Obwohl die Militärregierung in Baden-Baden die Be
stimmungen der KR 38 als Bestätigung ihrer bisherigen Politik ansah und streng dar
auf achtete, daß die verschiedenen deutschen Ländergesetze ihre Vorgaben beachte