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6. Desillusionierung der Kriegsopfer in der französischen Zone:
Grundlagen der Versorgung in der Bundesrepublik 1950—1953
So hart die Kriegsopfer der französischen Zone das 1949 erreichte Versorgungs
niveau auch kritisierten: Nach der Gründung der Bundesrepublik mußten sie fest
stellen, daß es über dem lag, was die junge Republik ihnen bieten konnte. 1949 bis
1951 waren zweieinhalb Jahre bitterer, mit großer Schärfe ausgetragener Kämpfe, in
denen von seiten der Kriegsopfer immer wieder der demokratische Staat als solcher
in Zweifel gezogen wurde. Diese Gefahr politischer Radikalisierung hatten alle
beteiligten Kräfte seit Kriegsende gesehen, und gegenüber den Militärregierungen
diente sie häufig als Argument zur Durchsetzung deutscher Forderungen. Die De
monstrationen vor allem des Jahres 1950 führten sie deutlich vor Augen.
Am Beispiel der Krankenversicherungsorganisation, der Sozialversicherungsselbst
verwaltung und der Sozialversicherungsanpassungsgesetze wurde im Rahmen dieser
Arbeit bereits gezeigt, daß der kleine Südwesten sich im Kräftefeld der Gründung
der Bundesrepublik politisch nur wenig Gehör zu verschaffen vermochte. Eine
ähnliche Erfahrung machten wenig später auch die Kriegsopfer, als die in eine
Vielzahl von Länderregelungen zersplitterte Versorgung 1950 auf Bundesebene zu
sammengefaßt wurde. Auf Länderebene hatte die Leistungsverschlechterung sich
politisch auch bereits abgezeichnet, als die Landesregierungen bei der Ankündigung
von Leistungsverbesserungen, vor allem in Rheinland-Pfalz 1949/50, sehr vorsichtig
wurden, sobald sie die politische Verantwortung für zu erwartende spätere Restrik
tionen nicht mehr auf die Militärregierung schieben konnten. Das volle Ausmaß des
Kriegsopferproblems war zum Zeitpunkt der Gründung der Bundesrepublik noch
nicht genau zu übersehen. Immer noch strömten Heimkehrer aus der Gefangen
schaft nach Hause und vergrößerten die Zahl der Antragsteller, und bei den zustän
digen Stellen stauten sich die unerledigten Anträge. Wenn die Gesamtzahlen im Lauf
der Jahre zurückgingen, so aus natürlichen Gründen, infolge des Todes von Beschä
digten und Hinterbliebenen und durch das Heranwachsen der Waisen.
Als Adenauer in seiner Regierungserklärung am 20. September 1949 zusicherte: Den
erwerbsunfähigen Kriegsbeschädigten und den Kriegshinterbliebenen ist ein ausreichen
der Unterhalt zu gewähren. Die Schaffung einer einheitlichen Versorgungsgesetzgebung
für das gesamte Bundesgebiet ist nötig, war daher noch nicht klar, wie dies im
einzelnen zu realisieren sein würde. Die Regierungserklärung enthielt jedoch bereits
grundlegende Einschränkungen: Es war die Rede von ausreichendem Unterhalt, also
der Wahrung des Existenzminimums, nicht von einer Entschädigung für den erlitte
nen Schaden, und es war die Rede nur von erwerbsunfähigen Beschädigten, nicht von
allen. Die Marschroute für die Verwaltung, welche die kurze Passage in der Regie
rungserklärung als Auftrag verstand,’ war damit bereits abgesteckt.
In der Begründung zur Regierungsvorlage des Bundesversorgungsgesetzes
stellte das Bundesarbeitsministerium 1950 als Fazit eines Überblicks über die
Rechtszersplitterung in den ersten Nachkriegsjahren fest: Für die notwendige einheit-
' Vgl. dazu: Die Versorgung der Kriegsopfer in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1952.