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2. Zusammenwirken von deutscher und alliierter Politik:
Quellen der parallelen Märkte
Mit dem Zusammenbruch des Reiches kamen nicht nur die „Zeitbomben“ zur
Wirkung, die das „III. Reich“ in seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik gelegt hatte
und auf die zurückzukommen ist. Die politischen und psychologischen Wir
kungen des Zusammenbruchs zeigten jetzt indirekt, daß das relative Funktio
nieren der nationalsozialistischen Politik noch eine weitere, entscheidende Voraus
setzung gehabt hatte: den Krieg, und zwar im doppelten Sinn der Selbstdisziplinie
rung der Bevölkerung unter der äußeren Bedrohung und der Wirkung des inneren
Terrors des Regimes. 1 Die Grundpfeiler jeder Warenbewirtschaftung sind die Disziplin
des Volkes und die pßichtgetreue Erfüllung aller Bewirtschaftungsanweisungen, hatte
der Reichswirtschaftsminister schon Ende 1943 in einem Erlaß an die Bewirtschaf
tungsdienststellen verkündet. 2 Er hatte recht, wie sich sowohl am Vergleich mit den
besetzten Ländern wie an dem Geschehen nach dem Zusammenbruch in Deutsch
land zeigte. Französische Beobachter, selbst solche mit wirtschaftswissenschaftlicher
Vorbildung, neigten dazu, dieses Verhalten dem deutschen Volkscharakter zuzu
schreiben und auf „l’extraordinaire discipline du peuple allemand“ zurückzufüh
ren. 3 Tatsächlich waren weniger der deutsche Charakter als Krieg und Regime dafür
verantwortlich, und die Militärregierungen sollten dies nach 1945 rasch konstatie
ren.
Organisierte Schwarz- und Kompensationsmärkte waren in allen besetzten Ländern
in teilweise sehr großem Umfang entstanden, blieben im Deutschen Reich jedoch
vergleichsweise begrenzt. 4 Der Grund dafür war nicht nur in der relativ besseren
Versorgungslage des Reiches zu suchen. Sozialpsychologisch wesentlich war der
Unterschied, daß Schwarzhandel im Deutschen Reich nicht nur offiziell, sondern
vielfach auch subjektiv als Landesverrat empfunden wurde, während er in den
besetzten Ländern sowohl teilweise eine Frage des Überlebens war als auch als ein
Akt des Widerstandes gegen die Besatzung gelten konnte. Diese psychologischen
Zur ökonomischen Bedeutung des Terrors vgl. beispielsweise Röpke, Offene und zurück
gestaute Inflation, S. 62. Angedeutet ebenso bei Borchardt, Erfahrungen mit Inflationen,
S. 158 u. 161.
2 Erlaß vom 2. II. 1943,zit. bei Boelcke, Die deutsche Wirtschaft, S. 321.
So die Formulierung von Henry Laufenburger, Quelques aspects, S. 106. Zu den psycholo
gischen Folgen der Niederlage siehe ausführlich auch Stolper, Die deutsche Wirklichkeit,
bes. S. 69 ff.
Amtliche deutsche Übersicht über die Finanzprobleme der Schwarzen Märkte bei Buchheim,
Die besetzten Länder. Vgl. im Überblick Boelcke, Die deutsche Wirtschaft, S. 317 ff. Zu
einzelnen Ländern beispielsweise: Zu Belgien: Baudhuin, L’Economie beige, S. 318 ff.;
Chelmicki, Le marche noir, mit Zahlen zum internationalen Vergleich. Zu Frankreich: Ki-
stenmacher, S. 95 ff.; Baudin, Esquisse, S. 134 ff.; Merigot u. Coulbois, S. 31 f., 41 ff.;
Enquetes diverses sur les prix et les consommations, passim; Mouvement economique en
France de 1938 ä 1948; Debü-Bridel; Sauvy, La vie economique, S. 128, warnt vor einer
Überschätzung der Ausdehnung des französischen Schwarzen Marktes. Zu Südosteuropa:
Chelmicki.